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Neues Glück: Die Eröffnung des Gründerzentrums Fumbally Exchange am neuen Standort.

© John Hyland

Nach dem Platzen der irischen Immobilienblase ist die Wohnungsnot groß: Oh dear, Dublin

Irland in den vergangenen Jahren: Boom, Jobs, Crash, Pleiten – ein ökonomisches Auf und Ab. Nun wird in der Hauptstadt versucht, die neue Krise mit kreativen Ideen zu meistern.

Mulligan – klingt ziemlich alt-irisch. Ist aber Dublin von heute, ein Gastropub im Hipsterviertel. Lammburger de luxe, mit Roter Bete und Ziegenkäse, Craftbeer dazu, die Gespräche dröhnen. Am Samstagabend sind die Bars so voll wie die neuen Straßenbahnen. Das Gemäuer mag alt sein in Dublin, das Leben darin wirkt jung, lebendig.

Also: Geht doch. Irland, das Wirtschaftswunderland. 2010 nach dem großen Crash als erste Nation unter den EU-Rettungsschirm geschlüpft, glänzt es seit zwei Jahren als „keltischer Phönix“ mit den höchsten Wirtschaftswachstumsraten Europas.

Nur haben sich einige Probleme noch verschärft. Die Wohnungsnot ist dramatisch. In der ganzen Stadt sieht man Obdachlose, auch hier: viele Junge unter ihnen. In Gesprächen mit Dublinern wird schnell deutlich, wie tief der Schock, ja, das Trauma des Crashs sitzt. Und die Angst, dass Irland nichts aus der Krise gelernt hat, mit dem neuen Aufschwung die alten Fehler wiederholt werden.

Und plötzlich kam die Krise

Zu Besuch in einer Stadt am Scheideweg.

In Dublins historischem Zentrum warten Schwarzafrikaner und Inder neben ihren Rikschas auf Fahrgäste. In den Zeiten des Celtic Tigers war aus dem Land der Auswanderer eins der Einwanderer geworden. Martyna Lebryk war eine von ihnen; nach dem Architekturstudium in Polen zog sie nach Dublin, weil es hier so viel Arbeit gab. Es lief bestens. Sie freute sich schon, als ihr Chef sie zu sich rief – eine Gehaltserhöhung, dachte sie. Dann eröffnete er ihr, dass er alle Mitarbeiter entlassen müsse. Alle bis auf sie, sie könne ihm noch helfen, Wohnungen zu Einfamilienhäusern zusammenzulegen. Das war das Einzige, was noch ging am Immobilienmarkt.

Der Traum vom eigenen Haus – in Irland ist es kein Traum, sondern eine tief verwurzelte Obsession. Unter der britischen Herrschaft durften die irischen Bauern kein Land besitzen, mussten es pachten. Der Wirtschaftsboom basierte auf einem Häuserwahn. Kredite wurden wie Kamelle beim Karneval verteilt. Der Wert manchen Objekts zog Woche für Woche um 5000 Euro an. Stadtplanung wurde privaten Immobilienentwicklern überlassen, Spekulation und Korruption gingen Hand in Hand. Jetzt stehen im ganzen Land fehlgeplante Geistersiedlungen herum, die niemand je beziehen wird.

Die Bagger rosteten vor sich hin

Als die Immobilienblase 2008 platzte, viele Iren Job und Zuhause verloren, wurden Baustellen einfach stillgestellt. Wie bei Dornröschen. Bagger rosteten vor sich hin. Vier, fünf Jahre lang wurden praktisch keine Wohnungen mehr gebaut, schon gar nicht von öffentlicher Hand.

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Die Architektin Martyna Lebryk, glatte rötliche Haare, irischer Akzent, schulte um: zur digitalen Mediengestalterin. Anstelle von Häusern baut sie nun Webseiten, hat sich auf grafische Animation spezialisiert. Anfangs hat sie allein zu Hause gearbeitet und schwer gelitten. „Ich brauche den Austausch!“ Den hat sie nun.

Lebryk wurde Mitglied im Fumbally Exchange, einem kreativen Gründerzentrum, das mehr ist als ein Coworking-Space, wie es sie inzwischen überall gibt, wo Kreative aus aller Welt ihre Apple-Notebooks auf- und kurze Zeit später wieder zuschlagen, um weiterzuziehen. Hier geht es um langfristiges Engagement, um Zusammenarbeit. Gegründet hat es eine Architektin, die ebenfalls über Nacht ihren Job verlor: als sie gerade mit ihrem zweiten Kind im Mutterschutz war. Ein verheerendes Gefühl, wie George Boyle erzählt. Aus dieser Isolation wollte sie ausbrechen. Innerhalb weniger Monate hatte das Fumbally Exchange, benannt nach der Adresse, Fumbally Lane, 60 Mitglieder. Architekten, Filmemacher, Designer, Computerspezialisten.

Die Mutter der Kompanie

Die Architektin George Boyle: immer mit Hut
Die Architektin George Boyle: immer mit Hut

© Clare Mulvaney

Der erste Eindruck: Flower-Power. Schlaghosen, Pferdeschwanz, Grübchen im braun gebrannten Gesicht, die Sonnenbrille auf den Schlapphut gesteckt – Boyle trägt immer Hut, hat 200 Modelle. Fröhlich und zupackend, ist sie die Mutter der Kompanie. Zuversicht auszustrahlen, auch in schwierigen Zeiten, ist Teil ihres Jobs. Kostet viel Kraft, wie sie gesteht.

Fumbally Exchange ist das Gegenmodell zum Turbokapitalismus des Celtic Tiger. Die Mitglieder wollten nicht nur sich selbst helfen, sondern auch ihrer Umgebung, einem heruntergekommenen Viertel im Dubliner Südwesten. Das ist ihnen so gut gelungen, dass sie selbst ausziehen mussten. Die offizielle Begründung: Das Zentrum war zu groß geworden. Die inoffizielle: Ein IT-Unternehmen konnte an dem nunmehr attraktiven Ort wesentlich mehr Miete zahlen. Doch die Fumballier wollten nicht als Opfer dastehen, und sei es Opfer des eigenen Erfolgs.

Es war nicht allein Glück, dass sie dann einen langfristigen, günstigen Mietvertrag bekamen für ein verbautes altes Gebäude, das offenbar niemand haben wollte. Drei Jahre hatte es leer gestanden, in einer versteckten Gasse im Zentrum der Stadt. Schick ist es nicht, die Möbel wirken zusammengestoppelt, alle haben beim Umbau mitangepackt – und viele Dubliner Betriebe haben Handwerkerstunden, Teppichboden, Baustoffe gestiftet. 2014 weihte der irische Präsident persönlich den neuen Standort ein. Denn in einer Zeit, die nur aus schlechten Nachrichten bestanden hatte, waren die Fumballier eine gute. Entsprechend groß war ihre Medienpräsenz und Bekanntheit.

Neues Leben in alten Gefängnissen

Fumbally ist zur Marke geworden, mit Ablegern im eigenen Land, demnächst soll auch ein Exchange im italienischen Ravenna entstehen. Wenn es nach George Boyle geht, sollen weitere Fumballys und damit Leben in leere, denkmalgeschützte Bauten, Gefängnisse, Krankenhäuser einziehen.

Die Architektin betreibt auch wieder ein eigenes kleines Büro, hat für Teeling, den ersten neuen Whiskey-Produzenten in Dublin seit mehr als 125 Jahren, die Destillerie mit Besucherzentrum entworfen. Aber ihr Hauptberuf ist inzwischen „social entrepreneur“, das Fach unterrichtet sie am traditionsreichen Trinity College. Zu ihrer Freude wollen viele BWL-Studenten nicht nur Geld machen.

Die Zahl der Studenten stieg in den letzten Jahrzehnten gewaltig an. Noch nie waren junge Iren so gut ausgebildet wie heute. Bloß fanden sie nach der Uni oft keinen adäquaten Job. Und keine Wohnung. Also: zurück ins Kinderzimmer. Oder auswandern. Bis nach China, Korea, Australien. Aus dem Land der Einwanderer ist wieder eins der Auswanderer geworden.

Auch Karl Whitney zog 2009 nach dem Abschluss seiner Promotion für ein Jahr zu den Eltern zurück, bevor der Historiker mit seiner Freundin nach England ging. Kein Problem, könnte man meinen, als freier Autor und Journalist ist der 37-Jährige ja flexibel. Und doch bezeichnet Whitney sich als Emigrant.

Besser als "Ulysses"

Es ist eine andere Emigration als jene im 19. Jahrhundert, als Millionen von Iren vor der Hungersnot in die USA flohen und nie wiederkehrten. 33 Millionen US-Amerikaner bezeichnen sich heute als irischstämmig. (Ganz Irland hat weniger als fünf Millionen Einwohner.) Es ist auch eine andere Erfahrung als in den 50er, 60er Jahren, als Iren in Großbritannien oft wie Abschaum behandelt wurden. „No blacks, no Irish, no dogs“, warnten Schilder in Pubs und Pensionen. Der Auswanderer von heute ist via E-Mail, Whatsapp und Skype immer mit den Daheimgebliebenen in Kontakt. An diesem Morgen ist Karl Whitney für 25 Pfund aus dem englischen Newcastle rübergehüpft, Flugzeit: 40 Minuten.

Dublin, sagt Whitney beim Treffen im Gastropub L. Mulligan Grocer, wie er mit ganzem Namen heißt, könne er sich nicht mehr leisten. Seine Freundin hätte wahrscheinlich bis ans Ende ihrer Tage auf die Unistelle gewartet, die sie in Newcastle gefunden hat. Er hat ein melancholisches Buch über seine Heimatstadt geschrieben, mit dem er die Stimmung nach dem Crash einfangen wollte, „bevor die Leute das vergessen“. Als „genial und liebevoll“ hat Colm Tóibín, einer der wichtigsten irischen Schriftsteller, „Hidden City“ gelobt und es Dublin-Besuchern als Stadtführer ans Herz gelegt. Dafür sei es besser als Joyces „Ulysses“ geeignet.

Heute bewegt Whitney sich selbst wie ein Tourist durch die Stadt, spaziert durch die Straßen, besucht Museen, trifft Freunde – die, die nicht selbst ausgewandert sind. „Aber ich lebe nicht mehr hier.“ Wenn er kommt, übernachtet er bei den Eltern, die er am meisten in Newcastle vermisst. Ein Haus möchte Whitney nie haben. Er lacht. „Ich bin Mieter.“ Nur gibt es in Dublin kaum Mietwohnungen und schon gar keinen Mieterschutz.

Wohnen im Garten

Das kompakte Garten-Haus von Peter Carroll.
Das kompakte Garten-Haus von Peter Carroll.

© Marie-Louise Halpenny

L. Mulligan Grocer liegt in Stoneybatter im Norden der Stadt, der traditionell als der ärmere Teil gilt. Ein altes Arbeiterviertel mit kleinen Backsteinhäusern und Brachen, eben noch ziemlich runtergekommen, jetzt bei Kreativen schwer begehrt. Berlin-Kenner nennen Stoneybatter Dublins Neukölln. Ein WG-Zimmer für 450 Euro gilt als Schnäppchen.

In Stoneybatter hat Peter Carroll, 45, ein spannendes Experiment gewagt, das von der Krise abrupt beendet wurde. Jetzt hofft der Architekt auf Fortsetzung. Mit zwei Freunden hatte er ein viktorianisches Haus gekauft, in dem sie ein paar Jahre zusammen wohnten, bevor er sich ein eigenes baute: Das hat er in den Garten gesetzt. Ein schmaler, dezidiert moderner Bau aus hellem Backstein, der sich gut in die historische Umgebung einfügt. Die übliche Aufteilung hat er auf den Kopf gestellt, die Schlafzimmer ins dunklere Erdgeschoss gepackt, den Wohn-Koch-Ess-Bereich im helleren ersten Stock angesiedelt, zusammen mit zwei Terrassen, um so viel Licht wie möglich einzufangen. In Nachbars Garten hat er ein zweites Haus gesetzt, konnte 13 Familien im Viertel vom Konzept überzeugen. Dann kam die Krise.

240 000 Euro haben die 109 Quadratmeter gekostet. So zentral, in einem gewachsenen Stadtteil zwischen Kino und Café zu leben, kein Auto mehr zu brauchen – das können sich sonst die wenigsten Normalverdiener leisten. Sie werden aus der Stadt raus-, in die Vororte gedrängt, stehen als Pendler im Dauerstau. In der Verdichtung aber sieht Peter Carroll für Dublin die einzige Lösung der Wohnungsnot. Dazu gehört für ihn auch: in die Höhe statt in die Breite zu wachsen.

Was der Brexit für Irland bedeutet, ist noch nicht abzusehen. Eins aber ist klar: Er wird die Situation noch verschärfen. Die englischsprachige Metropole ist für internationale Firmen eine attraktive Alternative zu London. Zumal sie hier nur lächerlich niedrige Steuern zahlen. Das hat schon einige Global Player wie Google, Facebook & Co angelockt. Deren Mitarbeiter wollen auch irgendwo schlafen. Viele der Firmen haben sich im neuen Entwicklungsgebiet der Docklands niedergelassen, wo Baukräne wieder in Bewegung sind. Dort gibt es auch Wohnungen – vor allem im Luxussegment.

Seit zwei Monaten hat Irland einen neuen jungen Minister für Wohnungsbau, dem Peter Carroll unorthodoxe Entscheidungen zutraut. Und es werden langsam wieder Wohnungen von öffentlicher Hand gebaut. Auch Carrolls Büro hat einen kleinen Auftrag bekommen, ein Haus mit zehn Wohnungen außerhalb der Stadt. Weniger als ein Tröpfchen angesitzs der 50 000 Wohnungen, die Irland braucht. Aber überhaupt ein Anfang. „Lucky Lane“ hat Carroll den Weg, an dem seine Garten-Häuschen liegen, mit städtischer Genehmigung getauft: Glücksweg.

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