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Pioniergeist. Kurt Hübner (hier 1991 nach einer Talkshow bei Radio Bremen) etablierte mit Johann Kresnik erstmals ein politisches Tanztheater.

© imago

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Von wegen Luther!

Bordellmilieu, Miniröcke und Donald Trump auf der Bühne: Wie das deutsche Theater reformiert wurde.

Vor 100 Jahren, fast genau am Reformationstag, wurde der Erneuerer des Theaters geboren, ein Martin Luther des deutschen Bühnenlebens, ein konservativer Revolutionär, der genauso wie der Reformator mit einem Bein im Alten steckte und mit dem anderen vorwärts in die Moderne schritt – so ein Zerrissener war Kurt Hübner, der 2007 verstarb und dem die Bremische Bürgerschaft nun in Kooperation mit der Akademie der Künste eine Ausstellung widmet.

Anfang der 1960er Jahre gabelte er einen jungen Tramper kurz vor Ulm auf, er hieß Peter Zadek und hatte in England moderne Stücke auf eine kleine Bühne gebracht. Hübner fuhr mit ihm direkt ins Ulmer Theater, wo er gerade Nachfolger des Intendanten geworden war. Dort inszenierte Zadek „Die Geisel“, ein Stück des irischen Dramatikers Brendan Behan, und brannte dabei fast das Theater ab. „Zwei Stunden Bordellmilieu, das geht über die Hutschnur“, schrie ein empörter Ulmer Stadtrat und forderte „Sittengesetze für das Theater“.

Hübner saß da schon längst mit stets gebügelten Hemden im Münchener Anti-Theater und beobachtete den Anfänger Rainer Werner Fassbinder; ebenfalls aus München holte er für seine neue Intendanz in Bremen Peter Stein, nachdem dieser bei einer Aufführung Geld für den Vietcong gesammelt hatte und damit für die ehrwürdigen Münchener Kammerspiele untragbar geworden war.

Was in Bremen passierte, war wie ein Bruch zwischen alter und neuer Theaterkirche

Klaus Michael Grüber, den Assistenten des berühmten Giorgio Strehler, entdeckte er bei einem Espresso in Mailand; von einem Bruno Ganz hörte er in einem kleinen Theater in Göttingen, worauf dieser dem an Grippe erkrankten Hübner vor dessen Bett den Prinzen von Homburg vorsprach und engagiert wurde. Hübner entdeckte Jutta Lampe, verliebte sich in die Beine von Hannelore Hoger, fand die prägendsten Bühnenbildner der nächsten Jahrzehnte wie Wilfried Minks, der die Popart mit Rauschenberg und Warhol ins Theater brachte, nebenher etablierte Hübner mit Johann Kresnik erstmals ein politisches Tanztheater.

Was in Bremen ab 1962 passierte, kann man mit dem Bruch zwischen alter und neuer Theaterkirche vergleichen. Der Papst in Bremen war Kultursenator Thape, der Hübner-Luther immer wieder dazu aufrief, zu widerrufen und die Klassiker so aufzuführen, wie man sie kennt, doch Hübner und seine Regisseure schlugen Premiere für Premiere eine neue These ans Theater.

Man spricht heute vom „Bremer Stil“ als Beginn des modernen Regietheaters, und oft war es Hübner selbst, der gegen seine modernen Regisseure wütend predigte, wie Luther gegen die Bilderstürmer.

Hübner spielte den Präsidenten - und sah aus wie der junge Trump

Ich selbst bin in der Nähe Bremens groß geworden und soll eine späte Phase des Hübner-Theaters aus dem Kinderwagen verfolgt haben, zumindest behaupten das meine Eltern, die mit dem Choreografen Kresnik befreundet waren und mich oft auf der Probe ablieferten, um in Ruhe Besorgungen zu machen.

Folgende Inszenierungen der Reformation habe ich in ihrer Entstehung miterlebt: „Kabale und Liebe“, inszeniert von Peter Stein, mit Bruno Ganz als Wurm und Edith Clever als Luise! Und Hübner, der aussah wie der junge Donald Trump, spielte den Präsidenten selbst. Dann war ich noch Probengast bei „Don Gil und den Grünen Hosen“, einem Lustspiel, das mir besser zu gefallen schien als Kresniks Rudi-Dutschke-Proben.

Der Theaterhistoriker Günther Rühle schrieb über diese Zeit, dass er niemals so viele Miniröcke im Theater gesehen habe wie bei Hübner. Noch eine Parallele: Auch der Reformator Luther befreite die Nonnen aus dem Kloster.

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