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Bis zum 31. Oktober ist in der Lutherstadt Wittenberg in einer Open-Air-Galerie die Ausstellung 95 Türen zur Reformation zu sehen.

© imago/epd

Moritz Rinke sammelt Erinnerungen an die Gegenwart: Mein Playmobil-Luther

Hat Luther die Thesen wirklich an die Tür geschlagen?

So allmählich nimmt die Lutherei Fahrt auf. In drei Wochen vor 499 Jahren soll Luther die 95 Thesen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg geschlagen haben. Im nächsten Jahr ist der berühmte, welthistorische, die Neuzeit einleitende Thesenanschlag am 31. Oktober dann 500 Jahre her, da wird es in Deutschland kein Halten mehr geben, dann luthert es aus allen Himmelsrichtungen, vermutlich sogar aus der Hölle.

Denkbar ist nämlich, dass sogar die Politik mit Luther in den Bundestagswahlkampf zieht und der mögliche Kanzlerkandidat Sigmar Gabriel von der SPD mit Luther verglichen wird, was eigentlich rhetorisch wie naturgesetzlich eine Idealbesetzung wäre. Besser auf jeden Fall als Martin Schulz oder Olaf Scholz, die auch noch im Rennen sind, aber Scholz und Schulz gehen nun wirklich nicht als Luther, der eine ist viel zu leise, der andere will immer der Gute sein, da war Luther viel widersprüchlicher und gemeiner, zum Beispiel zu den Bauern, zu den Juden, Antichristen und Hexen.

Leider könnte auch die AFD mit Luther in den Wahlkampf ziehen (die Islamfeindlichkeit war bei ihm recht extrem), oder die Berliner CDU sich auf die traditionelle Frauenfeindlichkeit Luthers berufen, obwohl ich wette, dass Luther die Protestantin Angela Merkel geliebt und sie mit aus dem Kloster befreit hätte. „Wir schaffen das“ ist auch ein berühmter Satz von Katharina von Bora, Luthers Frau, als sie ihrem vom Bauernkrieg zermürbten Mann gegenüberstand.

Luther zum Spielen

Jetzt habe ich meinem Sohn bei Playmobil einen kleinen Luther gekauft, man kann die Bibel in Luthers Hände montieren und seine Mütze auf- und absetzen, die man von Cranach-Bildern kennt. Eigentlich habe ich den Playmobil-Luther auch für mich gekauft, um die Wucht der Lutherei spielerisch abzufangen.

Es luthert aus allen Himmelsrichtungen - und jetzt bitte lächeln!
Es luthert aus allen Himmelsrichtungen - und jetzt bitte lächeln!

© imago/epd

Seit Monaten beschäftige ich mich mit dem Reformator und sitze im Auftrag der Kirche an einem Theaterstück, das möglichst kein Historiendrama werden soll. Bloß kein Stück, in dem es historisch luthert (das machen ja all diese langweiligen Filme), sondern es muss Luft zum Atmen geben, zum Spielen. Eine Lutherbefreiung!

Trotzdem musste ich alles lesen: „Von der Freiheit eines Christenmenschen“, „An den christlichen Adel deutscher Nation“, „Von der babylonischen Gefangenschaft der Kirche“, „Wider die räuberischen und mörderischen Rotten der Bauern“, „Der kleine Katechismus“, „Der große Katechismus“, „Vorrede auf das Alte Testament“, „Das Neue Testament“. Dazu Tischreden, Pamphlete, Predigten, Vorlesungen über Prediger, Genesisvorlesung, Psalmenauslegungen, Hauspostillen, Liedtexte, Sendbriefe, den Briefverkehr insgesamt – Du meine Güte! – und natürlich die „95 Thesen des Dr. Martin Luther“.

Es ist eine schöne Geschichte

Ob Luther die Thesen wirklich im Oktober 1517 an die Tür genagelt oder dem ablasstreibenden Erzbischof Albrecht von Magedburg-Mainz als Brief geschickt hat, weiß nur der gnädige Gott.

Erstmals berichtete Luthers Sekretär Georg Rörer vom Thesenanschlag, aber Luther erwähnte den Thesenanschlag nie, mit keinem Wort. Erst Melanchthon, sein Stellvertreter, sprach vom Thesenanschlag in einer Vorrede zum zweiten Band einer Lutherausgabe, da war dieser längst tot. Allerdings konnte es Melanchthon nicht wissen, der war 1517 nicht in Wittenberg, sondern in Tübingen.

Es könnte mit dem Thesenanschlag wie mit dem Tintenfass gewesen sein, das Luther nach dem Teufel geworfen haben soll. Wenn man daran glaubt, ist es eine schöne Geschichte. Wie vieles bei Luther.

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