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Legendärer König von England: Der Mythos Richard Löwenherz

Er ist ein Mann, der niemals kapituliert. Richard Löwenherz kann besser mit dem Schwert kämpfen als jeder andere. 1193 verbüßt er auf dem Trifels seine Luxushaft.

Der Ausblick ist atemberaubend. Aus einer Höhe von 494 Metern über dem Meeresspiegel geht er über die Queich, einen Nebenarm des Rheins, und die dicht bewachsenen Hügelketten des Pfälzerwaldes. Doch der prominenteste Besucher der Burg Trifels wird das Rundumpanorama kaum genossen haben. Er kam nicht als Gast, sondern als Gefangener. Der englische König Richard I., den die Welt bis heute als Richard Löwenherz kennt, war Ende 1192 auf dem Rückweg von einem Kreuzzug im Heiligen Land in der Nähe von Wien festgenommen worden. Auf den Trifels ließ sein Kontrahent, der deutsche Kaiser Heinrich VI., ihn wohl deshalb bringen, weil die Reichsburg als uneinnehmbar galt, so sicher, dass auch die Reichskleinodien – Krone, Zepter und Reichsapfel – dort verwahrt wurden.

Man muss sich den Aufenthalt des Häftlings nicht allzu entbehrungsreich ausmalen. Löwenherz war zwar seinem größten Gegner in die Hände gefallen, aber er blieb ein König. Der Raum, in dem er wahrscheinlich untergebracht war, ist bis heute weitgehend in seinem Originalzustand erhalten. Er wird von einem Kreuzgratgewölbe überkuppelt und besitzt einen Kamin und drei schmale Fenster. Kerker sehen anders aus. Nur die Rotsandsteinmauern sind fast zwei Meter dick.

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Ketten gab es nicht für den Herrscher, der zum Faustpfand geworden war. Löwenherz konnte sogar seine Regierungsgeschäfte weiterführen, davon künden drei von ihm unterzeichnete Schenkungsurkunden in der opulenten Ausstellung, mit der das Historische Museum der Pfalz in Speyer ihn unter dem Titel „König – Ritter – Gefangener“ würdigt. Sein Erzkanzler William de Longchamp reiste während der 15-monatigen Haft regelmäßig an, um ihm Dokumente vorzulegen. Speyer war auch die Stadt, in der Löwenherz es bei einem Schauprozess standhaft ablehnte, sich dem Staufer-Kaiser zu unterwerfen: „Ich bin in einem Rang geboren, der niemanden über sich als Gott anerkennt.“ Die Zuhörer sollen Tränen in den Augen gehabt haben. Dass Richard nur wenige Wochen auf der Burg blieb, lag daran, dass er zum Gefolge des Kaisers gehörte, der sein Reich ambulant regierte. Doch anders als von Trifels blieben von anderen Aufenthaltsorten wie der Kaiserpfalz Hagenau oder der Burg Dürnstein bloß Ruinen.

Löwenherz hatte sogar die Muße, auf dem Trifels das Lied „Ja nus hon pris“ zu schreiben, in dem er mit der Wehmut eines Minnesängers sein Schicksal beklagt: „Ich habe viele Freunde/Aber ihre Geschenke sind wenige/Unehre wird ihnen anhängen/Wenn ich im Gefängnis bleibe.“ Der tapfere König gehört zu den Figuren der Weltgeschichte, bei denen der Mythos stärker ist als die Erinnerung an den wirklichen Menschen. Groß gewachsen, bärtig und von kräftiger Statur, entsprach er dem Idealtypus eines Helden. Mit dem Schwert konnte er angeblich besser umgehen als jeder andere Zeitgenosse. Spätestens, als er im Dritten Kreuzzug die Hafenstadt Akkon – im Norden des heutigen Israel – eroberte, wurde ihm der Mut eines Löwen zugeschrieben.

Überbleibsel des Heldenkults: die "Three Lions" der englischen Fußballer

Foto: Rosgartenmuseum Konstanz
Die Goldbulle von Heinrich VI. Der Kaiser ließ Löwenherz gefangen halten und erpresste so hohes Lösegeld.

© Rosgartenmuseum Konstanz

Der Versroman „Richard Coer de Lyon“ – in der Ausstellung in einer frühen Ausgabe aus dem 15. Jahrhundert zu sehen – brachte die Anekdote in Umlauf, dass der König während seiner Haft einen Löwen mit bloßen Händen besiegt und ihm das Herz herausgerissen habe. Die Langlebigkeit des Heldenkultes bezeugen die „Three Lions“ im Wappen der englischen Fußballnationalmannschaft. Kein mittelalterlicher König ist bis heute im Vereinigten Königreich so populär wie Löwenherz. Als Mann, der niemals kapitulierte, stieg er zum festen Bestandteil des Nationalbewusstseins auf. Auf dem Reiterstandbild aus dem 19. Jahrhundert, das neben dem Parlament in London steht und im Zweiten Weltkrieg von deutschen Bombern schwer beschädigt wurde, reckt er entschlossen sein Schwert empor.

Seine Unsterblichkeit hat Löwenherz paradoxerweise einem Mann zu verdanken, der niemals gelebt hat. In den Büchern, Dramen und Filmen über den edlen Outlaw Robin Hood fungiert der abwesende König als Sehnsuchts- und Erlösergestalt. Seit dem 13. Jahrhundert bezeichnete der Name „Robynhood“ oder „Robbehood“ einen Kriminellen. Bald machten Märchen und Epen daraus einen guten Bösewicht, einen Sozialrevolutionär, der mit Pfeil und Bogen von den Reichen nimmt und den Armen gibt. Der schottische Schriftsteller John Major fusionierte 1521 in seiner „Historia majoris Britanniae“ die beiden Helden Robin und Löwenherz. Eines Tages, so viel war gewiss, würde der König zurückkehren aus dem Kreuzzug und England vom Interregnum seines habgierigen Bruders Johann Ohneland befreien.

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Tatsächlich hat Löwenherz gerade auch von den Armen genommen, genauer gesagt: Er ließ nehmen. Um sich freikaufen zu können, musste der Gefangene 150 000 Reichsmark Lösegeld aufbringen, was 23 Tonnen Silber oder ungefähr dem jährlichen Staatshaushalt Englands entsprach. Es wurde eine Sondersteuer in Höhe von 25 Prozent eingeführt, nahezu alle Gold- und Silbergefäße aus Kirchen und Klostern mussten eingeschmolzen werden. Die Leute hungerten. Allerdings half die Finanzkrise auch, das englische Schatzamt zum modernsten Europas zu machen. Die Ausstellung visualisiert die Finanzbuchhaltung mit einem Raum voller Münzen, Hauptbücher und pipe rolls, lange Pergamentstreifen, auf denen, geordnet nach Grafschaften, alle Einnahmen des Königshauses verzeichnet wurden. Umgekehrt bekamen die Sheriffs tally sticks, Quittungen in Form von länglichen Holzstücken. Ein Tauschgeschäft, das im Sprichwort „etwas auf dem Kerbholz haben“ überlebt hat.

Zu seiner Mythologisierung trug Löwenherz selbst kräftig bei. Er behauptete, vom legendären Gründerkönig Artus abzustammen und mit dessen Schwert Excalibur zu kämpfen, das seinem Träger übermenschliche Kräfte verleiht. In der Ausstellung steckt eine Replik in einem Stein. Der Besucher, dem es gelingt, die Waffe herauszuziehen, ist laut Inschrift der „rechtmäßige König Britanniens“. Löwenherz ordnete sogar im Kloster Glastonbury archäologische Grabungen an, bei denen das Grab von Artus entdeckt wurde. Allerdings ist die Beweiskraft der dort geborgenen Knochen ähnlich groß wie die der Alien-Skelette, die regelmäßig in der Nähe von Roswell, New Mexico, ausgegraben werden. Artus ist eine rein literarische Größe.

Den größten Teil seines Lebens verbrachte er in Frankreich

 Foto: Museum Catharijneconvent
Ein Reliquienkästchen zeigt die Ermordung von Thomas Becket, nach dem Löwenherz einen Orden benannte.

© Museum Catharijneconvent

Zum Nationalhelden taugt Löwenherz eigentlich schon wegen seiner Biografie kaum. Den größten Teil seines 41-jährigen Lebens verbrachte er in Frankreich, in England hielt er sich wohl nur wenige Monate auf. Ob er die englische Sprache beherrschte, ist umstritten. Richard wuchs am Hof seiner Mutter Eleonore von Aquitanien auf, einem der reichsten und kultiviertesten Teile Frankreichs, und herrschte schließlich über das Angevinische Reich, das neben England aus ganz Westfrankreich bestand. Sein militärisch unglücklich agierender Nachfolger Johann Ohneland sollte später fast alle Festlandbesitzungen an den König von Frankreich verlieren.

Löwenherz besaß unbestritten großen Mut – doch größer noch war seine Selbstüberschätzung. So führte der Triumph bei ihm direkt zum Niedergang. Nach der Eroberung von Akkon ließ er die Standarte Leopolds von Österreich in den Burggraben werfen, was den Herzog und Statthalter des Kaisers im Kreuzzug nicht nur brüskierte, sondern auch von der Beute ausschloss. Für den Prozess in Speyer ließ der Kaiser noch weitere Vergehen von Löwenherz auflisten, etwa dass er Heinrich den Löwen finanziell unterstützt habe, der mit dem Haus der Staufer um das Kaisertum konkurrierte. Englische Historiker beharren aber bis heute darauf, dass es Kaiser Heinrich VI. allein um das Lösegeld ging, mit dem er das Königreich Sizilien erobern sollte.

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Das Ende: eine schwarze Groteske. Ein Held auf weißem Ross, weithin an der Krone zu erkennen, stürmt seinen Soldaten bei der Eroberung der südwestfranzösischen Burg Châlus voran. „Lang-lebe-der-König!“-Rufe. Ein Scharfschütze beugt sich über die Zinnen. Ein Schuss, ein Sturz. Der Bolzen, der im Hals des Königs steckt. Ridley Scott schildert in seinem „Robin-Hood“-Film den Tod von Löwenherz mit ziemlicher Akribie. Nur dass der König nicht in der Schlacht starb, sondern bei einem Erkundungsmarsch. Er ging einige Tage später jämmerlich am Wundbrand zugrunde. Militärisch war die Rückeroberung von Châlus unbedeutend. Vielleicht hielt Richard Löwenherz sich inzwischen selbst für unbesiegbar. Dann wäre er seinem Mythos buchstäblich erlegen.

Historisches Museum der Pfalz Speyer, bis 15. April. Katalog (Verlag Schnell + Steiner) 24,90 €.

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