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Eine Luftaufnahme der Insel Stromboli von Norden aus. Ginostra liegt rechts im Bild, das größere Dorf Stromboli links.

© akg-images / De Agostini Picture

Leben unter dem Vulkan: Glühende Leidenschaft auf Stromboli

Ferien in Ginostra, das heißt: Einsamkeit, satte Farben – und der Vulkan. Jetzt müssen nur noch die 30 Einheimischen wieder Frieden schließen.

Stromboli. Eine Insel mit zwei Dörfern und einem Vulkan, der Nacht für Nacht heiße Brocken spuckt. Im Westen liegt das kleinere Dorf Ginostra. 30 Einwohner, ihre Häuser: eine Handvoll weißer Kuben auf schwarzer Lava.

Gianluca Giuffrè, der junge Besitzer des Lebensmittelladens sagt: „Touristen, die für ein paar Tage hierherkommen, sagen manchmal: Du lebst wirklich im Paradies. Ja, manchmal ist es das. Aber es ist auch die Hölle. Es sind die Bewohner, die das Paradies zur Hölle machen.“

Eine alte Frau, bekleidet nur mit einem schwarzen Badeanzug, betritt sein Geschäft. Sie trägt einen Strohhut mit einem Rosmarinzweig, bezahlt kleine Schulden, kauft zwei Pfirsiche. Dann geht sie hinunter zum Meer. Giuffrè sagt, sie stamme aus der Toskana, hatte einst gut gehende Geschäfte in Florenz. Dann habe sie das Leben in der Abgeschiedenheit gewählt. Sie hat am obersten Ortsrand zwei winzige Häuser gekauft, wo sie wie eine Eremitin lebt.

Und, ist sie glücklich? „Nein!“, ruft der Ladenbesitzer. „Wenn du in der Stadt einsam bist, kannst du ins Café gehen, aber hier? Als Zugezogene?“

Gianluca Giuffrè hat ein Buch über Ginostra geschrieben. Ein sachliches, kleines Werk, in dem auch ein Kapitel vom sozialen Leben auf der Insel erzählt. Darin ist die Rede von Zwistigkeiten.

"Am Anfang pflücken sie nur die Oliven, dann nehmen sie das Land"

Immacolata Petrusa, eine üppige Frau mit schläfrigen Bewegungen, gerät schon in Rage, wenn ein Gast das Büchlein nur erwähnt. Die Pensionswirtin legt sogleich los: „Mein Schwiegervater starb mit 97 Jahren, er besaß sehr viel Land, was er von denen gekauft hatte, die fortgingen. Er warnte, sie werden euch das alles unterm Hintern wegstehlen, während ihr in der Küche steht und den Abwasch macht. Genauso ist es gekommen.“

Dabei hatte das Frühstück auf der Terrasse so idyllisch begonnen: glitzernder Horizont, unendliches Blau des Südens, Zikadengezirpe, caffè. Also schnell ein unverfängliches Thema, es gebe ja sogar eigenes Olivenöl von Ginostra, im Laden werde das verkauft.

So antwortet Immacolata Petrusa: „Natürlich gibt es hier Olivenöl. Aber keine Mühlen mehr. So etwas weiß dieser Gianluca nicht! Es gab vier Mühlen, da mahlten von Ochsen gezogene Mühlsteine die Oliven. Jetzt zählt das alles nur noch als Antiquität.“

Wo wird dann das Öl gemacht?

„Sie bringen die Oliven nach Lipari, der Transport ist teuer. Das können die sich nur leisten, weil sie die Oliven klauen. Weil sie alle Oliven ernten. Auch meine!“

Petrusa zeigt ihre Beine.

„Früher bin ich bis hoch unter den Vulkan gegangen, habe die Oliven gepflückt, doch einmal habe ich mich am Bein verletzt, das Blut spritze nur so heraus. Wer Probleme mit den Venen hat, schafft das nicht mehr … am Anfang pflücken sie nur die Oliven, dann nehmen sie das Land und die Häuser. So ist es hier passiert.“

Immacolata Petrusa weiß, wie man Kaktusfeigen richtig isst

Über Ginostra hängt der Geruch von Vergorenem. Auf allen Wegen liegen Kaktusfeigen in unterschiedlichen Graden der Verfaulung, sie tränken die Luft süßlich. Feigen, Oliven und Kapernbüsche waren einst der Reichtum der Insel. Größerer Fischfang war nicht möglich, weil es keinen geschützten Hafen gab.

Immacolata Petrusa sollte wissen, wie man diese Kaktusfeigen richtig isst. Klar, auch auf diese Frage gibt sie eine temperamentvolle Antwort. „Auf jeden Fall draußen! Nicht ins Zimmer bringen! Sonst sind überall Stacheln. Du nimmst eine Gabel hältst die Feige fest, schneidest sie auf, löffelst.“

Die Gasse herauf kommt der Eseltreiber. Er schreit seinen Esel an, die Gasse ist sehr steil. Der Mann heißt Ulli, er ist Deutscher und lebt seit über 30 Jahren auf Stromboli. Hager wie er ist, stemmt er sich mit seinen Sandalen bergauf gegen das Pflaster der Gasse, das Seil über der Schulter, und zieht. Der Esel bewegt sich keinen Zentimeter. Er streckt den großen, schlanken Kopf weit nach vorne, mit dem Rest des Körpers hält er stur dagegen.

Ein Passant gibt dem Arbeitstier einen Klaps, da geht es einige Schritte. Schließlich bleibt der Esel wieder stehen. Er grast jetzt die Wandelröschen ab.

Der Eseltreiber hat das mit den Kaktusfeigen mitbekommen, wie hier jeder fast alles mitbekommt. Auf Italienisch, allerdings mit hartem Akzent, sagt er zur Wirtin: „Erkläre es gut, die kommen aus den großen Städten, die kapieren nicht, wie wir hier leben.“ – Dann schauen der Esel und er die Besucherin mürrisch an.

Hier macht man sich gegenseitig das Leben zur Hölle

Stur. Ein Esel will nicht weiter.
Stur. Ein Esel will nicht weiter.

© Barbara Schäfer

Sind es Schwefeldämpfe aus dem Inneren des Vulkans, die die Atmosphäre vergiften? Warum so viel Neid, Missgunst, Niedertracht?

„Terra di Dio“ nannte der Regisseur Roberto Rossellini seinen Stromboli-Film im Original, in dem die kühle zugereiste Karin, gespielt von Ingrid Bergman, von den Einheimischen fast in den Selbstmord auf dem Vulkan getrieben wird – und in dem bei der Mattanza, dem traditionellen Abschlachten der Thunfische, monoton gebetet wird. „Terra di Dio“: Gottes Land? Von wegen, hier macht man sich gegenseitig das Leben zur Hölle.

Seit 2004 ragt vor Ginostra eine Mole ins Meer hinaus, seitdem können hier Schiffe anlegen. Vorher wurden Menschen und Waren von den Fähren ausgebootet, auf ein kleineres Boot umgeladen. Wenn das Meer mal wieder unruhig war, wurden Waren mit dem Helikopter angeliefert, aber auch den Heliport gibt es erst seit 1999. Davor wurden die Güter per Seilwinde heruntergelassen. Ein Segen also, diese Mole. Oder?

Gianluca, der Ladenbesitzer, kann sich ein höhnisches Lachen nicht verkneifen. Ja, schon. Aber über die Frage, wo genau der Hafen gebaut werden soll, habe sich das Dorf komplett zerstritten. „Bis heute“, sagt er, „gibt es Menschen, die einander nicht grüßen, wenn sie sich in den engen Gassen aneinander vorbeidrücken.“

Warum nur ist an diesem Ort mitten im Meer, wo Reisende den Versprechen von Ruhe, Einsamkeit und Idyll Glauben schenken möchten, das Miteinander so schwierig? Man müsse sich das Leben hier wie die Zustände in einem großen Mietshaus in der Stadt vorstellen, sagt Gianluca. „Du hast mit deinen Nachbarn zu tun, und es gibt immer irgendwas, das Ärger macht. Mal ein Wasserschaden von oben, mal landet deine Asche auf dem Balkon des unteren. So ist das eben auch in einem kleinen Dorf. Nur hier kannst du nicht weg, du siehst dieselben Leute jeden Tag.“

Wer behauptet, der Vulkan sei ihm gleichgültig, der lügt

Einfach abhauen – das wäre für ihn nichts. „Der jüngeren Generation gelingt es besser. Wir wollen das Leben genießen. Aber die ältere Generation hat sich das Gestreite so sehr zu eigen gemacht, dass sie fast nicht mehr anders können.“

Und dann ist da noch der Vulkan. Der Stromboli ragt knapp 1000 Meter aus dem Meer empor, er ist der einzige Vulkan der Welt, der regelmäßig Gestein ausspuckt. Jeden Tag bringen Wanderführer Urlauber zum Kraterrand hinauf, meistens in den frühen Abendstunden. Aus einem Loch schießen Feuersäulen in den Himmel, Funken regnen herab.

Der Vulkan bedroht auch die Bewohner. So brach 2002 der Stromboli mehrfach aus. Der Lavafluss riss Teile des Vulkankegels mit sich, alles rauschte ins Meer, ein Flutwelle erreichte das zweite Dorf Stromboli. Zwei Monate lang war die Insel evakuiert, die meisten Bewohner zogen auf die Nachbarinsel Lipari.

Wer behauptet, der Vulkan sei ihm gleichgültig, der lüge. Sagt Gianluca. Wer die Ereignisse von 2002 mitbekommen hat, dem könne es nicht gleichgültig sein: „Man hat Angst. Keine allzu große, aber sie ist doch da. Du hoffst, dass dir nichts auf den Kopf fällt.“

Es gibt nur einen einzigen Weg, das Dorf zu verlassen

Haben die Menschen auf Stromboli immer einen gepackten Koffer zu Hause? Gianluca wehrt entsetzt ab. Nein. „Das wäre kein Leben. Man kann nicht täglich auf dem Sprung sein. Ich denke mir immer: Mit dem Auto auf der Autobahn zu fahren, ist sicher gefährlicher, als hier zu leben. Und wenn es denn passiert, dann lieber der Tod durch den Vulkan als durch einen Verkehrsunfall.“

Wie ist es für seine Frau aus der Slowakei? „Ich habe ja eine Hornhaut, auch innerlich, doch für sie ist es schwer. Vor allem im Winter, quando siamo in quattro gatti, wenn wir nur vier Katzen sind, wie man hier sagt.“

Ciao Ginostra. Es gibt nur einen einzigen Weg, das Dorf zu verlassen: Mit dem Tragflügelboot. Es ist die einzige Verbindung zur Außenwelt. Man sollte meinen, der Fahrplan gehöre zur DNA der Einheimischen. Sagen Sie, Immacolata Petrusa, wann geht morgen die Fähre? „Keine Ahnung“, antwortet die Wirtin. Ihre Tochter kommt dazu: „Die fährt immer um neun Uhr morgens.“

Sie fährt um zehn Uhr.

Reisetipps für Stromboli

UNTERKUNFT

Eine Liste mit Pensionen und Ferienwohnungen steht hier: ginostra-stromboli.it

WANDERN

Die geführte Tour auf den Vulkan bucht man zum Beispiel bei volcano-adventures.com

ANREISE

Vom sizilianischen Messina aus gehen Fähren nach Stromboli. Die Fahrt dauert etwa zweieinhalb Stunden. Um nach Ginsotra zu gelangen, ist je nach Reisezeit eine zweite Fähre erforderlich. Preisvergleich und Fahrpläne: directferries.com. Ein Aufenthalt lässt sich gut mit Besuchen der anderen fünf liparischen Inseln verbinden, als schönste gilt Salina.

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