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Bis zum 31. Oktober ist in der Lutherstadt Wittenberg in einer Open-Air-Galerie die Ausstellung 95 Türen zur Reformation zu sehen.

© imago/epd

Kolumne: Moritz Rinke erinnert sich: Reformation: Hau jetzt die Thesen dran!

Pünktlich zum 500. Jahrestag habe ich mich gefragt, wie man diesen Thesenanschlag dramatisch darstellen kann. War Luther überhaupt handwerklich in der Lage, etwas anzuschlagen? Oder hat er sie doch mit der Post geschickt?

Ich stelle mir vor, dass die Legende vom Thesenanschlag auf Luthers Hochzeit entstanden ist. Auf Hochzeiten spielen die Deutschen ja immer blöde Sketche, so auch Luthers Hochzeitsgäste. Melanchthon muss Luther spielen; Cranach den berüchtigten Ablassprediger Tetzel; Fluchthelfer Koppe, der die Braut aus dem Kloster entführt hatte, spielt die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg. Geschrieben hat das Stück Spalatin, der Generalsekretär des Kurfürsten.

SPALATIN: Lieber Reformator. Zur Hochzeit viel Glück. Dir zu Ehren nun „Der Anschlag“. Uraufführung!

LUTHER: Bin schon ganz gespannt!

Koppe hält eine Tür, Melanchthon den Hammer. Cranach mit dem Tetzelkasten.

SPALATIN: Wir schreiben das Jahr 1517. Seht da, den Tetzel mit seinen gottverdammten Ablässen, mit denen man sogar die Jungfrau Maria schwängern könne!

MEISTER CRANACH ALS TETZEL: Von wegen Fegefeuer! Wenn das Geld im Kasten klingt, die Seele in den Himmel springt!

LUTHER: Ha! Du Satan!

SPALATIN: Psst, Martin … (fährt fort) Also musste sich der Mönch hinsetzen und im Schweiße seines Angesichts These für These verfassen und mit lauten Schlägen an die Tür der Schlosskirche zu Wittenberg schlagen.

Melanchthon als Luther schlägt zu. Die Thesen fallen herunter.

LUTHER: So war das nicht! Dilettant!

FRAU CRANACH: Ich habe mir das ganz anders vorgestellt! Alles mit mehr Pepp …

FRAU MELANCHTHON: Lauter! Viel zu leise!

MEISTER CRANACH: Er hält den Hammer falsch.

MELANCHTHON: Dann mach du das doch!

KOPPE: (hinter der Tür) Ich habe hier hinten gar keinen Druck gespürt. Vielleicht einen größeren Hammer?

MELANCHTHON: Ich bin Melanchthon, nicht Luther! Ich bin ein sehr kleiner Mann, ich bin zart. Luther dagegen ist ein Koloss, der den Rheinstrom aufhalten, den Schwarzwald forttragen könnte … Eine Burg gegen Anfeindungen, eine gewaltige Eiche!

SPALATIN: Dann hau den Nagel rein und stell’ dir das dabei vor.

MELANCHTHON: Was?

SPALATIN: Das mit der Eiche, die Thesen anschlägt. Probier das.

LUTHER: Wo ist der Papst? Welcher von euch Säcken spielt den Papst?

MELANCHTHON: Eine Eiche, die Thesen anschlägt, ich kann das nicht!

LUTHER: Hau jetzt die Thesen dran!

FRAU MELANCHTHON: Entschuldigung. Ist’s denn erwiesen, dass Luther die Thesen wirklich an die Tür nagelte?

LUTHER: Klar habe ich genagelt, das hat Melanchthon doch geschrieben, das steht überall!

FRAU MELANCHTHON: Ja, aber 1517 war er noch in Tübingen!

MELANCHTHON: Stimmt, ich war in Tübingen, ich habe mir das alles ausgedacht. Pusteblume. Nicht mal der blöde Sketch funktioniert, lass uns bei der Wahrheit bleiben, die Thesen brachte der Postbote.

Luther schlägt mit dem Hammer so gewaltig gegen die Tür, dass Koppe umfällt. Schweigen. Danach Saufen, Legendenbildung, Reformations- und Feiertag.

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