zum Hauptinhalt
Der Kilimandscharo ragt wie ein klotziger Wichtigtuer in der weiten Steppe heraus.

© imago/Xinhua

Kilimandscharo: "Wir Helden waren oben!"

Auf die Spitze des Kilimandscharo mit: Hämmern im Schädel, einem Dorf als Geleit und dem tapfersten „German Girl“.

Also, ich will jetzt nicht lange drum herumreden. Sagen Sie einfach Helden zu uns. Helden. Das reicht. Wir waren oben! Martina, Gabi, Heike, Christian, Klaus und ich schwindelschwacher Reinhold Messner. Alle kurz vorm Himmel, ja, Himmel. Wo dir die Saftschubsen im Flieger schon den ersten Drink aufs Beinkleid schütten.

Wir sind Afrika aufs Dach gestiegen, fast 5895 Meter hoch, haben glücklich in die Wolken gewürgt und mit dem Segen der Pharmaindustrie die Kopfschmerzen zum Teufel gejagt. Sprechen Sie mir bitte nach, K-i-l-i-m-a-n-d-s-c-h-a-r-o, das klingt ja wohl verwegener als eine Kohlenhalde im Ruhrgebiet, obwohl: Wenn du dann erst mal als Bottroper auf dem Gipfel stehst und deine Blutkörperchen in der Todeszone nach Sauerstoff brüllen, siehst du auch bloß noch Staub und Dreck und schwatte Steine. Wie in Oberhausen-Sterkrade.

Doch sonst nur Stolz. Nur Freude. Nur Staunen über die Kraft, den Willen, dem Kotzen zu trotzen und mit deinen teuren Stinkstiefeln einen Berg erklommen zu haben, der kein Berg ist, sondern ein topografisches Ereignis. 60 Kilometer breit, so weit wie von Duisburg nach Dortmund. Der Kilimandscharo ragt wie ein klotziger Wichtigtuer in der weiten Steppe heraus; wenn er in Köln stünde, könntest du ihn im Flugzeug bereits von Hamburg aus sehen.

Ich glaube, als Hemingway ihn erblickte und ihn nicht – wie wir Helden – schaffte, fing er aus Verzweiflung das Saufen an, was bei ihm bekanntlich mit einer Ladung Schrot im Hirn endete. Vermutlich hat er nicht mal den Gipfel gesehen, weil er so häufig verhüllt ist.

"Das verzeihe ich dir nie"

Ich hatte die Reise meiner damaligen Frau zum 50. Geburtstag geschenkt. Irgendwie hatte ich das Gefühl, sie musste sich zwingen, sich ganz ganz doll darüber zu freuen. Sie ertrug es auch mit gut geheuchelter Würde, dass ich mir ihren angeblichen Herzenswunsch einfach mal mitbescherte.

Außerdem diskutierten wir sehr ernsthaft Dinge, die unsere Kleiderfrage betrafen und probierten ausgerechnet an den heißesten Sommertagen menschenverachtend dicke Schlafsäcke aus, die sogar ein nacktes Frettchen zum Schwitzen gebracht hätten. In welche Wechselwäsche sollten wir blähen und wie eng durften die Maschen bei den Socken sein?

Glauben Sie mir, dies wurden bei uns existenzielle Fragen. Dass meine völlig überrumpelte Ex-Gattin darüberhinaus auch noch mit einem ziemlich eingebildeten Piloten befreundet war, der früher oft die Route zum Kilimandscharo flog und dabei gelegentlich Särge mit sauerstoffverarmten Leichen mit nach Deutschland brachte, ließ die Sache für uns beziehungstechnisch nicht gerade einfacher erscheinen. „Das verzeihe ich dir nie“, sagte meine Ex-Frau, „mich da oben sterben zu lassen.“ Manchmal lächelte sie trotzdem, dann war sie noch viel hübscher als sonst.

Die im Sarg wollten auch

Irgendwann standen wir vor dem Berg der Berge. Ich wunderte mich überhaupt nicht mehr, dass sich Hemingway erschossen hatte. Er lag vor uns wie ein wütender Auswurf Gottes, so still und erhaben, als würde man sich beim Besteigen bereits mit dem ersten Schritt an ihm vergehen.

Lange zögerte ich, das Hotel mit seinem hellen, warmen Garten zu verlassen und mich stattdessen in Zelte zu zwängen, die so stickig waren, dass du eigentlich nur draußen atmen konntest; wenn draußen genug Luft und nicht jedes Schuhebinden ein ungeheuerlicher Kraftakt gewesen wäre. Auch überlegte ich mir, mich spontan dem Studium der Ornithologie zu widmen, um eine Ausrede fürs Bleiben zu haben und so seltene Vögel wie den Weißscheitelwürger oder Zwergbienenfresser zu beobachten.

Es half alles nichts. Bezahlt ist bezahlt. Ich musste rauf. Wir mussten rauf. Von Kenia aus, die Rongai-Route, schön, nicht überlaufen. Was 15 000 Menschen im Jahr können, können wir schließlich auch. Wollen wollen aber fast doppelt so viele und, wie gesagt, die im Sarg: wollten auch.

Der Kopf schreit nur noch nach Paracetamol

Hoch kommt nicht jeder. Bei den Versuchen helfen Träger und schleppen das Gepäck vorbei an Schopfbäumen.
Hoch kommt nicht jeder. Bei den Versuchen helfen Träger und schleppen das Gepäck vorbei an Schopfbäumen.

© imago/Nature Picture Library

Falls Sie jetzt denken, von wegen Berg der Versuchung. Wohl eher Berg der Verbuchung. Ich kann Ihnen nur wie ein Jodler gegen die Felswand schmettern: Hoch musst du allein! Auch wenn die Führer Saidi, Modest und Eugene alle paar Wochen oben sind und sich stets freundlich um dich kümmern; und dabei kaum von ihren Handys aufschauen, während sie dir links und rechts des Weges die Pflanzenwelt erklären. Oder nebenbei auf Spuren zeigen, die, look, look, von Elefanten, Klippschliefern oder Wildschweinen stammen. Wir jedoch sahen nur verfressene Raben oder eklige Krabbelviecher, die auf unseren Unterarmen um die Wette liefen.

Es ging los. Hauptsache pole, pole, was Kisuaheli ist und langsam, langsam heißt. Hauptsache drei Liter Wasser am Tag trinken, die auch drei Kilo mehr in deinem Rucksack bedeuten. Aber das hatte ich mir immer schon gewünscht: durchs Saufen leichter zu werden. Und Hauptsache essen, so lange es noch geht. Denn ab 4000 Meter fühlst du dich, als würde dir allmählich dein Zäpfchen abfaulen, als würden die gierigen Bakterien sich über deine Mundschleimhaut hermachen. Außerdem schreit dein Kopf nur noch nach Paracetamol und anderen Mitteln, die der Arzt oder Apotheker bei starkem Presslufthämmern im Schädel empfiehlt.

Wir bekamen ein halbes tansanisches Dorf zugeteilt, mit Trägern und Köchen und Kellnern, die uns Zelte, Töpfe, Matten und rohe Eier hochschleppten. Mit einem Lächeln auf den Lippen und einer freudigen Bereitschaft, die nicht nur so echt war, weil ihnen für die Woche ein Trinkgeld winkte, das höher als das Gehalt eines Lehrers in Arusha ist. Schon unten im Regenwald senkten wir beschämt unsere Köpfe, weil wir uns mit unseren überschaubaren Täschlein auf dem Rücken doch ein wenig dekadent und nachgerade kolonialistisch vorkamen. Während unsere Porter schwere Campingstühle auf dem Kopf balancierten und dabei noch afrikanisches Liedgut zum Besten gaben. Bis wir erfuhren, dass wir mit unserem Geld ein ganzes tansanisches Dorf satt machten. Da waren wir wieder beruhigt.

Ich bin so stolz auf uns Helden!

Berge sind schön, aber blöd. Es geht immer rauf, und am Kilimandscharo geht es besonders rauf und niemals auch nur ein kleines Stück runter. Ich musste erst mal meiner Lunge gut zureden, in den nächsten Tagen keine allzu großen Ansprüche an den Sauerstoff zu stellen und sich stattdessen auch mal mit einer Prise Staub zu begnügen.

Zweinull. Zweisieben. Dreisieben. Vierdrei. Viersieben. Dann, wie erwähnt, der Himmel. Wissen Sie, ich könnte so weitermachen, doch ich sage Ihnen jetzt was, das viel wichtiger ist, als Sie mit der Beschreibung einer Geröllwüste unter Berücksichtigung von quergestreiften Striemengrasmäusen zu langweilen.

Ich bin so stolz auf uns Helden! Auf Klaus, der trotz heftiger Zahnschmerzen niemals aufgab. Auf Heike, die noch auf 5000 Meter genüsslich eine Zigarette durchzog. Auf Christian, der sich vor einem Jahr wegen seiner kaputten Bandscheibe krumm machen musste und nun aufrecht auf dem Gipfel stehen sollte. Auf Gabi, die vorher nie auf einem Berg war – und so angestrengt wirkte wie bei einem Ausflug durchs Hochsauerland. Naja, und auf mich ein bisschen, aber vor allem auf meine Ex-Frau.

"You are my German girl"

Zwar blieb sie beim letzten Anstieg zuerst zurück, weil sie ihren Magen nicht überzeugen konnte, das Essen des letzten Abends zu behalten. Doch dann trieb sie ihr Mut, ihre Sehnsucht, ihr stiller Trotz und: der hübsche Träger Modest. Er nahm sich ihrer an, weil wir anderen genug mit uns zu tun hatten, er glaubte an sie und führte sie Schritt-für-Schritt-für-Schritt-für-Schritt nach oben. Er putzte ihr die Nase, trug ihren Rucksack, wärmte ihr die Hände, und gab ihr seine Jacke.

Er sagte „You are my German girl“ und sorgte dafür, dass sich ihr Traum doch noch erfüllte und sie sich am frühen Morgen mit Blick auf den ewigen Schnee von der Sonne wärmen lassen konnte. Als sie später von seinen langen Wimpern schwärmte, kam ich zur Eifersucht neigender Greis dann doch ins Grübeln. Wie kann man, fragte ich mich, im Dunkeln lange Wimpern sehen?

Äh, vielleicht sollten Sie wissen: Der Kilimandscharo trägt keine Schuld, warum aus meiner Gattin eine Ex-Frau wurde.

Tipps für Kilimandscharo

Hinkommen

Flüge bieten unter anderem KLM von Berlin via Amsterdam zum Kilimandscharo International Airport und Turkish Airlines via Istanbul an, beide in knapp 13 Stunden. Hin- und Rückflug gibt es ab etwa 750 Euro.

Hochkommen

Mehrere Wege führen auf den Berg. Die Marangu-Route gilt als die populärste und ist in fünf Tagen zu schaffen. Es lohnt sich jedoch, mehr Zeit einzuplanen, um sich an die Höhe zu gewöhnen. Komplettpakete bietet der Deutsche Alpenverein ab rund 2000 Euro an, dav-summit-club.de. Die Rongai-Route ist etwas einsamer und startet im Norden an der Grenze zu Kenia. Einen Überblick gibt es unter kilimandscharo-besteigung.de

Unterkommen

Den Kilimandscharo auf eigene Faust zu besteigen, ist verboten. Während der geführten Touren wird in Camps geschlafen. Um nicht vom Flug erschöpft zu starten, lohnt sich eine Übernachtung im Hotel. Günstige Backpacker-Hostels gibt es in Moshi schon ab 7 Euro pro Nacht. Komfortabler ist die Ameg Lodge, hier kosten Doppelzimmer etwa 130 Euro pro Nacht: ameglodge.com

Michael Schophaus

Zur Startseite