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Van Zandt bekam mit 13 seine erste Gitarre. Den Laden in New Jersey gibt’s immer noch.

© imago/Christian Grube

Interview mit Steven van Zandt: „Die Arbeit eines Mannes muss an erster Stelle stehen“

Während seine Band Karriere macht, versteckt er sich in Soweto unter einer Decke: Schauspieler Steven van Zandt über Männerfreundschaften, Mandela und die Mafia.

Mr. van Zandt, dem „Billboard“-Magazin sagten Sie neulich, Sie seien eine multiple Persönlichkeit: „Ich bin zehn oder vielleicht sogar zwölf verschiedene Leute.“ Wer sitzt gerade auf diesem Stuhl, der Songwriter, der Schauspieler, der Radiomann, der Rock-’n’-Roll-Lehrer, der Hundefreund?

Das hängt davon ab, was Sie wissen wollen. Der Zuständige wird antworten.

Wenn Sie nicht mit der E Street Band und Bruce Springsteen die Stadien dieser Welt beschallen, nehmen Sie als Little Steven & The Disciples of Soul Ihre eigene Musik auf und gehen, wie jetzt, auf Tournee. Sie sind vergangenen Mittwoch 67 geworden und …

… oh bitte, können Sie mir nicht einfach gratulieren und die Zahl weglassen? Danke.

Sie spielen immer weiter die Musik Ihrer Teenager-Jahre. Warum tun Sie sich das an?

Weil es die beste Musik ist, die bis jetzt gemacht wurde. Von 1951 bis 1971 gab es ungefähr alle drei Monate eine neue künstlerische Offenbarung. Diese Ära wird für immer in mir leben – jedenfalls so lange, bis neue Instrumente erfunden werden.

Ihre erste Gitarre bekamen Sie mit ...?

13. Total obskur, den Laden gibt’s noch, ist das nicht unglaublich? Jack’s Music Shoppe in Red Bank, New Jersey, direkt neben dem Count-Basie-Theater. Von Middletown, der typischen Vorstadt, in der ich aufwuchs, waren es etwa 20, 30 Minuten Fahrt.

Woher hatten Sie das Geld für das Instrument?

Meine Eltern haben es mir gegeben, weil sie merkten, wie gerne ich mit der alten Gitarre meines Opas väterlicherseits spielte, die ich auf dem Dachboden gefunden hatte. Der Opa mütterlicherseits brachte mir dann ein Lied aus seinem italienischen Dorf in Kalabrien bei. Also fing ich an zu spielen, noch bevor die Beatles zu uns kamen, vor dem Big Bang of Rock ’n’ Roll.

Laut eigener Aussage sind Sie nicht etwa aus Leidenschaft oder Draufgängertum Musiker geworden: „I was a complete fuck-up at anything else. That’s true of Bruce, too.“ Sie und Springsteen waren also die einzigen jungen Männer an der Ostküste, die nach der Highschool keine andere Perspektive hatten?

Na ja, es war auch Leidenschaft dabei, wir waren ja nicht nur Freaks. Wir waren leidenschaftliche Freaks! Ha! Bruce fühlte genau wie ich: Diese Musiksache ist langsam kein Hobby mehr, das so nebenbei läuft.

Erinnern Sie sich an den Moment auf der Bühne, in dem Sie zum ersten Mal das Gefühl hatten, Sie sind zur richtigen Zeit am richtigen Ort?

Ja, wir gewannen als Schüler einen Bandwettbewerb. Wir waren voller Experimentierfreude, eine wunderbare Zeit mit perfekter Infrastruktur für Konzerte. Allein die Beach Clubs. Sie veranstalteten Teenage Nightclubs nur für uns.

„Born to Run“, „Darkness on the Edge of Town“, „The River“. Ihr Sound prägt einige der größten Alben der Musikgeschichte.

Schön war, als wir mit „Hungry Heart“ endlich einen Hit hatten – einer der ersten Songs, die ich mitproduziert habe. Wir spielten 1980 nichts Böses ahnend im Madison Square Garden, die ersten Takte rollten an … und das Publikum reagierte mit einer mir bis dato völlig unbekannten Begeisterung. Wow. Wie eine Welle, die einen erfasst.

Warum ausgerechnet dieser Song?

Keine Ahnung! Bruce hatte uns den charakteristischen Akkordwechsel bei einer Probe vorgeschlagen, da war er gerade in einer sehr fruchtbaren Phase, brachte täglich fünf neue Ideen ein. Ein Refrain hier, eine Strophe da. Er kriegte einen Anruf, kam danach zurück ins Studio und wollte mit einer anderen Songidee weitermachen, aber ich sagte, los, mach mal weiter, wo wir unterbrochen wurden.

Schätzungsweise 70 Prozent aller Springsteen-Songs handeln von der Freiheit des Autofahrens. Sie tragen Ihr typisches Bandana, weil Sie mit dem Kopf durch eine Windschutzscheibe geschleudert wurden. Nie Probleme gehabt, diese Highway-Szenarien auf der Bühne aufzuführen?

Nee. Ich fahre ja gerne. Da war ein Typ, der bog einfach rechts ab in meine Spur, es war spät. Ich riss das Lenkrad rum, er wich in dieselbe Richtung aus. Frontalaufprall. Ein Trauma hab ich nicht davongetragen, so was passiert eben.

Warum haben Sie – trotz all dieser Magie und des Erfolgs – 1982 die E Street Band ausgerechnet während der Arbeit am Smash-Hit-Album „Born in the U. S. A.“ verlassen?

Ich habe das meiste produziert, bevor ich ging. Wissen Sie, ich habe mich damals lieber mit Politik beschäftigt. Aus heutiger Sicht wirkt das natürlich recht töricht.

"So ein verfluchter Irrer"

Steven van Zandt und Bruce Springsteen (links) 2003 bei einem Konzert in Rotterdam.
Steven van Zandt und Bruce Springsteen (links) 2003 bei einem Konzert in Rotterdam.

© imago/United Archives International

Springsteen schreibt in seiner Autobiografie, Sie hätten mehr kreativen Einfluss verlangt, den er Ihnen aber nicht gewähren wollte.

Bruce hat das gesagt?

Geschrieben, unter der Überschrift „Buona Fortuna, Fratello mio“.

Das habe ich so nicht gelesen. Ist nicht wahr! Hat er das echt geschrieben?

Ja.

Stimmt nicht. Ich habe mich für Politik interessiert! Während alle anderen Bandmitglieder sich von dem „Born in the U. S. A.“-Geld große Häuser kauften, führte ich im Südafrika der Apartheid Gespräche mit Revolutionären. Unter einer Decke auf dem Rücksitz eines Autos gelangte ich nach Soweto. Ich sagte: „Gebt mir sechs Monate, um öffentlich zu machen, was hier passiert, und ich werde diesen Krieg mit Hilfe des Fernsehens für euch gewinnen.“ Das war natürlich schwierig zu vermitteln, denn in den Townships gab es damals keinen Strom. Die dachten sicher: „So ein verfluchter Irrer.“

„Sun City“ war einer der wirksamsten Boykottaufrufe der Musikgeschichte: Bob Geldof, Bob Dylan, Lou Reed, Bono, Run DMC und viele andere sangen 1985, sie würden niemals in dem gleichnamigen Vergnügungskomplex bei Johannesburg auftreten.

Es war Wahnsinn, was wir in kürzester Zeit auf die Beine gestellt haben.

Ein Jahr später, 1986, veröffentlichte Paul Simon die Platte „Graceland“. Er wollte nicht boykottieren, er arbeitete lieber mit südafrikanischen Musikern zusammen. 32 Jahre sind seitdem vergangen. Sehen Sie die Sache heute gelassener als damals?

Nein! Es war damals ein Fehler und ist heute ein Fehler. Und Paul denkt immer noch, dass er richtiglag. Darüber werden wir uns auch bis zum Ende unserer Tage nicht einig werden! Er argumentierte, er habe „Graceland“ geschrieben, um südafrikanische Musiker sichtbar zu machen – aber was nützt denen das, wenn sie nicht frei sind? Typisch amerikanisch-bevormundende Arroganz. Ach, eigentlich mag ich ihn. Paul ist einer der besten Songwriter aller Zeiten. Aber wenn ich an seine Vorwürfe denke … nein.

Sie haben sich richtig gestritten?

Er beschuldigte mich, dem Kommunismus Vorschub zu leisten. Mandela sei ein Kommunist, weil er von Kommunisten unterstützt werde. Und in der Sekunde, in der er aus dem Gefängnis kommt, legt er den Arm um ihn, Foto! Paul glaubt, dass Kunst Politik transzendiert. Tut sie nicht. Kunst ist Politik!

Was haben Sie von Nelson Mandela gelernt?

Ich wünschte, ich könnte jetzt erzählen, ich hätte von ihm unendliche Geduld gelernt.

Die Zeit Anfang der 90er Jahre war der Tiefpunkt Ihres bisherigen Lebens. Kein neues Projekt am Horizont, die Musikindustrie ignorierte Sie.

Nach „Sun City“ war ich mit vier Plattenfirmen im Gespräch. Dann merkten sie, dass ich dabei war, ein Regime zu stürzen und bekamen es wohl mit der Angst zu tun. Von einem Tag auf den anderen interessierten die sich nicht mehr für mich. Gegen den Hunger zu kämpfen wie Bob Geldof und Quincy Jones, das war eine Sache – aber gegen eine Regierung? Was kommt danach?

Kommerziell genug waren Sie auch nicht.

Meine kleine Karriere hatte ich ja selbst schon genug sabotiert, indem ich fünf Alben in fünf verschiedenen Genres aufgenommen hatte.

Und dann, 1994, starb Kurt Cobain.

Das Ende einer Ära. Ich glaube, Kurt Cobain war der letzte Sänger, in den die Menschen ernsthaft Gefühle investierten. Seit seinem Tod läuft alles irgendwie … distanzierter, kühler.

1997 würdigten Sie die Band The Rascals anlässlich ihrer Aufnahme in die Rock ’n’ Roll Hall of Fame mit einer lustigen Rede. Die sah sich David Chase an, ein Regisseur, der Ihrem Leben eine Wendung geben sollte.

Er rief an, sagte, er wolle mich in seiner Fernsehserie. Ich meinte: „Ich bin doch kein Schauspieler!“ – Und er: „Doch, du weißt es nur noch nicht.“

"Die Arbeit eines Mannes muss an erster Stelle stehen"

In der Fernsehserie "Die Sopranos" spielte Zandt (in der Mitte) den Striptease-Club-Besitzer Silvio Dante.
In der Fernsehserie "Die Sopranos" spielte Zandt (in der Mitte) den Striptease-Club-Besitzer Silvio Dante.

© imago/Zuma Press

Gemeinsam mit Chase entwickelten Sie die Figur des Nachtclubbesitzers Silvio Dante, Sidekick von Tony Soprano. Vom Consigliere Springsteens zum Consigliere eines neuen Bosses. Sie waren wieder der zweite Mann.

Ehrlich gesagt, das entspricht vielleicht meinem Naturell. Produzent und Drehbuchautor zu sein, ist für mich das Wichtigste. Ich bin gerne Berater im Hintergrund, fühle mich aber auch im Rampenlicht ganz okay. Doch es ist eine einfache Rechnung: Je größer du als Star bist, desto einfacher wird es, deine Ideen durchzusetzen.

Die „Sopranos“ waren ein Riesenerfolg, und trotzdem behaupten Sie: „Ich glaube, mein Haarteil erledigte etwa die Hälfte der Schauspielerei.“

Bescheiden, oder? Die Wahrheit ist, ich wollte endlich mal jemand anderen im Spiegel sehen. Bis zum heutigen Tag finde ich es bemerkenswert, wenn Leute ohne Verkleidung schauspielern können und dabei wie sie selbst aussehen! Für mich ist es wie Urlaub von mir selbst, jemand anderen zu spielen. Dafür brauchte es diese Haartolle.

Auf die „Sopranos“ folgte die Hauptrolle in „Lilyhammer“ – Sie waren Frank Tagliano, ein Pate im Rentierpulli, der aus seinem Zeugenschutzprogramm in Norwegen das Beste macht. Ist es eigentlich in Ordnung für Sie, das organisierte Verbrechen zu romantisieren?

Aus tiefster Überzeugung: Ich habe die Gangster in den „Sopranos“ nie glorifiziert, auch nicht in „Lilyhammer“.

Wie bitte? Sie lassen die Mafia cool erscheinen und tragen so zur Mythenbildung bei.

Dagegen wehre ich mich. Frank Tagliano ist kein extrem gewalttätiger Gangster, der viele Zivilisten auf dem Gewissen hat. Okay, er hat natürlich eine Erpressermentalität, aber seine Aggression richtet sich nur gegen andere Mafiosi. Und in den „Sopranos“ ließen wir doch diesen Lifestyle wahnsinnig langweilig erscheinen.

Deswegen haben die Serie auch so viele Leute Staffel für Staffel verfolgt.

Das ist die Macht des guten Drehbuchs. Bei den „Sopranos“ standen familiäre Konflikte im Vordergrund. Die Vereinbarkeit von Familie und Job. Ansonsten vergleichen diese Leute den ganzen Tag nur Wettquoten und zählen Geld.

Zeitgleich mit den Dreharbeiten zu den „Sopranos“ wurden Sie 1999 wieder Mitglied der E Street Band. Wer hat wen zuerst angerufen?

Hm. Ich hatte das Gefühl, wenn es eine Reunion gibt, muss ich dabei sein. Es war eine Zeit voller Adrenalin, ich war nur lange arbeitslos gewesen. Sieben Jahre bin ich mit dem Hund Gassi gegangen.

Wenn Sie und Bruce Springsteen gemeinsam „Two Hearts“ in ein Mikrofon singen und einander mit Speicheltröpfchen einnebeln, wirkt es, als seien Sie kurz davor, sich zu küssen. Sind Ihre Frauen eifersüchtig auf diese innige Männerfreundschaft?

Dieses Problem hat doch jeder Mann. Auf der einen Seite ist da ein Job, der erledigt werden muss, und dann ist da die Frau. Welcher Lebensbereich formt deine Identität als Mann stärker, welcher ist wichtiger? Ich habe ja großes Glück, dass meine Frau es so lange mit mir aushält.

Seit 1982.

Sie versteht, dass diese Freundschaft mit Bruce mir extrem viel bedeutet, sie würde niemals dazwischenfunken. Die Arbeit eines Mannes muss an erster Stelle stehen. Niemand will das zugeben, keiner sagt gerne: „Honey, you come second!“ Das führt ja nicht weit. Doch du bist, was du tust. Du bist nicht, mit wem du lebst. Deine Identität erlaubt dir doch erst, eine funktionierende Beziehung zu führen. Frauen sollten das endlich begreifen. Werden sie natürlich nie, was schade ist. Frauen, wenn sich eure Männer nicht selbst lieben, werden sie auch euch nicht lieben.

All das gilt umgekehrt auch für Frauen, wollten Sie sicher gerade sagen.

Ja, absolut, natürlich. Für Frauen ist alles viel schwieriger. Kriegen sie Babys, sind sie bei uns in den Staaten erst mal raus. In Norwegen dagegen: volle Bezahlung, für zehn Monate oder so! Und dann muss der Vater drei Monate ran! It’s the law!

Vergangene Woche haben Sie zwei Auftritte in Italien abgesagt. Der Grund: Sie drehen eine neue Pilotfolge. Um was geht’s diesmal?

Ich bin ja sonst mehr der Sex- und Gewalttyp, lasse gern Leichen verschwinden, aber das wird jetzt mal eine Familienshow.

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