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Eine Postkarte zeigt den Lift kurz nach dessen Patentierung um 1910.

© Archiv Winterhalder

Idee aus dem Schwarzwald: Wie der Skilift erfunden wurde

Was heute weltweit den Wintersport ermöglicht, nimmt 1906 seinen Anfang: Ein Bauer erfindet in Schollach den Skilift – und wird angefeindet. Die Dokumente dieser Pioniertat verwahrt sein Enkel noch immer in einem Aktenkoffer. Ein Ortstermin.

Kilometerweit zieht sich das Tal, dunkle Tannen säumen die Straße. Autos fahren selten durch das badische Schwarzwalddorf Schollach, vorbei an den weit auseinanderliegenden Höfen. 250 Menschen leben hier. Die einzige Kneipe, das „Bierhäusle“, steht seit dem 16. Jahrhundert. Weiter den Berg hinauf liegt die Pension „Schneckenhof“. Montag: Ruhetag.

Doch Ruhe herrscht die ganze Woche, seit Jahrzehnten. Nur hin und wieder kehren Wanderer ein. Die geblümten Tapeten in den Gästezimmern sind verblasst. Die alten Betten bleiben leer und die Küche meist kalt. Im Gastraum sitzt bloß der Inhaber: Klaus Winterhalder, 72 Jahre alt, Bauer in 17. Generation. Schwer vorstellbar, dass hier vor 100 Jahren eine revolutionäre Erfindung ihren Ursprung genommen hat, die den Grundstein für eine weltweite, milliardenschwere Industrie bildete.

An der Wand hängen alte Fotos, darauf immer wieder zu sehen ein Mann mit Schnurrbart und wachem Blick. Er steht inmitten von Gästen, im Sommer beim Heumachen, im Winter neben Ski- und Schlittenfahrern. „Das war mein Großvater“, sagt der Inhaber. Kennengelernt haben sie sich nie. Doch noch heute hütet er die Geschichte seines Vorfahren, Bauer Nummer 15. Er trägt weiter, wie der mit einer simplen Idee einst die Welt verändert habe.

Der Enkel holt einen schweren Aktenkoffer, der einen Schatz an Erinnerungen birgt. Vergilbte Postkarten, Bauzeichnungen, Zeitungsartikel breitet er auf dem Tisch vor sich aus. Dann beginnt er zu erzählen. Robert Winterhalder, 1866 als fünftes von elf Geschwistern geboren, war Landwirt und Hotelier. Ausgebildet im schweizerischen Lausanne, führte er den Schneckenhof ab 1893. Er galt als einfallsreich und fortschrittlich. Seine hofeigene Getreidemühle, wie sie damals zu vielen Schwarzwaldhäusern gehörte, baute der Großvater früh zu einem kleinen Wasserkraftwerk um.

Das Mühlhäuschen steht heute noch. Wer in der Gaststube aus dem Fenster schaut, kann es unten am Hang sehen. Davor fließt ein Bach.

Im Jahr 1900, sagt Klaus Winterhalder, habe sein Großvater ein Endlos-Drahtseil vom Mühlenradhäuschen hinauf zum Hof gespannt. So konnte er frisch geerntetes Korn und Säcke voll mit gemahlenem Mehl, an einem Haken aufgehängt, zum Lagern auf den Dachboden transportieren – ganz ohne Schlepperei. Auch als Hotelier wollte Robert Winterhalder den Gästen Luxus bieten. Ins Haus baute er eine Zentralheizung ein. Es gab fließend Warmwasser und Toilettenspülung.

Dank der 1873 eröffneten Schwarzwaldbahn kamen Besucher aus ganz Deutschland. Die zu beherbergen, wurde zum Nebenerwerb vieler Landwirte der Region. Die reine Luft und das stark eisenhaltige Wasser machten Schollach zum Kurort. Gäste, die an Blutarmut litten, Asthmatiker und Arbeiter aus dem Ruhrgebiet mit vom Bergbau geplagten Lungen erholten sich im Schneckenhof. Anfangs vor allem zur Sommerfrische, dann auch im Winter. „Die sollten bei uns Schlitten fahren, haben die Ärzte geraten“, sagt Klaus Winterhalder. Rodeln war beliebt, Skifahren hingegen in Deutschland noch kaum verbreitet.

1891 kämpfte sich ein Franzose auf Skiern den Feldberg hinauf

Erfinder Robert Winterhalder.
Erfinder Robert Winterhalder.

© Archiv Winterhalder

Es war die Anfangsphase des Wintersports, die Zeit der ersten Ski-Pioniere: 1888 hatte Fridtjof Nansen auf Skiern Grönland durchquert. Sein Buch über die Expedition weckte auch in Deutschland Interesse am Schneeschuhlaufen. Norwegische Auswanderer brachten das Skifahren in den Schwarzwald. In Todtnau, nur 35 Kilometer vom Schneckenhof entfernt, importierte ein norwegischer Arzt ein Paar Ski, zu Deutsch schlicht „Holzscheit“. Bei Schnee wollte er rasch zu seinen Patienten kommen. Doch mit den zweieinhalb Meter langen Holzbrettern an den Füßen kam er kaum vorwärts. Schnell gab er auf.

Ausrüstung und Fahrtechnik waren noch wenig entwickelt. 1891 staunten die Schwarzwälder deshalb, als es dem Franzosen Dr. Pilet gelang, sich auf Skiern den Feldberg hinaufzukämpfen. Interessierten Einheimischen erklärte er daraufhin, wohl als einer der ersten Skilehrer, das Prinzip des Schneeschuhlaufens. Wiederum in Todtnau gründeten Schwarzwälder im selben Jahr den ersten heute noch bestehenden Skiclub Deutschlands. Ganz in der Nähe, südlich vom Feldberg. begann ein Jahr später die Holzwaren-Fabrik Karl Köpfer Söhne in Bernau die ersten deutschen Skier nach norwegischem Vorbild in Serie herzustellen. Im Arbeitsalltag nutzten bald Briefträger, Hebammen oder Förster Skier zur schnelleren Fortbewegung. Und als Freizeitvergnügen entwickelte sich Skifahren nach und nach zum Trend, bei Männern und Frauen gleichermaßen. Städter, die es sich leisten konnten, fuhren in die Skigebiete.

Klaus Winterhalder zieht eine zerknitterte Werbebroschüre aus dem Ordner. „Auch in der Wintereinsamkeit ist es wundervoll hier oben“, liest er vor. Und weiter: „Zum Wintersport bieten die sanft ansteigenden Weidenhänge die denkbar beste Gelegenheit“. Wäre da nur nicht der zähe Aufstieg, der notgedrungen auf jede Abfahrt folgte. Schnaufend stapften die Gäste durch den Schnee. Vor allem die Asthmatiker quälten sich.

Der Enkel nimmt eine kräftige Prise Schnupftabak, schnäuzt sich. So sei seinem Großvater die Idee gekommen: Mit Wasserkraft, angetrieben von der Mühle, sollten die Schlitten- und Skifahrer den Berg hinaufgezogen werden – wie schon auf der anderen Seite die Mehlsäcke zum Hof. Er tüftelte lange, machte Pläne. Ein Techniker aus der Nachbargemeinde Titisee setzte sie mit ihm um.

1906 rammten sie, über 280 Meter verteilt, fünf Holzmasten in den Boden, vom Mühlhäuschen mit dem Räderwerk bis hoch an den Waldrand. Über die mit Laufrollen versehenen Pflöcke spannten sie ein Drahtseil. Zangen mit Aufzugsvorrichtungen für die Schlitten und Haltegriffe für die Skifahrer waren daran festgeklemmt. Über unterirdische Eisenrohre, die im Winter nicht zufroren, leitete Winterhalder Wasser vom Staubecken in die Mühle. Das Wasserrad, verbunden mit einem Treibrad, setzte die Drahtseilaufzugbahn in Bewegung. „Die haben ewig rumprobiert, bis das lief“, sagt Klaus Winterhalder.

Zwei Jahre nach Baubeginn, am 14. Februar 1908, weihten die ersten Fahrer den Skilift ein. Robert Winterhalder hatte eigens eine Gebrauchsanweisung geschrieben. „Gefahr ist nicht zu befürchten“, stand da. „Die Skiläufer packen einfach den hölzernen Handgriff, stehen stramm auf den Skiern, nehmen an den steilsten Stellen zweckmäßigerweise Hockstellung ein und lassen sich den Berg hochziehen.“

Zwei Mitarbeiter beaufsichtigten den Aufzug. Einer betreute unten am Mühlenhäuschen den Einstieg: Die Damen oft im langen Kleid, die Herren in Arbeitskleidung, im schicken Anzug oder starren Pumphosen aus Cord hatten anfangs ihre Mühe. In einer Minute zog der Aufzug sie immerhin 60 Meter nach oben. Nach fünf Minuten kamen die Gäste an der Bergstation an, wo der zweite Helfer wartete und aufpasste. Auch das Aussteigen hat Winterhalder in seiner Gebrauchsanweisung beschrieben: „Die Fahrt wird durch einfaches Loslassen der Hände beendigt, so dass jede Gefahr ausgeschlossen wird. Auch besteht die Möglichkeit, jederzeit bei Unterbrechung der Fahrt seitlich auszuweichen.“

Seinen Lift nannte Robert Winterhalder eine „epochemachende Neuerung auf dem Gebiete des Skisports“. Um sie bekannt zu machen, schaltete er Werbeanzeigen – etwa in der Zeitschrift „Badner Land“: „Aufzugsbahn für Rodler und Skifahrer – ein köstliches Vergnügen!“ In derselben Ausgabe findet sich der Erfahrungsbericht eines Freiburger Redakteurs, der die Fahrt mit dem Lift wagte: „Ich muss sagen, dass mir alles den günstigsten Eindruck machte. Man setzt sich auf den Rodelschlitten, lässt sich vollständig ungefährlich von der Drahtseilbahn hinaufziehen, fährt von oben ideal zu Tal und wiederholt dies Manöver, bis einen die Dunkelheit überrascht. Der Wintertag ist kurz, ich hätte einige Tage da oben feiern sollen.“

Wer im Schneckenhof übernachtete, traf sich abends in der Gaststube zum Après-Ski, begleitet von Musik vom Grammophon und Robert Winterhalder am Piano. „Die Gäste haben gesagt: So ein Lift ist eine tolle Sache“, erzählt der Enkel. Ein Ingenieur aus Karlsruhe habe geraten, die Konstruktion schützen zu lassen. Zwischen 1909 und 1911 erhielt Robert Winterhalder drei Reichsgebrauchsmuster und fünf Auslandspatente: in Frankreich, Österreich, Norwegen, Schweden und der Schweiz. Die Kopien legt Klaus Winterhalder jetzt auf den Tisch. „Vorrichtung zum Aufziehen von Schneeschuhläufern, Rodlern usw. auf beschneite Berghänge mittels eines kontinuierlich bewegten Drahtseils“, heißt es im Dokument, genehmigt und besiegelt vom Kaiserlichen Patentamt. „Genutzt haben sie dem Großvater nicht.“

Eine Zeit lang immerhin machte Robert Winterhalder ein gutes Geschäft. Original-Zehnerkarten, damals für eine Mark erhältlich, bewahrt sein Enkel auf. Die Einheimischen, erzählt er, wollten sich die Fahrt mit dem ersten Schlepplift jedoch nicht leisten. „Die sind zu Fuß hochgegangen.“ Der Lift sei damals „eher was für die Großstädter“ gewesen, für die „Schnapper“, wie Schollacher Besucher nennen, die wegen der frischen Luft in den Schwarzwald pilgern. Den Lift belächelten die Nachbarn, hielten ihn für Spinnerei. Doch Robert Winterhalder ließ sich von Spott und Neid nicht beirren.

Kritiker fürchteten, der Liftbetrieb verschandele die Landschaft

Der Enkel des Erfinders: Klaus Winterhalder.
Der Enkel des Erfinders: Klaus Winterhalder.

© Isabel Stettin

Für die Internationale Wintersportausstellung, 1910 in Triberg, entwickelte er einen zweiten Lift, wieder auf sein eigenes finanzielles Risiko: Angetrieben von einem 15-PS-Elektromotor ließen sich nun 32 Personen zeitgleich transportieren. Der badische Großherzog zeichnete den Erfinder mit der goldenen Ausstellungsmedaille aus. Auch die hängt heute noch im Schneckenhof.

Vom Erfolg bestätigt, plante Robert Winterhalder weitere Skilifte, allen voran am Feldberg. Er suchte Investoren, versuchte Hoteliers zu überzeugen. Der Vorzug seiner Anlage, schrieb der Erfinder, bestehe darin, dass sie sich auf jedem für Rodel- und Skisport geeigneten Gelände anbringen ließe. Auch die Ausgaben kalkulierte er genau: 20 000 Mark für den Lift sowie je 100 Schlitten und Skier. Niemand wollte sein ehrgeiziges Vorhaben unterstützen. Schließlich, so der Tenor der Reaktionen, sei Winterhalder nur ein einfacher Gast- und Landwirt. „Die ganze Sache ist gut, aber es fehlt der Hintergrund. Sie sollten Doktor, Ingenieur oder wenigstens Techniker sein“, zitiert die Zeitung „Badner Land“ 1914 einen Hofrat aus Karlsruhe. „Ja, lieber Schneckenwirt, wir leben in einer Doktor-Zeit, von einem, der nicht einmal allerwenigstens ,Doktor‘ ist, kann doch nichts Gutes kommen. Die von Gott gegebene Intelligenz oder die Praxis machen’s nicht, der Titel macht die Blinden sehend.“

Zudem fürchteten Kritiker schon damals, der Liftbetrieb verschandele die Landschaft am Feldberg. Wo heute allein elf Schlepplifte in Betrieb sind und Tourismus zu den bedeutendsten Wirtschaftszweigen zählt, habe damals kaum jemand Interesse am Aufbau eines Massen-Skigebiets gehabt, erzählt der Enkel Klaus Winterhalder. Zu groß sei die Sorge gewesen, dass die in Scharen heranströmenden Städter einen schlechten Einfluss auf die Mädchen aus dem Dorf hätten, sie verderben könnten.

Auch ihm liegt nichts am modernen Tourismus. Am historischen Skihang baut Klaus Winterhalder Kartoffeln an. Im Sommer weiden hier die Kühe. Es gab Pläne, den Ur-Lift als touristische Sehenswürdigkeit zu inszenieren. In den 80er Jahren wollten der Schwarzwaldverein und die Gemeinde das Mühlenhaus restaurieren. Doch Winterhalder sträubte sich. Auf seinem Grundstück will er keine Reisebusse und „wunderfitzige“, also neugierige Besuchergruppen.

Für den Großvater war der Lift letztlich kein rentables Geschäft: Er hat viel investiert. „Nach wenigen Jahren, mit dem Ersten Weltkrieg, war Feierabend.“ Klaus Winterhalder winkt ab. Der Tourismus stagnierte. Das Militär sammelte Eisen, auch Teile des ersten Skilifts, zum Einschmelzen für Waffen. 1914 wurde auch der motorisierte Lift in Triberg abgebaut. Winterhalders Patentschutz lief unbeachtet aus. 1932 starb der Erfinder im Alter von 66 Jahren.

Zwei Jahre später wurde in Davos in der Schweiz der erste Bügellift erbaut, entwickelt vom Zürcher Ingenieur Ernst Constam. Während der heute als Erfinder des modernen Skiliftsystems mit der größten Verbreitung gefeiert wird, ist Robert Winterhalder fast vergessen. Um zu begreifen, was er geleistet hat, braucht es schon einen Aktenkoffer in einem entlegenen Schwarzwalddorf.

Isabel Stettin

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