zum Hauptinhalt

Hotelkolumne: In fremden Federn: Das Fenster zur Moabiter Nacht

Lebensmüde kommen offenbar selten ins Adrema. Ob man es wagen sollte, am Fenster zu rauchen?

Grummelnd die 850 Meter von der U-Bahn-Station Turmstraße zum Hotel am Spreeufer vor sich hinspazieren. Moabit, das Berlin der alten Leute, das sich so überhaupt nicht nach Hauptstadt anfühlt, nach westfälischer Kreisstadt vielleicht. Da ist nichts, jedenfalls im Dunkeln des späten Abends nichts erkennbar Attraktives, nichts annähernd Shoppingbares. Und plötzlich, kurz vor Erreichen des Bettes für eine Nacht, erscheinen am Wegesrand vier wehende Fahnen auf einem Flachdach: „Maschinen. Werkzeuge. Berufsbekleidung“. Bonjour Tristesse, hallo West-Deutschland der 80er, altes Haus, du bist es wirklich, schön, dich hier zu sehen! Das alte Haus freut sich leider nicht, geschlossen.

Die Enttäuschung währt nur kurz, dahinter steht es schon, das Adrema Hotel. Vielmehr: Es thront. Schnell einchecken, im winzigen Aufzug hochruckeln, sechster Stock von sieben raus, ins Zimmer, ran ans Fenster. Versöhnendes wohliges Seufzen, dieser Ausblick! Unten glitzert schwarz die Spree, über der man an der Außenecke des spitz zulaufenden Zimmers stehend zu schweben scheint. Das Fenster zur Moabiter Nacht – kurzer Freudentaumel des Übernachtungsgastes – lässt sich öffnen. Nicht bloß auf Kippe, sondern so ganz!

Frühstück auf der Spreeterrasse

Lebensmüde kommen offenbar selten ins Adrema, ein Business Hotel, zweifellos erkennbar an dem für das schmale Zimmer überdimensionierten Schreibtisch aus dunklem Holz. Zum Schwebezustand gesellt sich ein entspannendes Rauschen, das von draußen hereindringt. Vorbeifahrende Schiffe, die Weiden am Ufer säuseln im Wind. Kein Grölen taumelnder Sauftouristen, kein aufgebrachtes Hupen gegen rücksichtslose Zweite-Reihe-Parker, keine spanische Twentysomething-Clique auf der Suche nach der nächsten Wohnzimmeratmosphärenbar dringt hinauf. Ob man es wagen sollte, am Fenster zu rauchen? Die Fenstersituation fordert es geradezu heraus!

Der Morgen danach. Rein in den Aufzug, runterruckeln: Frühstück auf der Spreeterrasse. Geht im Sonnenschein dank Wolldecken trotz klarer Herbstluft ausgezeichnet, der kräftige Kaffee wärmt die Hände, das freundliche Personal und die Buffetauswahl das hungrige Berliner Herz. Keine Pappschrippen, sondern kerniges Brot, saftiges Rührei, viel frisches Obst.

Nach dem Spaziergang zur Arminius-Markthalle, 20 Minuten gen Nordwest, ist wieder ein Plätzchen frei im Magen. Kartoffelpuffer mit Apfelmus und Zimtzucker für knapp drei Euro! Im West-Berlin der alten Leute hält man es aus.

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false