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William Frederick Cody, genannt Buffalo Bill im Alter von 34 Jahren.

© Alamy Stock Photo

Frederick William Cody: Der Erfinder des Wilden Westens

Dem jungen Kaiser Wilhelm ließ er die Zigarre aus der Hand schießen: Buffalo Bill, der "Indianerversteher", erkannte als einer der Ersten die Sehnsüchte seiner Zeit.

Von Andreas Austilat

Die Szene spielte sich 1869 in etwa so ab, wie man sich den Wilden Westen vorstellt: Auf der einen Seite der Journalist von der Ostküste mit seinem gespitzten Bleistift. Auf der anderen Seite der Revolverheld, der keine Frage beantworten will, stattdessen sagt: „Ich gebe dir 24 Stunden Zeit, aus der Stadt zu verschwinden.“ Es war der Fehler seines Lebens. Denn sonst wäre Wild Bill Hickok, so hieß der Revolverheld, vielleicht nicht geblieben, was er war, und wäre nicht schon bald äußerst unglamourös beim Kartenspielen gestorben, als ihm ein Kontrahent in den Hinterkopf schoss.

Der Journalist aber beherzigte den Rat, suchte sich jemand anders, den er interviewen konnte. Er fand William Frederick Cody und machte ihn als „Buffalo Bill“ zum Helden eines Heftromans. Es war der Beginn einer bemerkenswerten Karriere, in deren Verlauf Buffalo Bill zu einem Weltstar aufstieg, weil er als einer der Ersten die Möglichkeiten guten Marketings und die Sehnsüchte seiner Zeit erkannte.

Der Wilde Westen stillte die Sehnsucht nach der guten alten Zeit

14 Jahre nach der Begegnung mit Ned Buntline, so hieß der Journalist, stand Cody im Mittelpunkt einer Show, die in ihren besten Zeiten 800 Darsteller und 200 Pferde aufbot, die vor ihrem Publikum schossen, ritten, skalpierten und Postkutschen überfielen. Das ganze hieß „Buffalo Bill’s Wild West“, und den „Wilden Westen“, den ließ sich Cody vor Gericht schützen. Denn bis dahin hatte man vom fernen, nicht aber vom wilden Westen gesprochen.

Der war eigentlich 1883 schon Geschichte, die Indianer besiegt und die Postkutschen von der Eisenbahn abgehängt. Damit geriet er plötzlich zur guten alten Zeit – im Gegensatz zur ernüchternden Gegenwart mit ihren qualmenden Fabrikschloten. Und Buffalo Bill war ihr Held, denn er hatte das alles erlebt. So glaubte es wenigstens sein Publikum. Bill wurde ein Symbol, und auch in Europa, schreibt die amerikanische Historikerin Joy Kasson, wurde sein wilder Westen zum Synonym für Amerika und zu einem Genrebild, von dem Hollywood später lange zehren sollte.

Dabei zeigt die Anfangsepisode, es hätte andere, vielleicht sogar geeignetere Kandidaten gegeben, draußen, in den entlegenen Weiten der noch jungen USA. Doch gleich zu Beginn seiner Karriere kümmerten sich Profis darum, den Lebenslauf von Frederick William Cody, 1846 in Iowa geboren, in immer neuen Biografien zu gestalten. Einige Abenteuer immerhin hatte er beizusteuern.

Manche Stellen in Codys Biografie wecken Zweifel

Bills Vater starb früh, der Junge war gerade elf und heuerte bei einer Firma an, die Planwagenkolonnen für Neusiedler organisierte, wenn sie sich auf die Reise in den Westen machten. Er ritt für den Pony-Express, der Kurierdienst war die erste transkontinentale Postverbindung der USA. Er lernte am Rande der Zivilisation jede Menge Rabauken kennen und Indianer natürlich auch. Er war bald ein begehrter Wegweiser und ein guter Jäger.

Allein für die Pacific Railroad Company soll er über 4000 Bisons geschossen haben, um die Eisenbahnarbeiter mit Fleisch zu versorgen. Die Zahl könnte allerdings bereits ins Reich der Legenden gehören. In einer Biografie heißt es, seine ersten Indianer bekämpfte er als Kundschafter im Utah-Krieg. Doch dieser Krieg war ein Feldzug gegen rebellische Mormonen in ihrer Kolonie im heutigen US-Bundesstaat Utah.

Cody reklamierte für sich, auch Goldsucher gewesen zu sein, 1859. Schwer zu glauben, da war er erst 13. Soldat war er wirklich, er zog mit 17 für die Nordstaaten in den Bürgerkrieg. Schon kurz nach seiner Entlassung, mit gerade 20 Jahren, heiratete er. Er wurde Hotelmanager, das Paar bekam schnell Kinder. Es gehört auch zu Codys Lebenslauf, dass er für sich ein anständiges bürgerliches Leben reklamierte. Was sich längst nicht so gut verkaufte wie die Abenteuer im Grenzland.

Buffalo Bill wird zur Staatsaffäre

Der Sioux-Häuptling Sitting Bull trat auch im Wanderzirkus auf.
Der Sioux-Häuptling Sitting Bull trat auch im Wanderzirkus auf.

© mauritius images

Dann tauchte Ned Buntline im Westen auf. Und weil seine Heftromane mit Buffalo Bill so gut liefen, machte er ein Theaterstück daraus, überredete Cody, auf den Bühnen der amerikanischen Ostküste gleich selbst aufzutreten. Die Kritiker verrissen das Stück, aber dieser Bill, er sah blendend aus und wirkte so echt. Mit ihm mochten sich alle identifizieren, die Buchhalter und Sekretäre, die Verkäufer und Industriearbeiter, die zwar alle weder Grizzlybären noch Indianer kannten. Aber trugen sie als Amerikaner nicht das gleiche Pionierblut in sich?

Als schließlich der russische Großherzog Alexis, Sohn des Zaren, die USA besuchte, wurde Bill sogar zur Staatsaffäre. Gute Beziehungen zu Russland waren damals schon wichtig. Und wer sonst außer Buffalo Bill konnte dem Zarewitsch ein Amerikaerlebnis bieten? Die beiden gingen mit gewaltiger Entourage auf Bisonjagd. Natürlich gab es Fotos, berichtete die Weltpresse. Jagdausflüge mit Bill – oder wenigstens in einer Lederjacke wie er sie trug – wurden der letzte Schrei.

Die Fotografie, damals ein neues Medium, dürfte ungeheuer zu Buffalo Bills Popularität beigetragen haben. Der verstand sie zu nutzen, vor allem, weil er zwei gute Berater hatte: einen Fachmann für Public Relations – und einen Experten fürs Showgeschäft. Dazu kam sein Naturtalent, zu erkennen, was das Publikum wollte.

Er hat viele Indianer vor Deportation und Gefängnis bewahrt

Den Höhepunkt brachte ab 1883 die Wild-West-Show. Es gab durchaus Konkurrenten, die mit ähnlichen Programmen tourten. Doch Cody bemühte sich um den Anschein von Authentizität. Es mussten echte Indianer sein, echte Cowboys, echte Postkutschen, die bereits schwer zu finden waren.

1888 brach „Buffalo Bill’s Wild West“ zur ersten Europatournee auf, weitere sollten folgen. In England gehörte Queen Victoria zu den Zuschauern und erhob sich von ihrem Platz, als die US-Fahne hereingetragen wurde. Ob es wirklich so war, spielte keine Rolle, die Zeitungen berichteten entsprechend, und das zählte.

In Berlin soll die Kunstschützin Annie Oakley – die Show machte sie zu Amerikas erstem It-Girl – dem jungen Kaiser Wilhelm die Zigarre vielleicht nicht aus dem Mund, aber doch aus der Hand geschossen haben. Unwahrscheinlich, die Geschichte wurde jedoch so erzählt. Die Show gastierte im Sommer 1890 allein 30 Tage lang auf einem Gelände an der Augsburger, Ecke Joachimsthaler Straße.

Die Scharfschützin Annie Oakley war ein Star der Show.
Die Scharfschützin Annie Oakley war ein Star der Show.

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Nur Karl May, der Erfinder Winnetous, haderte mit Bill als Bisonschlächter und Indianertöter. Was dessen eigene Schuld war, immer wieder skalpierte er in der Arena den bedauernswerten Cheyenne Yellow Hand. Die Tat hatte er tatsächlich 1876 begangen. Aber wie so vieles war seine Rolle als Indianertöter aufgebauscht worden, solange das opportun erschien. Später zeigte er sich als Indianerversteher. Und es ist keineswegs ausgemacht, dass der berühmte Häuptling Sitting Bull nur widerstrebend in der Wild-West-Show mitmachte. In Wirklichkeit gelang es Cody, viele Indianer vor der Deportation oder dem Gefängnis zu bewahren, wenn er sie stattdessen für seine Show anforderte.

Die Zeitungen machten sich lustig über den gefallenen Helden

Der Niedergang begann, als Bill sich für größer hielt als er war und nicht mehr auf seine Berater hörte. Er hatte Millionen verdient, verlor sie nun in dubiosen Bergwerksgeschäften – und in der Karriere von Katherine Clemmons, einer minderbegabten Schauspielerin. Schließlich strebte er nach fast 40 Jahren Ehe die Scheidung von seiner Louisa an und verwickelte sich in eine öffentlich ausgetragene Schlammschlacht, in der er Louisa sogar beschuldigte, ihn vergiften zu wollen.

Die Zeitungen machten sich lustig über den gefallenen Helden, die Richter lehnten sein Scheidungsansinnen als unbegründet ab. Buffalo Bill war dazu verurteilt, seine Ehe fortzusetzen, während seine Schauspielerin sich dem Sohn eines Eisenbahnmagnaten zuwandte.

Buffalo Bill ritt fortan als Darsteller seiner selbst durch die Show, in der er mittlerweile nur noch angestellt war, nachdem er 1913 hatte Insolvenz anmelden müssen. Beinahe bis zum Schluss trat er auf, bis zu seinem Tod am 10. Januar 1917. Begraben wurde er nicht seinem Wunsch gemäß in Cody, Wyoming, der Stadt, die er gegründet hatte. Seine Frau verkaufte das Begräbnis nach Denver, Colorado. Ein Zeitungsverleger bezahlte viel Geld dafür.

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