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Der Kämpfer. Jeder seiner zahlreichen Gitarren verpasste Woody Guthrie die Aufschrift „This Machine Kills Fascists“.

© Lester Balog

Folklegende Woody Guthrie: Drei Akkorde und die Wahrheit

„This Land Is Your Land“ war die Hymne bei Obamas Inauguration. Woody Guthrie ist eine Folklegende der USA. Vor 50 Jahren starb er an der Erbkrankheit Chorea Huntington. Seine Tochter Nora Guthrie erzählt von einem bewegten Leben.

Mein Vater hatte nie geplant, Folkmusiker zu werden. Er wuchs in Oklahoma auf, noch als Teenager hat er das erste Mal geheiratet, wurde gleich Vater, das war damals halt so in der Kleinstadt. In Armut lebten sie während der Großen Depression in der Dust Bowl von Texas, wo Sandstürme zu einer verheerenden Dürre führten. Er hatte das Gefühl, das war nicht sein Leben, er musste weg.

Vor der Musik kam die bildende Kunst; als er umherzog, hat er Ladenschilder gemalt, für einen Schlafplatz und ein Abendessen, das Liederschreiben und Singen lief nebenher. Auch später hat er immer gezeichnet, lustige Sachen. Er hatte ja was von einem Komiker. Selbst seine Dust-Bowl-Balladen haben oft Witz. Wenn er zum Beispiel über den Pfarrer singt, der das Ende der Welt verkündet, um anschließend eine Kollekte einzusammeln. Woodys Humor war stark von dem Entertainer Will Rogers geprägt: kurze Scherze über schreckliche Situationen, um harte Zeiten zu überstehen. Das ist heute in den USA genauso, die Komiker machen sich über das ganze Elend lustig, damit wir nachts schlafen können.

Ich glaube, ich bin Sänger

Woody ist berühmt für seine Protestsongs, aber sein Protest kam aus dem Bauch, der war erst mal gar nicht ideologisch. Bis er in den 30er Jahren nach Los Angeles zog und dort auf die sehr aktive kommunistische Partei stieß und die Gewerkschaften. Sie gaben ihm ein Mikrofon, verschafften ihm große Auftritte bei Demos und Versammlungen und eine Zeitungskolumne, im „Daily Worker“. Das hat ihn selber intellektuell weitergebracht. Und er fühlte sich geliebt.

Als der junge Bob Dylan vor der Tür stand, wollte Nora Guthrie (im Bild) ihn erstmal wegschicken.
Als der junge Bob Dylan vor der Tür stand, wollte Nora Guthrie (im Bild) ihn erstmal wegschicken.

© Tina Tschirch, Courtesy of Barry & Judy Ollman

Erst als Woody 1940 nach New York kam, sagte er: Ich glaube, ich bin Sänger. Dort traf er gleich in der ersten Woche Leute aus der Folkmusikszene, die ihn unterstützten, allen voran Pete Seeger. Innerhalb von zwei Wochen hatte er den Song geschrieben, der sein größter Hit werden sollte, nahm ein paar Monate später eine Platte auf, sang im Radio.

Er konnte nicht mal Noten lesen

Die starke Gewerkschaftsbewegung war extrem wichtig für ihn, union wurde sein Lieblingswort, das hat er dauernd und für alles mögliche benutzt, auch für die Liebe. Ihm gefiel die Vorstellung, sich zusammenzutun und zu vereinen, in der Musik, der Kunst, der Familie. Die Grenzen aufzuheben zwischen Glaubensrichtungen, Hautfarben, Geschlechtern.

„This Land Is Your Land“ war erstmal nur einer von vielen Songs. Der Text ist mehr Tagebucheintrag als Poesie. Woody war ja tatsächlich durchs ganze Land gefahren, hatte gesehen, worüber er jetzt schrieb und zwar, wie alle Songs, erstmal im Kopf. Dann setzte er sich zum Notieren hin, arbeitete danach nicht weiter daran.

Beim Schreiben hatte er meist schon eine einfache Melodie im Kopf, einen Rhythmus, fast immer den gleichen, nicht zu schnell und nicht zu langsam. Woody konnte ja nicht mal Noten lesen, sagte gern: Drei Akkorde und die Wahrheit, das ist alles, was man braucht. In diesem Fall kam die Melodie von einem Song der Carter Family, einer Country-Band, die er sehr mochte. Woody nahm oft Musik von anderen auf, die Carter Family machte es selber so, ihre Songs sind meist alte Melodien, manche gehen auf schottische Balladen zurück. Das war die Folk-Tradition: Musiker griffen etwas auf, fügten was hinzu, entwickelten so neue Songs.

Warum „This Land Is Your Land“ so populär wurde

Der Familienmensch. Guthrie 1960 mit seiner zweiten Frau Marjorie und den Kindern (v.l.n.r.) Joady, Nora und Arlo.
Der Familienmensch. Guthrie 1960 mit seiner zweiten Frau Marjorie und den Kindern (v.l.n.r.) Joady, Nora und Arlo.

© Dave Gahr

„This Land Is Your Land“ hat mein Vater selbst gar nicht oft gesungen. Er schrieb Songs immer aus dem Augenblick heraus, sang sie ein, zwei Mal, vielleicht noch im Radio, dann schrieb er schon das nächste Lied. Als ich zu Beginn der 90er Jahre anfing, die Kisten mit seinem Nachlass zu durchforsten und zu ordnen, habe ich insgesamt über 3000 Lieder entdeckt, von denen erst zehn Prozent veröffentlicht waren. Er arbeitete wie ein Journalist, der jeden Tag eine neue Geschichte schreibt. Oder zwei. Und wenn das Notizbuch voll war, nahm er die Songs bei einem Freund auf, manchmal 70 hintereinander, einfach um sie festzuhalten.

Warum „This Land Is Your Land“ so populär wurde, dafür gibt es eine einfache Erklärung, und die heißt Pete Seeger. Pete mochte den Song. Mit seiner Gruppe The Weavers, der ersten erfolgreichen Folkband in Amerika, sang er ihn immer als Zugabe. Und als die Musiker in den 50ern auf der Schwarzen Liste der Kommunistenjäger landeten, waren die einzigen Jobs, die sie kriegen konnten, im Sommerferienlager und an Colleges. Mit den Kids hat Pete „This Land“ gesungen. Die Lehrer mochten es ebenfalls, weil es einfach war und den Kindern gefiel, also wurde es Teil des Schulkanons. Bei Obamas Inauguration 2009 hat Pete die alternative Nationalhymne, wie sie gern genannt wird, mit Bruce Springsteen gesungen. Und alle stimmten ein.

Die Idee: Dies ist unser Land, ist gerade wieder ziemlich aktuell. Deswegen wird der Song auch von Mitgliedern der „Black Lives Matter“-Bewegung gesungen, von Einwanderern aus Mexiko, Flüchtlingen aus Syrien. Er vereint die verschiedensten Anliegen. Woodys union.

Die Ärzte steckten ihn in die Psychiatrie

Anfang der 50er Jahre, da war er 40, begann mein Vater sich verstörend zu verhalten, wurde wütend, aggressiv, ausfällig, depressiv, wollte sich nicht waschen. Dass er die Erbkrankheit Chorea Hungtington hatte, wusste man nicht. Woody erkannte zwar die neurologischen und psychischen Symptome, auch das Zittern und unkontrollierte Schlagen der Arme von seiner Mutter, die man mit falscher Diagnose in die Irrenanstalt geschickt hatte. Aber er dachte, dass nur Frauen Huntington bekommen können.

Die Ärzte waren ratlos. Erst wurde er zum Alkoholiker erklärt, dann hieß es, er sei schizophren und wurde in die Psychiatrie gesteckt. Auf der Station ging es zu wie in „Einer flog übers Kuckucksnest“. Da bekam zum Beispiel jeder Patient einfach ein Tablett hingestellt. Aber nachdem er die Kontrolle über seine Arme verloren hatte, wie sollte er da das Essen in den Mund kriegen? Meine Mutter bezahlte einen Mitpatienten dafür, ihn zu füttern. Lauter so schreckliche Sachen.

Der Künstler. Noch bevor er als Musiker auftrat, hat Woody Guthrie gezeichnet (hier: sein Text „Unpaid Debts“).
Der Künstler. Noch bevor er als Musiker auftrat, hat Woody Guthrie gezeichnet (hier: sein Text „Unpaid Debts“).

© Abb.: Woody Guthrie Publications, Inc.

Sie war Tänzerin bei der berühmten Truppe von Martha Graham. Als die Diagnose Chorea Huntington feststand, wofür es weder Heilung noch Linderung gab, hörte sie auf und eröffnete eine Tanzschule, um die Familie zu ernähren. Wir waren arm, ich musste immer die geflickten Jungensachen meiner großen Brüder auftragen.

Ich halte das nicht aus. Es tut zu weh

Für mich als Kind war es entsetzlich, damit aufzuwachsen, nicht nur aus Angst, selber Huntington zu bekommen, sondern meinen Vater so zu erleben. Die Krankheit ist grauenvoll anzusehen, hat so gar nichts Freundliches an sich. Am Ende konnte er nicht mehr sprechen, wir konnten nicht knuddeln, weil seine Arme wild rumflogen. Einmal, da war ich 14, wollte ich zu einer Verabredung mit meinem Freund. Mein Vater war gerade zu Hause, lag auf der Couch, ich fühlte mich so mies, weil ich wusste, dass ich vor der Situation weglief.

Da setzte ich mich auf die Treppe, guckte meinen stummen Vater an und sagte ihm, im Geiste: Ich halte das nicht aus. Es tut zu weh. Ich fühle mich schrecklich – aber ich muss raus. Und er sah mich an und erwiderte, ohne Worte, mit einem lebhaften Zwinkern in den Augen: Geh! Geh! Amüsier dich! Dies ist meine Krankheit, nicht deine. Er ließ mich los – als wäre ich ein Ballon. Von dem Moment an war ich frei, hatte keine Schuldgefühle mehr, sondern das Gefühl, ich habe ein Recht auf ein gutes Leben. Unsere Eltern wollten nie, dass wir leiden. Helfen schon, aber nicht leiden.

Woody blieb immer Teil unseres Lebens, sonntags besuchten wir ihn, oder meine Mutter holte ihn nach Hause. Dann kamen seine alten Freunde und junge Musiker, und alle haben wir gesungen, das hat er geliebt. Anfang der 60er entdeckte ihn ja die nächste Generation von Folkmusikern, allen voran Bob Dylan, für den Woody eine Art Gott war. Er besuchte ihn oft im Krankenhaus und sang ihm seine, Woodys Lieder, vor. Bob Dylan kannte sie alle auswendig, nannte sich „die Woody-Guthrie-Jukebox“. Woody wollte nur noch seine eigenen Songs hören, nicht die der jungen Musiker. Ich kann das verstehen. Er wollte, dass die Botschaft weitergetragen wird.

Woody liebte Gesellschaft, Dylan hat es kapiert

Der Schüler. Auf seinem Debütalbum veröffentlichte er den Song „To Woody“.
Der Schüler. Auf seinem Debütalbum veröffentlichte er den Song „To Woody“.

© Tina Tschirch, Courtesy of Barry & Judy Ollman

Bob Dylan hatte eines Nachmittags bei uns in New York an der Haustür geklopft. Er half uns sehr. Meine Mutter sagte ihm: Woody braucht Zigaretten oder Blöcke (er hat ja so lange Lieder geschrieben, wie er einen Stift in der Hand halten konnte, bis 1965, zwei Jahre vor seinem Tod), und Dylan brachte sie ihm ins Krankenhaus. Woody liebte Gesellschaft und Dylan – er hat es kapiert. Er war sehr sensibel.

Als ich Anfang der 90er Jahre anfing, die Kisten mit dem ganzen unsortierten Nachlass meines Vaters durchzugehen und zu ordnen, zog ich als erstes einen wunderschönen Text heraus: „I Say to You Woman and Man.“ Ein feministisches Statement! Los, raus, gründe eine Firma, nimm dir Liebhaber, sei du selbst, befrei dich. Das war radikal! Ich dachte, wow, das gefällt mir. Niemand hatte mir diese Seite von Woody Guthrie gezeigt. Daraufhin hab’ ich mich da reingestürzt.

Mein Vater war ein sehr geselliger Performer. Statt sich auf die Bühne zu stellen, wo ihm alle still zuhören mussten, hockte er sich lieber mitten in den Raum und ließ alle mitsingen. Er trat auf dem Feld auf, in den Lagern der Wanderarbeiter, in der New Yorker U-Bahn. Er sang, um Leute anzutreiben, dass sie aktiv werden. Das war ein Grund, warum ich Billy Bragg und Hans-Eckardt Wenzel bat, unveröffentliche Lieder zu vertonen und aufzunehmen: Weil sie eine ähnliche Beziehung zu ihrem Publikum haben und einen ähnlichen Humor wie mein Vater.

Sein Roman beginnt mit einer sehr expliziten Sexszene

Von dem ich noch viele andere Seiten entdeckt habe, die spirituelle etwa. Und selbst Experten dachten, dass Woody Love songs hasste. Und dann habe ich Dutzende von ihm gefunden. Kein Schmalz, Woody-Guthrie-Style. Manche sind fast unanständig, er war ein freier Denker.

In den Kartons steckte auch ein Roman, den wir dann veröffentlicht haben. „Das Haus aus Erde“ beginnt mit einer 32 Seiten langen, sehr expliziten Sexszene. Beim Lesen bin ich richtig rot geworden. Es geht um ein Bauern-Paar, das nichts hat, der Boden ist ausgetrocknet, die Kuh gibt keine Milch, die beiden sind ganz allein, wütend und traurig – und haben Sex. Wie Woody das beschreibt, da verstehst du: In all dem Schlimmen ist es das einzig Schöne, was sie haben.

Wo ist die Musik?

Woody oder Pete Seeger haben ihr künstlerisches Leben dem Kampf gewidmet. Nicht nur mal ein Benefizkonzert geben, wo man dann gute Presse bekommt. Heute sind die meisten amerikanischen Singer-Songwriter nicht so politisch, das ist eher Pop light. Bei allem, was gerade passiert: Wo ist die Musik? Selbst bei der großen Demo in Washington vor Trumps Inauguration gab’s so gut wie keine. In meiner Jugend war sie der halbe Protest: Du bist irgendwo hingegangen und hast gesungen. Jemand hielt eine Rede, und dann haben alle „We Shall Overcome“ angestimmt. Heute hast du bei Demos Reden, Reden, Reden, Reden – einen Song –, Reden, Reden, Reden, Reden, Reden – einen Song. Aber mit Musik, da stehst du auf und tanzt. Das ist politisch, du willst loslegen. Martin Luther King wusste, wie wichtig Musik ist: to keep your feet going. Ich warte darauf, dass das wieder passiert.

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