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Alberto de Benedictis, der frühere Manager der Rüstungskonzerns Finmeccanica.

© FDF Photos

EU-Sicherheitspolitik: Berater oder Lobbyisten?

Datenrecherche und interne Dokumente belegen, wie die EU-Kommission die Sicherheitspolitik an den Interessen der Industrie ausrichtet.

Wenn es um die mögliche Abhängigkeit seines Hauses von den Interessen der Sicherheitsindustrie geht, dann lässt Dimitris Avramopoulos keinen Zweifel zu. „Ich versichere Ihnen, das gibt es nicht, jedenfalls nicht in diesem Gebäude“, versichert der EU-Kommissar für Inneres empört auf die Frage, ob seine Behörde den Wünschen der Hersteller folgt.

Doch Recherchen von Investigate Europe und interne Dokumente, veröffentlicht auf Antrag des Journalisten Dimitri Tokmetzis vom niederländischen Journalistenteam „De Correspondent“, belegen den enormen Einfluss der Industrie.

Die Mitglieder in der ASD sind der Sicherheitsindustrie vielfach verbunden

Eine ganz besondere Stellung genießt demnach die „European Aerospace and Defence Association“ (ASD). Dort arbeitet zum Beispiel der frühere EU-Beamte Burkard Schmitt, der bis 2014 bei der der Kommission „fast zehn Jahre lang mit allen Angelegenheiten der Sicherheit und Verteidigung“ zu tun hatte, wie es in einem Memo heißt. Seit 2014 bringt er seine Erfahrung nun bei der ASD ein.

Damit stand er Alberto de Benedictis zur Seite, einem früheren Manager des italienischen Rüstungskonzerns Finmeccanica, der bis Anfang 2016 einer der ASD-Vorsitzenden war. Als Benedictis sich mit dem zuständigen Generaldirektor Matthias Ruete am 5. November 2015 traf, sprachen sie über das damals anstehende, mit 1,7 Milliarden Euro dotierte Forschungsprogramm zur „ Sicherheit für Europa und seine Bürger“.

Ein Memo zu dem Treffen hielt fest, dass „die ASD aktiv an der Gestaltung der strategischen Dokumente teilgenommen“ habe. Nun gelte es, den „Umfang der Dienstleistungen des privaten Sektors für Sicherheitsmissionen der Behörden in ganz Europa“ wie „Drohneneinsätze, Luft- und Grenzüberwachung“ durch Forschung zu erkunden. Deshalb baten Rueti und seine Beamten Benedictis, Mitglied der „Protection and Security Advisory Group“ (PASAG) zu werden, jenem Gremium, dass die Ziele und Projekte für die Fördergelder entwickelt. Dort nämlich, so hielt das Memo fest, sollten „die Vertreter der Industrie zahlreicher werden“. Benedictis sagte nicht nur gerne zu, sondern übernahm auch gleich den Vorsitz.

Neben ihm sind acht weitere Berater mit Verbindungen zur Sicherheitsindustrie vertreten, darunter Luigi Rebuffi, Ex-Manager des französischen Thales-Konzerns und Vorsitzender des Lobbyverbandes EOS, einer Schwesterorganisation der ADS. Die übrigen 22 Mitglieder des Gremiums sind zwar formal unabhängige Akademiker oder Vertreter „öffentlicher Interessen“. Aber auch sie sind vielfach der Sicherheitsindustrie durch gemeinsame Forschung und Vereine verbunden.

Mehr Sicherheit durch Sozialprogramme gegen Radikalisierung ist kein Thema

Der italienische IT-Experte Fabio Martinello zum Beispiel nimmt für sich in Anspruch, "völlig unabhängig" zu sein. Er sei lediglich ein staatlicher Beamter, sagt er. Doch sein Arbeitgeber, die staatliche Forschungsorganisation CNR, betreibt ein umfangreiches Forschungsprogramm gemeinsam mit dem Rüstungskonzern Finmeccancia.

Im Ergebnis wird fast ausschließlich Technologie gefördert. Mehr Sicherheit durch Sozialprogramme etwa, um junge Migranten vor Radikalisierung zu bewahren, ist kein Thema für die Sicherheitsberater. Beinahe automatisch sind unter den Begünstigten der Forschungsförderung dann auch jene Unternehmen, deren frühere oder derzeitige Mitarbeiter die Kommission beraten, wenn es um die Ausschreibung entsprechender Projekte geht.

So ist der jüngst auf „Leonardo“ umgetaufte Finmeccanica-Konzern, dem mit dem Ausschuss-Vorsitzenden Benedictis und der Managerin Cristina Leone gleich zwei der Berater nahestehen, derzeit an fünf geförderten Vorhaben beteiligt. Frankreichs Technologiekonzern Safran hat mit Jean-Marc Suchier ebenfalls einen Berater vor Ort und bereits eine Forschungsausschreibung gewonnen. Der Airbus-Konzern, vertreten mit der kürzlich pensionierten Managerin Brigitte Serreault, ist bei zwei Projekten dabei. Der französische Rüstungsriese Thales, früher Arbeitgeber des EOS-Lobbyisten Rebuffi, ist an fünf geförderten Forschungskonsortien beteiligt. Und sogar Rebuffis Organisation selbst erhält Förderung für vier Forschungsvorhaben. Zudem erhalten auch zwei kleinere Unternehmen aus Großbritannien und Deutschland Geld, deren Managerinnen zufällig auch Berater sind.

Insgesamt sind damit acht der Berater in einen potenziellen Interessenkonflikt verstrickt. Trotzdem wollen alle Beteiligten darin nichts Anrüchiges erkennen. So schreibt die Sprecherin des EOS, ihr Chef Rebuffi sei „zu keinem Zeitpunkt an der Auswahl und Bewertung der konkreten Bewerbungen für einzelne Forschungsprojekte beteiligt gewesen“, folglich gebe es auch keinen Interessenkonflikt. Genauso sehen das die anderen Betroffenen, und so verteidigt auch die EU-Kommission ihre Praxis. Keinem der Berater sei „erlaubt, Projektvorschläge im Rahmen der Programme zu bewerten, bei denen sie beraten“, erklärte ein Sprecher. Tatsächlich liegt die formale Entscheidung zur Geldvergabe bei Vertretern der Mitgliedsländer. Aber das beseitigt keineswegs das Problem. Schließlich gestalten die Berater das Programm und haben einen großen Informationsvorsprung gegenüber Außenstehenden.

Die Beratergremien sind "intransparent und nicht ausgewogen besetzt"

„Ein Interessenkonflikt liegt auch dann vor, wenn er nicht unmittelbar ausgeübt wird“, warnt darum die EU-Bürgerbeauftragte (Ombudsfrau) Emily O’Reilly. Denn er könne auch indirekt Entscheidungen beeinflussen. Nach einer Beschwerde der Anti-Lobby-Organisation „Corporate Europe Observatory“ hatte O’Reilly 2013 eine eigene Untersuchung der Beratergremien der EU-Kommission vorgenommen. Diese seien, so lautet ihr Fazit, „intransparent und nicht ausgewogen besetzt“. Sie fordert daher, die Kommission müsse aktiv gegen potenzielle Interessenkonflikte vorgehen.

Dem kam die Behörde auch teilweise nach und fordert nun von den Beratern eine Interessenserklärung. Bei möglichen Konflikten sollen sie abberufen werden. All das sollte einschließlich der Prüfung eigentlich spätestens bis zum Ablauf des Jahres 2016 geschehen. Doch merkwürdig: Knapp drei Wochen vor Ablauf der Frist ist für keines der PASAG-Mitglieder eine solche Interessenerklärung im Register hinterlegt. Zwar heißt es auf der zugehörigen Webseite, wegen der neuen Regeln könnten bis zum 31. Dezember 2016 manche Informationen unvollständig sein.

Doch im Fall ihrer Sicherheitsberater haben Kommissar Avramopoulos und seine Beamten es offenbar nicht eilig. Bisher, so schreibt die Sprecherin des Lobbyverbands EOS, sei ihnen nicht einmal das nötige Formblatt zugegangen. Hier geht es zurück zum Dossier.

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