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Die US-amerikanische Mezzosopranistin Joyce DiDonato tritt in der ganzen Welt auf.

© Sebastian Kahnert/dpa

Die Opernsängerin Joyce DiDonato: "Meine Beine wachsen fünf Meter in den Boden"

Bevor Joyce DiDonato Opernsängerin wurde, flambierte sie als Kellnerin Tournedos Rossini am Tisch. Nun wurde sie beim Echo Klassik als Sängerin des Jahres ausgezeichnet.

Frau DiDonato, Kritiker feiern Ihren Gesang als „göttlich“, „engelsgleich“ und „überirdisch gut“. Sind Sie schon im Himmel oder noch auf Erden?

In letzter Zeit eher in der Hölle angesichts der politischen Situation in den USA. Ich lese Kritiken mit großer Distanz, weiß, dass man heute gefeiert und morgen niedergemacht wird. Mein Barometer ist das, was im Theater passiert. Wenn das Publikum so gebannt ist, dass niemand hustet, man das Gefühl hat, alle halten den Atem an – das ist alles, was ich brauche. Mehr noch als den Applaus am Schluss. Sicher ist der wunderbar, aber manchmal wirkt er auch etwas gezwungen. Die Leute denken: Oh, dies ist Placido Domingo, da müssen wir aufstehen. Aber diese kollektive Ergriffenheit, die kann man nicht vortäuschen.

Dann heben Sie ab?

Es ist ein Paradox. Beim Singen geht man ja tiefer und tiefer in seinen Körper. Die Gesangslehrer reden viel über diese Erdung: Deine Beine müssen sich wie Baumstämme anfühlen, die zwei Meter in die Erde wachsen, drei Meter, fünf Meter. Du gehst immer tiefer, damit der Klang hochgehen kann. Ich habe wirklich das Gefühl, ich bin in meinem Körper und Huuuh!, der Atem fegt buchstäblich durch mich durch, fast wie eine Rakete.

Und Sie gehen durch die Decke.

Es klingt vielleicht ein bisschen komisch, aber während der Atem steigt, setzt die Zeit aus. Plötzlich bin ich verbunden mit der Vergangenheit, mit Mozart oder Rossini, mit den Figuren und den Sängern, die sie im Laufe der Zeit gesungen haben. Das ist tatsächlich ein „larger than life“-Erlebnis. Nicht, dass ich überlebensgroß werde – das beobachte ich bei manchen Darstellern, und es sind nicht meine liebsten, die sich selber aufblasen. Der Zuhörer wird reingezogen und erlebt dieses Aussetzen der Zeit genauso. Das ist nicht von dieser Welt. Dafür gehen die Menschen in die Oper.

Und wie versetzen Sie sich in diesen Zustand?

Das ist eine Kombination aus mentaler Arbeit und Yoga. Ich pflege Dankbarkeit und Demut, dass ich tun kann, was ich gerne mache – auf den großen Bühnen der Welt. Natürlich, manchmal bin ich in einer schrecklichen Produktion oder einfach physisch erschöpft. Einer der besten Wege, mich in diesen Zustand zu versetzen, ist daher: Schlaf.

JOYCE DIDONATO, 48
JOYCE DIDONATO, 48

© Florian Kalotay / 13 Photo

Sie waren als Kind gar nicht interessiert an Opern. Wie würden Sie jemanden, der noch nie im Musiktheater war, locken?

Wenn es gut gemacht ist – und oft ist es das nicht, dann ist es unerträglich –, erleben Sie Menschen auf einer olympischen Ebene der Darbietung, und zwar ohne Verstärker. Das ist heute ein seltenes Ereignis. Sie betreten eine Welt jenseits des Alltags, bekommen die Chance, historisch etwas zu begreifen, eine andere Kultur zu verstehen. Die Musik ist wie Mona Lisa, zum Leben erweckt. Da passieren unglaubliche Dinge, auf einer intellektuellen, emotionalen und psychologischen Ebene. Ja, sogar auf der physischen: Die Schwingungen des Klangs haben Auswirkungen auf Ihren Körper. Sie durchleben extrem gesteigerte Gefühle.

Haben Sie im Zeitalter Donald Trumps nicht eher zu viele extreme Gefühle?

Absolut, ja. Auch in meiner Familie haben einige für ihn gestimmt, und ich weiß nicht, wie ich damit umgehen soll. Es macht mich wütend. Weil ich es als persönlichen Affront gegen mich und meine Freunde betrachte, die schwul sind, die schwarz sind, gegen mich selbst als Künstlerin. Für mich ist Trump ein Angriff auf alles, was mir wertvoll ist. Trotzdem will ich nicht in der Wut stecken bleiben, lieber Verbindendes suchen. Musik kann so etwas sein.

Als Opernsängerin müssen Sie dauernd maßlose Emotionen darstellen. Wie kommen Sie da hinein?

Bei den Proben gehe ich so weit, wie ich als Schauspielerin gehen möchte, teste aus, wo das Limit ist. Wird man zu emotional, reagiert die Stimme nicht, wie sie soll. Wenn du auf der Bühne anfängst zu weinen, schnürt es dir die Kehle zu.

Und wie kommen Sie nach einer solchen Aufführung wieder runter?

Das ist jetzt nicht sehr poetisch. Ich trinke gern ein Bier. Mit wachsender Bühnenerfahrung wird die Grenze zwischen einem selbst und der Rolle auch klarer. Wenn du jung und begierig bist, begibst du dich ganz hinein in die Figur. Früher habe ich meine Rollen gelebt. Inzwischen habe ich mehr Vertrauen zu mir als Darstellerin und zum Stoff.

Rossini scheinen Sie besonders zu lieben. Warum kommen Sie immer wieder auf ihn zurück?

Seine Musik passt mir wie angegossen. Rossini, auch Händel und Mozart – da ist meine Stimme glücklich. Viele seiner Opern sind zudem voller Freude, Komödien. Und ich habe bei Rossini immer starke, unabhängige Frauen gespielt. Das gefällt mir, das schlachte ich auch aus.

"Ich mag die Hosenrollen sehr"

Joyce DiDonato als Romeo in Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ am Gran Teatro Liceo in Barcelona.
Joyce DiDonato als Romeo in Bellinis „I Capuleti e i Montecchi“ am Gran Teatro Liceo in Barcelona.

© EPA/MARTA PEREZ/DPA

Es gibt Leute, für die ist Rossini einfach ein Steak. Haben Sie es mal probiert?

Klar! Tournedos Rossini habe ich als Kellnerin selbst am Tisch flambiert.

Professioneller Service.

Ich war eine gute Kellnerin, hab das ungefähr zehn Jahre lang gemacht. Als Opernsängerin bin ich ja eine Spätzünderin, a late bloomer, musste zusehen, wie ich meinen Lebensunterhalt verdiene.

Was hat Sie zu einer guten Kellnerin gemacht?

Ich glaube, dass ich gut kommunizieren kann. Ich konnte einen Tisch lesen, habe verstanden: Dies ist ein Geschäftstreffen, dies ein romantisches Dinner, diese Leute fühlen sich wohl, denen musst du schmeicheln ... Es ging darum, die Bedürfnisse an jedem Tisch zu verstehen. Und ich war eine gute Entertainerin.

Rossini hat sehr gerne gegessen, Sie nennen sich selbst einen Foodie ...

Ich liebe Essen. Ich habe großes Glück: Mein Partner ist ein wunderbarer Koch. Wir leben in Barcelona, und wenn er dort in die Markthalle geht, kommt er oft mit irgendeinem Tier zurück, brät es mit Rosmarin, improvisiert herum, einfach himmlisch!

Und wieso Barcelona?

Er ist Tänzer und lebte schon dort, als wir uns kennenlernten. Innerhalb einer Dreiviertelstunde nach der Landung in Barcelona schalte ich ganz von selbst in einen niedrigeren Gang. Würde ich in London, Berlin oder New York leben, wäre ich ununterbrochen im Arbeitsmodus.

Hat es Ihnen geholfen, erst spät zur Oper zu kommen?

Hundert Prozent. Ich bin darauf gestoßen, als ich bereit war. Ich würde nichts ändern wollen an meiner Karriere, auch wenn es anfangs frustrierend war, weil so viele Leute an mir vorbeizogen. Ich war schon 35 bei meinem ersten Auftritt an der Metropolitan Opera, meinen ersten Plattenvertrag habe ich mit 37 bekommen. Zu wissen, dass ich mir das Schritt für Schritt selbst aufgebaut habe, verleiht mir Sicherheit, auch ein Gefühl von Anspruch.

Sie spielen männliche Figuren. Als Mezzosopranistin ist Ihnen diese Ambivalenz von männlich und weiblich sowieso eigen. Macht Ihnen das Spaß?

Ich mag die Hosenrollen sehr. Das sind die Figuren mit der größten dramatischen Entwicklung. Außerdem haben sie etwas sehr Befreiendes. Männer sind im Allgemeinen direkter. Es war, als hätte ich die Lizenz bekommen, im Leben einfach zu sein, wer ich bin. Ich habe kein Interesse daran, irgendwelche Spiele zu spielen.

Das heißt, Sie sind selber direkter geworden?

Ja. Das spart viel Zeit und Energie. Mein Partner kommt aus Argentinien, da sagen sie dir auch immer, was sie denken. Als er mir das erste Mal erklärte, dass ihm etwas, was ich gekocht hatte, nicht schmeckt, war ich total beleidigt. Er meinte, wäre es dir lieber, ich esse es und du kochst es mir noch zehn Mal und jedes Mal schmeckt’s mir nicht? Mein erster Gedanke war: Ja. Und dann dachte ich, das ergibt ja überhaupt keinen Sinn. Ich komme aus dem Mittleren Westen. Das heißt, du lächelst, fragst: „Wie geht’s?“ – „Oh, sehr gut.“ Niemand lässt raus, was er wirklich denkt.

Zugleich loben Sie gern die Bodenständigkeit dort.

Genau. Es ist selbstverständlich, dass man hart arbeitet, sich nicht über andere Leute erhebt, dass man weiß, jeder gibt sein Bestes und hat eine Chance verdient.

"Halt mal, dürfen wir das?!"

2012 bekam DiDonato einen Grammy.
2012 bekam DiDonato einen Grammy.

© EPA/MICHAEL NELSON

Wie war es, in einer musikalischen Großfamilie in Kansas aufzuwachsen, mit sieben Kindern? Das klingt fast wie in dem Film „The Sound of Music“.

Oft war’s tatsächlich so. Wir hatten zwei Pianos, alle haben gesungen, bis auf meinen Bruder Paul, er ist eine Katastrophe. Ich hab’ von klein auf Klavier gespielt, zur selben Zeit Noten wie Buchstaben lesen gelernt. Wir haben um den Flügel gestanden und Weihnachtslieder gesungen. Mein Vater war Leiter des Kirchenchors, nach der Mitternachtsmesse liefen wir nach Hause und schmetterten „Joy to the World“. Und im Alltag hörte mein Bruder im Keller AC/DC und Heavy Metal, meine Schwester in der Mitte sang „Jesus Christ Superstar“ und Barbra Streisand, mein Vater machte die Tür zu und legte seinen Bach auf, und zur Cocktailstunde erklang Big-Band-Musik.

Was haben Sie gehört?

Billy Joel und Michael Jackson. Mit meiner Bürste als Mikrofon habe ich mich vor den Spiegel gestellt.

Später wollten Sie Gesangslehrerin werden, für Chormusik. Wie haben Sie die Oper entdeckt?

Das kam tatsächlich beim Singen. Früher hatte ich bei Opern immer nur den Text verstanden, aber nicht den Klang. Als meine Lehrerin mir dann Atmung und Phonation beibrachte, habe ich plötzlich eine Verbindung gespürt. Und dann sah ich Cecilia Bartoli und dachte: Oh! Jetzt kapiere ich es.

Von ihr haben Sie die Freude am Singen gelernt?

Viele Sänger standen ja damals einfach nur da und haben etwas vorgetragen. Und plötzlich, das muss 1992/’93 gewesen sein, sah ich diese junge Frau rumhüpfen und singen, so voller Leben! Halt mal, dürfen wir das?! Man hatte uns beigebracht, zum Flügel zu gehen, scheu die Hand daraufzulegen und etwas Adrettes zu liefern. Da kommt Cecilia Bartoli raus und schmettert mit fröhlicher Stimme: „Ich liebe euch alle! Hört euch mal diese Musik an!“ Sie hat sie verkörpert.

Sie haben mal gesagt, dass die Stimme die Seele widerspiegelt. Können Sie das erklären?

Da muss ich wieder zum Atmen zurückkommen. Es ist das Erste, was wir tun im Leben, und das Letzte, es ist die Grundlage des Lebens. Jeder Atem ist einmalig, wie ein Fingerabdruck. Und er gibt unsere wahren Gefühle preis. In der Sekunde, in der wir emotional werden, fängt die Stimme an zu zittern. Sie verrät, wer wir sind, besonders beim Singen. Je länger ich Gesang studiere, desto klarer wird mir, es geht weniger darum, etwas zu tun, als darum, etwas zuzulassen. Die Sperren zu finden und zu lösen, den Atem so kommen zu lassen, wie ein Baby das instinktiv beherrscht. Je stärker wir loslassen, desto reiner ist der Klang. Beim Singen schwingen Vibrationen mit, die kommen aus dem tiefsten Innern. Man kann da etwas vermitteln, was Worten allein nicht gelingt.

Im Booklet zu Ihrer neuen CD „In War & Peace – Harmony through Music“ haben Sie den Text eines Strafhäftlings abgedruckt.

Joseph. Ich lernte ihn bei meinem ersten Besuch im Hochsicherheitsgefängnis Sing Sing kennen, im Rahmen eines Kompositionsprogramms, das die Carnegie Hall dort anbietet. Er schrieb ein Duett.

Worum ging’s?

Es waren drei Strophen. In der ersten erzählt er, warum er sich, wegen seiner Hautfarbe, in Amerika bis heute wie eine Sklave fühlt. Zweite Strophe: „Zwei Kugeln. Nur zwei Kugeln waren nötig, um ihn niederzustrecken.“ Er sprach von dem Mord, den er begangen hatte. Joseph ist ein großer, starker Mann, und ich stand direkt neben ihm. Ich dachte: „Was passiert da jetzt?“ In der dritten Strophe sang er: „Was ist mit den Zeiten, als die Liebe, die gute altmodische Liebe, mir in die Augen geblickt hat und ich mich abgewandt habe?“ Dann drehte er sich zu mir: „Jetzt sind Sie dran.“ Beim Konzert eine Woche später hat er das Stück dem Opfer seines Verbrechens gewidmet. Was etwas ganz Außergewöhnliches ist, vor Mithäftlingen – so was macht man da nicht.

Und dann?

Zehn Monate später, im vergangenen Herbst, bin ich zurückgekehrt, er betrat als Erster den Raum – und plötzlich war da Licht in seinen Augen. Er nahm meine Hand: „Miss Joyce, ich habe Ihnen so viel zu erzählen! Ich hatte keine Ahnung von der Existenz dieser Welt. Und jetzt höre ich alles, was ich kriegen kann, Verdi, Wagner, tonal, atonal, weiß, dass ich eine Oper schreiben muss.“ Ein Typ aus einer der schlimmsten Gegenden New Yorks, voller Drogen und Kriminalität. Ich war immer davon überzeugt, dass Musik Menschen verändern, heilen kann. Aber es ist etwas ganz anderes, ob ein wohlsituiertes Konzertpublikum sagt, dass es berührt ist, oder ein verurteilter Mörder.

Warum singen Sie als Zugabe eigentlich so oft den Musical-Song „Over the Rainbow“?

Das ist die Musik, die ich mit elf in Kansas gesungen habe, mit dem Bürsten-Mikrofon vor dem Spiegel und dem Traum, auf der Bühne zu stehen. Mir gefällt die Botschaft, die einfache Melodie – es ist sehr amerikanisch: dass du alles schaffen kannst, was du dir in den Kopf setzt. Da komme ich her.

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