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Der Ursprung allen Streetfoods. Jahrhundertelang wurde die Pizza von fliegenden Händlern verkauft.

© laif/Dagmar Schwelle

Die besten Pizzerien in Neapel: Die Welt isst eine Scheibe

Der Teig ist elastisch, im Steinofen backt er gerade mal 90 Sekunden: Die echte Pizza gibt es nur am Vesuv – sagen die Neapolitaner. Wo gibt es die beste?

Es sieht aus wie Gerangel, könnte aber auch schon die Vorstufe einer Prügelei sein, was da mittags vor der Pizzeria Di Matteo stattfindet. Die ohnehin schon enge Via dei Tribunali ist komplett verstopft. Die Studenten strömen aus der Universität von Neapel, die Touristen stürzen sich nach Kirchen, Kreuzgängen und Katakomben raus ins Gassengewirr der Altstadt, die Angestellten wollen schnell was zum Essen auf die Hand. Und dazwischen hupt sich noch die unvermeidliche Vespa durchs Gedränge.

Die Sonne scheint, doch der Himmel ist in der tiefen Gasse nur ein schmaler, blauer Schlitz, so dicht stehen die Palazzi sich hier gegenüber. Auch wenn sie keine Wäscheleine verbindet: Mehr Neapel als in der Via dei Tribunali geht kaum. Sie ist eine der ältesten Straßen der Stadt. Schon in der Antike verband sie den Ost- mit dem Westteil. Heute schlägt hier das kulinarische Herz Neapels.

Eng an eng reihen sich Enotecas an Trattorien. In den Eisdielen türmen sich die Gelati-Sorten wie Wolken auf einem Caravaggio-Gemälde. In den Cafés jagen Keller mit Jackett und Schiffchen auf dem Kopf mit zehn Bar Druck das heiße Wasser durch die Espressomaschinen. In der berühmten Konditorei Scaturico drücken Kinder ihre Nasen an die Vitrine, hinter der die Sfogliatelle liegen – ein mit süßer Ricottacreme gefülltes Gebäck aus hauchdünnem Blätterteig. Für den größten Aufruhr in der Via dei Tribunali aber sorgen die Pizzerien. Davon hat Neapel fast so viele wie Marienstatuen.

Kuppelofen – der Stolz einer jeder neapolitanischen Pizzeria

Neben dem Fußball gehört das Essen zu den großen Passionen der Neapolitaner. Doch während man beim Fußball seine ganze Liebe den Geschicken des SSC zuwenden darf, ist die Sache mit der Pizza komplizierter. Wo es nämlich die beste Pizza gibt, das ist ein Gegenstand lebhafter Debatten.

Auf Di Matteo können sich immerhin so viele einigen, dass ein Durchkommen kaum möglich ist. Den Eingang des kleinen, 1936 eröffneten Imbisses bewacht ein Türsteher mit breiten Schultern und finsterer Miene. Links neben ihm blubbert in einer Fritteuse das heiße Fett, darin badet eine Pizza fritta, eine Nachkriegserfindung, als das Holz zu knapp war, um damit Pizza zu backen. Rechts in der Theke stapeln sich die in Fett ausgebackenen Auberginen und Zucchini, frittierte Reisbällchen und Crocchè, panierte Kartoffelbällchen. Hinten rechts im Eck thront der imposante, mit goldenen Mosaiksteinchen verzierte und mit Holz angefeuerte Kuppelofen – der Stolz einer jeder neapolitanischen Pizzeria.

Infernalisch heiß ist so ein Ofen. Etwa 500 Grad. Gerade mal 90 Sekunden ist hier die Pizza drin, dann holt sie der Pizzaiolo mit seinen langen Schaufeln wieder raus. Damit der Teig in dieser kurzen Zeit aufgeht, muss er vorher lange reifen. So entwickelt er neben dem Aroma auch die nötige Elastizität, damit er in den paar Sekunden in der Hitze ordentlich luftig wird. Auch das Wasser soll dazu einen Beitrag leisten. In Neapel hat es besonders wenig Kalk.

Die Pizza war immer schon ein Stück Lokalpatriotismus

So groß die Uneinigkeit darüber ist, wo es die beste neapolitanische Pizza gibt, herrscht immerhin eine gewisse Einigkeit in der Frage, was sie ausmacht. Dafür hat die Associazione Verace Pizza Napoletana gesorgt. Seit 1984 verteidigt die Lobby die Pizza gegen Epigonen aus aller Welt (und aus der Tiefkühltruhe). Der Kern der Botschaft: Alle Zutaten müssen aus Neapel sein, der Teig handgemacht. Inzwischen hat die neapolitanische Pizza sogar ein eigenes EU-Warenzeichen: EU 97/2010. Dass der Ofen auch mit Gas beheizt werden darf, darüber lässt man mittlerweile mit sich reden.

Die Pizza war immer schon ein knuspriges Stück Lokalpatriotismus – wobei: knusprig, das ist relativ. Denn das ist sie nur am Rand. Eine croccante, dünn wie ein Eierkuchen und kross wie ein Knäckebrot, die backen die Römer. Doch natürlich wurde die Pizza am Fuße des Vesuvs geboren, da ist man sich in Neapel sicher. Schließlich wurden schon in den Trümmern Pompejis platte Fladen gefunden – möglicherweise die Ur-Pizzen. Seit dem 18. Jahrhundert tauchten die mit Tomaten belegten runden Teigstücke im Straßenbild auf. Schriftsteller wie Alexandre Dumas, Mark Twain und Mathilde Serao erwähnen sie in ihren Berichten über die Stadt, allerdings meist, um die Armut der Neapolitaner zu illustrieren. Dieses Image änderte erst Margherita von Savoyen, die Frau von König Umberto I. Sie ließ sich 1889 auf ihrem Besuch in Neapel drei Pizzen servieren und beglückwünschte den Pizzaiolo Raffaele Esposito für seine Kreationen – insbesondere für die mit Tomate, Mozzarella und Basilikum, die fortan den Namen der Königin tragen sollte.

Eine wichtige politische wie menschliche Geste. Der Mezzogiorno war zwar für seine Lebenslust berühmt, aber für seine hygienischen Verhältnisse berüchtigt. Immer wieder suchte die Cholera die damals am dichtesten besiedelte Metropole Europas heim. Ist die Pizza heute das mit ziemlicher Sicherheit meistgegessene Gericht der Welt, war sie damals ein Symbol für die Armut der lazzari, der Unterschicht Neapels. Und ein potenzieller Krankheitsüberträger. Immerhin wurden die Pizzen früher von fliegenden Händlern oft stundenlang durch die Gassen getragen.

Bill Clinton war auch schon da

Pizzerien wie Di Matteo gelten heute selbst als Sehenswürdigkeiten.
Pizzerien wie Di Matteo gelten heute selbst als Sehenswürdigkeiten.

© promo

Heute sind die Pizzerien Neapels längst selbst Sehenswürdigkeiten. Im Di Matteo hängt ein etwas angelaufenes Foto über dem Eingang, das Bill Clinton zeigt, der 1994 auf Staatsbesuch in der Via dei Tribunali eine Runde drehte und bei Di Matteo einkehrte. Darauf beißt der US-Präsident guter Dinge in eine „Pizza a libretto“: einmal in der Mitte gefaltet und noch mal, sodass ein Viertel entsteht, wie bei einer Crêpe, die man mit der Hand gut essen kann.

Ein paar Hausnummern weiter wacht Gino Sorbillo streng über das Schicksal der vielen Hungrigen, die hier vor der Pizzeria auf der Straße Schlange stehen. Sorbillo hat ein Clipboard in der Hand, wo er die Namen der Wartenden notiert. Wird drinnen ein Tisch frei, krächzt ein etwas rachitischer Lautsprecher Namen und Zahlen.

Die Sorbillos sind eine Familie, wie sie sich Elena Ferrante nicht besser für einen ihrer Neapel-Romane hätte ausdenken können. Luigi Sorbillo gründete 1935 eine Pizzeria in der Via dei Tribunali 35. Er hatte 21 Kinder, von denen 20 Pizzabäcker lernten. Nur einer, Osvaldo, wollte lieber Eisenbahner werden. Die Geschichte steht auch auf den Papierservietten im Sorbillo. Was dort nicht steht: Es gibt noch zwei andere Sorbillo-Pizzerien. Die eine in der Hausnummer 32, die andere in der 38. Nachfahren von Opa Luigi. Nach allem, was man hört, ist das Verhältnis der dritten Generation der Pizzadynastie untereinander wenig harmonisch.

In der ältesten Pizzeria der Welt gibt es weder Gerangel noch Wartelisten

Gino hat es am weitesten gebracht. Der Papst war schon da, Dolce und Gabbana schauten vorbei, als sie ihre Herbst-Winter-Kollektion 2016/17 in der Altstadt fotografierten, und sogar Starkoch Massimo Bottura hat sich mal an den beiden mit einer Mischung aus Oliven-, Buchen-, Eichen- und Kirschholz befeuerten Kuppelöfen versucht. Dem Dreisternekoch, aktuell Platz zwei auf der San-Pellegrino-Liste der weltbesten Restaurants, ist eine eigene Pizza gewidmet, die Gennaro (8,50 Euro).

In der Antica Pizzeria Port d’Alba am ehemaligen Stadttor gibt es weder Gerangel noch Wartelisten. Schon seit 1830 steht hier ein Gasthaus, das als älteste Pizzeria der Welt gilt.

Es geht gemächlich zu. Im Erdgeschoss hängen üppige Bündel der berühmten San-Marzano-Tomaten, die hier auch in die Sauce kommen, im Obergeschoss laufen 80er-Jahre-Synthiepop-Klassiker im Fernsehen. Keine Spur von dem Hype um die Pizza Napoletana, der in den letzten Jahren auf der ganzen Welt ausbrach. Immerhin war es 2006 ein Japaner, der den alljährlich in Neapel stattfindenden Wettbewerb im Pizzabacken gewann.

Ganz hinterm Mond lebt man nicht. So klassisch die graumelierten Kellner in kurzärmligen weißen Hemden und schwarzen Westen aussehen mögen, so traditionell die im Lavasteinofen gebackenen Pizzen sind, serviert werden sie mit einer guten Auswahl an lokalen Craft-Bieren. So viel Zeitgeist gönnt man sich auch in neapolitanischen Traditionsgaststätten.

Reisetipps für Neapel

HINKOMMEN

Neapel wird mehrmals pro Tag von Berlin aus angeflogen. Mit Easyjet geht es nonstop ab Schönefeld. Der Flug dauert rund 2,5 Stunden.

UNTERKOMMEN

Das Boutiquehotel Santa Chiara in der Via Benedetto Croce liegt mitten in der Altstadt und damit in Laufweite vieler Sehenswürdigkeiten – und Pizzerien. Doppelzimmer kosten um 200 Euro (santachiarahotel.com).

RUMKOMMEN

Berühmt sind die Katakomben von Neapel, und vom Castel Sant’Elmo hat man einen fabelhaften Blick bis zum Vesuv. Wer wenig Zeit hat, schaut sich besser die Ausgrabungen in Herculaneum an als Pompeji. Die Anlage ist kleiner und schneller zu erreichen.

Felix Denk

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