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Nahaufnahme. Die Delfine in Eilat sollen selbst bestimmen, ob und wie viel Kontakt sie zu den Menschen haben.

© Galit Amiel

Delfinschwimmen: Delfineküssen verboten!

Plötzlich ist Raja da. Riesenkopf. Riesenauge. Die Delfine vor der israelischen Küstenstadt Eilat entscheiden selbst, mit wem sie spielen. Zu seinem Glück haben sie unseren Autor auserkoren.

Plötzlich ist Raja da. Riesenkopf. Riesenauge. Keine Flossenlänge entfernt. Schwamm sich einfach in den Weg. Entweder ist er sehr neugierig oder sehr dreist. Überraschende erste Erkenntnis: Delfine haben starken Unterbiss. Auf Rajas Unterlippe haften kleine Steine. Wahrscheinlich hat er gerade im Boden gewühlt. Sagt man eigentlich Lippe bei Delfinen?

Später wird Maayan behaupten, die Begegnung sei kein Zufall gewesen. Weil Raja jedes Mal ankomme, sobald sie mit einer Gruppe ins Wasser steige. „Das zwischen Raja und mir, das ist eine Freundschaft.“ Maayan, 27, sagt, sie wisse selbst nicht, wie sie zu der Ehre komme. „Das Tier wählt einen aus.“ Andere Delfine bevorzugten andere Trainer.

Man würde Raja jetzt gern streicheln. Weil er so unglaublich nah ist und die Gelegenheit günstig. Weil er so wirkt, als hätte er sicher nichts dagegen. Außerdem möchte man ja wissen, wie sich Delfinhaut anfühlt. Leider ist Streicheln hier verboten. Wer es trotzdem versucht, muss raus aus dem Wasser und die Sachen packen. Maayan sagt, das sei keine leere Drohung, das ziehe sie locker durch.

Kann es das geben: ein richtiges Delfinleben im falschen?

Einmal im Leben mit Delfinen schwimmen. Ein Klassiker auf Reisewunschlisten. Aber auch einer, bei dem sich Touristen fragen, ob das ethisch vertretbar ist – besonders wenn die Tiere, wie an rund 330 Orten weltweit, in Gefangenschaft gehalten werden. Schutzorganisationen haben schlimme Quälereien aufgedeckt. Haben öffentlich gemacht, dass die Delfine in viel zu engen Becken vegetieren, mit Psychopharmaka ruhiggestellt werden, Verhaltensstörungen entwickeln. In Eilat findet man all das nicht, sagt Maayan. Das Wohl des Tieres stehe an erster Stelle. Klingt sehr sympathisch. Aber kann es das überhaupt geben: ein richtiges Delfinleben im falschen?

Eilat liegt an der Südspitze Israels. Der zwölf Kilometer breite Küstenabschnitt zwischen Ägypten und Jordanien ist Israels einziger Zugang zum Roten Meer und damit zum Indischen Ozean. Weil das Wasser hier niemals kälter wird als 20 Grad, gilt Eilat als wichtigster Badeort des Landes. Breite Strandpromenade mit Palmen, ein Hotelkomplex neben dem anderen, dominante Duftnote: Sonnenmilch. Das „Dolphin Reef“ befindet sich etwas außerhalb in einer versteckten Bucht, die über einen Schotterparkplatz und einen kleinen Hohlweg zu erreichen ist. Es gibt Sandstrand, selbstgezimmerte Holzhütten, allerhand bequeme Sitz-, Liege- und Herumlümmelmöglichkeiten, Cappuccino und frische Waffeln mit Apfelmus. Alles ein bisschen wie in einer Berliner Strandbar. Bloß ohne Musik. Und eben mit Delfinen im Wasser.

Deren Areal ist durch einen Zaun vom offenen Meer abgetrennt. 14 000 Quadratmeter, das sind zwei Fußballfelder, bis zu 25 Meter tief. Das Wasser ist klar und leuchtet türkis. Wer mit den Tieren schnorcheln will, bekommt erst mal eine Unterweisung. Da erfährt er, was er hier alles nicht erleben wird: Delfine, die Menschen auf Wangen küssen. Menschen, die sich an Flossen festhalten und durchs Wasser ziehen lassen. Delfingeschnatter auf Kommando. Luftsprünge gegen Belohnung.

"Wir hassen Sea World"

Die Delfine sind undressiert. Sie sollen selbst bestimmen, ob und wie viel Kontakt sie zu den Menschen haben, die zu ihnen ins Wasser steigen. Im schlechtesten Fall wird sich gar kein Delfin blicken lassen. Geschieht selten, sagt Maayan, ist aber schon vorgekommen. Dann gibt es die 290 Schekel zurück, 75 Euro sind das, oder der Gast darf es am nächsten Tag erneut versuchen.

Wahlbekanntschaft. Kontakt zu den Tieren gibt es nur, wenn die es wollen. Sie sind undressiert.
Wahlbekanntschaft. Kontakt zu den Tieren gibt es nur, wenn die es wollen. Sie sind undressiert.

© Dafna Tal/MoT

Fünf Tiere leben hier. Allesamt Große Tümmler, Tursiops truncatus. Nicht die häufigste, aber dank „Flipper“ die bekannteste Delfinart. Maayan verzieht das Gesicht, wenn man sie auf die Fernsehserie anspricht. Oder auf die weltweite Delfin-Einsperr-Industrie, die Flippers Erfolg verursachte. „Wir hassen Sea World“, sagt sie. Dann entschuldigt sie sich fürs „Hassen“, das sei ein hartes Wort, ihr falle bloß kein passenderes ein.

Die Anlage in Eilat wurde Anfang der Neunziger gebaut. Weil die Gründer keine Wildfänge wollten, kauften sie ihre ersten Tiere einem russischen Forschungszentrum am Schwarzen Meer ab.

Raja, der Delfin mit den Steinen auf der Unterlippe, ist elf Jahre alt und hier in Gefangenschaft geboren. Wobei es Gefangenschaft nicht wirklich trifft. Vor anderthalb Jahren fuhr ein Motorboot zu nah an das Dolphin Reef und riss ein Loch in den Zaun. Die Betreiber dachten sich: Reparieren wir das mal nicht und beobachten, was passiert. Seitdem können die Delfine jederzeit die Bucht verlassen und raus ins offene Meer. Das tun sie auch, meist am späten Nachmittag, wenn die Anlage schließt und die Besucher nach Hause gehen. Dann ist es draußen aufregender, sagt Maayan. Spätestens am nächsten Morgen ist die Gruppe wieder vollzählig.

Delfine sind gar nicht so lieb als häufig angenommen

Ein Holzsteg ragt weit in die Bucht hinein. Von hier aus kann man die Delfine beobachten, ohne selbst nass zu werden.
Ein Holzsteg ragt weit in die Bucht hinein. Von hier aus kann man die Delfine beobachten, ohne selbst nass zu werden.

© Dana Gonda/Dolphin Reef

Pro Tour nimmt Maayan maximal drei Touristen mit. Die müssen sich beim Schnorcheln gegenseitig an den Händen festhalten, kommen nur dank Gummiflossen vorwärts. Damit sie bei plötzlichem Delfinkontakt nicht doch vor Aufregung losstreicheln und Maayan hart durchgreifen muss, sollen sie alle freien Hände an ihren Bäuchen ablegen.

Auf der Tour durchs Gehege zeigen sich nach Raja auch die anderen Delfine, sie beobachten aus der Entfernung oder schwimmen unter einem durch. Neo dreht Pirouetten. Das sei kein antrainiertes Kunststück, sagt Maayan, sondern der pure Spieltrieb. „Neo neigt zur Albernheit.“ Sie kann sie alle unterscheiden: Nana hat zwei Kerben in der Schwanzflosse, Neo den dunklen Fleck auf der rechten Seite, Luna ist heller als die anderen und hat eine leichte Maserung auf der Stirn. 30 Prozent ihres Nahrungsbedarfs bekommen die Delfine über den Tag verteilt abseits der Touren zugefüttert. Hering, Makrele, Weißling. Den Rest müssen sie sich erjagen.

Auch dabei kann man sie im Areal beobachten. Manchmal sogar beim Flirten oder Zanken. Die weitverbreitete Vorstellung, Delfine seien nicht nur die intelligentesten, sondern auch die friedfertigsten und gutmütigsten Tiere des Planeten, hat die Forschung inzwischen widerlegt. In freier Wildbahn wurden männliche Exemplare beobachtet, die in Kleingruppen Weibchen vergewaltigen oder zum Vergnügen junge Schweinswale töten. Im Dolphin Reef gab es noch keine ernsten Vorfälle, sagt Maayan.

In Eilat suchen die Delfine bewusst den Kontakt zu den Menschen

Der Meeresbiologe und Verhaltensforscher Karsten Brensing hat in der Bucht für seine Dissertation an der Freien Universität Berlin geforscht. Er wollte wissen, wie sich die Tiere in „unstrukturierten Schwimmprogrammen“ verhalten. So heißt es in der Fachsprache, wenn Delfine nicht dressiert sind und für die Begegnung mit dem Menschen kein Futter als Belohnung erhalten. Brensing hat Videokameras und Unterwassermikrofone installiert und zum Vergleich dasselbe in einer Anlage in Florida getan.

Ergebnis: In Florida, wo das Gehege deutlich kleiner und die Anzahl der Besucher größer ist, wichen die Delfine den Menschen aus. Sie tauchten tiefer und schwammen schneller als außerhalb der Öffnungszeiten. In Eilat, sagt Karsten Brensing, suchten die Delfine bewusst den Kontakt zu den Besuchern. Er glaubt, das liege an den Rückzugsmöglichkeiten.

In den Anfangsjahren waren die Regeln deutlich lascher

Zur Anlage des Dolphin Reef gehört auch ein Holzsteg. Er reicht weit aufs Wasser hinaus. Nach dem Schnorcheln kann man sich hier auf die Planken setzen und die Beine im Wasser baumeln lassen. Wenn nun ein Delfin ankommt, darf man ihn tatsächlich berühren, sagt Tal Fisher. Die Mittdreißigerin ist die Cheftrainerin des Dolphin Reefs. Sie sagt, der Strand sei Anfang der Neunziger eine ziemliche Müllhalde gewesen, und dann hätten ein paar junge Leute eben eine gute Idee gehabt. In den Anfangsjahren waren die Regeln deutlich lascher. Da durfte man sogar streicheln. „Die Folge war, dass die Delfine auf Abstand gingen. Sie genießen es nicht, von Fremden betatscht zu werden. Das mussten wir aber erst lernen.“

Schon früher gab es mal ein Loch im Zaun, auch damals konnten die Delfine frei wählen, ob sie sich innerhalb oder außerhalb des Areals bewegten. Leider kamen Touristen, die von Booten aus fütterten. Manche versuchten, auf den Delfinen zu reiten. Die Gründer mussten den Zaun schließen und waren frustriert. „Wir wissen nicht, ob es dieses Mal besser klappt und die Delfine auf ewig frei herumschwimmen können“, sagt Fisher. Das klinge jetzt vielleicht ein wenig kitschig. Aber es komme letztlich, wie so oft, nur darauf an, wie der Mensch sich verhalte.

Tipps für Delfin-Urlaube

ISRAEL

Im „Dolphin Reef Eilat“ schnorcheln Touristen maximal zu dritt zu den Tieren. Für 75 Euro gibt es eine halbe Stunde Einweisung und eine halbe Stunde Schnorcheln. Alternativ kann auch getaucht werden. Danach darf man den Tieren vom Steg aus zusehen, am Strand liegen oder ein Schwebebad nehmen. Kontakt und weitere Informationen unter www.dolphinreef.co.il.

CURACAO

Auf der kleinen Insel vor der Küste Venezuelas gibt es eine „Dolphin Academy“. Dort können Besucher in einer natürlichen Lagune mit Delfinen schwimmen (170 Euro pro halbe Stunde). Mehrmals die Woche dürfen die Delfine ins offene Meer – aber nur einzeln und in Begleitung eines Boots. Der Betreiber will so sicherstellen, dass sich kein Delfin einem wilden Schwarm anschließt. Infos unter dolphin-academy.com.

SOUTH AUSTRALIA

Die „Dolphin Cruise“ vor der Küste der Bundeshauptstadt Adelaide bietet für etwa 70 Euro eine dreistündige Bootsfahrt aufs Meer an. Nach einer Einweisung an Bord erhalten alle Gäste Wetsuits, in denen sie nacheinander ins Wasser steigen, sich an einer langen Leine festhalten und mit Taucherbrille und Schnorchel nach wilden Delfinen suchen. Die Tiere kommen den Menschen für gewöhnlich nahe, das Berühren ist ausdrücklich verboten. Ein Störsender verscheucht Haie. Infos unter dolphinboat.com.au.

BOYKOTT

Die große Mehrzahl der 330 Delfinarien weltweit ist aus Tierschutz- und Biologensicht völlig unzureichend. Besonders katastrophal sind die Zustände in den zahlreichen Delfinarien entlang der türkischen Riviera – aber auch auf Mallorca, in der Dominikanischen Republik und in Mexiko vegetieren die Tiere in engen Betonbecken. In Deutschland haben die meisten Anlagen inzwischen dichtgemacht. Nur die Zoos von Nürnberg und Duisburg halten noch Tümmler. Beide Stätten sind stark umstritten. Tierschützer raten: Bloß wegbleiben!

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