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Am Strand von Fanø.

© Esther Kogelboom

Dänische Insel Fanø: Die Luft schmeckt nach Champagner!

Da ist der Wurm drin: Jenseits des Priels jammern die Robben und am Blokart-Verleih ist auch nichts los. Eine Hygge-Kur am Wattenmeer.

Jesper Voss muss nicht lange waten. Zwei, drei Mistgabel-Stiche genügen, und er hält mit spitzen Fingern circa 50 Gramm Wattwurm in die Höhe. Der Wurm, er schlängelt sich anschließend von Kinderhand zu Kinderhand, hinterlässt jedes Mal einen blassroten Abdruck auf der Haut – vor Schreck. „Da habt ihr euer Wattenmeer-Tattoo“, scherzt der Wattführer. „Das geht nie wieder ab.“

Die kleine Gruppe steht jetzt 1700 Meter vom Festland entfernt auf dem Meeresgrund und kommt nicht weiter. Ein sechs Meter tiefer Priel, also ein mäandrierender Wasserlauf, trennt sie von den Robben auf der Sandbank namens Galgenriff. Aus der Entfernung sehen die Seehunde aus wie rotierende schwarze Punkte. Ab und zu erklingt, gedämpft vom Rauschen der Luft, ihr charakteristisches Jammern.

Jesper erzählt jetzt Gruselgeschichten, aus denen die Teilnehmer dieser Expedition etwas lernen sollen: Wie sich vor über 20 Jahren zwei Mütter mit Kinderwagen allein ins Watt gewagt hatten. Keine gute Idee. Am Ende hat man nur noch die leeren Wagen auf einer Sandbank gefunden. (Niemals ohne sachkundige Begleitung losziehen!) Und wie sich eine Touristenschar so lange um einen Heuler gedrängt hatte, bis die Robbenmutter ihr Kind verstieß und der Heuler deswegen getötet werden musste. (Niemals zu nah an Robbenbabys herangehen!)

Dann macht Voss ein Experiment. Er rammt seine Mistgabel in einiger Entfernung zur Gruppe in den Sand und verdonnert einen Fleecestirnbandträger, sich den Standort gut einzuprägen: „Stell dir vor, die Mistgabel ist Fanø.“ Der Mann soll nun mit seinem Stirnband über den Augen loslaufen, immer geradeaus, zur Fanø-Mistgabel. Wie ein schlafwandelnder Zombie aus „The Walking Dead“ torkelt er mit seinen steifen Gummistiefeln über den Schlick.

Jesper Voss gräbt mit der Mistgabel nach einem Wattwurm.
Jesper Voss gräbt mit der Mistgabel nach einem Wattwurm.

© Esther Kogelboom

Jesper Voss ist zufrieden. Noch etwas gelernt: Wenn im Watt der gefürchtete dichte Nebel aufzieht und man nicht mehr die Hand vor Augen sieht, verliert jeder die Orientierung. „Aber in meinem Handy ist ein Kompass, und das Ufer muss im Osten sein“, widerspricht der Untote und zieht sich das Stirnband aus dem Gesicht.

Der Wattführer krault sich den Bart. Das Ufer liege eindeutig in nördlicher Richtung. Und dann kommt die Flut.

Die Luft riecht nach Champagner

Fanø ist eine kleine dänische Insel, die 50 Kilometer Luftlinie vom bröckelnden Köpfchen Sylts entfernt ist. Ferienhäuser hocken wie zufällig zwischen und auf den Dünen. Drinnen helles Holz, Arne-Jacobsen-Lampe über dem Esstisch, weiche Betten, Wifi, Felle und ein Bollerofen – der Inbegriff dänischer Gemütlichkeit, genannt „hygge“. Nachts schreckt ein Reh durchs geöffnete Schlafzimmerfenster.

Die wenigen Einwohner verteilen sich auf drei Dörfer: Nordby, Rindby und Sønderho. Dicke Rinder weiden am Straßenrand, auf dem Waldspielplatz stehen Bollerwagen zur freien Benutzung, der Fischmann Leif, sein „Fanø Laks“ ist legendär, bedient jeden Tag vor einem anderen Supermarkt die Kundschaft. Einmal im Jahr ist Drachenfestival, einmal im Jahr Strickfestival. Man kennt sich und macht das Beste aus Wind und Kälte.

Jetzt, Anfang Mai, knallt ein paar Tage hintereinander die Sonne vom wolkenlosen Himmel. Liegestuhlwetter, wenn ein windstiller Platz in der Nähe ist. Die Luft ist so frisch und klar und champagnerig, dass sie einem direkt zu Kopf steigt. In der Vorsaison sind nur wenige der schwarzen Holzhäuser bewohnt. Und immer, wenn mit der Autofähre neue Touristen aus Esbjerg übersetzen, fahren sie direkt zum Strand und drehen ein paar überschwängliche Runden. Der feste Untergrund ist voller kreisrunder Reifenspuren.

Hier darf jeder über den Strand brettern. Mancher fährt sich fest

Führung durchs Wattenmeer.
Führung durchs Wattenmeer.

© Esther Kogelboom

Ein bisschen seltsam, dass jeder auf Fanø mit dem Auto über den Strand brettern darf. Hier wird man höchstens von ein paar sprintenden Feldhasen überholt, die einem Fuchs „Gute Nacht“ sagen. (Ein Auto mit Kennzeichen „CUX“ allerdings hatte sich festgefahren und musste von einem Jeep aus der Düne gezogen werden.)

Mehr Spaß, als mit dem Auto über die schier endlose Weite zu crossen, macht es, sich ein Blokart auszuleihen. Dafür gibt es den kleinen Laden „Coffee & Kites“. Christian Fjellerad wartet schon hinter der Theke und beantwortet alle Fragen zu seinen Strandseglern, deren drei Räder je nach Windstärke bis zu 80 km/h schnell rollen können. Schon nach einer kurzen Einweisung, verspricht er, sei jeder in der Lage, ein paar Achten zu drehen, und nein, abheben oder umkippen könne man nur, wenn man die wenigen Regeln missachte. Treffpunkt 16 Uhr, „am Strand“. – „Wo denn genau, Christian?“ – „Links. Haltet nach meinem Auto Ausschau.“

Der Wind bläst kräftig von der Landseite. Über dem Boden bilden sich kleine Sandwirbel. Fjellerad verteilt Helme, Schutzbrillen und Handschuhe. Das Wichtigste: Zieht der Blokart-Fahrer am Seil und damit am Segel, wird er schneller. Lässt er es hängen, bremst er. Bitte nie mit dem Wind wenden, stets dagegen. Einen Gurt und einen Lenker gibt es auch. Die Segel knattern – und los!

Der Wendepunkt, eine Marienkäfer-Boje, kommt schneller als gedacht. „TUUUUUUURN!“, ruft Christian und reckt den Daumen in die Höhe. Gerade noch mal die Kurve gekratzt. Doch auch Torben ist ziemlich schnell wieder … „TUUUUUUURN!“ So geht es eine halbe Stunde hin und her, und danach ist man heiser vom Kreischen und ein wenig schlotterig in den Beinen.

Moment, ist Fanø wirklich so schläfrig?

Zum Glück ist Freitag. Das Fanø Bryghus hat für Gäste geöffnet. Dresscode: Kate Moss beim Glastonbury-Festival, Shorts und Gummistiefel. Hier brauen Enthusiasten in Karohemden das „Fanø Stormflod“, ein Stout mit Milchschokoladengeschmack. Überraschung! Es wird serviert von Wattführer Jesper. „Auf dieser Insel gibt es kein Entkommen vor mir“, dröhnt er. Hatte er nicht eben noch über das Partyvolk der Nachbarinsel Rømø gelästert und behauptet, Fanø sei die schläfrige Familieninsel?

Zeit, die 56 Quadratkilometer für einen Tag Richtung Festland zu verlassen – nach Ribe, ins neue Vadehavscentret, das Wattenmeer-Zentrum. Zuerst fühlt es sich an wie ein Wandertag in der Grundschule, doch dann entfaltet das Danish Design seine Wirkung. Die Außenhaut des zackig-flachen Umbaus der Architektin Dorte Mandrup besteht komplett aus Reet und passt sich in ihre Umgebung ein. Die Ausstellung selbst ist ein Beispiel zeitgenössischer Museumspädagogik. Klaus Melbye hat sie mitgestaltet und sagt: „Wir wollen für die Natur begeistern. Wer begeistert ist, möchte auch erhalten.“

Er erklärt anhand von Holztieren die Zugvogelarten Löffler, Steinwälzer, Austernfischer und Pfuhlschnepfe – letztere kann 11 000 Kilometer fliegen, ohne zu landen. Das Wattenmeer dient ihr als sechswöchige Ruhe- und Fresspause, hier verschlingt sie 1500 Muscheln pro Tag, verdoppelt in der kurzen Zeit ihr Gewicht, bevor es weiter nach Sibirien geht. 11 000 Kilometer mit Blokart-Geschwindigkeit von 50 km/h.

Gibt es Beruhigenderes als das Schmatzen des Schlicks?

Klaus Melbye im Wattenmeer-Zentrum von Ribe.
Klaus Melbye im Wattenmeer-Zentrum von Ribe.

© Esther Kogelboom

Seit 2014 gehört auch das dänische Wattenmeer zum Weltnaturerbe der Unesco. Das Watt hat eine große Bedeutung für den Erhalt der biologischen Vielfalt. Aus Sicht des Geologen ist es mit 10 000 Jahren eine blutjunge Landschaft, die minütlich von den Gezeiten umgebaut wird. Tausende Arten einzelliger Organismen und Pilze leben hier, erklärt Klaus Melbye. Beeindruckend sei der Vogelzug im Frühjahr und Herbst. Für bis zu 12 Millionen Vögel ist diese Landschaft Rastplatz.

Im Wattenmeer-Zentrum steht ein Tank voller Krebse und Austern. Die Besonderheit ist, dass er oben offen ist. Besucher können hineingreifen. Im Nebenraum hängen zarte Aquarelle der Zugvögel an der Wand, eine Mitmach-Installation veranschaulicht Gezeiten und Mondmagnetismus. Für Klaus Melbye, der aus der Gegend kommt und lange am Kopenhagener Zoo beschäftigt war, ist mit dem Umbau des Zentrums ein Wunsch in Erfüllung gegangen. Er lautet: Mehr Leute sollen seine Heimat, das Watt, weniger langweilig finden. Er selbst streift täglich das Gummizeug über, hängt sich das Fernglas um und wandert hinein. Etwas Beruhigenderes als das Schmatzen des Schlicks, findet er, gibt es kaum.

Zurück nach Fanø. Ein Matrose mit Troyer und Pfeife im Mundwinkel winkt die Autos auf die Fähre. „Na, seid ihr ein bisschen rumgekurvt?“, fragt er mit weichem, dänischen Akzent. Es ist schon wie nach Hause kommen.

Für heute Abend ist ein Tisch im Sønderho Kro reserviert, einem Restaurant am Ende der Insel, das zu den Besten in der Region gehört. Küchenchef Jakob Sullestad bringt die gepoppte Schweinehaut mit fermentiertem Knoblauch selbst an den Tisch, als sei das vollkommen normal. Wie die Zugvögel bedient er sich ansonsten aus dem Frischeparadies vor seiner Haustür: Hagebutten, Taschenkrebse, Seehasenrogen, Steinbutt, wilder Kerbel, Süßholz.

Draußen pinselt die untergehende Sonne den hohen Himmel rot. Wir haben jetzt ein Wattenmeer-Tattoo, das bleibt.

Reisetipps für Fanø

ANREISE

Von Berlin sind es etwa 600 Kilometer über Kiel und Flensburg ins dänische Esbjerg. Von dort setzt die Autofähre Tag und Nacht nach Fanø über. Tickets (ab 26 Euro hin und zurück) zum Ausdrucken unter: faergen.de

UNTERKUNFT

Der Ferienhaus-Vermittler danibo.dk versammelt Holzhäuser mit kleiner Sauna, Whirlpool und Bollerofen. Preise je nach Saison und Anzahl der Personen. Manche Häuser sind hundefreundlich. Bettwäsche kann dazugemietet werden

ANSCHAUEN UND GENIESSEN

Der Sønderho Kro serviert nicht nur ein Abendmenü, sondern auch preisgünstigeren Mittagstisch (sonderhokro.dk). Danach empfiehlt sich die Besichtigung der wunderschönen Fischerkirche von Sønderho: Hier hängen Modell-Fregatten von der Decke. Das Sylvesters Restaurant in Nordby (Hovedgaden 25) hat saftigen Kuchen, starken Kaffee und eine gute Spirituosen-Auswahl. Nicht nur bei Schlechtwetter unbedingt zu empfehlen! Wirtin Anne Dorte Kragh gibt gerne Tipps. Spandauer (Plundergebäck) hat der „SuperBrugsen“ (Hovedgaden 87) im Angebot.

ACTION

Eine Stunde im Blokart ist ein Muss für jeden Fanø-Besucher. Bei kitesandcoffee.dk bekommt man eine kurze Einweisung und kann die Rennsegler für 37 Euro pro Stunde inklusive Zubehör mieten. Günstige Familienpakete; es gibt auch Blokarts mit Kindersitz (Kirkevejen 37).

KINDER 

Für die oft staugefährdete Anreise empfiehlt sich das Hörspiel „Das Meer“ aus der Serie „Was ist was Junior“ (8,99 Euro). Die Gezeiten werden ebenso erklärt wie die Tierwelt des Wattenmeeres.

Fast alle Ferienhäuser verfügen über einen Sandkasten mit Buddelzeug und Schaukeln. Schon kleinere Kinder können sich in den Dünen rund ums Haus eigenständig bewegen. Der Waldspielplatz zwischen Rindby und Sønderho (einfach der Beschilderung folgen) glänzt mit einem Balancierpark, einer Wettlauf-mit-Wildtieren-Strecke und überdachten Grillmöglichkeiten. Im angrenzenden Wald gibt es viele gute Kletterbäume.

MEHR INFOS

visitfanoe.dk bündelt alles Wissenswerte rund um die dänische Nordseeinsel.

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