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Gesucht. Trotz intensiver Polizeiermittlungen in Studentenbuden (oben) blieb der Wortschöpfer unentdeckt.

© imago/Eckhard Stengel

Buback-Nachruf von 1977: Der Klammheimliche: Eine Begegnung mit Klaus Hülbrock

Pseudonym: Mescalero. Nach dem RAF-Mord an Siegfried Buback 1977 findet ein Göttinger Student die Formulierung der „klammheimlichen Freude“. Von der Verselbstständigung eines Kampfbegriffs.

Von Barbara Nolte

Er war das Phantom des Terrorjahres ’77 und ist noch heute schwer aufzufinden. In der „taz“ von 2001 steht eine vage Ortsangabe: „24 Jahre lang lebte er unerkannt in Lüdenscheid, Kanton und Wittenberg.“ Was für ein Satz!

Damals hatte der „Göttinger Mescalero“ sein Geheimnis gelüftet. Klaus Hülbrock, Dozent für Deutsch als Fremdsprache, hatte im April 1977 in einer Asta-Zeitung den Artikel „Buback – Ein Nachruf“ geschrieben, in dem er „klammheimliche Freude“ über den Mordanschlag auf den Generalbundesanwalt gestand. Hülbrock schuf damit ein Schlagwort für diese paranoide Zeit.

Nach seinem Bekenntnis verschwand er wieder aus der Öffentlichkeit. Verwandte blockten Interviewanfragen ab, hieß es damals, bis sich seine Spur wieder verlor. In diesem Sommer 2017, weitere 16 Jahre später, meldete Hülbrock sich in der politischen Debatte zurück. Diesmal schrieb er eine markige Abrechnung mit den G20-Randalierern: „Die Marschkolonne, der Block in der Demonstration ist eine Hirnblockade.“ Dabei hinterließ er seine Mailadresse.

Hülbrock antwortet prompt. Mittlerweile wohnt er in Weimar. Er stellt klar, dass er in den vergangenen Jahren nicht abgetaucht gewesen sei, sondern in Halle. Aber dort sei es seiner Lebensgefährtin und ihm zuletzt „ein bisschen zu hektisch“ geworden. Deshalb Weimar.

"Das ist doch keine Staatsaffäre wert"

Dort sitzt Hülbrock an einem Herbstmorgen fünf Minuten vor der verabredeten Zeit neben dem Standbild des Aufklärungsdichters Christoph Martin Wieland auf einer Betonbank. Brille, Aktentasche, Bart. Ein freundlicher älterer Herr, der so gar nichts Verwegenes ausstrahlt, wie es der Tarnname Mescalero suggeriert.

Das Pseudonym habe er sich damals spontan ausgedacht, sagt er. „Ich konnte ja nicht meinen richtigen Namen druntersetzen.“ Doch welches Ausmaß die Aufregung um seine Person annahm, verwundert ihn bis heute. „Ich habe einen Toten getreten, ja, tut mir leid! Würde ich auch nie wieder machen“, versichert er lachend. „Aber das ist doch keine Staatsaffäre wert!“

Hülbrocks Passage um die „klammheimliche Freude“ vervielfältigte sich, bis sie eine Druckauflage wie sonst nur die Bibel und das Telefonbuch erreichte, so schrieb es der „Spiegel“ damals. Die Formulierung traf einen Nerv, weil das bürgerliche Deutschland darin die Geisteshaltung vieler Studenten zu erkennen glaubte. Die CDU kaperte sie sich als Kampfbegriff: Der Linken wurde damit eine Gesinnungsgenossenschaft mit den mordenden Terroristen unterstellt, eine weltanschauliche Kluft zwischen rechts und links behauptet, die es auch damals so nicht gab.

Gefunden. Erst 2001 outete sich der Lehrer Klaus Hülbrock als Autor.
Gefunden. Erst 2001 outete sich der Lehrer Klaus Hülbrock als Autor.

© B. Nolte

Im Laufe des Jahres 1977 wurde die Verfolgung von Terroristen auf deren vermeintliche Sympathisanten ausgeweitet, auf diejenigen, die sich zwar nicht offen, aber womöglich klammheimlich über die Morde freuten. Dass die Staatsfeinde nicht gleich erkennbar waren, ließ sie umso bedrohlicher erscheinen. 69 Männer und Frauen, die den Nachruf nachgedruckt hatten, wurden sogar vor Gericht gestellt. Das ist die seltener erzählte Seite des Deutschen Herbstes und zugleich ein Lehrstück über Worte und ihre Wirkung.

Die Formulierung „klammheimliche Freude“ war eine Eingebung

Klaus Hülbrock steht von der Bank auf, nimmt seine Aktentasche und läuft auf die nahe gelegene Bäckerei zu, die er für das Interview ausgesucht hat. „Wir hatten nun wirklich keinerlei Sympathie mit den RAF-Leuten“, sagt er. „Sehen Sie: Eine solche Aktentasche voll mit Büchern und Papieren war schon damals mein Markenzeichen. Können Sie sich Baader mit so einem Täschchen vorstellen? Höchstens mit einer ausgebeulten Lederjacke, weil er da eine Waffe drunter hatte.“

Ein Verkaufsraum mit Kuchentheke, drumherum Tische, alle frei. Hülbrock setzt sich auf die hinterste Bank. Er war damals Student der Germanistik und Volkskunde, erzählt er. Für die „Bewegung Undogmatischer Frühling“, kurz BUF, ein Zusammenschluss von Frauengruppen, Spontis, Pazifisten, saß er im Asta. Die BUF war der kleine Koalitionspartner der „Sozialistischen Bündnisliste“, bei der Jürgen Trittin eine führende Rolle spielte.

Im Namen der BUF hat Hülbrock auch den Buback-Nachruf geschrieben. An einem Samstagmorgen kurz vor der Deadline, in großer Eile. Zwischendurch musste er wie jedes Wochenende Erbsensuppe für seine Freundin kochen. „Das Ding irgendwie fertigzukriegen, war meine wahre Intention beim Schreiben des Textes“, sagt er.

Die Formulierung „klammheimliche Freude“ sei eine Eingebung gewesen, nicht reiflich überlegt. Hülbrock gibt nicht den Profi, mehr den genialen Dilettanten. Kurz entschlossen war auch die Wahl des Decknamens: Mescalero, wie ein übel beleumundeter Indianerstamm. Das passte zum Text, fand er. Zusammen mit einem Freund brachte er das Manuskript auf den letzten Drücker zum Redaktionstisch. Zeit zum Gegenlesen blieb keine.

"Können die nicht lesen?"

Der Buback-Nachruf war in der Zeitung des Göttinger Asta unter dem Pseudonym Mescalero erschienen.
Der Buback-Nachruf war in der Zeitung des Göttinger Asta unter dem Pseudonym Mescalero erschienen.

© imago/Eckhard Stengel

Hülbrock erinnert sich, dass in den ersten Tagen nach dem Erscheinen wenig passierte. Die beiden Worte entfalteten ihre Wirkung nicht von selbst. So ist das meist. Es bedarf oft jemandem, der in karrieristischer Absicht einen Text nach skandalisierungsfähigem Material durchsucht, und es – wenn nötig – aus dem Zusammenhang reißt.

In dem Fall könnte es Friedbert Pflüger gewesen sein, der Chef des CDU-Studentenverbandes und damit Gegenspieler der BUF, glaubt Hülbrock. Pflüger arbeitete später als Redenschreiber für Richard von Weizsäcker, er war ein Mann von großem Ehrgeiz, den er wieder bewies, als er vor zehn Jahren die Berliner CDU übernehmen wollte. Pflügers Studentenverband hatte im April 1977 Strafantrag gestellt und einen offenen Brief geschrieben, der an die Medien ging. Darin wurden nur Textauszüge zitiert.

In den darauffolgenden Wochen wurde der Asta von Journalisten belagert, erzählt Hülbrock. Sogar Gerhard Löwenthal, der Leiter eines ZDF-Magazins, stand vor der Tür. Er selbst habe Löwenthal aus dem ersten Stock einen Eimer Wasser übergeschüttet. Hülbrock lacht. Das ist die Art von Wehrhaftigkeit, die er mag. Widerstand als Schelmenstück. Löwenthals Dusche sei im Fernsehen gelaufen. Niemand ahnte, dass der Mescalero persönlich am Fenster gestanden hatte.

Politik und Presse hätten eine „Hetzmasse“ mobilisiert

Das Spiel „Ich weiß was, was ihr nicht wisst“ hat ihm gefallen. Ein gewisser Stolz kam hinzu über die plötzliche Bedeutung. Doch beides wurde überlagert vom „Entsetzen“ darüber, dass seine prägnante Formulierung zum Kondensat des Textes erklärt wurde. Ja, er habe momentan eine klammheimliche Freude empfunden, räumt Hülbrock ein, aber schnell schon nicht mehr. Er habe das Gefühl aufgegriffen, um die wenigen Göttinger Sympathisanten abzuholen. In seiner Argumentation habe er sich dann klar von Gewalt distanziert. Wörtlich steht da, „unser Weg zum Sozialismus“ dürfe nicht „mit Leichen gepflastert“ werden. „Ich dachte mir: Können die nicht lesen?“

Die „Frankfurter Rundschau“ schrieb von „krankem Gehirn“, die „FAZ“ von „Wasserspender des Terrors“. „Heute würde der Artikel vielleicht einen Shitstorm auslösen und in drei Tagen vorbei sein“, sagt Hülbrock. Damals hätten Politik und Presse eine „Hetzmasse“ mobilisiert. „Wenn ich nicht den starken Decknamen gehabt hätte, wäre ich aus der bürgerlichen Existenz gejagt worden. Ich hätte die Uni verlassen müssen.“

Einmal durchsuchte das BKA seine Wohnung. Doch die Frau eines Professors, die bei der Justiz arbeitete, hatte ihn vorgewarnt. So konnte er seine Schreibmaschine und seinen Schäferhund wegschaffen. „Sonst hätten die ihn noch erschossen und behauptet, er habe sich selbst umgebracht“, sagt er – eine Anspielung auf die damals grassierende Paranoia der Linken.

Die Affäre bestimmte sein Privatleben

Etwa hundert Leute hätten gewusst, dass er der alleinige Urheber des Textes war. Aber auf ihr Schweigen war Verlass. Unterdessen wurde ein Kommilitone von der „Gewaltfreien Aktion“, der als Herausgeber der Asta-Zeitung namentlich bekannt war, wegen Gewaltverherrlichung zu drei Monaten Haft verurteilt. „Ausgerechnet dieser Pazifist“, sagt Hülbrock lachend.

So sah Hülbrock zu der Zeit, als er die Schrift verfasste, aus. Das Bild wurde für die Wahlzeitung zum Studentenparlament gemacht, er nennt es „Fahndungsfoto“.
So sah Hülbrock zu der Zeit, als er die Schrift verfasste, aus. Das Bild wurde für die Wahlzeitung zum Studentenparlament gemacht, er nennt es „Fahndungsfoto“.

© privat

Auch für Hülbrock, der unerkannt und unbehelligt blieb, bestimmte die Affäre sein weiteres Leben. „Als Nachwirkung“ sei sein Privatleben „aus dem Ruder gelaufen“, glaubt er. „Vielleicht ist es ja so: Wenn man schon inkriminiert wird, so ein Arsch zu sein, dann glaubt man, auf gewissen Gebieten ein bisschen verwahrlosen zu können.“ Mehr will er dazu nicht sagen. Nur, dass er ans Scheitern seiner Beziehung mit viel größerem Bedauern zurückdenkt als an die Buback-Geschichte.

Hülbrock ergriff die Flucht nach China. Er nahm einen Lehrauftrag für Deutsch als Fremdsprache in Kanton an. Die „Stern“-Reporterin Edith Kohn traf ihn dort Ende der 80er zufällig, als sie über die aufständischen Studenten recherchierte. Beide waren im selben Wohnheim untergebracht. Auch sie verriet ihn nicht.

Hülbrock wollte sein Geheimnis lüften

Generalbundesanwalt Siegfried Buback war im April 1977 in seinem Auto ermordet worden. Die RAF bekannte sich zu der Tat.
Generalbundesanwalt Siegfried Buback war im April 1977 in seinem Auto ermordet worden. Die RAF bekannte sich zu der Tat.

© dpa

Hülbrock wäre gern in China geblieben. Doch mit dem beginnendem Wirtschaftsboom reichte sein Gehalt nicht mehr. 1992 zog er nach Lüdenscheid, zur Mutter unters Dach. „Die Rückkehr war eine fürchterliche Bauchlandung“, sagt er. „Irgendwie kam ich nicht mehr klar. Ich ging nicht unter Leute, sondern nur mit dem Hund in den Wald.“

1998 bot ihm eine chinesische Bekannte eine Dozentenstelle an der Uni Halle/Wittenberg an. Seine Rettung. Nun wollte Hülbrock sein Geheimnis lüften. Er schrieb Bubacks Sohn Michael einen Brief, gab sich als Nachruf-Autor zu erkennen, beteuerte, dass ihn die auf Siegfried Buback gemünzten Aussagen schmerzten. „Die tun mir immer noch weh“, sagt er. Buback antwortete, lancierte den Brief aber nicht in den Medien. Ob er ihm nicht glaubte?

Drei Jahre später beschuldigte Buback Jürgen Trittin, Verantwortung für die Mescalero-Schrift zu tragen. Daraufhin schrieb Hülbrock ihm erneut: „Der hat nun wirklich nichts damit zu tun. Ich bin das scharfe Schwarz. Der Niemand, auf den Sie trefflicher zielen können.“ Diesmal ließ er den Brief über seine Mutter „Report Mainz“ zukommen – zur Weitergabe an Buback. Am selben Nachmittag kam das Bekenntnis in den Nachrichten.

Er hat seine Gegner bewaffnet, das ist seine Tragik

Jetzt schaut Hülbrock auf die Uhr: halb drei. Normalerweise halte er um diese Zeit Mittagsschlaf, sagt er. Seit ein paar Jahren ist er Rentner. „Gott sei Dank, ich bin auf dem Schrottplatz, wo ich hinwollte.“ Die Schrottplatzperspektive habe ihm immer gefallen.

Hülbrock pflegt ein spottlustiges Außenseitertum. In schonungslosen Worten spricht er auch von sich selbst. 1980 urteilte der Bundesgerichtshof, dass der Buback-Nachruf nichts Strafbares enthält. In den sozialen Medien fallen heute brutalere Aussagen. Da schreibt einer, dass er gerne ein Enthauptungsvideo von Renate Künast sehen würde, ein anderer fordert Merkels Hinrichtung. Beides wurde weit weniger empört aufgenommen als Hülbrocks Begriff. Deutschland ist dickhäutiger geworden, aber das ist es nicht nur.

Vielleicht liege die Stärke der Formulierung darin, dass die Wortkombination „eine Ambivalenz“ in sich trage, mutmaßt Hülbrock. „Dass es keine helle Freude ist, sondern eine getrübte. Mit einer Verklemmung drin. Manche würden es Feigheit nennen.“ Hülbrock kann den Erfolg seiner Schöpfung nicht richtig begreifen, zumal es politisch betrachtet kein Erfolg für ihn war. Die Worte verselbstständigten sich. Hülbrock hat seine Gegner bewaffnet. Das ist die Tragik des lustigen Mescalero.

"Hooligans und Linksradikale werden einander ähnlicher"

Er ist nach wie vor Antikapitalist, auch wenn ihm viele Linke fremd sind. „Hooligans und Linksradikale werden einander ähnlicher“, sagt er. „Der Block im Stadion, der Block auf der Straße – welche Unterschiede sind da noch?“

Radikal wäre es eher, neue demokratische Formen zu erproben, beispielsweise „die Kunst der Versammlung“ einzuüben. Bislang werde dort ja nur versucht, „die Leute auf eine Linie zu bringen, möglichst auf die Linie des vorne Sitzenden“. Durchsetzen sollen das die Jüngeren.

Hülbrock läuft zum Bus nach Weimar West. Ein radikal unauffälliger Mann. Vielleicht meldet er sich ja in ein paar Jahren wieder zu Wort.

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