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Berliner Schnauzen: Wie sich Weißbartpekaris gegenseitig fertig machen

Wie einer zum Mobbingopfer wird, lässt sich im Zoo gut beobachten. Bei diesen Schweinen herrscht eine grausame Hierarchie: Einer muss immer der Prügelknabe sein.

Von Julia Prosinger

Er zittert im Schatten, während die anderen zusammengekuschelt in der Sonne dösen. Er steht in der Stallecke, den Blick zu Boden gerichtet wie ein bestrafter Schüler, während die anderen aus Futtertrögen schlürfen. Er landet im Graben, wenn den anderen nach Raufereien zumute ist. Und jetzt gerade tropft ihm frisches Blut von der linken Wange. Er ist der Loser. Einer von derzeit vier im Schweinehaus des Zoos.

Das ist so Sitte bei den Weißbartpekaris. Regelmäßig bestimmen sie Mitglieder der eigenen Rotte zu Außenseitern, an denen sie mit messerscharfen Eckzähnen ihre Aggressionen ausleben. Wenn schlechtes Wetter naht oder Kinder lärmen, brauchen sie ein Ventil. Ganze Gesichtshälften entreißen sie den Prügelknaben, dann muss der Tierarzt einschläfern.

Wer Schwäche zeigt, verliert

Selbst Reviertierpfleger Klaus-Dieter Grahl, der sonst nüchtern Stubenküken und Babymäuse an gierige Geier verfüttert, hat Mitleid mit den Verlierern. Eine Zeit lang versuchte er die Paarhufer auszutricksen, separierte die Außgestoßenen, um sie zu schützen. Mit dem Ergebnis, dass der Leiteber die Nächstschwächsten zum Quälen freigab.

Wie einer zum Mobbingopfer wird, lässt sich im Zoo gut beobachten. Wer Schwäche zeigt, hat verloren. Pekaris können Unsicherheit riechen. Wer als Kind eines Losers geboren wird, zum Zaudern erzogen, wird automatisch selbst einer, erklärt Grahl. Anstatt zusammenzuhalten, zerfetzen sich die Loser gegenseitig. Kastensystem im Tierreich.

Auch Menschen kann es treffen. Besucher sollten nicht über den Zaun fassen. Die Berliner Pekaris (genannt Glücksschweine, weil sie inzwischen Zoos weltweit mit hundertfachem Nachwuchs versorgt haben) stammen ursprünglich von einem Pärchen ab, das eine indigene Paraguayerin mit der Flasche groß gezogen hat – anstatt sie, wie sonst üblich, zu Suppe zu verkochen. Kaum waren die Tiere kräftig genug, fraßen sie die Frau zum Dank auf. Dabei sind Pekaris mit ihrem Raubtiergebiss nicht einmal echte Schweine!

In freier Wildbahn, ihrer Heimat Südamerika, scheiden die immer dünner werdenden Loser irgendwann freiwillig aus der Gruppe aus. Pumas und Riesenschlangen freuen sich. Ganz selten, wenn sich zwei Aussteiger in der Natur treffen, gründen sie eine neue Rotte. Und unterdrücken dann die anderen nach Herzenslust.

Es gibt aber auch friedliche Momente: Oft sieht man die Weißbartpekaris in Paaren beisammen stehen, sich gegenseitig mit den Köpfen über den Rücken schubbern, wo eine Drüse, der Nabel dieser Nabelschweine, sitzt. Der herausströmende gruppeneigene Geruch hält andere Rotten fern. Oder nachts: Da schmeißen sich die Pekaris alle auf einen Haufen. Inklusive Loser. Man sieht nur noch ein wiegendes Borstenmeer. In freier Natur schreckt solch eine mächtige Gruppe von bis zu 200 Tieren jeden Jaguar ab.

So ganz überlässt Tierpfleger Grahl die Verlierer übrigens nicht ihrem Schicksal. Wenn sich die Pforte öffnet und die ruppigen Schweine in ihr Außengehege drängeln, bleiben die Loser gewöhnlich zurück. Das nutzt Grahl, um die Allesfresser mit einer Extraportion Müsli zu bedenken. Aber psst, nicht den anderen Pekaris verraten!

WEISSBARTPEKARI IM ZOO

Lebenserwartung:  bis 24 Jahre

Fütterungszeit:  täglich gegen 15.30 Uhr

Interessanter Nachbar: Pinselohrschwein, Bartgeier

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