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Bernd Schock liebt saure Äpfel.

© Thilo Rückeis

Aufbau Obst: Wie ein Kreuzberger den Apfel retten will

Gelbe Schafsnase, Geflammter Kardinal – auf Brandenburger Wiesen sterben die alten Apfelsorten aus. Bernd Schock versucht sie zu retten und macht das Beste daraus: Saft, Cidre, Schorle. Vom Versuch einer Reanimation

Von Julia Prosinger

Bernd Schock steht auf einer Wiese im brandenburgischen Philadelphia und schwingt die Faust in den Himmel. Ruft er die Weltrevolution aus? Nein, er pflückt einen Apfel.

Und noch einen. Eine gute Stunde lang wird er sich an diesem Herbstnachmittag immer wieder strecken und die schönsten Exemplare von den Bäumen holen, dann ist der riesige Korb seiner Großmutter so schwer, dass er ihn nicht allein zum Auto tragen kann. Um zurückzufahren, ins Kreuzberger Büro. Kreuzberg und Großmutter gehen bei Schock gut zusammen. Er denkt in Generationen.

Schock beißt jetzt in einen Apfel, dass es kracht. Sauer, so mag er es. „Wie das duftet“, ruft er und reibt an der Schale bis es quietscht. Schock ist keiner dieser Freaks, so sagt er und meint die Pomologen, die die Frucht am Kerngehäuse bestimmen können. Schock ist Apfelaktivist. Kurz nicht hingeschaut, da schlägt er die Zähne bereits in den nächsten. Und dann skandiert er: „Reclaim Streuobstwiesen!“ Holt euch die Streuobstwiesen zurück! Jene Wiesen, auf denen die Generation der Großeltern Äpfel, Birnen und Pflaumen durcheinander in verschiedenen Größen und Sorten angepflanzt haben. Er klingt jetzt doch wie einer, der einen neuen Staat oder gleich eine neue Weltordnung will. Radikal.

Weit vom Stamm: Äpfel sind ein Weltmarktprodukt, entsprechende Wege legen sie zurück.
Weit vom Stamm: Äpfel sind ein Weltmarktprodukt, entsprechende Wege legen sie zurück.

© dpa

Die Gelbe Schafsnase, der Minister von Hammerstein oder der Geflammte Kardinal, die haben Schocks Einsatz nötig. Sie sind vom Aussterben bedroht. 2012 hat der Kreuzberger einen Verein gegründet, um solche alten Sorten zu retten, „Äpfel und Konsorten“.

Noch gibt es gut 800 verschiedene in Deutschland. Aber seit 1950 mussten etwa 80 Prozent der Streuobstwiesen weichen und mit ihnen wichtige Gene. Wie viele, weiß niemand. Einst blühten in Brandenburg Apfelbäume auf 11 000 Hektar Fläche, nun sinkt die Zahl von 850 immer weiter. In der DDR wurden gar Prämien für die Abholzung bezahlt. Seitdem kamen Industrieplantagen, Neubauten, Mais- und Rapsfelder für Biogasanlagen.

Dabei gilt: Deutschland, ein Apfelland. 17 Kilo isst jeder Deutsche im Jahr, elf Liter Apfelsaft trinkt er. Aber nur die vier gängigen Sorten, die der Supermarkt verkauft. Weil die alten, die hier bunt im großmütterlichen Korb liegen, nicht ganz so lange halten. Weil sie nicht aussehen wie von Madame Tussauds aus Wachs geformt. Weil sie von Vögeln angepickt wurden und von Würmern durchkrochen. Weil sie nicht die perfekten 7,5 Zentimeter Durchmesser haben, die der Verbraucher will. Schock zählt die Gründe an den Fingern ab. Sie machen ihn wütend.

Äpfel haben keine Lobby

Der Aktivist ist Franke, er ist mit Rübenziehen und Schweinefüttern aufgewachsen. Sein Großvater pflanzte schon Obst, bekam 50 DM für 100 Kilo. Heute liegt der Apfelpreis bei wenigen Euro. „Verrückt, oder?“ Schock stapft im hohen Gras auf und ab. Verrückt – das sagt er oft. Er ist bereit, die Welt zu bestaunen.

Er hat sich in Mazedonien um Bären gekümmert, in Kamerun Goliathfrösche umhergetragen, bis ihm klar wurde: Er kann sich zu Hause einsetzen, Streuobstwiesen sind die kleinen Regenwälder Mitteleuropas. Kulturlandschaften, die gepflegt werden müssen. Und: Sie haben keine Lobby. Weil sie Arbeit machen. Manche Äpfel auf der Wiese waren schon vor Monaten reif, andere sind Winterfrüchte und erst in diesen Wochen dran. Das erschwert die Ernte. Monokulturen machen es den Bauern leichter. Schock spricht von einem „Rohstoff“, der viel mehr kosten müsste. Weil er natürlich limitiert ist. 31 Jahre braucht ein Baum bis er voll tragen kann. Der Apfel fällt nicht schnell vom Stamm.

Schiffe gleiten über die Dahme. Fallobst duftet süß und warm. Schock zeigt auf ein Astloch. Vor ein paar Wochen wurde er daraus von einem Hornissenschwarm verfolgt. Und hier, er springt zwei Bäume weiter, sonnt sich oft eine Eidechse. Dort oben in der stolzen Baumkrone ruht sich manchmal ein Pirol aus, da unten spaziert der Wiedehopf, pickt ein paar Äpfel an, fliegt weiter und scheidet die Samen aus. Ein Biotop. „Ein Hotspot“, sagt Schock mit Kreuzberger Vokabular. Auf einem Baum können, inklusive der Insekten, bis zu 1000 Tiere leben. Ein seltener Rückzugsort.

Man kann den Bäumen beim Sterben zusehen

Bernd Schock bei der Apfelernte in Philadelphia, Storkow.
Bernd Schock bei der Apfelernte in Philadelphia, Storkow.

© Thilo Rückeis

Andere in seinem Alter, er ist jetzt 42, bauen denkmalgeschützte Schlösser in der Uckermark wieder auf – Schock renoviert Wiesen. Auf der Suche nach dem Gegenteil der Großstadt ist er monatelang mit dem Auto durch Brandenburg gefahren. Früher hat er für die „Naturparke“ gearbeitet, Sponsoren gewonnen, da kannte er ein paar, die etwas über Bäume wissen. Auf seinen Touren hat Schock Menschen getroffen, die weinen mussten, wenn sie ihre verfallenen Bäume erblickten. Abgebrochene Äste, verkümmerte Früchte, löchrige Kronen. „Man kann ihnen beim Sterben zusehen.“ Manche der Bäume könnten mit etwas Pflege, etwas Schnitt, 100 weitere Jahre leben, manche muss man austauschen.

Doppelter Lohn für die Bauern

Meist gehören die kleinen Wiesen Erbengemeinschaften oder einem alten Bauern, wie diese hier in Philadelphia. Dessen Großvater hat die Bäume vor gut 100 Jahren auf den Luchwiesen, wo Salzkräuter wachsen, gepflanzt. Sie haben ihn gut versorgt, damals, als es Vitamine noch nicht in Tablettenform gab und kein Obst aus dem Süden in kalten Wintern. Der Berliner spricht mit den Bauern, bis sie ihm das Land verpachten. Er pflanzt neue alte Sorten, was nicht ganz einfach ist, weil nur wenige Baumschulen sie anbieten.

Schock glaubt an Schutz durch Nutzung. Um seinen Verein zu finanzieren, hat er „Ostmost“ gegründet – Saft in kleinen Flaschen in urbanem Design, die in ausgewählten Berliner Clubs wie dem „Klunkerkranich“ in Neukölln, Cafés wie dem „Haferkater“ in Friedrichshain, auf Streetfoodmärkten oder Festivals wie der „Fusion“ erhältlich sind. Wer den Saft verkauft, kann Bäume mitpflanzen. Als Einstiegsdroge.

Die alten Sorten für den Ostmost kommen aus Thüringen, da stehen noch ein paar Bäume. Schock bezahlt den Bauern den doppelten Lohn, damit sie weitermachen. Deshalb kostet eine 0,3-Flasche Ostmost auch leicht drei Euro. Sie werden in Hessen gekeltert, ohne tierische Eiweiße. Schocks Saft ist vegan.

Er ist nicht ganz allein mit seiner Entdeckung. Streuobst ist das neue Bio. Das neue gute Gewissen. Auf dem Markt am Boxhagener Platz steht ein Mann mit einer mobilen Mostquetsche. „Van Nahmen“ an der niederländischen Grenze hat es mit seinem Sorten-Apfelsaft in Feinkostabteilungen und gehobene Restaurants geschafft – sogar als Weinersatz. Auch für trübe Säfte aus Brandenburg, wie die vom Linumer Landhof, geben die Leute Geld aus. Und der NABU hat eine Liste erstellt, worin alle privaten Entsafter verzeichnet sind.

Die Schorle schmeckt nach Kindheit

Nach ein paar Stunden auf Schocks Wiese, will man das mit dem Aktivisten zurücknehmen. Es ist eher so: Schocks Religion heißt Apfel.

Er redet dann mampfend von den vielen Vitaminen, die der Apfel hat, mehr als 30, von Magnesium, Eisen und Jod im Kerngehäuse. Er erzählt, dass vermutlich der hohe Polyphenol-Gehalt in alten Sorten Allergene ausschaltet. Er warnt vor den Pestiziden, die auch Greenpeace immer wieder auf Apfelplantagen entdeckt.

Und er kündigt an, den besten Apfelsaft Deutschlands produzieren zu wollen. 

„Die meisten sind ja mit klarem Apfelsaft aufgewachsen“ - mitfühlender als Schock gerade kann man nicht schauen. 

Ein Wein kann mineralisch schmecken, säurebetont oder nach einer Komposition aus reifen Pfirsichen mit einem Anklang gebrannter Mandeln. „Wir haben aber keine Sprache für Apfelsaft, dabei ist er genauso vielfältig“, sagt Schock.

Die Apfel-Johannisbeer-Schorle schmeckt ziemlich sauer. Nach Kindheit. Oder seine Apfel-Minz-Schorle, pur und kühl mit deutscher Wasser-Krauseminze. Sein Cider mutig herb, wie sonst nur der leichte Apfelwein aus der Normandie, wo es noch zahlreiche Streuobstwiesen gibt.

Und dann beginnt Schock, den Hinterkopf an einen warmen Baumstamm gelehnt, zu träumen. Es wäre so schön, sagen zu können: „Die alte Schafsnase passt gut zum Lammkotlett“. Es wäre so schön, wenn Menschen sich ähnlich wie beim Analog-Käse fragten: Ist das ein Industrieapfel oder ein echter? Es wäre so schön, wenn die Berliner den grünen Gürtel aufforsteten. 5000 Apfelbäume pflanzten.  „Das muss doch machbar sein“. 

„Wenn ich wüsste, dass die Welt morgen untergeht, würde ich heute einen Apfelbaum pflanzen“, sagte Martin Luther. Schock will die alte Tradition wiederbeleben, wonach jeder Mann vor seiner Hochzeit 20 Obstbäume für die nächste Generation pflanzt. In den Prinzessinnengärten wachsen Schocks Schützlinge bereits auf. Schock vermittelt Baumpatenschaften, gibt Aufpfropf- und Schnittkurse.

„Macht euch die Hände schmutzig“, ruft er. Anschließend sollen die Berliner ihren Baum besuchen, mit den Kindern darunter picknicken.

„In Berlin gibt es Demonstrationen für alles, warum nicht auch für Äpfel?“ Fördermittel! Die Bundesregierung soll sich damit beschäftigen!

Schock hält inne. Dann lacht er. Träume. Wäre es nicht schön – eine Streuobstwiese auf dem Tempelhofer Feld?

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