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Verborgene Leiden. Nach außen demonstrieren Männer Gesundheit und Selbstbewusstsein, ihre Krankheiten verbergen sie.

© IMAGO

Männer: Die Schwächen des starken Geschlechts

"Erster Deutscher Männerbericht": Die Herausgeber bezeichnen den Mann als das vernachlässigte Geschlecht und mahnen: Männer, nehmt Eure Krisen ernst – die körperlichen wie die seelischen.

Nicht nur, dass er zu selten zum Arzt geht und sich untersuchen lässt. Er selbst, die Öffentlichkeit und die Ärzte wissen zu wenig über ihn und seinen Gesundheitszustand. Von dem vernachlässigten Geschlecht sprechen deshalb die Herausgeber des Ersten Deutschen Männerberichts, „Die Deutsche Gesellschaft für Mann und Gesundheit“ (DGMG) und die „Stiftung Männergesundheit“. Nachdem bereits 2001 der „Bericht zur gesundheitlichen Situation von Frauen in Deutschland“ vorgestellt wurde, wollten Wissenschaftler und Mediziner nun auch die Gesundheit des Mannes in den Fokus rücken. Sie untersuchten unter anderem die Gesundheitsversorgung, das Gesundheitsverhalten und die Defizite der Versorgung von Männern. Am Donnerstag präsentierten sie in Anwesenheit von Bundesfamilienministerin Kristina Schröder den Bericht in Berlin. „Männer haben heute eine fünf Jahre geringere Lebenserwartung als Frauen. Aber viereinhalb Jahre davon sind durch soziokulturelle Faktoren bestimmt“, sagte die Ministerin.

In dem Bericht werden Männer als das „vernachlässigte Geschlecht“ bezeichnet. Das können möglicherweise viele Frauen nicht verstehen, die zu Recht beklagen, dass ihre Männer bei gesundheitlichen Problemen zu viel jammern. Genau hier liegt nach Angaben der Autoren des Berichts das Problem. Statt den Arzt aufzusuchen, jammern viele Männer bei ihren Frauen. Und das Jammern wird umgekehrt nicht ernst genommen. Weil der Mann nicht eingestehen will, dass er zum Arzt muss, weil er das als ein offizielles Eingeständnis von Schwäche wertet, entsteht ein Teufelskreis. Viele Krankheiten bleiben unbehandelt, weil sie nicht erkannt werden. „Männer, nehmt eure Krisen ernst – die körperlichen, wie die seelischen“, forderte Matthias Stiehler, einer der Autoren. Sprüche wie „Hab dich nicht so“ oder „Reiß dich zusammen“ müssen sich Männer also zukünftig nicht mehr gefallen lassen und sie sollten diese Sätze auch nicht zu sich selbst sagen. Die gesellschaftliche Sicht auf Männer müsse sich ändern. Daran müssten die Männer aber auch selbst mitarbeiten, sagt Stiehler. „Das Männerbild muss sich verändern“, sagte Frank Sommer, Professor für Männergesundheit am Uniklinikum Hamburg-Eppendorf und Präsident der DGMG. Männer machten einen Spagat und wollten einerseits der liebende Papa und Ehemann, andererseits der Superheld im Berufsleben sein. Die Ansprüche der Gesellschaft an den Mann und seine eigenen Erwartungen führten dazu, dass das vermeintlich starke Geschlecht keine Schwäche zeigt und „Raubbau an der eigenen Gesundheit betreibt“, erklärte Doris Bardehle, Wissenschaftlicher Vorstand der Stiftung Männergesundheit. Männer bringen sich oft selbst in Gefahr. Sie seien im Beruf stark eingespannt, ernährten sich ungesund, rauchten und tränken zu viel Alkohol, hielten wenig von Vorsorgeuntersuchungen und gingen häufig an ihre körperlichen und psychischen Grenzen. Und das hat Folgen.

Der Testosteronwert sinkt ab dem 35. Lebensjahr kontinuierlich, wie Frank Sommer erklärte. „Wir wissen, dass niedrige Testosteronwerte sich negativ auf Herz und auf die Gesamtlebenserwartung auswirken.“ Männer sollten öfters ihre Werte bestimmen lassen und wenn nötig auch ihren Lebensstil ändern und sich mehr bewegen. Auch das Herzinfarktrisiko ist bei Männern besonders hoch. Zwischen dem 40. und 50. Lebensjahr sterben fünfmal so viele Männer am Herztod wie Frauen, erklärte Sommer. Das Risiko könne rechtzeitig – sogar bis zu acht Jahren vorher – erkannt werden. Unter anderem sind Erektionsstörungen erste Anzeichen dafür. Voraussetzung ist aber auch hier, dass sich Männer häufiger untersuchen lassen und auf ihren Körper hören. Gleichzeitig seien es aber nicht nur die Herren selbst, die sich vernachlässigen. „Sie werden auch vernachlässigt“, sagte Doris Bardehle. „Ärzte sind heute häufig nur unzulänglich auf die Besonderheiten ihrer männlichen Patienten vorbereitet.“ Das gilt vor allem auch für den Bereich der psychischen Gesundheit. Bei Männern werden psychische Störungen häufig nicht erkannt und daher nicht behandelt. Sie werden aber nicht seltener psychisch krank, sie weisen nur andere Erkrankungsbilder auf, wie Anne Maria Möller-Leimkühler, eine der Autorinnen der Studie, erläutert. So liegt die Rate der alkoholkranken Männer bei 6,8 Prozent, bei Frauen nur bei 1,3 Prozent. Männer werden auch eher drogenabhängig, leiden häufiger unter einer antisozialen Persönlichkeitsstörung, werden eher gewalttätig und neigen stärker zum Suizid.

Ob auch mehr Männer als gedacht an Depressionen leiden, ist bisher nicht klar. Anne Maria Möller-Leimkühler erklärte, dass Depressionen bei Männern häufiger durch untypische Symptome wie Aggressivität, Reizbarkeit und Suchtverhalten verdeckt sind. Ärzte stellen daher oft zu spät die richtige Diagnose – mit schwerwiegenden Folgen: 80 Prozent aller Suizidfälle ließen sich auf Depressionen zurückführen. „Die Suizidrate der Männer übersteigt die der Frauen mindestens um das Dreifache, die Rate der diagnostizierten Depressionen bei Männer ist jedoch nur halb so hoch“, sagt Möller-Leimkühler.

Die Autoren fordern eine Verstärkung der Männergesundheitsforschung. „Forschungseinrichtungen müssen mehr zusammen und fachübergreifend arbeiten“, sagt Sommer. Auch die Männermedizin sollte verstärkt werden, die auf geschlechterspezifische Krankheiten eingeht.

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