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Das Buch zum Bett. Ende des 19. Jahrhunderts begann der Internationale Gideonbund die Heilige Schrift für Reisende zu hinterlegen.

© mauritius images / ib

Hotelzimmerbibel: Ein Psalm zur guten Nacht

Die Bibel war einst Standard in jedem Hotelzimmer der westlichen Welt. Jetzt wird sie oft nur auf Wunsch ausgehändigt.

Der Hotelgast öffnet in seinem Zimmer die Schublade des Schreibtisches. Leer. Er sucht etwas ganz Bestimmtes. Vielleicht liegt es im Nachttisch? Fehlanzeige. Nichts. Nichts? Tatsächlich, nicht mal das Neue Testament! Nun hat der Mann keineswegs die Absicht, das im Konfirmandenunterricht Gelernte wieder aufzufrischen. Vielmehr sucht er ein örtliches Telefonbuch. Doch es fällt halt auf, dass selbst im katholischen Spanien keine Spur von der Heiligen Schrift in der Herberge zu finden ist. Wo ist die Bibel hin, die in Form des Neuen Testaments eigentlich zur Standardausstattung eines Hotelzimmers in westlichen Ländern gehört?

Gewiss, Ort der Suche ist eine Ferienanlage auf Mallorca, nicht etwa ein Stadthotel, wo das Buch der Bücher eigentlich zuverlässig in der Nachtkonsole schlummert. In der Regel gut erhalten, weil wenig in Gebrauch. Doch die Zeiten ändern sich. Das heißt, vielleicht auch nicht. Denn es gibt ja durchaus auch christlich geprägte Länder, die im Gegensatz zu Deutschland oder den USA keineswegs von missionarisch ambitionierten Bibelverteilern erobert werden konnten.

Wie fand die Bibel überhaupt in die Hotelzimmer? Es mag schon früh den ein oder anderen Hotelier gegeben haben, der sozusagen in missionarischem Eifer zur Erbauung seiner Gäste Exemplare der Heiligen Schrift auf seine Zimmer gelegt hat. Das organisierte Hinterlegen von Bibeln für Reisende begann jedoch erst Ende des 19. Jahrhunderts. Durch den Internationalen Gideonbund.

Die Beatles waren sich der Tradition bewusst und texteten: „Rocky Raccoon checked into his room / Only to find Gideon’s bible.“ Das war möglicherweise enttäuschend für den armen Kerl, weil er vielleicht andere Gesellschaft im Zimmer über dem Saloon erwartet hatte, aber überraschend kann es für ihn nicht gewesen sein. Denn der Gideonbund als einer der ältesten christlichen Vereine der Vereinigten Staaten hatte es sich bei Gründung 1899 in Boscobel, Wisconsin, zur Aufgabe gemacht, die Bevölkerung zum Glauben zu bekehren. In Folge verteilte er gratis Bibeln in Hotels, Krankenhäusern, Gefängnissen, Schulen oder Kasernen.

Nach dem Zweiten Weltkrieg breitet sich die Vereinigung dann in vielen Teilen der Welt aus. Der deutsche Ableger entwickelte sich besonders gut, zählt heute angeblich etwa 3900 Mitglieder. Versammelt haben sich hauptsächlich Geschäftsleute, Freiberufler und Akademiker. Johannes Wendel ist Geschäftsführer des Gideonbundes in Deutschland mit Sitz in Wetzlar. Zu den Aktivitäten und Motiven des eingetragenen Vereins mochte sich Wendel jedoch gegenüber dieser Zeitung nicht äußern. Man sei „mit dem bisherigen Bekanntheitsgrad sehr zufrieden“, eine Veröffentlichung über die Gideons habe zudem noch nie bei Hotels zu einem verstärkten Interesse an Bibeln geführt, teilte er knapp per E-Mail mit.

Der Gideonbund verteilt bis heute verschiedene Ausgaben von Bibeln, zielgruppengerecht sozusagen: Blaue Bibel in Großdruck (für Wartezimmer von Arztpraxen und Anwaltskanzleien, Nachttische oder Zimmer von Krankenhäusern); Blaue Bibel in drei Sprachen (Deutsch, Englisch, Französisch) für Hotels; die Taschenbibel mit grünem Einband soll genauso Schüler und Studenten ansprechen wie „Einsitzende in Justizvollzugsanstalten, Bundeswehrsoldaten, … und Bewohner von Asylantenheimen“. Bisher soll der Gideonbund etwa 18 Millionen Bibeln in Deutschland verteilt haben.

Und wie halten es nun die großen Hotels? „Bei unseren Häusern ist es unterschiedlich“, sagt Kempinski-Sprecherin Ursula von Platen. „In Bayern und auch in London liegen Bibeln in allen Zimmern aus. In Berlin und Hamburg wiederum nicht. Kempinski-Häuser in Afrika, im Mittleren Osten oder Asien haben ebenfalls keine Bibel ausliegen. Grundsätzlich ist es immer möglich, auf Anfrage eine Bibel oder auch den Koran zu bekommen.“

Bei Steigenberger Hotels and Resorts sowie in Inter City Hotels finde der Gast eine Bibel auf jedem Zimmer, bestätigt Sprecherin Marion Schön. Ähnlich verhält es sich bei den Mövenpick Hotels, wie Sprecherin Marion Schumacher sagt: „In fast allen Häusern in Europa, in jedem Fall im deutschsprachigen Raum, liegt das Neue Testament aus. Koran, Thora und die American Bible werden auf Wunsch ausgehändigt.“ Bei den spanischen Riu Hotels, die meist in Urlaubsgebieten zu finden sind, wird differenziert. „In den Riu Plaza Häusern, also den Stadthotels, wie wir 2013 eines in Berlin eröffnen werden(an der Urania; Anm. d. Red.), wurde entschieden, Exemplare der Bibel an der Rezeption zu hinterlegen, damit diejenigen, die eine wünschen, diese dort abrufen können und diejenigen, die es als störend empfinden, nicht belästigt werden“, sagt Sprecherin Claudia Schunk am Konzernsitz in Palma de Mallorca. Und, wird ein Exemplar schon mal „versehentlich“ eingepackt? „Ja, das gibt es natürlich auch, aber nur sehr selten. Ich gehe mal davon aus, dass jemand der sich mit der Bibel auseinandersetzt, auch die Zehn Gebote kennt“, sagt Ursula von Platen. Hingegen berichtet Riu-Sprecherin Schunk: „Es gibt offenbar Kunden, die es als Hobby ansehen, Bibeln aus verschiedenen Hotels mitzunehmen.“

Und wie halten es die jungen Hotelketten wie etwa Motel One? „Bei Motel One gibt es generell keine Bibeln. Uns ist auch nicht bekannt, dass jemals eine Bibel, der Koran oder andere Glaubensbücher angefragt worden sind“, sagt Karen Schmidt für die Kette, die derzeit mit 39 Hotels in Deutschland und Österreich vertreten ist.

Woher beziehen die Hotels die Bibeln? „Meist werden die Exemplare lokal besorgt. Allerdings können Bibeln auch über unseren Zentraleinkauf bestellt werden“, sagt die Kempinski-Sprecherin. Marion Schumacher von Mövenpick gibt an, der Gideonbund stelle sie zur Verfügung.

In Frankreich haben die Gideons hingegen einen ungleich schwereren Stand. Sie werden oft für eine Sekte gehalten und von französischen Hoteliers abgewiesen. Gleichwohl sieht in den Häusern französischer Ketten in Deutschland – etwa der Accor-Gruppe mit Novotel, Mercure und Ibis – eine Anweisung vor, jedes Hotel habe zehn Bibeln für die Gäste bereitzuhalten. Allerdings an der Rezeption, nie in den Zimmern. Lediglich in den USA macht Accor eine Ausnahme. Dort liegt auf jedem Zimmer der Gruppe eine Bibel.

Doch wie lange noch? Das Hotel Indigo in Newcastle hat in seinen 148 Zimmern die Nachttisch-Bibel durch einen Kindle, das E-Book-Lesegerät von Amazon, ersetzt, auf dem sich die Bibel findet.

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