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Der chilenische Regisseur in seinem Lokal.

© Thilo Rückeis

Lokal "Gloria": Kulinarisches Kino

Sebastián Lelios Film „Gloria“ wurde auf der Berlinale ausgezeichnet. Nun hat der Chilene in Kreuzberg ein gleichnamiges Restaurant eröffnet.

Die Wahrsagerin aus Montevideo wusste schon vor vier Jahren, wie alles kommen würde. Als der chilenische Regisseur Sebastian Lelio heute von der Prophezeiung erzählt, vergisst er, an der Zigarette zu ziehen, die er sich gerade erst angezündet hat. „Die Seherin erzählte Virginia, meiner Frau, dass ihr neuer Freund, der mit den hellen Augen“ – mit schüchternem Lächeln zeigt der 39-Jährige auf seine grünblauen Augen – „großen Erfolg haben würde. Und dass wir in Berlin leben würden. Sie sagte wirklich Berlin! Und wir haben noch gelacht! Echt gespenstisch, oder?“

Lelio hat gerade tatsächlich großen Erfolg. Sein Film „Gloria“ über eine Endfünfzigerin auf der Suche nach der großen Liebe gewann im Februar auf der Berlinale den Publikumspreis, läuft in diesem Jahr auf fast jedem Filmfestival und seit Anfang August erfolgreich im Kino. Und er lebt seit einem Jahr tatsächlich mit seiner Frau Virgina Acosta, einer Autorin und Malerin aus Uruguay, in Berlin: in Kreuzberg.

Lelio dreht sich eine neue Zigarette, atmet den Rauch tief ein. „Nur das mit dem Restaurant, das wusste die Wahrsagerin nicht.“ Er lacht. Auch das Lokal, das er vor einem Monat mit seiner Frau und einem befreundeten argentinischen Paar eröffnet hat, heißt „Gloria“ und liegt in der Nähe seiner Wohnung, am Görlitzer Park, nicht weit von Daniel Brühls Tapas-Bar „El Raval“. Es ist eine Mischung aus Wohnzimmer und Bar, die Wände ziert eine dunkle Tapete mit Goldornamenten, ein paar Sessel und Sofas und Holztische stehen herum, in der Mitte thront eine Theke mit Neonlicht, es läuft leise brasilianischer Samba. Die Außenwand ist weinrot, davor stehen Biertische und -bänke, Chilisträucher dienen als Deko. Viele Gäste plaudern auf Spanisch.

Die junge spanische Kellnerin serviert dem Paar am Nebentisch riesige Steaks mit zwei Salatblättern und wünscht „Buen Provecho“, Guten Appetit. Lelio lässt die Steaks nicht aus den Augen. „Du hast Hunger“, sagt seine Frau und springt auf. „Ein paar Empanadas?“ Die mit Fleisch und Gemüse gefüllten Teigtaschen sind eine der südamerikanischen Spezialitäten im „Gloria“. Der Regisseur, vor einer Stunde erst vom Filmfestival in Sarajevo zurückgekehrt, lächelt und nickt, murmelt „gracias“. Heute findet Lelios es ganz logisch, dass er ein Lokal in Berlin eröffnet hat. „Der Esstisch steht in ganz Südamerika im Zentrum des Lebens, stundenlang sitzt man gemeinsam daran, isst, trinkt, bespricht alle Probleme. Dort lernt man sich wirklich kennen.“ Als Lelio seine jetzige Frau Virginia zum Essen einlud, war klar: Das ist was Ernstes. „Hier im Lokal können die Gäste unsere Art des Essens ausprobieren und dabei auch stundenlang sitzen bleiben.“ Lelio grinst. „Wir machen vor, wie das geht: Nach dem Essen kommt der Kaffee, dann ein Pisco Sour, dann noch einer…“ Lelio liebt den Traubenschnaps mit Zuckersirup, Eiklar und Limettensaft. „Er ist so schön trügerisch – schmeckt, als wär nix drin…"

Keiner seiner Filme kommt ohne lange Tischszene aus. So dauert die Geburtstagsfeier von Glorias Sohn fast eine Viertelstunde. Dabei sind solche Szenen schwierig zu drehen, „es passiert ja nichts. Nur Dialoge, Gesten.“ Er achtet genau darauf, was seine Figuren essen, selbst, wenn der Zuschauer es gar nicht erfährt. Als Gloria das Handy ihres Freundes in die Suppe fallen lässt, „das war eine Cazuela, ein chilenischer Eintopf mit Rindfleisch, Mais, Kürbis und Kartoffeln. Mein Leibgericht, wenn es draußen kalt wird.“

Im Winter soll die Cazuela auch auf die Karte des Kreuzberger Restaurants. Lelios Lieblingsgericht im Sommer, Quinoa-Salat, eine Spezialität aus Bolivien, wird jetzt schon serviert. Er musste dafür kämpfen. „Meine Frau ist aus Uruguay, die anderen beiden Partner aus Argentinien, alle drei leidenschaftliche Fleischesser. Für Vegetarisches haben sie nicht viel übrig", sagt Lelio und beißt in seine Empanada.

Wie ein Best-Of der südamerikanischen Küche liest sich die Speisekarte des „Gloria“. Die obligatorischen Fleischgerichte aus Argentinien und Uruguay, Chorizo de Bife, argentinisches Rumpsteak, und Chivito, ein Sandwich mit Rinderlende, Mozzarella, Oliven und Pommes, das Nationalgericht in Uruguay. Ceviche, roh marinierter Fisch aus Peru, aber auch saucenlastige Speisen: Papas a la Huancaína, Kartoffeln in einer scharfen, cremigen Sauce aus Peru, und Pollo con Mole, Hühnchen mit Schokoladensauce aus Mexiko. Und natürlich ist Dulce de Leche im Angebot, eine Creme aus Milch, Zucker und Vanille, die Nachspeise schlechthin in ganz Südamerika. Alles zu moderaten Preisen.

Das Kochen haben seine Frau, der Partner Maximiliano und ein Angestellter aus Bulgarien übernommen, der Jahre lang in spanischen Restaurants gearbeitet hat. Vielleicht, hofft Lelio, kriegt er ja durch das Lokal auch am Kochen Spaß.

Mit einem Stipendium des Künstlerprogramms des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) kamen die Lelios letztes Jahr nach Berlin. Schon nach vier Monaten wussten die beiden, dass sie bleiben wollten, die Stimmung in der Stadt hatte es ihnen angetan. Ähnlich erging es der argentinischen Schriftstellerin Samanta Schweblin, ebenfalls DAAD-Stipendiantin, und ihrem Mann Maximiliano, Fotograf. Irgendwann im Winter, das Stipendium lief bald aus, saßen die vier Südamerikaner zusammen, Maximiliano erzählte von dem Restaurant, das er in Buenos Aires hatte, und Virginia sagte: „Lasst uns ein Café aufmachen. Dann kommen wir richtig in Berlin an.“ Die anderen drei waren sofort dabei und bereit, einen Teil ihrer Ersparnisse zu opfern.

Als „Gloria“ den Berlinale-Publikumspreis gewann, hatten die vier gerade das Lokal am Görlitzer Park gefunden. Weil es viel größer war als geplant, beschlossen sie kurzerhand ein richtiges Restaurant zu eröffnen. Gloria, der Name lag auf der Hand. Den Namen fand der Regisseur schon immer schön , so wie das gleichnamige Lied von Umberto Tozzi.

Bei der Suche nach Lieferanten für Zutaten wie die peruanische Paprika, die mexikanische Schokoladensauce und das argentinische Fleisch, halfen ihnen Latinos, die schon Restaurants in Berlin haben.

In den letzten Wochen sind viele Leute ins Restaurant gekommen, die gerade „Gloria“ im Kino gesehen hatten. Und fast immer bestellten sie einen Pisco Sour, so wie die Filmfigur. Erst vor ein paar Tagen waren fünf End-Fünfzigerinnen da, die kreischten, als sie erfuhren, dass neben ihnen wirklich der Regisseur des Films saß.

Als „Integrationsprojekt“ beschreibt Lelio das Lokal. „Wir zeigen den Berlinern etwas von unserer Kultur und lernen sie gleichzeitig besser kennen. Das Lokal soll ein Ort der Begegnungen sein.“ Maximiliano und Virginia, die Partner der beiden ehemaligen DAAD-Stipendiaten, managen den Laden, der außer montags jeden Tag von zehn Uhr früh bis Mitternacht geöffnet hat. Wenn Sebastián Lelio in der Stadt ist, schreibt er fast immer hier, auch Samanta Schweblin sitzt fast jeden Tag mit ihrem Laptop im Restaurant und arbeitet an ihren Kurzgeschichten.

Mittlerweile ist das Restaurant ein inoffizieller Treffpunkt der Lateinamerikaner in Berlin - ein weiteres Restaurant mit Spezialitäten aus ganz Südamerika gibt es in Berlin nicht - viele bringen Playlists mit und Rezeptideen. Ein älteres Ehepaar aus dem Haus kommt seit der Eröffnung fast jeden Tag zum Essen, auch jetzt sitzen die beiden drinnen an einem der Holztische, essen Empanadas. „Die beiden sind wie unsere deutschen Großeltern“, sagt Virginia. Als ihr Mann gerade erzählt, dass er noch nichts Berlinisches gegessen hat, nur Bayerisches, Schweinebraten und Schnitzel, kommt die Nachbarin heraus, streicht ihm übers Haar und erklärt ganz langsam – noch sprechen die vier vom Gloria kaum Deutsch – dass sie ihnen bald was richtig Berlinerisches kochen werde.

Das Lokal liegt in der Görlitzer Str. 42. Offen ist Di-Do 10 - 24 Uhr.

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