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Mark Thomas (links) und Martin Fehre vom "Momos" präsentieren ihre Bio-Teigtaschen im "Momos".

© Thilo Rückeis

Interessantes Fast Food in Berlin: Berlin isst die Welt

Bánh mì in Mitte, Käsespätzle aus dem Truck – sogar Curry 36 brät Havelländer Apfelschwein: Die neue Imbisskultur ist vielfältig wie nie zuvor. Eine Analyse zum Start der neuen Snack-Kritik.

Von Kai Röger

Ein kleiner Test: Was ist die größte und erfreulichste kulinarische Entwicklung in Berlin der letzten Jahre?

Sind es die vielen Michelin-Sterne, die auf die Hauptstadtrestaurants niederprasseln? Oder dass sich Berlin zur vegetarischen Hauptstadt gemausert hat? Ist es vielleicht das vegane-glutenfreie-Superfood-Segment, das besonders glänzt?

Die Antworten lauten: dreimal nein.

Sicherlich sind die Sterne verdient und erfreulich allemal, doch der Gourmetboom ist ein Nischenphänomen und bleibt ein Segen für wenige. Und die vegetarische Hauptstadt, die das angesehene US-Food-Magazin „Saveur“ in Berlin verortet, hätte doch zumindest eine spektakuläre Neueröffnung hervor bringen müssen, die das belegt. Eines der wenigen rein vegetarischen Restaurants mit Anspruch, das „La Mano Verde“, musste vergangenen Sommer sogar schließen. Und der Hype ums Weglassen ist letztlich doch mehr ein diätisch-ideologischer als kulinarischer Trend.

Die Qualitätsexplosion

Die einzige wirkliche, umfassende, alle Schichten durchdringende Revolution in Sachen Genuss ist die Qualitätsexplosion der Berliner Imbisskultur. Ja richtig, Imbisskultur.

Imbiss und Kultur? Das mag ein Widerspruch in sich sein, gilt der Imbiss doch als Snack, als Junkfood, als etwas, das Mütter ihren Kindern versagen, wenn sie „etwas Richtiges“ essen sollen. Aber genau hier hat eine große Veränderung stattgefunden – nicht nur, was die Vielfalt und die Qualität des Angebots betrifft. Unsere Sicht auf die Zwischenmahlzeit hat sich verändert, ebenso wie unser Verständnis davon, wie wir in Zukunft essen wollen.

Ein Beispiel und die Frage: Ist das noch ein Imbiss? Das „Momos“ in Prenzlauer Berg nennt sich „Bio-Imbiss“, es hat wenige, doch recht gemütliche Sitzplätze, einige Tische, an denen man zusammen speist und einen Holztresen, in dessen Vitrine kleine halbmondförmige Teigtaschen darauf warten, gebraten, gedünstet mit verschiedenen Dips oder in Brühe serviert zu werden. Die Teigtaschen sind gefüllt mit Brokkoli, Tofu und Shiitake-Pilz, mit Kartoffel, Kohl, Karotte und Ingwer oder mit Kürbis und Kichererbse – alles Bio, alles vegetarisch, vieles vegan.

Ein Snack im Sitzen

Die beiden Betreiber Martin Fehre und Marc Thomas haben die kleinen Halbmonde in ihrem Urlaub in Nepal kennen gelernt und beschlossen, die „Momos“, wie sie dort genannt werden, nach Berlin zu bringen.

„Es sind eigentlich Dumplings, die es in vielen Ländern gibt, in Indien heißen sie Somosas, in Japan Gyozas, in Osteuropa kennt man sie als Piroggen, Wareniki oder Pelmeni. Für die Nepalesen sind sie ein Snack wie für uns die Currywurst. Nur dass man sie nicht im Stehen isst, sondern sich ein bisschen mehr Zeit dafür nimmt“, sagt Marc Thomas.

Streetfood klingt besser als Imbiss

Djafari vom "Nuport" präsentiert asiatische Hot dogs mit Enten-Bratwurst.
Djafari vom "Nuport" präsentiert asiatische Hot dogs mit Enten-Bratwurst.

© Thilo Rückeis

Diese Art des Essens haben Thomas und Fehre „Fast-Casual“ genannt: Essen wie im Restaurant, nur schneller serviert und ohne weiße Tischdecken und Kellner am Tisch. „Fast Food und Imbiss – das klingt nach Billigschiene, da würde niemand Qualität erwarten“, sagt Martin Fehre. Deshalb auch der Ausdruck „Bio-Imbiss“, „weil es einen anderen Standard signalisiert“.

Der Imbiss hat hierzulande ein Imageproblem. Das sagt auch der Ethnologe Marin Trenk, der an der Goethe-Universität Frankfurt Kulinarik unterrichtet und sich in seinem Buch „Döner Hawaii“ mit der Globalisierung des Essens beschäftigt. „Zu Deutschlands kulinarischen Säulen gehören die Wurst und das Brot, beides gibt es in außergewöhnlicher Vielfalt und eigentlich auch in sehr guter Qualität. Aber finden Sie einmal einen Imbiss, der gute Wurst und Brot anbietet, das ist doch die Ausnahme.“

Ketchup, Sprite und Sojasauce

Nicht das Angebot allein sei schuld an mangelnder Qualität, sondern auch die negative Stigmatisierung des klassischen Imbissangebots. „Die Wurst im Brot wird einfach nicht als richtige Mahlzeit eingeschätzt“, sagt Trenk. Wer halbwegs Qualität, Raffinesse oder Exotik auf die Hand anbietet, meidet die Bezeichnung „Imbiss“ wie die Pest – „Streetfood“ ist das Zauberwort, das dem Imbiss eine Zukunft beschert.

So bietet das neueröffnete „Neta“ in Prenzlauer Berg seine hausgemachten Tacos und Burritos als „Mexikanisches Streetfood“ an. Das „Koshary Lux“ bringt arabische Alltagsküche in Häppchenform als „Oriental Streetfood“ nach Charlottenburg. Und das „Ayan“ in der Potsdamer Straße serviert in Ketchup, Sprite und Sojasauce mariniertes Rindfleisch als „Filipino Streetfood“.

Doch es ist nicht nur der Name und die bessere Qualität, die zum Erfolg der neuen Imbisswelle beiträgt. Es ist die Art, wie diese Speisen konsumiert werden. „Das Snacken ist in der Regel eine höchst individuelle Angelegenheit, man isst allein, im Gegensatz zu einer Mahlzeit, die am Tisch in aller Regel mit mehreren eingenommen wird. Über alle Kulturen hinweg wird alleine zu essen als Mangel empfunden“, sagt Marin Trenk. Gleichzeitig gewinnt in unserer Kultur die Zwischenmahlzeit immer mehr an Bedeutung, der „Snack around the clock“ ersetze schon bei vielen das Tafeln, ohne dass sie auf die kollektive Essensaufnahme verzichten wollen.

Kleine Portionen zum Teilen

„Das ‚Ich will einen Teller für mich, und da soll möglichst viel drauf sein’, verändert sich hin zu einer Struktur, in der man mit mehreren zusammen möglichst viele kleine Portionen bestellt und die miteinander teilt“, sagt Trenk.

Der Boom der Streetfoodmärkte sei ein Indiz dafür, dass Snacken anders, eben als Erlebnis und nicht als Mangel wahrgenommen wird. „Es entsteht eine gemeinschaftliche und sehr flexible Essensstruktur. Man entledigt sich des Drucks, essen zu müssen, was auf den Tisch kommt. Es kommt ein Moment der Freiheit, des Spielerischen mit hinein.“

Die Vertreter der neuen Imbisskultur ermöglichen genau dieses kollektive Esserlebnis. Sie haben nicht den Anspruch, ein Restaurant zu sein, bieten aber einfache Sitzgelegenheiten ohne klassischen Service am Tisch. „Ich erinnere mich“, sagt Trenk, „dass man in den 70er Jahren den Döner nicht in die Hand bekam und dann losstürzte, sondern es üblich war, sich zum Döner-Essen hinzusetzen.“ Das westliche beschleunigte Lebensgefühl sei schuld daran, dass Vieles zum „to go“ verkommen ist. „Das änderte sich gerade durch Menschen, die weit gereist sind und in der Streetfoodkultur Südostasisens und Mexikos erlebt haben, dass gute und schnell servierte Zwischenmahlzeiten trotzdem mit Elementen von privater Esskultur einhergehen können.“ Der seit gut zehn Jahren andauernde Import der Streetfoodkultur anderer Länder stoppe auch den Qualitätsverfall der deutschen Imbisskultur.

Ethnofood im Häppchenformat

Mark Thomas (links) und Martin Fehre vom "Momos" präsentieren ihre Bio-Teigtaschen im "Momos".
Mark Thomas (links) und Martin Fehre vom "Momos" präsentieren ihre Bio-Teigtaschen im "Momos".

© Thilo Rückeis

Eine neue Generation an Imbissen entstand, die authentisches Ethnofood im Häppchenformat aus aller Welt nach Berlin brachten: Das „Rice up“ startete im U-Bahnhof Schönleinstraße mit dem in Japan beliebten Streetfood Onigiri, verschieden gefüllten und mit Nori-Algenblatt ummantelte Reissnacks, und beliefert heute viele Bio-Märkte. Das „CôCô“ am Rosenthaler Platz war das erste, das vietnamesisches Bánh mì anbot, eine durch und durch vietnamesische Spezialität, die krustenloses Baguette-Brot – ein Erbe aus der französischen Kolonialzeit – mit typisch Asiatischem wie Zitronengras-Fleischbällchen und reichlich Koriander belegt.

Auch das „Momos“ gehört zu dieser Generation, auch wenn hier die Teigtaschen in modifizierter Form auf den Teller kommen: Von den sechs angebotenen Sorten ist nur eine rein nepalesisch. „Man kann das Originäre nicht eins zu eins zu uns kopieren“, sagt Martin Fehre. „Wir nutzen die Momos als Medium und kombinieren sie mit Aspekten, die uns wichtig sind: bio, vegetarisch, vegan, Nachhaltigkeit berücksichtigen, kaum Abfall produzieren.“ Obwohl das Produkt aus dem Himalaya stammt, ist in Berlin daraus etwas Neues entstanden.

Eine authentische Snackform als Basis zu nutzen und mit neuen Zutaten kombinieren, zeichnet die nächste Generation der Imbissrevolution aus: Im „District Môt“ in der Rosenthaler Straße wird aus dem klassischen Burger mittels Reismehl-Brötchen und Koriandereinsatz ein Ban Bao Burger. Um die Ecke verwandelt sich im „Nuport“ der Hot Dog durch Okonomiyaki-Sauce, Weißkohlstreifen, Asiamayo und Dashi in einen „Tai Chi Man“-Hot Dog.

Kulinarische Grenzen verschwimmen, traditionelle Gerichte und Kochtechniken verschmelzen zu globalisiertem Comfortfood in regional verschiedenen Spielarten, deren Erforschung die Spezies des „Foodies“ begründet. Und auch die traditionell deutsche Imbisskultur wird sich durch den internationalen Einfluss zum Guten verändern. „Der Import anderer Imbisskulturen hat den Druck auf die klassischen Läden erhöht, besser zu werden, und bitteschön frisch zu kochen“, sagt Marin Trenk.

Die Folgen sind bereits spürbar: Hamburger, einst die Ikonen amerikanischer Fast-Food-Ketten, entwickelten sich zum hochindividualisierten High-End-Essen. Bei „Curry 36“ ersetzt die „Bio-Currywurst vom glücklichen Havelländer Apfelschwein“ längst die Industrie-Wurst unbekannter Herkunft.

Am Beispiel des Foodtrucks „Heißer Hobel“, der Allgäuer Käsespätzle to go anbietet, prophezeit Trenk auch die Renaissance deutscher Klassiker: „Wenn eine regionale Spezialität in einem Foodtruck in Bewegung kommt, ist sie womöglich in einem anderen Bundesland schon wieder etwas Exotisches.“ So ist Regionales, wen wundert’s, immer auch ein Happen neu gewonnene Heimat auf dem Teller.

Es gibt viel zu probieren. Goldene Zeiten für neugierige Genießer. Von nun an werden wir jeden Sonntag in unserer neuen Kolumne „Von der Hand in den Mund“ einen Imbiss vorstellen.

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