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Die Ananas.

© Imago

Hymne auf die Ananas: Königin der Früchte

Unfassbar, die Ananas! Hilft Uschi Glas, macht Fleisch mürbe, war kostbar wie Gold. Und gut gereift schmeckt sie sagenhaft.

Strom kam aus der Steckdose, Ananas aus der Dose und Toast aus Hawaii: In den 60er Jahren war die Welt noch ziemlich übersichtlich. Keine Ahnung, wann ich das erste Mal in eine frische Frucht gebissen habe. Es muss ein Schock gewesen sein. Süß und saftig, ist die reife Ananas eine tropische Geschmacksbombe, nicht nur im Vergleich mit der Konservenkost. „Ananas“, so haben die Indianer sie aus gutem Grund genannt: köstliche Frucht.

In den letzten Jahren hat sie einen Boom sondergleichen erlebt, woran nicht nur Uschi Glas schuld sein kann: Die Schauspielerin gehört zu den prominenten Verfechtern der Ananas-Wunderdiät, die ungefähr so schlicht ist wie mein 60er-Jahre-Kinderkosmos. Die kalorienarme Frucht zehrt, so die Theorie – je mehr man davon isst, desto mehr nimmt man ab. Nur leider frisst sie, in rauen Mengen genossen, nicht die Speckröllchen weg, sondern allenfalls das Zahnfleisch. Die Arbeiter, die sie – nein, nicht von Bäumen, sondern aus niedrigen stacheligen Gewächsen – pflücken, müssen Handschuhe tragen, so ätzend ist ihr Saft.

Was nicht nur von Nachteil ist: Die verdauungsfördernde Vitamin- und Mineralienbombe verfügt über ein Enzym, Bromelin, das Eiweiß aufbricht, weshalb die Ananas sich bestens als Fleischzartmacher eignet. Schweine- oder Hühnerfleisch süßsauer ist daher keine kulinarische Verirrung, sondern eine ziemlich geniale Erfindung. So wie die Kombination aus Schinken und Ananas. Nur: Beim Erhitzen geht das Bromelin verloren, so dass der Toast Hawaii mit Dosenananas keinen küchenphysikalischen Sinn mehr ergibt. Und erfunden hat ihn wohl gar nicht Fernsehkoch Clemens Wilmenrod, wie es immer heißt, sondern, ausgerechnet, sein Konkurrent, Hans Karl Adam.

So weit zumindest der derzeitige Forschungsstand. Der kann sich auch wieder ändern. Denn die Geschichte der Ananas ist eine wechselhafte Geschichte von Mythos und Desillusion. Wobei die Realität auch nicht schlecht ist.

Als Christoph Kolumbus anno 1493 zwischen Papageien und exotischen Blüten die Ananas auf Guadaloupe entdeckte, packte er gleich einen ganzen Schwung ein. Nur durch pures Glück überlebte ein einziges Exemplar die Überfahrt aus der Karibik. Denn anders als die Banane zum Beispiel reift die Ananas nach dem Pflücken nicht nach, sondern vergammelt einfach irgendwann. Also: möglichst bald essen.

Aber das eine Exemplar hat gereicht, um ihr einen großen Hype zu bescheren: Kolumbus überreichte die Ananas König Ferdinand, der begeistert war von der „Pina“, wie die Spanier die unbekannte Schönheit nannten, wegen ihrer Ähnlichkeit mit einem Pinienzapfen.

Bald überschlugen sich die europäischen Fans vor Begeisterung, selbst den Wortgewaltigsten verschlug es die Sprache, ein Bewunderer meinte, nur Venus persönlich sei würdig, „die Königin der Früchte“ zu pflücken. Allein die Schönheit der tropischen Frucht hatte es ihnen angetan, diese aufrechte Haltung, die perfekten Proportionen, die dem goldenen Schnitt entsprachen – und eine richtige Krone zur Krönung! Bald schmückte sie Kaffeekannen, Torpfosten und Tapeten.

Kaum jemand war so verrückt nach dieser exquisiten Rarität wie die Engländer, die dem „pina“ noch ein „apple“ hintendranhängten, damit auch jeder wusste, dass es sich um Obst handelt. King Charles gab gern damit an – vor den Franzosen zum Beispiel –, ließ sich porträtieren mit seiner ersten „pineapple“.

Das weckte auch bei anderen Begierden. Nur war die Nachfrage enorm viel größer als das Angebot. Noch Jahrhunderte nach Kolumbus dauerte die Schiffsfahrt einfach zu lang für die delikaten Früchte. Aber selber anbauen kam eigentlich gar nicht infrage. Die Ananas braucht das ganze Jahr warme Sonne (dafür gedeiht sie auch das ganze Jahr), an der es den Briten mangelte. Dafür hatte man einfallsreiche Gärtner. Wer was auf sich hielt als Adliger im 18. Jahrhundert, ließ sich ein spezielles Gewächshaus für die Ananas bauen, die „pinery“. Was ein Vermögen kostete, das Obst so kostbar wie Gold werden ließ.

Das konnte man nicht einfach runterschlucken! Vor allem, wenn man sich kein eigenes Treibhaus leisten konnte. Bei herrschaftlichen Dinnerpartys wurde das dekorative Prachtstück auf einer großen Schale Obst thronend zum triumphalen Finale hereingetragen. Hatten sich die Gäste sattgesehen, eilten Boten mit ihr zum nächsten Fest in der Nachbarschaft. Im 19. Jahrhundert herrschte ein reger Ananasverleih, ein paar Auftritte am Abend absolvierte eine Frucht.

Dann ging alles ganz fix, die Schiffe wurden schneller, man konnte die Ananas an Bord kühlen (wobei auch da Vorsicht geboten ist: Zu kalt mag sie es nicht) – und auf Hawaii fing Mr. Dole mit der Konservierung im großen Stil an. Als Obst aus der Büchse wurde sie zum immer noch exotischen, aber für die Mittelschicht erschwinglichen Massenprodukt.

Das, nunmehr in seiner frischen Form, weiter boomt. In den letzten Jahren haben sich die Verkaufszahlen verdoppelt. Denn noch nie war die Ananas so süß und saftig wie heute. Und noch nie so billig: 1,49 Euro das Stück, manchmal nur 99 Cent. Das hat seinen Preis.

Das Wunderwesen, das heute im Supermarkt liegt, golden und nicht so stachelig, ist eine Neuzüchtung, ein Hybrid. Die drei größten Anbauer sind die Philippinen, Thailand und Costa Rica. In Hawaii lebt sie inzwischen praktisch nur noch auf dem Hawaii-Hemd und im Erlebnispark weiter, der Anbau tendiert gen null. Die großen Firmen wie Del Monte und Dole sind aus dem US-amerikanischen Bundesstaat weg vor allem nach Costa Rica gezogen – wo die Arbeitskräfte billiger sind.

Die Monokultur in gigantischem Stil hat fatale Folgen. Da die Gewächse so für Schädlinge besonders anfällig werden, werden sie mit Pestiziden besprüht, die die Arbeiter, die oft unter menschenunwürdigen Umständen zu Billigstlöhnen schuften, doppelt schädigen: bei der Ernte (jede Frucht muss per Hand gepflückt werden, um sicherzugehen, dass sie reif ist) und durch verseuchtes Trinkwasser. Wer als Verbraucher auf Nummer sicher gehen will, sollte Bio-Früchte aus dem Fair-Trade-Handel kaufen.

Und dann? Weiß man trotzdem nicht, ob die Ananas wirklich reif ist. Es empfiehlt sich, zu schnuppern, und zwar am unteren Ende, dort sollte sie süß duften. Nächste Herausforderung: Wie schneidet man das stachelige Stück mit der pockigen Schale und dem harten Kern? Das Öffnen von Büchsen hat durchaus Vorteile – man macht sich die Finger nicht klebrig. Manche kaufen sie im Supermarkt schon fertig mundgerecht geschnitten. Ich greife zum Ananas-Schäler-und-Spiralen-Schneider, der aussieht wie ein kleiner Presslufthammer, nur ohne Motor. Profis köpfen sie und hacken den Boden weg, stellen sie aufrecht hin und schälen und schneiden sie mit einem scharfen Messer senkrecht. Die „Augen“ muss man rausbohren.

Und dann? Jeder Pina-Colada-Fan weiß, wie gut die Ananas zur Kokosnuss passt. Nicht ganz so berühmt ist die Kombination mit Fenchel, Anis oder Sauerkraut. Zu Erdbeeren: perfekt! Gegrillt kann man sie zum Fleisch reichen oder, fein gewürfelt und mit Chili gewürzt, als Relish. Ja, sogar als Toast Haiwaii: mit geröstetem Sauerteigbrot, wirklich gutem Schinken und kräftigem Gouda. Schmeckt auch ohne Ketchup.

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