zum Hauptinhalt
Teure Pülverchen. Grünkohl und Brennessel täten's auch, für weit weniger Geld. Informationen über Ernährung mit einheimischem Obst und Gemüse auf dem Gesundheitsportal www.ugb.de.

© Fotolia

Heilsversprechen: Superfood: Alles super oder was?

Trendige Gesundmacher wie Gojibeeren und Meeresalgen kosten richtig viel Geld. Was von diesem Superfood zu halten ist.

Nein, diese Sache können wir Friedrich Liechtenstein nicht in seine blank gewichsten Schuhe schieben. Die Superfoods hat er nicht erfunden.

Nachdem der Entertainer gemeinsam mit dem Berliner Musikprojekt Der Tourist den Song „Supergeil“ in den Äther geschickt hatte, war plötzlich so ziemlich alles „supergeil“. Eine Lebensmittelkette sprang auf und ließ Liechtenstein alle Produkte lobpreisen – von der Tiefkühltorte über die H-Milch bis zum Wiener Würstchen. „Sehr, sehr geile Fritten, super! Supergeil.“ Ein bisschen Humor, ein bisschen Selbstironie – ausgerechnet von einer Supermarktkette. Das kam gut an und wurde zum Internet-Klick-Hit. Normalerweise geht es nämlich bierernst zu, wenn von Reinheitsgeboten, Nährstoffgehalten und Herstellungsprozessen im Lebensmittelbereich die Rede ist. Superernst.

Zum Beispiel, wenn es sich um besagte Superfoods handelt. Um die heilsame, verjüngende, stärkende Wirkung jener Nahrungsmittel, denen dieser Titel verliehen wird – von den Chiasamen über die Gojibeere bis zum Matcha-Tee. Der Begriff „Superfood“ existiert zwar seit Beginn des 20. Jahrhunderts, hat aber erst in den letzten Jahren eine rasante Karriere in Sachen Kundenaufmerksamkeit hingelegt. Das Oxford English Dictionary übersetzt die Marketing-Wortschöpfung in: „nährstoffreiches Lebensmittel, das als für Gesundheit und Wohlbefinden besonders förderlich erachtet wird“.

So weit, so schwammig. Dennoch füllt das Phänomen ganze Bücher. „Superfoods: Iss dich vital, gesund und schön“, „Die 50 besten Superfoods: Gesundheit kann man essen“, „Superfoods: Die Power-Nahrungsmittel für Gesundheit und Leistung“. In Ladenregalen und Onlineshops werden pulverisierte Mixturen zu Höchstpreisen angeboten. Die Riege der Superfoods scheint einfach alles zu steigern: das Wohlbefinden, die Gesundheit, die Schönheit, die Libido.

Dabei unterliegt der Titel „Superfood“ keinerlei fachlicher Definition. Die Liste der so Gefeierten wird immer länger. Mal beschränkt sich die Auswahl auf exotische Samen und Beeren, mal tauchen Klassiker wie Grünkohl und Brokkoli darin auf. Erstere sind natürlich aus Vermarktungsperspektive weit interessanter, weil kostspieliger: 100 Gramm Flocken von der Meeresalge Nori gibt es für knapp neun Euro, für 200 Gramm Moringablattpulver werden rund 30 Euro verlangt. Der heimische Grünkohl braucht erst ein exotisches Gewand, damit entsprechende Preise abgerufen werden können: Ein 30-Gramm-Tütchen Grünkohl-Chips mit Roter Bete und Acerola kostet schon mal knapp 3 Euro. Kann man machen.

Heilsversprechen auf die Packung schreiben, kann man aber nicht mehr. Die Health Claims Verordnung der Europäischen Union legt seit 2006 fest, dass jede auf dem Etikett eines Nahrungsmittels angegebene Information wissenschaftlich abgesichert sein muss. Es ist also auch im Falle der Superfoods verboten, mit einer gesundheitlich förderlichen Wirkung oder gar einem medizinischen Nutzen zu werben, soweit dies nicht ohne Zweifel bewiesen ist.

Johanna Feichtinger vom Verband für Unabhängige Gesundheitsberatung (UGB) in Gießen hat viele solcher Zweifel. „Alles, was exzessiv ist, schadet. Die Dosis macht das Gift“, sagt die Ernährungswissenschaftlerin. Der Begriff Superfood suggeriere, dass das jeweilige Lebensmittel alle anderen übertreffe. Man dürfe zwar nicht sagen „Chiasamen schützen vor Darmkrebs“. Die Formulierung „Chia ist ein tolles Superfood“ ist aber legitim. „Wenn die Leute das hören, besteht die Gefahr, dass sie übermäßig viel davon verzehren. Frühstück, Mittag, Abendessen.“ Es gelte aber nach wie vor, auf Abwechslung zu achten. Die Faustregel, täglich fünf Portionen Obst und Gemüse zu essen, ist schwer umsetzbar, wenn man sich aus tiefstem Heilsbringerglauben heraus nur noch von Algensalat oder getrockneten Beeren ernährt. „Oft ist es ja glücklicherweise so, dass die Leute solche Konzentrate nur kurzzeitig exzessiv konsumieren, es aber bald auch wieder unregelmäßig essen und irgendwann vergessen“, sagt Feichtinger. Denn selbst die förderlichsten Inhaltsstoffe können in großen Mengen schädlich sein.

Oft sind die Wunder-Lebensmittel gar nicht frisch zu kriegen

Teure Pülverchen. Grünkohl und Brennessel täten's auch, für weit weniger Geld. Informationen über Ernährung mit einheimischem Obst und Gemüse auf dem Gesundheitsportal www.ugb.de.
Teure Pülverchen. Grünkohl und Brennessel täten's auch, für weit weniger Geld. Informationen über Ernährung mit einheimischem Obst und Gemüse auf dem Gesundheitsportal www.ugb.de.

© Fotolia

Ein Beispiel: die Antioxidantien. Jenes Puzzlestück, das die meisten Superfoods verbindet und in Vertretern wie der Kakaobohne oder der Aroniabeere überdurchschnittlich stark vertreten ist. Antioxidantien wird eine verjüngende Wirkung zugeschrieben. Sie sollen die Zellen vor freien Radikalen schützen, welche wiederum Krebs erzeugen können. „Wir brauchen aber auch einen bestimmten Anteil Radikale im Körper, beispielsweise in der Immunabwehr“, sagt Johanna Feichtinger. Zu viele Antioxidantien können also auch kontraproduktiv sein. Dennoch gilt vielen der sogenannte ORAC-Wert (Oxygen Radical Absorbance Capacity) als Nonplusultra – er gibt an, wie viele Radikale ein Lebensmittel neutralisiert. Getestet wird dies im Reagenzglas. Für die tatsächliche Wirkung im Körper, so Feichtinger, habe der Wert kaum Aussagekraft.

Ein weiteres Problem liegt in der mangelnden Frische der Ware. Die weite Anreise ist der Preis für den Exoten-Bonus, für die sagenhaften Geschichten über alte Urvölker, deren Weisheit und Naturverbundenheit man mit dem Verzehr einer Gojibeere in sich aufnimmt. Abgesehen von der CO2-Bilanz hinter einer Tüte Gojibeeren aus China, sind die Beeren oft pestizidbelastet. Und sie werden in getrockneter Form angeboten. „Im Trocknungsprozess gehen bestimmte sekundäre Pflanzenstoffe verloren. Man sollte frische unverarbeitete Lebensmittel bevorzugen“, sagt Johanna Feichtinger. „Die sogenannten Superfoods sind aber oft gar nicht frisch verfügbar, weil sie die langen Transportwege nicht überstehen würden.“ Eine mögliche Lösung für Anhänger der Aronia- und der Gojibeere: Beide kommen durchaus mit hiesigen Klimabedingungen klar und können im Garten angepflanzt werden.

Naheliegender ist aber, auf heimische Varianten zurückzugreifen. Die Wissenschaftlerin nennt regionale Nahrungsmittel, die den Titel Superfood genauso verdienten wie ihre exotischen Geschwister. Jede Art von Nüssen und Samen, auch Kräuter und Wildkräuter. Spinat, Johannisbeeren, Hagebutten, Zwiebeln, Petersilie, Heidelbeeren – lauter Superfoods. Unterschätzter Top-Favorit: die Brennnessel. Siebenmal mehr Vitamin C als eine Orange, sechsmal so viel Kalzium wie Milch. Aber nur ein Bruchteil des Vermarktungspotenzials einer Meeresalge.

Nach der durchzechten Nacht ein Super-Smoothie

Teure Pülverchen. Grünkohl und Brennessel täten's auch, für weit weniger Geld. Informationen über Ernährung mit einheimischem Obst und Gemüse auf dem Gesundheitsportal www.ugb.de.
Teure Pülverchen. Grünkohl und Brennessel täten's auch, für weit weniger Geld. Informationen über Ernährung mit einheimischem Obst und Gemüse auf dem Gesundheitsportal www.ugb.de.

© Fotolia

Den Wunderbaum Moringa hat Johanna Feichtinger im Rahmen eines Seminars dem Grünkohl gegenübergestellt. Das Ergebnis: Der Grünkohl hat mehr Ballaststoffe, mehr Vitamin A und C und fast so viel Kalzium wie der Moringa, der nur beim Magnesium und Eisen vorne liegt. Der Vergleich von Chiasamen mit herkömmlichen Leinsamen ergab: Leinsamen haben einen höheren Proteingehalt und mehr Omega-3-Fettsäuren als der kostspielige Exot. Eisen und Ballaststoffe liegen fast auf einem Level. Und heimische Beeren wie die schwarze Johannisbeere oder die Heidelbeere können gegenüber der Aronai-, Goji- oder Acaibeere in Sachen Antioxidantien- und Vitamingehalt locker mithalten.

Dennoch werden die teuren Exporte immer beliebter. Natürlich gibt es Smoothies inzwischen auch in Pulverform. Ein 100-Gramm-Beutel kostet schon mal acht Euro. Wer zu faul ist, den Blattspinat in den Mixer zu werfen, rührt sich das Basispulver Spinat-Brennnessel-Gerstengras in Flüssigkeit an, fertig.

„Must-eats“ sind das neue Must-have. In Mitte sitzen sie nach alkoholschwangeren langen Nächten vor den Cafés in der Sonne, rauchen Zigaretten „ohne Zusätze“ und trinken teure grüne Smoothies in der Hoffnung, am Ende bei plus/minus null rauszukommen.

Es ist nur allzu menschlich. Menschen wollen daran glauben, dass ihre Orangenhaut verschwindet, wenn sie eine Woche lang koffeinreiche Creme auf die Oberschenkel reiben. Sie wollen daran glauben, dass ihnen nicht die Haare ausfallen, wenn sie jeden Morgen eine ominöse teure Flüssigkeit auf ihren Kopf träufeln. Und sie wollen gesund sein, um jeden Preis. Supergesund.

Einen Vorteil hat es ja, dass der Begriff „Superfood“ immer inflationärer wird. Inzwischen werden auch so herkömmliche Lebensmittel wie Pilze oder Knoblauch damit geadelt. Es wird immer einfacher, das Richtige zu tun.

Rotwein ist übrigens auch oft darunter. Und dazu müssen wir dann doch mal sagen: Das finden wir echt super. Supergut.

Lydia Brakebusch

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false