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Mais

© dpa

Film: Maiszeit

Er ist einer der wichtigsten Filme der Berlinale und eröffnet das "Kulinarische Kino": "Food, Inc." rechnet mit der industriellen Landwirtschaft ab. Und die Macher sagen: Es geht auch anders.

Chicken Nuggets haben Sie heute Mittag gegessen? Irrtum: Mais haben Sie gefuttert. Und die Cola dazu: War auch Mais. Das Salatdressing, der Milchshake: Mais. Selbst in der Verpackung ist er drin. Dabei haben Sie nicht ein einziges Körnchen gesehen.

Ketchup, Peanutbutter, Orangensaft – überall steckt Mais drin, oft in Form von Glukosesirup, die jede Limonade versüßt, erfährt der Zuschauer des amerikanischen Films „Food, Inc.“; viele der obskuren Zutaten, die auf den Labels stehen, sind aus Mais gemacht, in jedem Billigfleisch ist er enthalten: weil das Vieh damit schnell fett gefüttert wurde. Mais ist, nicht zuletzt dank staatlicher Subventionen, in den USA unschlagbar billig, der Preis ist niedriger als die Produktionskosten. Die Kamera fegt über riesige Maisfelder: „30 Prozent des Landes wird mit Mais bepflanzt.“ Und ausschließlich mit Mais – Einfalt hat die Vielfalt abgelöst.

Die verheerenden Folgen der Monokultur und der Industriealisierung der Lebensmittelproduktion auf die amerikanischen Farmer, die Landschaft, die Gesundheit der Menschen: Darum geht es in „Food, Inc“, der am kommenden Sonntag auf der Berlinale zu sehen ist. „Um die hohen Kosten des billigen Essens“, wie Regisseur Robert Kenner sagt. „Die Diabetes-Epidemie wird das Land in den Ruin treiben.“

"Essen als pastorale Fantasie"

Nur im Supermarkt ist die Welt noch in Ordnung. Zu Beginn des Films zeigt Kenner, wie dort „Essen als pastorale Fantasie“ verkauft wird. Auf Butterpackungen grasen glückliche Kühe, die Reklame fürs eingeschweißte Steak suggeriert, dass Amerika ein einzig Marlboroland der Freiheit ist: weite Prärie, Cowboys und Rinder.

Was folgt, sind 90 Minuten radikaler Desillusionierung. Das eingepferchte Hühnchen etwa fällt um, weil es so schnell mit Mais fett gefüttert wurde, dass die Beine das Gewicht nicht tragen können. „Wenn Sie ein Hühnchen haben, das Sie in 49 Tagen züchten können, warum sollten Sie eins wollen, das dazu drei Monate braucht“, fragt ein Farmer. Illegale Einwanderer arbeiten unter unmenschlichen Bedingungen in den Schlachthäusern.

Mit der Vorführung von „Food, Inc.“ im Friedrichstadtpalast beginnt das Kulinarische Kino der Berlinale, die nun schon zum dritten Mal stattfindet. Eine Initiative von Festival-Chef und Genießer Dieter Kosslick, der in dieser Woche „Food Inc.“ praktisch zum wichtigsten Beitrag des gesamten Festivals erklärte.

Es ist nicht der erste Film zum Thema. Schon „Unser täglich Brot“ und „We feed the World“ haben eindringlich und äußerst erfolgreich auf das Grauen der Massenproduktion von Lebensmitteln aufmerksam gemacht. Bei „Food, Inc.“ nun stehen die USA im Mittelpunkt – die die mit Abstand größten Maisproduzenten der Welt sind. Kenners wichtigste Kronzeugen sind Eric Schlosser, Autor des Bestsellers „Fast Food Nation: The Dark Side of the All American Meal“ und Co-Produzent des Films, und Michael Pollan. In Deutschland nur Fachleuten bekannt, hat der Journalistikprofessor in Berkeley und „Mitarbeiter der „New York Times“ mit zwei Büchern für Furore gesorgt: „The Omnivore’s Dilemma“ und „In Defense of Food“. Preisgekrönt und hoch gelobt, standen sie wochenlang auf den Bestsellerlisten. Und das, obwohl Pollan den Lesern eher schwere Kost serviert, das liest sich nicht flott runter. Die Bücher sind so komplex wie das, worum es geht: was das eigentlich ist, was wir essen, wo es herkommt.

"Es ist leichter ins Pentagon einzudringen, als in eine Cornflakes-Fabrik"

Eigentlich wollte Pollan gar nicht mitmachen beim Film, hat erst mal „Nein“ gesagt und dann wieder Nein. Viele Filmemacher hatten ihn schon angefragt, aber eine Dokumentation, die das Buch eins zu eins auf die Leinwand bringt, war ihm zu langweilig. Doch dann hat Regisseur Kenner ihn interviewt und noch mal, und plötzlich war Pollan mittendrin. „Robbie ist hartnäckig“, sagt der Journalist.

Das musste er auch sein. Mehr als sechs Jahre hat der Dokumentarfilmer daran gearbeitet, immer wieder wurde ihm der Zugang verwehrt, wurden Interviews verweigert. Produzentin Elise Pearl stein überkam das Gefühl, „dass es leichter ist, ins Pentagon einzudringen als in eine Cornflakes-Fabrik“. „Sie wollen nicht, dass man die Illusion zerstört, dass das Essen nicht von einer kleinen hübschen Farm, sondern aus einer Fabrik“, sagt Kenner. „Sie wollen nicht, dass man darüber nachdenkt.“

Während „Unser täglich Brot“ extrem minimalistisch daherkam, ganz auf die Wucht der Bilder setzte, kaum ein Wort fiel, wählte Regisseur Robert Kenner den umgekehrten Weg: eine wahre Flut von Informationen, Eindrücken, Personen, bewegten Bildern, Zeichentrickeinlagen, Emotionen und Musik. „Ich will das Publikum erschrecken und zum Lächeln bringen.“ Das ist großes Kino, Hollywood.

Bösewicht Monsanto

Als „Horrorfilm“ hat die Branchenzeitung „Variety“ „Food, Inc.“ denn auch gelobt. Der natürlich einen richtigen Bösewicht habe: den Mais. Und einen zweiten: „Monsanto“. Die Chemiefirma, bekannt geworden durch die Produktion von Agent Orange im Vietnamkrieg, hat sich die Maissamen patentieren lassen, die Farmer geraten in die völlige Abhängigkeit vom Großkonzern. Für Michael Pollan ist das „ungeheuerlich, dass etwas privatisiert werden konnte, was Tausende von Jahren im Besitz der Allgemeinheit war.“

Die meisten Bauern wollten mit dem Regisseur nicht sprechen, aus Angst vor Sanktionen. Carole Morison ist eine der wenigen, die sich traut, ihren traurigen Hühnerstall zu zeigen, sich filmen lässt, wie sie die toten Tiere schubkarrenweise wegbringt. Später verlor sie ihren Vertrag, ihre Hühnerställe brannten unter mysteriösen Umständen ab. Monsanto und die anderen großen Firmen verweigerte das Interview. „Viele schlaflose Nächte“ hat der Film den Regisseur gekostet. Wer sich mit der Lebensmittelindustrie anlegt, muss damit rechnen, verklagt zu werden. „ES macht ihnen Spaß, einem Angst einzujagen.“ Kenner hat höhere Anwaltskosten für diesen einen Film gehabt als für seine 15 anderen zusammen.

Neben den Goliaths gibt es verschiedene Davids im Film. Den Farmer Joel Salatin aus Virginia etwa, dessen Kühe einfach Gras fressen. Barbara Kowalcyk, deren zweieinhalbjähriger Sohn nach dem Essen eines Hamburgers gestorben ist, weil das Fleisch mit Kolibakterien infiziert war und die nun für mehr Sicherheitsgesetzgebung kämpft – bisher vergeblich.

"Mit der Gabel abstimmen"

Im Unterschied zu anderen Horrorfilmen endet „Food, Inc.“ zwar nicht happy, aber doch mit einem Hoffnungsschimmer, einem Appell ans Volk: „Yes we can!“ Ist der Kunde nicht König? Dann soll er seine Macht beim Einkaufen auch ausüben. Farmers Markets, Genossenschaften und Bioläden nehmen in den USA offenbar tatsächlich stark zu. „Das ist das Schöne am Essen“, sagt Michael Pollan. „Man kann selber mit der Gabel abstimmen.“ In Kalifornien, erzählt der Autor, ist im November nicht nur Obama gewählt worden, sondern auch Proposition 2. Der Prevention of Farm Animal Cruelty Act legt fest, dass Tiere eine gewisse Bewegungsfreiheit haben müssen. „Das hat die Industrie geschockt.“

Die Botschaft seines eigenen Buchs „In Defense of Food“ fasst der Autor in einer einfachen Formel zusammen: „Eat food. Not too much. Mostly plants.“ Food, das ist für ihn richtiges, nicht verarbeitetes Essen voller Chemikalien. Eine seiner zentralen Forderungen: „Wir müssen gesundes Essen demokratischer machen.“ Wenn ein Brokkoli mehr als ein doppelter Cheeseburger kostet, aber nicht halb so satt macht, ruinieren sich vor allem Arme ihre Gesundheit. Allerdings plädiert Pollan nicht für die Subventionierung der Lebensmittel („das führt immer nur zur Überproduktion“), sondern der Nachfrage, in Schulen zum Beispiel.

Vielleicht gibt es ja Hoffnung, dass auch die Industrie umzudenken beginnt. Sie muss nur Profit wittern. Diese Woche wurde eine britische Studie veröffentlicht, nach der glückliche Kühe besonders produktive Kühe sind. Tiere, die einen persönlichen Namen und Aufmerksamkeit bekommen, geben gut 250 Liter Milch mehr im Jahr als ihre Artgenossen.

- Im Anschluss an die Vorführung von „Food, Inc.“ am 8.2. um 15 Uhr gibt es eine Diskussionsrunde mit Robert Kenner, Michael Pollan, Eric Schlosser und anderen. Tim Raue serviert Kürbis-Möhren-Eintopf. Karten gibt es jetzt schon an Theaterkassen und unter www.berlin.de, dort steht auch das komplette Programm des Kulinarischen Kinos. Michael Pollans Bücher sind bisher nur auf Englisch erschienen. Auf seiner empfehlenswerten Website www.michaelpollan.com kann man Auszüge daraus lesen, auch einen langen Brief an Obama aus dem „New York Times Magazine“, „Farmer in Chief“.

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