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Die Bronteser nennen ihre Pistazienfelder „Loci“ (Orte). Die Früchte werden dort noch mit der Hand geerntet.

© picture alliance / WILDLIFE

ERNTE: Kern Harte Schale, grüner

Pistazien stecken in Pasteten, Salaten, Desserts... Die Nüsse sind eigentlich Früchte, und sie haben das ganze Jahr über Saison. Ein Besuch im sizilianischen Anbaugebiet.

Schon allein für diesen Anblick hat sich die Reise gelohnt. So also sehen Pistazien aus! Sechs Meter hoch, buschig, mit um und um gewundenen Stämmen. 300 Jahre alt können die Bäume werden, deren Wurzeln sich hier, am Rande des Ätna auf Sizilien, tief in den rissigen Lavaboden gegraben haben.

Zwischen dem vollen, ledrigen Laub hängt in dicken Trauben, was man gemeinhin als Pistazie bezeichnet: die Frucht des Baums. Im botanischen Sinne ist sie gar keine Nuss, auch wenn sie so aussieht. Sondern eine Steinfrucht. Und schön ist sie, mit ihrem samtenen Mäntelchen, das zunächst grün schimmert und später, wenn die Frucht perfekt gereift ist, eine rosaweiße Färbung annimmt. Pimpernuss oder Grüne Mandel nennt man sie auch.

Pistazien werden das ganze Jahr über gegessen: im Pesto, im Salat, in Haupt- und Süßspeisen oder einfach pur. Die Frucht steckt in vielen orientalischen Süßigkeiten, zum Beispiel in Baklava und türkischem Honig. Und wer gerade während eines Films auf der Berlinale geröstete Pistazien in sich hineinstopft, kann danach gleich noch einen Abstecher zur Eisdiele „Caffè e Gelato“ in den Potsdamer Platz Arkaden machen – dort gibt es das vielleicht beste Pistazieneis der Stadt.

Pistazienbäume wachsen im Mittelmeerraum, in Südwest- und Ostasien, in Nord- und Mittelamerika. Die meisten Pistazien, die es hierzulande in den Geschäften gibt, wurden im Iran oder in Kalifornien geerntet. Dabei gedeihen die Früchte in den USA erst seit 1976 – damals begann man aus rein wirtschaftlichen Gründen mit dem Anbau. Die besten türkischen Pistazien wachsen im südostanatolischen Antep, die besten griechischen auf der Insel Ägina und die besten syrischen im Norden des Landes, bei Aleppo.

Doch besonders köstlich sind die Pistazien, die aus Sizilien stammen. 90 Prozent von ihnen kommen aus Bronte, einem Ort im Nordosten der Insel. Einer der bekanntesten Fans der Bronteser Pistazie ist Prinz Charles, der die Frucht mal sehr vergnügt auf einer Slow-Food-Messe vernaschte. Wenn man sich dem 20 000-Einwohner-Städtchen von Catania, am Südhang des Ätnas, aus nähert, schaut man Hügel hinab und sieht in der Tiefe den Simento fließen. Rechts und links der kurvigen Straße 284 strotzen grüne Bäume, aus denen Vogelstimmengewirr in den Himmel steigt. Wer ein paar Kilometer vor Bronte anhält und eine Gartenpforte öffnet, steht auch schon mitten in einer der Pistazienplantagen des Ortes, mit hunderten Pflanzen.

Die Landarbeiter balancieren hier zur Erntezeit im August und September auf den schwarzen Schollen erkalteter Lava. Nach alter Manier haben sie einen lockeren Stoffbeutel umgehängt. Mit bloßen Händen greifen sie in den harzigen Baum und streifen geschickt die Früchte in das Behältnis. Bis zu 20 Kilo schafft ein Arbeiter am Tag. Von früh morgens bis zum Nachmittag geht das so. Geerntete Pistazien werden in der Sonne zum Trocknen ausgebreitet, maschinell geknackt und gehäutet.

Bronte selbst wirkt in der Erntezeit, wenn alle auf den Feldern sind, wie ausgestorben. So wie hier, per Hand, werden Pistazien international nur noch selten geerntet. Beim Anbau im großen Stil kommen stattdessen mechanische Baumrüttler zum Einsatz.

Die Felder, auf denen die Pistazien wachsen, heißen in Bronte Loci. Orte. Die Bäume werden nicht gewässert, und geerntet wird nur alle zwei Jahre im sogenannten abwechselnd tragenden Rhythmus. Im Ruhejahr knipsen die Bauern lediglich die toten Triebe und alte, nicht zur Vollreife gelangte Fruchtstände ab, damit alle Energie den Früchten des Folgejahres zugutekommt. Ein ausgewachsener Baum trägt erst zehn Jahre nach dem Aufpfropfen Früchte.

Es heißt, die Araber hätten die Pistazien nach Sizilien gebracht. Im lokalen Dialekt werden diese darum Frastuca (von arabisch Fustuq = die Frucht) genannt. Die Pistazie ist eine der ältesten Kulturpflanzen. Sie soll bereits in der Antike angebaut worden sein. Mit Schiffen und auf der Seidenstraße gelangte sie aus dem Nahen Osten nach Europa. Früher war sie Königen vorbehalten, heute ist sie eine Nascherei für alle – wenngleich zumindest der Bronteser Pistazie (genauer gesagt: der Pistaccia terebinthus, deren Baum die Bronteser einfach Terpentinbaum nennen) noch immer etwas Exklusives anhaftet.

Der wichtigste Grund dafür ist der exzellente Lavaboden. Er gibt den Pistazien die rechte Würze. Eiweiß, Öl, Aminosäuren und besonders viele Mineralstoffe und Vitamine zeichnen die Bronteser Pistazie aus, deren Aroma nussig und fruchtig zugleich ist. Pistazien sind sehr nahrhaft. Sie sind von Natur aus cholesterinfrei und enthalten viele gesunde Fette und Ballaststoffe.

Die Bronteser sind stolz auf ihre Pistazien, deren Geschmack sie viel zu vollendet finden, um die Früchte irgendwann in Salz zu baden. Mit den massenhaft und billiger angebotenen Pistazien aus dem Iran und aus den USA wollten sie gar nicht in Wettstreit treten. „Es wird schon einen Grund haben, warum deren Pistazien immer gesalzen daherkommen“, sagt Senatore Pino Firrarello, der Bürgermeister, und preist die Frucht seiner Stadt. „Die Bronteser Pistazie ist länglich, sie hat ein rubinrotes Häutchen und einen smaragdgrünen Kern.“ Und der Direktor des örtlichen Pistazienkonsortiums behauptet: „So eine Pistazie wie hier wächst nirgendwo sonst auf der Welt – deshalb ist sie eben etwas teurer.“

Gut möglich, dass die Bronteser mit dieser PR-Offensive einfach aus der Not eine Tugend machen wollen. 200 Tonnen Pistazien pflücken sie bei jeder Ernte auf ihren Loci. Etwa 20 Prozent davon gehen nach Deutschland. Der Anteil war schon mal höher, aber die billigere Konkurrenz drängt die Sizilianer in die Defensive. Bronteser Pistazien werden mehr und mehr zum Nischenprodukt. Wer sie in Deutschland kaufen möchte, muss lange suchen.

Weltweit werden derzeit jedes Jahr rund 400 000 Tonnen Pistazien geerntet. Gesalzen und geröstet wird oft erst in den Verbrauchsländern. Da das grüne Früchtchen einen sehr hohen Ölgehalt (52 g auf 100 g Pistazien) hat, wird sie sehr schnell ranzig. Bei der Einfuhr herrschen darum strenge Kontrollen. Stellt man bei Stichproben die von Schimmelpilzen herrührenden giftigen Aflatoxine fest, geht die ganze Sendung zurück ins Anbauland.

Im Falle von Bronte bleibt sowieso gleich die halbe Ernte daheim: Die Bewohner des kleinen Städtchens verwenden und verzehren 50 Prozent ihrer Pistazien selbst. Eine Plantagenbesitzerin, Piergrazia Licandro, macht aus ihren Pistazien feines Granulat und backt Plätzchen daraus, ebenso wie sie Pesto für Pasta und eine Pistazienpaste herstellt, wie sie von allen Eismachern Brontes verwendet wird. Auch der Pistaziennougat der Frau schmeckt köstlich, und ihre Pistaziencreme ist die sizilianische Antwort auf Nutella. Nur besser.

Bronte ist keine reiche Stadt. Man spürt die Härte des Lebens und ist entzückt von der Herzlichkeit der Menschen. Im nächsten September steigt wieder ein großes Fest. Bronte steht dann im Zeichen seiner kostbaren Frucht, und der „La Sagra del Pistacchio“ (zu Deutsch: Jahrmarkt der Pistazie) findet statt. Jeder, der Pistazien erntet, zeigt dort, was man alles daraus machen kann, und alle können kaufen und probieren.

Pistazien und Pistazienprodukte aus Bronte bietet „Pistacchi & Feinkost“ (www.pistacchifeinkost.de). Ab März öffnet der Stand wieder auf Berliner Wochenmärkten. Einzelne Produkte mit Bronteser Pistazien gibt es auch bei „Centro Italia“ (www.centro-italia.de).

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