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Gesellschaft: Alleskörner Die

Quinoa hatte ein mieses Image, nun entdecken Sterneköche die uralte Kulturpflanze. Deren Körner sind gesund – und die perfekte Beilage im Sommer.

Quinoa stammt aus Südamerika und war dort einst Grundnahrungsmittel. Die Körner taugen als Zutat für verschiedenste Speisen, etwa in Kombination mit Roter Bete (ganz oben). Oben: eine Quinoa-Pflanze. Fotos: fotex, NYT/Redux/laif, AFP

Johanna Maier ist ein Star in der Welt der Köche. Sie zählt zu den durch Gastronomie-Führer höchstdekorierten Frauen überhaupt. Die Österreicherin gilt als bodenständig und leise. Doch wenn das Stichwort Quinoa fällt, dreht sie richtig auf. Die Körner würden „Gesundheit und Kraft“ fördern und seien extrem vielseitig einsetzbar: „Die Samen lassen sich kochen, schroten, rösten, keimen, flocken und zu Mehl mahlen.“ Sie serviert gern mal ein säuerlich gewürztes Quinoa-Risotto zur glatten Gemüsesuppe.

Auch Sternekoch Michael Kempf zählt zu den Fans. Der Chef des Restaurants „Facil“ (siehe unten) nutzt Quinoa (sprich: Ki-no-ah) für den vegetarischen Zwischengang eines Acht-Gänge-Menüs; dazu kombiniert er Sauerklee, Estragoncreme, Granatapfel, Schafsjoghurt, mildes Mumbai-Curry und Macadamianüsse. Kempf preist an den Körnern deren „wunderbare Leichtigkeit“, die für solch umfangreiche Menüs unerlässlich sei.

Was für große Köche zum kulinarischen Sidekick wurde, ist für viele Bauern in Südamerika das Leben in einer mehrtausendjährigen Tradition. Sie schwingen beispielsweise im bolivianischen Hochland ihre Sicheln, um ihre Quinoaernte einzubringen. Sie leben von und mit ihren Quinoapflanzen. Ganz selbstverständlich ist das nicht: Lange hat das Andenkorn selbst in seinem Herkunftsgebiet nur eine untergeordnete Rolle gespielt – verglichen mit anderem Getreide. Hierzulande litt Quinoa unter einem besonders scheußlichen Stigma: Es war bestenfalls auf den unteren Regalböden von Bioläden und in den Töpfen überzeugter Naturkostfreaks zu finden.

Der schlechte Ruf verwundert, denn Quinoa besitzt jede Menge positiver Eigenschaften. Ein hoher Eiweißgehalt, wichtige Aminosäuren, Vitamine und Spurenelemente, dazu viele ungesättigte Fettsäuren, das alles macht es zu einem äußerst wertvollen Nahrungsmittel. Und in jüngster Zeit stehen die kleinen Kügelchen auch auf der Speisekarte von immer mehr Sternerestaurants. Das mag am Druck zur Kreativität in der Spitzengastronomie liegen. Ständig werden unbekannte, überraschende Produkte gesucht. Doch es gibt einige andere Gründe, seinen Gästen Quinoa vorzusetzen.

Wer mit Berliner Küchenchefs spricht, der hört Lobeshymnen über eine besonders angenehme Konsistenz und ein sehr angenehmes Kaugefühl: locker, leicht, nicht klebrig, knackig und saftig, nicht hart oder mehlig – so sei Quinoa. Der Geschmack wird als zurückhaltend und zart beschrieben. Durch Anrösten könne die leicht nussige Note intensiviert werden. Und auch darüber herrscht Einigkeit: Auf dem Herd wird das vielseitige Andenkorn wie Risotto oder Couscous gegart.

Wie kann es dann sein, dass Quinoa sogar in seinem Ursprungsgebiet lange Zeit ein Schattendasein führte?

Der Grund dafür ist ein tief in der Historie wurzelndes Politikum.

Seit rund 6000 Jahren wird Quinoa in Südamerika angebaut – und ist damit eine der ältesten Kulturpflanzen der Welt. Für die Indianer der Andenregion war es einst nicht nur Grundnahrungsmittel, sondern auch Bestandteil vieler Kulte. Erst mit den spanischen Eroberern begann der Niedergang. Die Konquistadoren verboten den Anbau des „unchristlichen Getreides“ bei Todesstrafe. So schwächten sie die indigene Bevölkerung körperlich und mental – und machten sie außerdem abhängig von den aus Europa importierten Getreidearten Weizen, Gerste und Hafer. Deren künstlich forcierter Siegeszug war so erfolgreich, dass Quinoa in seiner Heimat bis heute nicht so verbreitet ist wie vor dem Erscheinen der Spanier. Mittlerweile versuchen jedoch immer mehr Organisationen, den traditionellen und schonenden Anbau der Pflanze zu fördern und damit zugleich eine bessere Lebensgrundlage für die Indiobevölkerung zu schaffen. Dazu gehören „Anapqui“ in Bolivien und die „Gepa“, die Quinoa auch in Deutschland vertreibt.

Traditionell verwenden die Andenvölker nicht nur die Körner, sondern auch die Blätter der Pflanze, die wie Gemüse zubereitet werden. Darüber hinaus wird mit Quinoa Chicha hergestellt – sogenanntes „Spuckebier“. Frauen kauen dafür Küchlein aus Mais oder Quinoa durch und spucken den Brei dann in ein Gefäß. Die Enzyme im Speichel verwandeln die Stärke der Körner schnell in Zucker. Gemischt mit Wasser beginnt die Lösung zu gären. Am Ende erhält man ein bierartiges Getränk mit einem Alkoholgehalt zwischen ein und sechs Prozent, das sowohl im Alltag als auch bei rituellen Handlungen eine wichtige Rolle spielt.

Und auch für die Erzeugung anderer Rauschzustände ist Quinoa geeignet. Die alkalireiche Asche der ausgedroschenen Pflanzen ergibt „Lliptu“, das für die Freisetzung der Wirkstoffe aus den Kokablättern sorgt und deshalb mit diesen zusammen gekaut wird.

Dass Quinoa auch unter den Namen Inkakorn, Reismelde, Heidenkorn, Andenhirse, Reisspinat oder Perureis bekannt ist, zeigt, dass man sich mit der Einordnung des Gewächses nicht leicht tat. Botaniker wissen: Quinoa ist kein echtes Getreide sondern gehört zur Familie der Fuchsschwanzgewächse. Es wird als Pseudozerealie bezeichnet. So nennt man Körnerfrüchte von Pflanzen, die nicht – wie alle echten Getreidearten – zur Familie der Süßgräser gehören. Genau genommen ist Quinoa näher mit Spinat, Mangold und Roter Bete verwandt.

Quinoa ist anspruchslos und äußerst robust. Die krautige Pflanze gedeiht, zwei Meter hoch aufragend, von Kolumbien bis Chile in (sub-)tropischen Höhenlagen bis über 4000 Meter, wo die einzige ursprüngliche Alternative, der Mais, nicht mehr angebaut werden kann. Bei der Ernte ist Fingerspitzengefühl gefragt. In den großen Fruchtständen reifen die Körner nicht zur gleichen Zeit, sondern nach und nach. Daher müssen sie meist von Hand geerntet werden.

Und noch einen Haken hat das Inkakorn. In der Samenschale befinden sich bitter schmeckende Saponine. Sie sind eine natürliche Schädlingsabwehr, bekämpfen allerdings auch den menschlichen Verdauungsapparat. Deshalb werden die Samen nach der Ernte in fließendem Wasser gewaschen. Kleinkinder unter zwei Jahren sollten dennoch abstinent bleiben, ihre Organe sind zu empfindlich.

Eine gute Alternative zu vielen Getreidarten ist Quinoa dagegen für Menschen, die Gluten nicht vertragen. Denn es ist frei von diesem Stoffgemisch aus Proteinen.

Wer Quinoa nun gleich mal ausprobieren möchte, findet im Internet (insbesondere auf englischsprachigen Seiten) zahllose Rezeptideen – für Salate, Aufläufe, risottoartige Gerichte, Bratlinge und Gebäck. Die Zubereitung lohnt vor allem, wenn jetzt bald wieder die Temperaturen steigen. Nicht nur für Kolja Kleeberg, den Küchenchef des „VAU“ in der Jägerstraße, ist Quinoa ein „erstklassiges Sommerlebensmittel“. Kleeberg serviert das Inkakorn stets in der warmen Jahreszeit – als Beilage zum Beispiel zu Fisch. Der Koch dünstet die Körner wie Graupen und aromatisiert sie abschließend mit Tomatenöl. Auch seine Kollegin Sonja Frühsammer von „Frühsammers Restaurant“ in Schmargendorf schwört auf Quinoa als Zutat für eine leichte, sommerliche Küche. „Ich serviere es gerne als Beilage zu Lammgerichten oder für arabisch angehauchte Rezepte“, sagt die Köchin.

Verblüffenderweise taugen die Andenkörner übrigens auch zum Schluck danach: als „Fair Vodka“ (im Internet zu bestellen). Dieses Wässerchen wird nicht, wie meistens bei Wodka üblich, aus Roggen gebrannt, sondern aus fair gehandeltem Quinoa. Es ist das erste seiner Art.

Stefanie Zecheus

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