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Skatkarten aus dem Jahr 1886.

© picture alliance / dpa

Das liebste Kartenspiel der Deutschen: Skat soll Weltkulturerbe werden

Gelacht wird nicht. Gemeckert schon. Skat ist das deutscheste aller Kartenspiele. Jetzt soll es Weltkulturerbe werden. Zu spät?

Im Hinterzimmer der Eckkneipe am Columbiadamm hängt ein Gewehr an der Wand. Unterhebelrepetierer, Modell Winchester. Montiert auf ein braunes Holzbrett macht es kurzen Prozess mit dem Irrglauben, dass das Kartenspiel, zu dem man sich hier zusammengefunden hat, tatsächlich nur ein Spiel sei. In schön geschwungenen Lettern stehen zwei Wörter unter der Waffe: „Internationale Skatordnung“. Ein Witz. Sicher. Aber vielleicht auch nur so halb. Und vielleicht ist gerade das die Ursache für die Krise, in der sich das deutscheste aller Kartenspiele befindet.

Unter dem Spielzeuggewehr sitzt Horst Schäfer. 76 Jahre, beige kariertes Jackett, blaues Hemd, konzentrierter Blick hinter dünnen Brillengläsern. In Skatforen wird er gelegentlich „Skatlegende“ oder „Altmeister“ genannt. Die Titel, die er gewonnen hat, kann er gar nicht mehr alle aufzählen.

Horst Schäfer trinkt Apfelschorle, spielt stumm. Die Karten in der Linken, die Rechte schützend vor die gemachten Stiche gelegt, als drohe Gefahr, dass jemand sie doch noch raubt. Gelacht wird nicht. Gemeckert schon. Vom Nachbartisch jault einer herüber: „Piksieben! Horst, dein Ziehsohn spielt Piksieben!“ Horst Schäfer schüttelt den Kopf, guckt streng. Skat ist kein Spiel, Skat ist ein Wettkampf. Skat ist eine ernste Angelegenheit.

Drei Dutzend Pokale auf dem Regal

Es ist in ein Dienstagabend, 20.30 Uhr. An der Tür der Eckkneipe steht „Raucherlokal“, und drinnen weiß man, warum. Durch den Qualm und das Halbdunkel flackern die bunten Lichter von Spielautomaten, auf der Anlage läuft Guns N’ Roses, im Fernseher stumm eine ZDF-Sendung über den Zweiten Weltkrieg.

Im Hinterzimmer, wo neben Horst Schäfer noch sieben andere Männer und eine Frau an drei Tischen sitzen, strahlen helle Buntglaslampen die blassrosa Wände an. Auf einem Regal stehen drei Dutzend Pokale. Trophäen gewonnener Turniere. Die Hälfte der Stühle, die sich in dem gebogenen Metall spiegeln, bleibt wieder mal frei.

Dabei sei heute noch gut besucht, sagt Schäfer in einer Spielpause trocken. „Früher trafen wir uns oft mit 40 Mann, jetzt sind es manchmal nur sechs. Es vergeht kein Vierteljahr, ohne dass wir wieder einen unter die Erde bringen.“

Ein letzter Rettungsversuch?

So also sieht er aus, der Skat. Das Kartenspiel, das um das Jahr 1813 in Altenburg in Thüringen von sechs Freunden in der Wohnung des Regierungsrats Hans von der Gebelentz erfunden wurde. Im 201. Jahr seines Bestehens hat der Skat ein Image- und ein Nachwuchsproblem. Vielleicht resultiert das eine auch aus dem anderen. Klar ist nur: Die Zeiten, in denen Tucholskys Spruch „Wenn dem Deutschen so recht wohl ums Herz ist, dann singt er nicht. Dann spielt er Skat“ Gültigkeit hatte, sie sind lange vorbei.

Und jetzt soll Skat immaterielles Weltkulturerbe werden. Ein letzter Rettungsversuch? Im Frühjahr hat das Land Thüringen nach erfolgreicher Lobbyarbeit des Deutschen Skatverbandes (DSKV) bei der Unesco den Antrag eingereicht. Wenn ihn die anderen Bundesländer in einem zweiten Bewerbungsschritt durchwinken – unter anderem konkurriert der Skat mit Bier, Brot und Beethoven –, entscheidet sich im November 2016, ob das Kartenspiel dem argentinischen Tango, koreanischer Kimchi-Soße oder mongolischer Kalligrafie gleichgestellt wird.

Ob eine solche Adelung die Popularität des Skats heben könnte? Ob dann mehr Leute den Weg in ihre Dienstagsrunde fänden? „Vielleicht“, sagt Horst Schäfer. Er klingt nicht sehr überzeugt.

Schäfer hat bereits einmal versucht, den Skat zu retten. Ende der 1990er Jahre war das, als ihm klar wurde, dass es mit dem Spiel bergab ging. Seine Hoffnungen setzte er auf einen 13-Jährigen.

Er sagt, er kommt von der Arbeit. Er meint: vom Skat

Der Junge ist heute ein Mann, heißt Dominik Scholz und wird trotz seiner inzwischen 28 Jahre von allen im Verein immer noch nur „der Domi“ gerufen. Er ist einer der Jüngsten. Mit Abstand. Scholz, kluger Blick und kleiner Bauch unter dem dunkelblauen Pulli, ist der, der vorhin die Piksieben gespielt hat, der, den sie „Horsts Ziehsohn“ nennen und die vielleicht letzte Generation des Skats in Deutschland, wie er selbst sagt. Auch das nur ein halber Scherz, denn ihre unterschiedlichen Biografien zeigen exemplarisch den Niedergang des Spiels.

Horst Schäfer wurde in Polen geboren. Kriegskind. „1947 mussten wir dann gehen.“ Zack. Weltgeschichte in drei Sätzen. Der Blick, den er dazu aufsetzt, erzählt mehr als die stummen Fernsehbilder im Hintergrund.

Als Neunjähriger kam er in den Oderbruch. Er war kaum dort, da brach der Damm. „Mehr als ein Jahr lang fiel dann die Schule aus“, erinnert er sich. Statt in den Unterricht ging er mit seinem Großvater zum Skatspielen. Und lernte schnell. Nach ein paar Tagen hatte er die Marotten der Spieler durchschaut. Sein Großvater gewann fortan.

Seitdem spielt Horst Schäfer. Jede Woche. Ein Leben lang. Eine klassische Skatbiografie, wie es sie in seiner Generation wohl noch zu Tausenden geben dürfte. Damals spielte jeder. Nicht zuletzt dank der Soldaten im Ersten Weltkrieg, die quer durch alle Schützengräben Skat kloppten, hatte das Spiel über alle Grenzen Europas Verbreitung gefunden.

"Unglaublich variabel und fordernd"

Bei Dominik Scholz, Jahrgang 1986, war es schon ein wenig anders. „Ich hatte zu Hause ein bisschen was mitbekommen, aber richtig aktiv war keiner mehr“, erzählt er. Ihn jedoch reizte das Spiel. „Skat ist unglaublich variabel und fordernd.“ Mehr Denksport als Unterhaltung. „Nicht unähnlich dem Schach.“ Wer erfolgreich sein will, muss Karten zählen und rechnen können wie eine Maschine.

Weil er niemanden hatte, mit dem er regelmäßig spielen konnte, landete Domi irgendwann in dem damaligen Skatklub von Horst Schäfer in Köpenick. Drei Jahre lang kam er jeden Mittwoch nach der Schule vorbei, schaute vier bis fünf Stunden zu und hatte ansonsten Redeverbot. Es müssen mäßig angenehme Lehrjahre gewesen sein. „Es gab viele Spieler, die kannten keine Gnade“, erinnert er sich. Eine falsche Neun und er wurde abgewatscht. „Ich hab viel geheult damals“, sagt er.

Horst Schäfer aber sah in dem kleinen Dominik eine Chance. Er sagt, dass er es als seine Aufgabe empfand, sein Wissen weiterzugeben. „Und beim Domi dachte ich, der hat das Zeug, mein Vertreter zu werden.“

Knapp 20 Jahre später ist zumindest dieser Plan aufgegangen. „Heute werde ich mit meinen eigenen Waffen geschlagen“, sagt Schäfer, und da ist unschwer Stolz in seiner Stimme zu vernehmen. 2011 ist Scholz Online-Weltmeister geworden. Gegen hunderte Spieler hat er sich durchgesetzt. Den Niedergang der Spielkultur aber konnten sie nicht aufhalten. Nach Domi kam keiner mehr. Nicht mal seinen Enkel konnte Horst Schäfer für das Spiel begeistern.

Am Nachbartisch exerzieren sie derweil die Karten-Kabbala durch: „18? Weg! 20? Wie? 22. Näh!“ Dann werden Karten auf den Tisch gehämmert, geschmissen, geschnippt, manchmal regelrecht drapiert. Stich. Stich. Stich. Aus. Nach dem Spiel beginnt das Rechtfertigen, das Auseinandernehmen der Züge. Freundliches Pöbeln. Manchmal ist einer beleidigt und geht erst mal Zigaretten holen, bevor es weitergehen kann.

Vergleichsweise kompliziert zu lernen

„Die Überalterung ist nur eines der Probleme die der Skat heute hat“, sagt Dominik Scholz und zählt eine ganze Reihe weitere auf. Skat sei vergleichsweise kompliziert zu lernen. Viel komplizierter als beispielsweise Poker, dem dank gutem Marketing auch noch die Aura des Glamour anhafte. Bei Skat dächten viele hingegen an Bier und Piefigkeit. Dazu komme das Auflösen der städtischen Infrastruktur, sprich das Verschwinden der Eckkneipen. Mal ganz davon abgesehen, dass das Angebot an alternativen Unterhaltungsmöglichkeiten immer größer werde. „Kino, Smartphone, Playstation ...“

Und dann ist da ja auch noch das Internet, sagt Horst Schäfer. Ach ja, das Internet. Sie seufzen. Auch hier lagen mal die Hoffnungen der Skatgemeinde, und noch immer gibt es mehr als 20 Plattformen, auf denen pausenlos gegen Spieler in aller Welt angetreten werden kann. Doch Junge ziehen auch sie nicht an, und schlimmer noch, inzwischen kannibalisiert der Internet- den Kneipenskat.

„Warum soll ich mich noch mit Leuten treffen, wenn ich bequem von zu Hause aus spielen kann?“, fragt Horst Schäfer. Außerdem sei durch die permanente Verfügbarkeit das Besondere der früher nur wöchentlichen Spieleabende futsch.

Horst Schäfer spielt nicht online, auch weil seine Frau dagegen ist, er soll nicht übertreiben. Domi schon. Er findet es zwar langweiliger, seinen Gegner nicht zu sehen, ihm fehlt die Geselligkeit, aber er habe sonst einfach nicht genug Gelegenheit, zu spielen. Und manchmal will er auch ein bisschen zocken. Am Tisch ist das schon lange nicht mehr wirklich möglich. Die Turniere, an die sich Horst Schäfer noch erinnert, auf denen Autos und tausende Euro gewonnen werden konnten, sind lange Geschichte. Der Deutsche Meistertitel des DSKV ist heute mit 400 Euro dotiert. Doch selbst der Zockerskat im Internet scheint in der Krise zu stecken.

Mit dem Spiel verdient er seinen Lebensunterhalt

Es ist Donnerstagmittag in Spandau, wieder eine Eckkneipe. Am Tresen wird Bier getrunken, im Raucherzimmer zieht Kalle Meier an einer Zigarette. Meier sagt grinsend, er komme gerade von der Arbeit. Was er meint: Er hat Skat gespielt. Im Internet. Seit mehr als zehn Jahren bestreitet er mit dem Spiel mehr oder weniger seinen Lebensunterhalt. Deshalb möchte er seinen richtigen Namen auch nur ungern gedruckt sehen. Ende 2000 schmiss er seine Anstellung als Versicherungskaufmann. Er verdiente damals sechsstellig, sagt er, aber der Job langweilte ihn. Stattdessen tingelte er von Turnier zu Turnier, spielte fast jedes Wochenende woanders, und weil er gut war – sehr gut sogar, wie Leute sagen, die ihm gegenüber saßen –, gab es auch mal einen Abend, an dem er fast 20 000 Mark mit Skat gemacht hat. Doch die Zeiten, in denen so viel Geld an den Tischen war, sind lange vorbei.

Heute arbeitet er im Internet. In seinem Arbeitszimmer steht ein gewaltiger Bildschirm, auf dem er mehrere Partien gleichzeitig spielen kann. Allerdings wird es schwieriger. „Vor ein paar Jahren konnte ich ein paar Stunden am Tag spielen und hatte am Ende des Monats 4500 Euro verdient“, sagt er. Und die Konkurrenz nimmt zu. Noch vor sechs Jahren teilten sich drei bis vier Haie 70 bis 80 Fische, erzählt er. Heute teilen sich sieben, acht Haie einen Fisch. Heute muss er jeden Tag spielen, um auf seinen Schnitt zu kommen. Noch geht es, sagt er. An diesem Morgen hat er in vier Stunden 100 Euro gemacht, aber er sagt auch: „Wenn nichts geschieht, dann hat auch der Internetskat bald ein großes Problem.“

Die Vereine sind nicht ganz unschuldig an der Krise

Fragt man in Horst Schäfers Verein, was getan werden könnte, um das Blatt noch zu wenden, zucken sie die Schultern. Selbst zum Lehrer werden, darin sieht der Ziehsohn keinen Sinn mehr. „Hätte ich Kinder, denen würde ich auch kein Skat mehr beibringen“, sagt Dominik Scholz. Der erhoffte Retter des Skat, er selbst will keiner mehr sein.

Auch deshalb seien die Vereine nicht ganz unschuldig an der Krise, sagt Peter Tripmaker, der Präsident des Deutschen Skatverbands: „Es gibt Vereine, die ruhen sich auf dem aus, was sie haben, und machen keine Nachwuchsarbeit“, rumpelt sein tiefer Bass aus dem Telefonhörer. Im Gegenteil. Wenn jemand Interesse zeige, werde erst mal geprüft, ob der überhaupt gut genug sei. „Viele Skatneulinge hätten auf so ein Schaulaufen und Abwatschen aber verständlicherweise keine Lust. „Da braucht man sich nicht wundern, wenn die Leute wegbleiben.“

1500 Schüler in Schul-AGs

Wie viele Menschen heute in Deutschland noch Skat spielen, weiß niemand. Der Deutsche Skatverband schätzt, dass es hierzulande zehn bis 15 Millionen aktive Spieler gibt, die konkurrierende International Skat Players Association (ISPA) geht von drei Millionen aus. Aber in der Kneipe lachen die Mitspieler von Horst Schäfer auch noch, wenn sie die kleinere Zahl hören. Nachprüfbar sind nur die Mitgliederzahlen des Deutschen Skatverbands. Die sanken seit der Wiedervereinigung von 36 000 auf 26 000.

Lieber als vom Mitgliederschwund erzählt Tripmaker von den 1500 Schülern in Schul-AGs, die sein Verband im vergangenen Jahr unterstützt habe, von den Jugendmeisterschaften, bei denen 250 Kinder gespielt hätten. Er bleibt jedoch realistisch. „Viele werden sich später wieder abwenden, wenn andere Dinge interessanter werden.“ Er ist schon froh, wenn ein Grundstein gelegt wurde. Das Prinzip Hoffnung.

Ausdauer, Detailliebe, Korrektheit

Tripmaker, der den Weltkulturerbe-Vorschlag mit angeschoben hat, rechnet sich gute Chancen aus, dass der Antrag durchkommt. Er rühmt die Vorzüge des Spiels, das nicht nur angeblich deutsche Tugenden wie Ausdauer, Detailliebe und Korrektheit schule („Wer Skat kann, liest auch das Kleingedruckte in Verträgen“), sondern darüber hinaus das soziale Gefüge stärke. „Wo sonst außer am Skattisch treffen ein Hartz-IV-Empfänger und ein Hochschulprofessor gleichberechtigt aufeinander?“

Und zumindest die Attraktivität von Turnieren könnte dank einer Anerkennung durch die Unesco tatsächlich steigen. Weil Skat anders als Schach nicht als Sport gilt, ist es für Veranstalter oft schwer, eine Gemeinnützigkeit nachzuweisen. Die aber würde es Unternehmen ermöglichen, ihr Sponsoring steuerlich geltend zu machen. Wäre Skat Weltkulturerbe, würde Förderung attraktiver und mit mehr Sponsoring würden wiederum höhere Preisgelder ermöglicht.

Ob das reicht? Horst Schäfer zuckt die Schultern. Es ist spät geworden. Er hat seine Apfelschorle ausgetrunken, er will nach Hause. „Das war’s für heute“, sagt er, und es klingt, als verabschiede er sich nicht nur vom Abend, sondern auch von dem Hobby, dem Spiel, einem Teil seines Lebens. „Für die Zukunft sehe ich dunkel“, sagt er beim Aufstehen noch. „Ich hatte schöne Jahre, aber die sind vorbei.“ Dann ist er weg. Verschwunden im Nebel zwischen den Spielautomaten.

Dieser Text erschien auf der Dritten Seite.

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