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Kulturzentrum direkt am Wasser. Das nordspanische Santander hat mit dem „Centro Botín ein neues Wahrzeichen bekommen.

© Emilio Rappold/dpa

Das Centro Botín in Santander: Renzo Pianos fliegendes Gebäude

Er ist der „Vater“ des Centre Pompidou und auch mit fast 80 als Architekt noch aktiv. Jetzt beeindruckt Renzo Piano mit einem Gebäude im spanischen Santander.

Spanien weist eine Reihe kulturaffiner Stiftungen auf, die zumeist in den beiden Metropolen Madrid und Barcelona Schaufenster ihrer Tätigkeit betreiben. Es sind Banken und Versicherungen, die Teile ihrer Erträge steuerbegünstigt in die Kultur stecken. Ebenfalls aus dem Bankgeschäft stammt der Reichtum der Familie Botín im nordspanischen, genauer galizischen Santander, die einst die gleichnamige Bank gegründet hat und bis heute ihre Geschicke bestimmt. Von dem Geldinstitut getrennt ist die Familienstiftung Botín, die im heimischen Santander ansässig blieb und dort jetzt ein architektonisches Ausrufezeichen setzt. Vom Genueser Weltbürger Renzo Piano ließ sie sich das „Centro Botín“ errichten, das der Stadt, die sich immer noch als Hafenstadt versteht, ein neues Wahrzeichen gibt.

Das Kulturzentrum steht direkt am Wasser, dort, wo der Hafen früher ganz nahe ans Stadtzentrum gerückt war und heute, wie in den meisten Hafenstädten, aus dem Gesichtsfeld verschwunden ist. Noch immer blicken die prachtvollen Fassaden der Uferstraße aufs Meer und die Bucht, deren günstiger Lage die Stadt ihre Bedeutung und ihren Wohlstand verdankte.

Bauen dauert immer doppelt so lange wie geplant, sagt Star-Architekt Renzo Piano.
Bauen dauert immer doppelt so lange wie geplant, sagt Star-Architekt Renzo Piano.

© Belen De Benito/dpa

Jetzt fällt der Blick auch auf das Centro Botín, das Piano ganz nahe an die Kaimauer herangeschoben hat und über sie hinweg balancieren lässt. Es ist ein Bauwerk, das nur für sich stehen kann, eine Skulptur, und doch ein Gebäude, das eng auf die Stadt dahinter bezogen ist.

Piano hat hier erneut in den Baukasten seiner jugendlichen Industrie- und Technik-Periode gegriffen, die er vor genau 40 Jahren mit dem – gemeinsam mit dem anschließend eigene Wege gegangenen Richard Rogers entworfenen – Pariser Centre Pompidou krönte. In Santander hat er das Gebäude in zwei ungleiche Teile geteilt, auf Stützen gestellt und durch ein stählernes Gestänge von Treppen und Plattformen zusammengebunden – so, als wollte er beweisen, dass Architektur nicht fest auf dem Boden verankert sein müsse, sondern geradewegs fliegen kann.

Kampf gegen die Schwerkraft

„Unser ganzes Leben lang kämpfen wir gegen die Schwerkraft an“, sagt er mit seiner leisen und leichten Stimme. Renzo Piano, der im Herbst seinen 80. Geburtstag feiert, erklimmt die stählernen, mit opakem Glas belegten Stufen der zahlreichen, teils gegenläufigen Treppen des Gebäudes mit der Behändigkeit eines Sportsmannes. Er erklärt das Gebäude weniger, als dass er es lebt. Die Sichtbeziehung zwischen Stadt und Meer, die er durch die Teilung des anderenfalls womöglich massiven Gebäudes und dessen Aufständerung erreicht hat, macht er gewissermaßen körperlich erfahrbar.

Am Abend der Begehung ziehen plötzlich Nebelschwaden vom eigentlichen, hinter der auf einer Landzunge angeordneten Stadt liegenden Meer auf, und die hochsommerliche Tagestemperatur fällt rapide ab. Piano ist begeistert. „Ich liebe Wasser, besonders Salzwasser“, sagt er, dessen weltberühmte Architekturfirma „Renzo Piano Building Workshop“ nahe Genua terrassenförmig über dem Mittelmeer beheimatet ist.

Auf einmal ist die Farbstimmung Graublau. Das Wasser der Bucht verschmilzt mit dem Gebäude, dessen mit 270 000 flachen Keramikhäubchen rundum belegte Fassaden die jeweilige Stimmung, die jeweilige Farbskala spiegeln. Anderentags, bei der offiziellen Pressekonferenz, als der zuvor strahlend blaue Himmel voll grauer Wolken hängt, spricht er von einem „perfekten Santander-Tag“ und wiederholt, Wasser sei sein „natürliches Element“. Die Fassaden des an den beiden äußeren Längsseiten gerundeten Gebäudes leiten Licht und Farbstimmung überall hin, und selbst unter dem Gebäude – durchaus als „Dach“ für die hier häufigen, plötzlichen Regenfälle geplant – wird es nicht düster. Auf den Außentreppen, wo der Wind ungehindert bläst, kommt man sich wie auf einem Schiff vor, zumal einer der stählernen Stege weit übers Wasser hinausragt.

Die Zweiteilung des Gebäudes spiegelt die Aktivitäten der 1964 gegründeten Stiftung, die nicht allein Kunst ausstellen oder mit ihr prunken will, sondern ein sehr ambitioniertes Bildungsprogramm für die lokale und regionale Bevölkerung betreibt. Ihr Direktor, Inigo Sáenz, betont im Gespräch die Förderung von „Kreativität“ insbesondere in Workshops von Künstlern mit Schülern, für die im neuen Haus großzügige Räumlichkeiten vorgesehen sind.

Von den knapp 7 000 Quadratmetern Bruttogrundfläche entfallen denn auch „nur“ 2500 auf die Ausstellungsräume in zwei Etagen, die unabhängig voneinander besucht werden können, zumal das Stahltreppengerüst mit seinen Terrassen, „Pachinko“ genannt, rund um die Uhr ungehindert betreten werden kann. Auch das ist Ausdruck der sozialen Zielsetzung, die die Familie Botín, durchaus wohl in der Tradition paternalistischer Unternehmerfamilien, in ihrer Stiftung verstetigt hat.

Um das Gebäude, halb Schiff, halb Raumschiff, ans Ufer stellen zu können – ursprünglich erwog Piano, es ganz ins Wasser zu stellen, was er mit schelmischem Lächeln selbst als verrückte Idee bezeichnet –, musste eine vierspurige Straße weichen, die zuvor die Stadt vom Meer getrennt hatte. Sie wurde kurzerhand in einen Tunnel verbannt, der gewonnene Platz darüber dem Stadtpark zugeschlagen, den es in rudimentärer Form bereits gegeben hatte.

Dafür wurden rund 25 Millionen Euro aufgewendet. Das Gebäude selbst soll mit 60 Millionen Euro veranschlagt gewesen sein – und das bei vier Jahren Planungs- und Bauzeit, nachdem der Bauherr, der inzwischen verstorbene Familienpatriarch Emilio Botín, dem ohne Wettbewerb frei beauftragten Architekten gerade einmal 18 Monate hatte zugestehen wollen. „Bauen dauert immer doppelt so lange – mindestens drei Jahre“, schmunzelt Piano. Und freut sich: „Das Gebäude fliegt!“, und: „Es ist ein Gebäude für Menschen, und ich liebe es, Gebäude für Menschen zu machen!“

Spricht’s, und führt anschließend stundenlang Besucher in, auf, über sein Haus, mit dem Eifer dessen, der von Kindesbeinen an kühne Konstruktionen aus dem Baukasten gezaubert und die Freude am schöpferischen Spiel nie verloren hat.

Ob Santander nun den berühmten, vor zwanzig Jahren mit dem GuggenheimMuseum von Frank Gehry ins Werk gesetzten „Bilbao-Effekt“ nachahmen kann? In eine solche Konkurrenz will sich die Botín-Stiftung gar nicht erst begeben. Für sie zählt, dass sich nicht weniger als 70 000 Bürger Santanders vorab Tickets für die unentgeltliche Erstbesichtigung abgeholt haben. Nicht überall muss erst Tourismus angekurbelt werden, um das Selbstwertgefühl einer Kommune zu stärken.

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