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Panorama: Alles für die Frauen

Ibrahím Ferrer, der legendäre Sänger des Buena Vista Social Club, ist tot. Er starb mit 78 Jahren in Havanna

Wer Ibrahím Ferrer in seinem neuen großen Haus in Havannas elegantem Stadtteil Miramar besuchte, den führte er zuerst in sein „Museum“ – einen Raum, in dem sämtliche Trophäen seiner musikalischen Laufbahn ausgestellt waren: Schallplatten aus Gold, Platin, Doppelplatin, der deutsche Echo-Award, der Grammy von 1997 für das legendäre Album „Buena Vista Social Club“ sowie ein Latin-Grammy. Zu jedem Exponat erzählt er eine Anekdote. Im Gespräch zeigte sich Ferrer mit viel Gold um Hals und Handgelenke. Er besprühte seinen afrokubanischen Lazarus-Altar mit Parfüm aus Paris. Gleichzeitig gab er sich bescheiden, wie man ihn aus Wim Wenders’ Film kennt. Auf die Frage nach seinem sehnlichsten Wunsch kratzte er sich verlegen am Kopf. „Bevor ich Ry Cooder kennen lernte, sagte man mir immer wieder, ich hätte keine Stimme für Boleros.“ Sein Enkel Kelman, der ihm bei Interviews sonst auf die Sprünge half, trommelte nervös mit den Fingern auf den Tisch. Ferrer träumte von einem eigenen Bolero-Album. Warum gerade Boleros?

Erst nach einer Flasche Rum wurde Ferrer gesprächig. „In meinem Alter kann ich keine rasanten Guarachas mehr singen. Dafür muss man ein sehr gutes Gedächtnis haben, langen Atem, sprachliches Geschick und aufpassen, dass einem der Chor nicht auf die Füße tritt.“

Ferrers Bescheidenheit, die er trotz seines späten Erfolgs und Reichtums an den Tag legte, hat etwas mit seinem Lebensweg zu tun. Bevor ihn Wim Wenders Dokumentarfilm „Buena Vista Social Club“ auf der ganzen Welt berühmt machte, hatte ihn das Leben nicht immer beschenkt.

Als Sänger stand Ferrer in seinen ersten großen Zeiten in den 40er und 50er Jahren lediglich in zweiter Reihe. Aufnahmen und Auftritte unter anderem mit dem legendären Beny Moré brachten ihm nie den persönlichen Durchbruch. Lieder, die Ferrer aufgenommen und populär gemacht hatte, zuletzt in der Band Los Bocucos, waren sogar ohne seinen Namen erschienen. Das sollte sich erst ganz spät mit dem Buena Vista Social Club ändern, jenem Projekt, das ihn und andere altgediente Soneros zu internationalem Ruhm verhalf, indem es noch einmal die Glanzzeit kubanischer Musik aus den vierziger und fünfziger Jahren aufleben ließ. Eigentlich hatte sich Ferrer schon zur Ruhe gesetzt und lebte von einer bescheidenen Rente, als der US-Gitarrist Ry Cooder, unter dessen Ägide das gleichnamige Album 1997 entstand, auf ihn aufmerksam wurde. Er war begeistert von Ferrers Feeling und bezeichnete ihn als den Bolero-Sänger schlechthin.

Als solcher kam Ferrer anschließend auf zwei Solo-Alben zur Geltung: 1999 erschien „Ibrahím Ferrer“, 2003 „Buenos Hermanos“, auf dem erstmals auch zwei frühe Eigenkompositionen zu hören waren. Ferrer hatte sich endlich durchgesetzt. Ein Leib-und-Seele-Musiker, 1927 in der Provinz Oriente geboren, der sich bereits im Alter von 12 Jahren der Musik verschrieben hatte – seine Mutter brachte ihn angeblich auf einer Tanzveranstaltung zur Welt.

Und nun die Altersweisheit dieses schlaksigen Kerls, der mit seinem spitzbübischen Charme, wehmütigen Augen voller Schalk und einer honigsüßen, nasalen Gesangsstimme das internationale Publikum verzücken konnte. Der Bolero, das ist Ferrers Lebenstraum: „Früher, da bist du mit einer Frau ausgegangen und, um sie rumzukriegen, hast du ihr was vorgesungen. Damit konntest du sie sogar flachlegen. Damals hatten die Lieder noch Texte, Musik und Melodie.“ Musik als sexuelles Vorspiel – für die kubanische Tradition ist das ganz selbstverständlich. „Früher konnte man mit einem guten Bolero durchaus Erfolg haben, aber heute gibt es doch in der Musik nur noch schnellen Sprechgesang.“ Damit meint er die Vorlieben der heutigen kubanischen Jugend, der amerikanischer HipHop viel geläufiger ist als die alten kubanischen Klänge, mit denen Ferrer die Menschen im alten Europa begeistert.

Sein neues Album „Mi Sueño: A Bolero Songbook“, das im nächsten Jahr erscheinen wird, hat Ibrahím Ferrer in diesem Sommer auf einer Europa-Tournee vorgestellt. Im Oktober wollte er im Berliner Tempodrom auftreten.

Als er vorige Woche nach Havanna zurückkehrte, wie immer mit seinem Oberlippenbärtchen und der afrokubanischen Schiebermütze, unbemerkt und so unscheinbar wie in der Wim-Wenders-Filmdokumentation, da klagte er über akute Beschwerden, die ihm ein Lungenemphysem bereitete. Am Samstag starb der Sänger mit 78 Jahren in einem Krankenhaus.

Roman Rhode

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