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Ein trauriger Anblick: Wenn nur noch das Vorderrad da ist, dann ist immerhin klar, dass das Fahrrad gestohlen wurde. Und, dass man was falsch gemacht hat beim Abschließen.

© dpa

Fahrrad-Diebstahl in Berlin: Erst kommt die Wut, dann der große Frust

Täglich verschwinden hunderte Fahrräder in Berlin. Fahrraddiebstahl ist zu einem Massenphänomen geworden. Getan wird dagegen wenig, die Aufklärungsquote liegt bei fünf Prozent.

Weg. Das Gefühl dürfte fast jeder kennen, der sich in Berlin mit dem Fahrrad bewegt. Ob schlampig angeschlossen vor dem Kino, vom überfüllten Innenhof der Kreuzberger Fabriketage oder über Nacht spurlos verschwunden aus dem verschlossenen Keller: Fahrraddiebstahl ist in der Stadt ein Massendelikt, eins, mit dem man sich anscheinend abzufinden hat wie mit dem grauen Himmel im Winter. Denn der Weg zur Polizei ist in solchen Fällen selten einer, der Hoffnung macht: Rahmennummer, besondere Kennzeichen – zu erledigen gerne auch bequem über die Website der Internet-Wache. Man wird das Gefühl nicht los, dass hier nur die nötigen Papiere für die Versicherung generiert werden. Viele, deren Räder nicht versichert waren, sparen sich die Anzeige deshalb gleich ganz.

Es scheint sich eine regelrechte Kreislaufwirtschaft etabliert zu haben: Im Mauerpark oder auf der Kottbusser Brücke gibt es gebrauchte Räder unklarer Herkunft für fünfzig Euro. Man kauft eins, fährt es eine Weile. Irgendwann ist es weg und alles geht wieder von vorne los.

Die Aufklärungsquote für Fahrrad-Diebstahl liegt bei mageren fünf Prozent

Doch sollte die Polizei ein Thema nicht ernster nehmen, wenn es so große Teile der Bevölkerung betrifft und häufig Schäden von mehreren hundert oder sogar tausend Euro generiert? Die Pressestelle berichtet, man observiere relevante Brennpunkte, man überprüfe Räder und Besitzer, die den Beamten seltsam vorkämen und man versuche, Hehlern auf die Spur zu kommen. In Berlin liegt die Aufklärungsquote bei Fahrraddiebstahl seit Jahren trotzdem stabil bei mageren fünf Prozent – Dunkelziffer nicht eingerechnet. Der Piraten-Abgeordnete Andreas Baum wünscht sich deshalb mehr Einsatz: Lockvogel-Räder mit versteckten GPS-Sensoren zum Beispiel. Gezieltere Einsätze, eine eigene Ermittlungsgruppe.

Unterstützung bekommen die Beamten ausgerechnet vom Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club. Der Berliner Vorstand Bernd Zanke sagt: „Wir wissen doch, wie dünn die Personaldecke ist.“ In Berlin setzt sich sein Club schon seit Jahren für mehr Polizisten ein, die sich speziell um Fahrradangelegenheiten kümmern. Doch solange die nicht eingestellt werden, kann er nachvollziehen, dass die Beamten nicht mehr Zeit für das Thema aufwenden können. Allerdings hat Zanke beobachtet, dass die Diebe immer professioneller agieren: „Das verwendete Werkzeug wird immer schwerer“, beschreibt er. Man spricht von Bolzenschneidern, sogar mobilen hydraulischen Scheren, wie sie die Feuerwehr verwendet, um Unfallopfer aus Autowracks zu schneiden. Wer so arbeitet, muss zwar mit einem Kleintransporter vorfahren. Dafür ist das Schloss aber auch nach wenigen Sekunden ab. Überhaupt verdichtet sich der Eindruck, dass es zunehmend organisierte Banden sind, die die Räder stehlen, etwa, um sie ins Ausland zu bringen oder um sie in Teilen zu verkaufen.

Polizei stoppte Transporter mit 27 nagelneuen Fahrrädern

„Verlässliche Aussagen dazu sind nicht möglich", sagt die Berliner Polizei, es sei von einem großen Dunkelfeld auszugehen. Doch es werden in Berlin schlicht viel zu viele Räder gestohlen, als dass sie alle lokal auf Flohmärkten oder per Kleinanzeige wieder an den Mann gebracht werden könnten. Und es gibt immer wieder Berichte über ganze Transporter voller gestohlener Räder, die in Grenznähe auffallen. So stoppte die Polizei erst Anfang Juli auf der A12 am Rastplatz Frankfurter Tor bei Frankfurt/Oder einen Wagen mit 27 gestohlenen neuwertigen Fahrrädern.

Wenn Fahrrad-Diebe mit der Flex anrücken können, dann gibt es kaum eine Chance sie aufzuhalten. Dem Gerät hält kein Schloss stand.
Wenn Fahrrad-Diebe mit der Flex anrücken können, dann gibt es kaum eine Chance sie aufzuhalten. Dem Gerät hält kein Schloss stand.

© dpa

Auch die Polizei in Münster machte vor Kurzem einen ähnlichen Fang: „Nach einem Einbruch in ein Fahrradgeschäft haben die Kollegen auf der Autobahn einen Transporter angehalten“, beschreibt Pressesprecherin Antonia Linnenbrink. „Im Laderaum fanden sie zwölf Mountainbikes aus dem Einbruch. Aber auch noch 14 gebrauchte und noch verschlossene Fahrräder.“

Münster kommt auf sieben, München auf 17 Prozent Aufklärungsquote

In der Studentenstadt hat das Fahrrad traditionell einen hohen Stellenwert. Eine Sonderkommission gegen Diebstähle gibt es zwar auch hier nicht, aber das Thema ist in den Leitlinien als Behördenziel markiert, fünf Beamte kümmern sich in Münster schwerpunktmäßig um Delikte rund um das Fahrrad. In den Himmel wachsen die Bäume hier allerdings auch nicht: Die Aufklärungsquote pendelt seit Jahren zwischen sechs und zehn Prozent, im vergangenen Jahr waren es knapp sieben. München schafft immerhin 17 Prozent Aufklärungsquote.

Für Anbauteile, wie Räder oder Sättel, gibt es Spezialschlösser als Schutz.
Für Anbauteile, wie Räder oder Sättel, gibt es Spezialschlösser als Schutz.

© dpa

Allerdings ist auch hier keine Soko mit Hightech-Methoden im Einsatz. Fahrradklau fällt ins normale Arbeitsgebiet der Diebstahls- und Einbruchsdezernate, dazu werden bei Fahrradkontrollen auch die Eigentumsverhältnisse geprüft, Streifenbeamte sollen außerdem nachfragen, wenn Fahrer und Rad nicht zusammenzupassen zu scheinen. Erfolge gegen Fahrraddiebe werden auch im täglichen Lagebericht verzeichnet. „Das soll die Beamten noch zusätzlich motivieren“, beschreibt Sprecher Wolfgang Behr.

Fahrrad-Boxen am Bahnhof Lichtenberg

Also gut abschließen, sich damit abfinden und hoffen? ADFC-Mann Bernd Zanke sieht noch einen anderen Weg, um die Zahl der Diebstähle zu verringern: Er fordert mehr sichere Abstellplätze und Anschließmöglichkeiten für die immer zahlreicheren Räder in der Stadt. Am S-Bahnhof Lichtenberg will ein privates Unternehmen zum Beispiel Boxen installieren, die sich per Handy verriegeln und wieder öffnen lassen. „Nicht ganz kostenlos, aber ein toller Weg“, meint Zanke, gerade im Hinblick auf teure E-Bikes und sonstige kostspielige Pendlerräder. In vielen Teilen von Kreuzberg würde man sich dagegen schon über mehr taugliche Bügel zum Anschließen freuen. Auch vor vielen Büros oder Supermärkten sind brauchbare Ständer Mangelware. Bleibt nur die Parkplatzsuche – wie mit dem Auto. Denn Räder, die zwar ab-, aber nicht angeschlossen werden, können einfach per Transporter abtransportiert und bequem im Versteck geknackt werden.

Unterdessen versuchen bestohlene Fahrradbesitzer Selbsthilfe: Es gibt Websites oder Facebook-Gruppen wie „Stolen Bikes Berlin“, in denen nach abhandengekommenen Rädern gefahndet wird. Auch Anleitungen kursieren, die zeigen, wie man sein Rad gezielt hässlich und damit weniger attraktiv für Diebe macht.

Die Polizei formuliert zwei Bitten an Radbesitzer: „Wir wollen, dass Diebstähle angezeigt werden“, sagt etwa Wolfgang Behr in München, denn jeder Fall liefert Anhaltspunkte. Und Fahrradbesitzer sollten Fotos von ihrem Gefährt machen, Kaufbelege aufheben und auffällige Merkmale oder Rahmennummern dokumentieren. Denn das erleichtert es der Polizei, gefundene Räder ihren Besitzern zuzuordnen.

Gegen-Fahrrad-Diebe: Das Rad richtig sichern

Mit der Registrierung des Fahrrads gegen Diebstahl gibt es zumindest eine kleine Hoffnung das gestohlene Fahrrad wieder zu bekommen.
Mit der Registrierung des Fahrrads gegen Diebstahl gibt es zumindest eine kleine Hoffnung das gestohlene Fahrrad wieder zu bekommen.

© dpa

Eigentlich ist es banal – aber ein gutes Schloss ist das A und O. Hier sollte man nicht sparen, als Faustregel gilt: Zehn Prozent des Fahrradwertes sollten noch einmal in die Sicherung investiert werden. Mehr schadet aber auch nicht. Der ADFC zertifiziert übrigens sichere Schlösser.

Das Fahrrad nicht nur ab-, sondern immer auch an einen stabilen Gegenstand anschließen. Sonst können Diebe das Rad einfach in den Transporter laden und anderswo knacken. Anschließen sollte man immer mindestens den Rahmen, Vorsichtige sichern auch die Räder. Räder oder Sättel mit Schnellspannern lassen sich in Sekunden abbauen und auch normale Verschraubungen bieten kaum Sicherheit. Bei hochwertigen Komponenten sollte man daher die Befestigungen gegen spezielle Sicherungssysteme wie zum Beispiel von „Pitlock“ austauschen. Dann lassen sich die Teile nur noch mit Spezialschlüsseln demontieren.

Abstellen sollte man sein Rad besser nicht an einsamen oder schlecht einsehbaren Orten. Und ab und zu den Parkplatz wechseln: Steht ein Fahrrad jeden Tag über Stunden an der gleichen Stelle, dann wissen Diebe, wann sie zuschlagen können. Wer Platz hat, kann das Rad über Nacht auch mit in die Wohnung nehmen.

Für den Fall der Fälle sollte man individuelle Merkmale, Kratzer und Rahmennummer dokumentieren. Ein paar Handyfotos helfen bei der Identifizierung. Auch die Kaufquittung sollte man aufbewahren. Manchmal decken Hausratversicherungen auch Fahrraddiebstähle ab. Hier sollte man nachfragen, auch nach den Bedingungen und der maximalen Deckungssumme.

Und, nicht nett, aber wirksam: Das eigene Rad in Gesellschaft von teureren und schlechter gesicherten abstellen.

Kai Kolwitz

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