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Martin Rennert ist seit 2006 Präsident der UdK Berlin.

© Matthias Heyde

UdK international: Es gilt, Europa zu verteidigen

Angst schadet, sagt Martin Rennert, Präsident der Universität der Künste Berlin

Ist es nicht erstaunlich, wie schnell sich ein Vulkan findet, auf dem selbstvergessen getanzt werden kann? Eine üble Mischung aus Nationalismus, Politikverachtung, aus Xenophobie, Intoleranz, diffuser Überforderung und Ängsten bildet die Kulisse, vor der viele so tun, als ob nichts wäre. Alle mahnenden Worte zum Schleichenden, fast Zufälligen der Katastrophen des 20. Jahrhunderts scheinen vergessen, wir finden uns, wo wir meinten, nie wieder sein zu können: in der Leugnung, manövrierend, als ob alles so wäre wie immer.

In bewegten Zeiten gedeiht der Wunsch nach einfachen Lösungen, nach benennbaren Gegnern, und es ist nicht leicht, Gehör zu finden mit der Nachricht, dass Probleme komplexer sind als uns allen lieb wäre. Doch um eine freie und offene Gesellschaft zu bewahren, werden wir politischer sein müssen, aufstehen und reden, und zwar nicht nur mit Gleichgesinnten. Davon, dass wir zu dem stehen, was wir mit aller Fehlerhaftigkeit gerade deswegen entwickelten, weil uns die Geschichte etwas gelehrt hat: Froh sein kann man über eine Kultur, die man erwirbt und durchdringt, nicht aber stolz auf ein elendes Vermächtnis, das man laut beschwört, um andere zu entwerten.

Verständigung und Frieden als dauerhaft vereinendes Ziel

Wie gut, dass wir gar nichts neu erfinden müssen – es gibt bereits ein Friedens-, Aufklärungs-, Toleranz-, Egalitätsprojekt. Europa. Geboren nach jahrhundertelangem Gemetzel auf dem Kontinent der Aufklärung, in der festen Überzeugung, dass Verständigung und Frieden ein dauerhaft alle vereinendes Ziel sei. Dass aber die Gewöhnung an Frieden, viele erreichenden Wohlstand, freie Presse und Pluralismus dazu geführt hat, dieses Glück als gegeben und gesichert zu betrachten, ist überall zu sehen. Uns muss die Tatsache bewusst werden, dass all diese Errungenschaften in höchste Gefahr geraten können: durch gut vernetzte Profiteure aller Art, durch Saturiertheit, nicht zuletzt durch eine Attitüde der abgeklärten Politikferne.

Wie still ist es auf den Fluren der Behörden, in den Schulen, den Straßen, den Unis, wie wenig ist zum Thema Europa zu hören! Und wer spricht nicht vor allem über, sondern mit unseren Partnern in Ungarn, Österreich, Polen, mit verschreckten Dänen und ratlosen Engländern, bevor es zu spät ist? Wer nimmt junge Menschen ernst und spricht mit ihnen, viele hochqualifiziert und arbeitslos, für die ein Leben in Frieden und Gedankenfreiheit verteidigt werden muss – und zwar nicht warnend-belehrend über den Segen von Agrarsubventionen, sondern mit Leidenschaft und Mut zur differenzierten Betrachtung einer von Stammtischparolen resonierenden Welt?

Für Viele ist Europa eine Verheißung. Doch hier? Zunehmend desinformierter Überdruss, Ängste, geschürt nach Interessenlage. Dem stellt sich eine offene, internationale UdK Berlin entgegen, kritisch aber überzeugt. Ein früher Film von Rainer Werner Fassbinder hieß „Angst essen Seele auf“. So ist das mit Angst und Angstmacherei: Sie ist gefährlich, schleichendes Gift mit großen Folgen. Zunächst aber lähmend. Angst zu machen war immer ein Mittel der Ausgrenzung und der autoritären Verführer. Ängste muss man ernst nehmen und dennoch gegenhalten. Es liegt an uns allen, eine fragile Welt zu verteidigen.

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