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Gründungszentren wie das CHIC in der Nähe des TU-Campus in Charlottenburg bieten Existenzgründern zahlreiche Vorteile. Dr. Henri Kretschmer (re.) hat hier seinen Firmensitz. Dr. Günter Breidbach startete mit seinem Unternehmen 1984 im Gründungszentrum BIG auf dem Campus Wedding der TU Berlin.

© David Ausserhofer

TU-Alumni im Gespräch: Die ideale Keimzelle

Gründungsberatung war an der Universität früher nicht vorgesehen, inzwischen bietet die TU Berlin vielfältige Unterstützung – zwei Alumni im Gespräch.

Die Förderung von Unternehmensgründungen aus den eigenen Reihen hat an der TU Berlin eine lange Tradition. So schuf die Universität 1983 das erste Gründungszentrum in Deutschland, das Berliner Innovations- und GründerZentrum (BIG) in Wedding. Sie entwickelte auch das „Charlottenburger Gründungs- und Innovationszentrum“ (CHIC) mit. Ab 2011 siedelten sich die ersten Firmen dort an.

Ins BIG zog als einer der ersten Gründer Dr. Günter Breidbach ein, der 1984 die GSP Sprachtechnologie GmbH mitgründete. 25 Jahre später machte sich Dr. Henri Kretschmer mit der Virtenio GmbH selbstständig und richtete den Firmensitz im CHIC ein. Im Gespräch berichten die beiden TU-Alumni von ihren Erfahrungen und vergleichen ihre Startbedingungen.

Herr Breidbach, 1984 war es nicht unbedingt üblich, sich im wirtschaftlich schwachen Berlin mit einer technischen Innovation selbstständig zu machen. Woher kam Ihr Optimismus für eine Firmengründung?
Günter Breidbach: Zwei Entwicklungen haben sich optimal ergänzt. Zum einen die Politik in der Stadt. Es gab den Druck, das wirtschaftlich schwache Berlin in Bewegung zu bringen. Man wollte Keimzellen generieren, um Innovationen in der Stadt zu fördern und zu halten. Vor diesem Hintergrund wurde dann auch das BIG gegründet. Zeitgleich strebte ich am damaligen TU-Institut für Fernmeldetechnik meine Promotion an, ebenso wie meine Mitgründer. Wir arbeiteten industrienah, was gut in die politische Bewegung zur Innovationsförderung passte. Man wollte Leuten wie uns, die keine eigenen finanziellen Mittel hatten, den Weg in die Selbstständigkeit ermöglichen. Die Initiative zur Firmengründung ging allerdings wesentlich von unserem Doktorvater Professor Klaus Fellbaum aus. Er erkannte die unternehmerischen Möglichkeiten, die in unserer Arbeit steckten.

Und was war bei Ihnen der Initialfunke, Herr Kretschmer?
Henri Kretschmer: Ich hatte schon mit 16 Jahren den Wunsch, mich selbstständig zu machen. Ich wollte aus dem vorgegebenen Rahmen heraus, in dem ich aufgewachsen bin, ich wollte etwas Außergewöhnliches tun. Der Gründungsgedanke konkretisierte sich, als die TU Berlin zeitgleich mit meinem Bestreben, meine Idee auf den Markt zu bringen, erneut ihre Gründungsförderung verstärkte und uns unterstützte.

Warum haben Sie sich entschieden, in ein Gründungszentrum zu gehen?
Breidbach: Wir hätten sonst Räume irgendwo in der Stadt mieten müssen. Besonders attraktiv für uns war vor allem die Infrastruktur für die zentralen Dienste im BIG. Es war immer ein verantwortlicher Ansprechpartner da und die Atmosphäre hatte einen gewissen universitären Charme. Der Senat förderte es und setzte alles in Bewegung, seien es Kontakte mit Banken oder Beratungsunternehmen. Das war eine ideale Keimzelle. Mit dieser Plattform hat man uns die Möglichkeiten gegeben, zu planen und langfristig zu denken. Das BIG war im absolut positiven Sinne ein politisches Instrument, sowohl für die TU Berlin als auch für das damalige West-Berlin. Hut ab vor denen, die sich das ausgedacht und es angeschoben haben.

Kretschmer: In der Anfangsphase der Gründung ist eine pragmatische Unterstützung aus einem Netzwerk heraus extrem wichtig. Seminarräume, Kopierer, Veranstaltungen im Haus – das findet man in einem klassischen Bürogebäude nicht. In einem Gründungszentrum wird man durch Wirtschaft und Politik auch viel stärker wahrgenommen. Als wir damals eine Adresse suchten, haben wir uns sowohl das BIG als auch das CHIC angesehen. Das BIG war zwar bekannt, aber irgendwie wehte im CHIC ein frischerer Geist. Es war neu, die Lage erschien uns zentraler und war universitätsnah. Außerdem war auch die Politik auf das CHIC fokussiert. Diesen Wahrnehmungsvorteil wollten wir nutzen.

Welche Rolle spielte die TU Berlin in Ihrem Gründungsprozess?
Breidbach: Als Gesamtinstitution kam ihr eine sehr maßgebliche Rolle zu. Sie setzte die Leitlinie der Politik um. Auch hat unser Doktorvater uns angetrieben und unser Selbstbewusstsein in Richtung unternehmerischen Denkens gestärkt, während wir ansonsten in unserem Institut eher kritisch betrachtet wurden. Man fragte sich auch: Was soll das werden? Wie gehen die mit unseren Mitteln um? Gründungsseminare oder Ähnliches gab es nicht, und im Curriculum war eine Vorbereitung aufs Unternehmertum nicht vorgesehen.

Kretschmer: Bei mir zwar auch nicht. Aber während meiner Promotion suchte ich 2009 aktiv nach Unterstützung in der Uni, meine Innovation patentieren zu lassen. Dabei stieß ich auf die Seminarreihe „Wissenschaftliche Ergebnisse patent verwertet“. So kam ich bereits in der TU Berlin in Kontakt mit dem unternehmerischen Denken. Das war die erste Brücke, über die ich in den Genuss des gesamten Beratungsangebotes kam, das das Centre for Entrepreneurship, das Gründungszentrum der TU Berlin, heute bietet. Meine Uni trug bei mir zu einer gedanklichen Transformation bei. Hier habe ich gelernt, von der Technik zur Wirtschaft hin zu denken. Für uns ist dagegen diese politische Rolle der TU Berlin, die Sie erwähnen, Herr Breidbach, nicht so spürbar. Für uns war sie mehr ein Katalysator. Sie hat unsere Kraft fokussiert, hat Rahmen gesetzt und uns in die richtige Richtung gelenkt.

Breidbach: Ja, es ist toll, was jungen Gründern mittlerweile angeboten wird. Das fehlte uns damals leider. Wir mussten das durch Eigenstudium am direkten Objekt lernen. Etliche Firmen, die damals mit uns gestartet sind, existieren heute nicht mehr. Sie sind zum Teil auch daran gescheitert, dass sie immer nur die technische Ausrichtung und weniger den unternehmerischen Teil gesehen haben.

Welche Rolle spielte Berlin bei Ihrer Gründung?
Breidbach: Wenn ich nicht das Unternehmen mitgegründet hätte, wäre ich damals nicht hier geblieben. Meine beruflichen Chancen wären in einer anderen Stadt einfach besser gewesen. Insofern hat sich die Aktivität des Gründerzentrums natürlich positiv ausgewirkt – auf die Stadt und auf mich.

Kretschmer: Für uns sind heute die vielen Hochschulen ein wichtiger Grund, warum wir in Berlin sitzen. Die Möglichkeiten, geeignete Mitarbeiter zu bekommen, sind sehr groß. Aber auch die Kreativität der Stadt und die Impulse aus oft unerwarteten Quellen inspirieren uns. Für uns ist die Vielfalt relevant. Wir benötigen keine großen Produktionshallen, wir benötigen eine Vielzahl von Dienstleistern, eine gute Erreichbarkeit und kurze Wege.

Breidbach: Von der Lage her waren wir in Berlin auch immer gut aufgehoben. Denn die großen Firmen, mit denen wir zusammenarbeiten, hatten immer schon Niederlassungen an der Spree. Auch die Infrastruktur war für uns hervorragend, besonders nach der Wende.

Das Scheitern war früher für Unternehmer ein Stigma. Hat sich die Einstellung zum Scheitern aus Ihrer Sicht verändert?
Breidbach: Wir haben nie an Scheitern gedacht, waren mutig und glaubten an uns. Für mich wäre heute Scheitern die Insolvenz des Unternehmens. Das wäre das Schlimmste. Dieses Damoklesschwert schwebt immer über einem. Nicht nur, weil man selbst scheitert, sondern besonders, weil man weiß, wie viele Menschen daran hängen. Wir haben für unsere 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine große soziale Verpflichtung.

Kretschmer: Das Damoklesschwert ist zwar auch unser Bild, dennoch wäre Scheitern für uns kein Problem. Natürlich gibt es einen Grunddruck in jedem Handeln. Wir wissen ganz genau, wann der Organismus zusammenbricht, wenn wir ab heute nichts mehr tun. Diese permanente Handlungsnotwendigkeit erzeugt das unternehmerische Gefühl. Scheitern heißt für mich lediglich, dass der Plan unter bestimmten Umständen nicht funktioniert hat. Es heißt nicht zwangsläufig, dass ich schlecht gearbeitet habe. Scheitern sehe ich wertfrei. Vielmehr wirft das Scheitern eines Unternehmens die Fragen auf: Woran lag es? Wurde alles in die Wege geleitet, um es abzuwenden?

Breidbach: Das war früher anders – das Scheitern war immer auch ein persönliches Scheitern. Heute sieht man es eher als einen Versuch, der halt nicht geklappt hat. Man sieht es heute entspannter.

Wie empfinden Sie heute die Startbedingungen des jeweils anderen?
Kretschmer: Ein klarer Pluspunkt war bei Ihnen, Herr Breidbach, aus meiner Sicht der Professor, der ein Netzwerk mitgebracht hatte. Ein solcher Vertrauensvorschuss kann hilfreich sein. Wir investieren seit Jahren in Netzwerke und müssen uns die Sichtbarkeit erarbeiten. Ein Beirat oder Mentor in der Startphase kann Türen schneller öffnen und Prozesse vereinfachen.

Breidbach: Sicher, der Mentor war gut. Aber vergessen Sie nicht, er war vor allem Wissenschaftler und kein Unternehmer. Er hat in der Tat bestimmte Türen geöffnet, aber die Kontakte zu Unternehmen mussten wir dennoch selbst initiieren. Insgesamt aber sind die heutigen Startbedingungen für eine Gründung sicherlich günstiger, es sind bessere Infrastrukturen vorhanden. Dafür ist heute die Konkurrenz-Situation deutlich größer. Es ist ein hartes Business, sich mit seinem Produkt zu etablieren und dieses nachhaltig weiter zu entwickeln. Wir von der ersten Gründergeneration erreichen jetzt nach und nach die Altersgrenze. Der nächsten Generation drücke ich für ihren Erfolg fest die Daumen.

Das Gespräch führte Bettina Klotz.

Bettina Klotz

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