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Wenn die Dienstreise mal wieder zu lange dauert: Ein Stellvertreter aus Papier erinnert die Mitarbeiter daran, wie Werner Aisslinger aussieht.

© Mike Wolff

Titelkopf: Design oder Nichtsein

Werner Aisslingers Produkte stehen im MoMA, in stilbewussten Haushalten und in Hotels. Sein Beruf ist ein Knochenjob.

Der Chef kommt zu spät, aber sein Gesicht ist schon da. Es hängt auf Postern, an den Wänden und schaut mit forschendem Blick in den loftartigen Raum, in dem es überraschend leise ist. Denn im Studio Aisslinger, einem der erfolgreichsten Designbüros Europas, wird an Dutzenden Projekten parallel gearbeitet. Menschen zwischen 25 und 35 sitzen schweigend vor ihren Rechnern, hinter ihnen steht eine Museumsvitrine mit Entwürfen aus den vergangenen Jahrzehnten, ein paar Meter weiter ein Bücherregal – nicht für, sondern aus Büchern. In das man vielleicht seinen E-Book-Reader stellen sollte. Zwischen diesen Zukunftsvisionen und Objekten im Retrodesign scheint die Zeit stehen zu bleiben.

Fast geräuschlos betritt Werner Aisslinger irgendwann die Fabriketage in der Heidestraße, diesem ehemaligen Niemandsland hinter dem Hauptbahnhof, in dem nur noch wenig an die deutsche Teilung erinnert, dafür einiges an die Neubauten in Rotterdam. Er kommt gerade erst von einer sechstägigen USA-Reise zurück. Als er sein Team begrüßt, erinnert er an einen Vater, der endlich wieder zu Hause ist. Er mustert einen Lounge-Stuhl, sagt erfreut-routiniert: "Ach, der ist jetzt auch da." Wieder ein neuer Mitbewohner, den er selbst entworfen hat.

Die Projekte in Asien kosten viel Reisezeit

Der zierliche 52-Jährige nimmt sich Zeit für seine Antworten, denkt jedem Satz, den er sagt, immer noch einmal hinterher. "Reisen sind das Salz in der Suppe, aber sie zerhacken den Alltag." In vier Wochen nur zwei Tage in Berlin zu sein, sei eben auch anstrengend. Ebenso wie die Präsentationen und Vertragsunterzeichnungen, um die man sich unterwegs noch kümmern müsse. Vor ein paar Wochen hat er ein von ihm gestaltetes Hotel in Stockholm eröffnet, "für die letzten Vorbereitungen muss man mit fünf Arbeitstagen rechnen", er war auf der Mailänder Möbelmesse und in Zürich, zur nächsten Hoteleröffnung. Viel Reisezeit kosten auch vier Projekte in Asien. Aisslinger hat ein Büro in Singapur: "Zwei Standorte auf zwei Erdteilen zu bespielen, ist nicht einfach."

Ein bisschen Privatsphäre: Der kleine Dom kann zu Hause aufgestellt werden – oder man nutzt ihn für Ausstellungen
Ein bisschen Privatsphäre: Der kleine Dom kann zu Hause aufgestellt werden – oder man nutzt ihn für Ausstellungen

© Mike Wolff

Das alles klingt anstrengend, aber er hat es sich ja so ausgesucht. "Wenn man nicht getrieben wäre, würde man auch nicht solche Energien freisetzen können. Ich stelle gerne Dinge auf die Beine", sagt er. Und zwar sehr verschiedene Dinge. Das Repertoire des Studio Aisslinger ist extrem vielfältig, hier werden unter anderem Uhren, Brillen und Lampen entworfen. Außerdem auffällig viele Sitzmöbel. Sein erster Stuhl, der nach seinem Sohn Julius benannte "Juli Chair", steht in mehrfacher Ausfertigung im länglichen Besprechungsraum. Und seit 1998 auch in der ständigen Sammlung des Museum of Modern Art (MoMA) in New York.

Aisslinger bewegt das, was unter der Oberfläche steckt

Er setzt sich in einen der Stühle, fährt mit der Hand über die Lehne. "Der ist aus Integralschaum, einem Material, das man auch für Lenkräder verwendet." Er habe das Glück gehabt, das Projekt mit der richtigen Firma, dem italienischen Hersteller Cappellini umzusetzen. Ein schönes Design genüge dem Kuratorium des MoMA nicht. "In die Ausstellung schaffen es nur Objekte, die zu ihrer Zeit auch innovativ sind, mit neuen Techniken und Materialien arbeiten." Aisslinger bewegt ohnehin eher das, was unter der Oberfläche steckt. Auch wenn das Design die Menschen natürlich berühren müsse. Für die Soft Chaise, die er für den Möbelhersteller Zanotta entwickelt hat, arbeitete er mit lichtdurchlässigen Gelkissen, die er mit Kunststoffgittern kombinierte.

Mittlerweile geht er noch einen Schritt weiter: "Wir sind im narrativen Zeitalter angekommen, Menschen kaufen sich heute nur noch dann etwas Neues, wenn sich damit eine gute Geschichte verbindet."

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