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Bekanntschaft. Abdolrahman Omaren trifft im Tiergarten in Berlin Mischlingshündin Luba.

© Doris Spiekermann-Klaas

Tierliebe in Deutschland und Syrien: Auf den Hund gekommen

Die Deutschen und ihre Vierbeiner – für syrische Flüchtlinge ist diese Verbindung ein großes Rätsel. Der Umgang mit Tieren sagt viel über eine Gesellschaft aus.

Es war an einem Sommernachmittag, U-Bahn-Station Tempelhof. Ich wollte umsteigen, ging die Treppe zur Ringbahn hoch. Auf dem Boden saß eine junge Frau, wahrscheinlich obdachlos, neben ihr ein Hund. Vor beiden stand jeweils eine Schale, dazu ein Schild: „Bitte spenden. Wir haben Hunger.“ Die Schale der Frau war komplett leer, in der des Hundes lagen eine Menge Münzen.
In meiner Heimat liefe es exakt anders herum. Keiner würde dem Hund auch nur eine einzige syrische Lira spenden.
Nanu, was schreibt der Mann hier über Hunde? Gibt es keine drängenderen Themen auf der Welt? Sicher. Aber vielleicht lohnt es sich, darüber nachzudenken. Vielleicht sagt es etwas über eine Gesellschaft aus, wie sie mit ihren Tieren umgeht.
In Berlin sieht man sie überall: Hunde in Begleitung von Menschen. Beziehungsweise umgekehrt. Auf der Straße, im Bus, in Geschäften. Manchmal sieht man auch einen Flüchtling, der lieber auf Abstand bleibt, weil ihm das Tier nicht geheuer ist. Das ist kein Zufall.
In Syrien hält man sich keine Hunde. Bloß ein paar Reiche tun es, aber für die ist es ein Statussymbol: Sie wollen das Tier besitzen. Eine Freundschaft zwischen Mensch und Hund? Undenkbar. Spazierte in Damaskus jemand mit einem Hund an der Leine durch die Straßen, die Leute würden ihn angucken wie ein Alien.

Die Stadtzentren sind praktisch hundefrei

An belebten Orten wie der Al-Thawra-Straße oder dem Basar Hamidiyah habe ich nie auch nur einen einzigen Hund gesehen. Die Polizei oder das Ordnungsamt würden ihn sowieso gleich erschießen. Oder Jugendliche würden ihn mit Steinen beschmeißen. In Syrien leben Hunde als Streuner außerhalb der Siedlungen, wagen sich höchstens an die äußeren Ränder der Vororte, wo sie sich von Müll ernähren. Sie haben Angst vor den Menschen – und umgekehrt.
Dass Hunde dreckig und gefährlich sind, wird einem bereits in der Schule beigebracht. Mein Lehrer drohte: Wer frech ist, wird in einen Raum mit Hunden gesperrt und aufgefressen. Tatsächlich bin ich als Kind mehrfach angebellt worden, etwa von einem Hirtenhund, der Schafe bewachte. Ich glaube, in meiner Heimat verhalten sich die Hunde gegenüber den Menschen feindseliger als hier. Ganz einfach, weil ihnen das Leben unter Menschen fremd ist.

Vielleicht wäre aus mir auch ein passabler Hundehasser geworden. Aber da gab es diese Fernsehsendung namens „Belle and Sebastian“. Französischer Zeichentrick, auf Arabisch synchronisiert. Das habe ich geschaut, wenn gerade nicht „Biene Maja“ lief. Die Serie erzählt die Abenteuer des sechsjährigen Sebastian, der seine Mutter sucht. Er wird begleitet von Belle, einem riesigen Pyrenäenberghund mit weißem Fell. Alle Leute, die dem Duo unterwegs begegnen, fürchten sich vor dem Hund. Doch jedes Mal erweist der sich als extrem lieb und hilfsbereit. So eine Serie prägt.

Sie vergiften Hunde, die den Menschen zu nahe kommen

Wenn der Winter kommt, wagen sich die streunenden Hunde weiter in die Ortschaften vor, weil es dort wärmer ist als auf dem freien Feld und weil sie hoffen, in Mülltonnen Nahrung zu finden. Deshalb legen Gemeinden um diese Jahreszeit Giftköder aus. Vergammeltes Fleisch, mit einer Chemikalie versetzt. In Deutschland bekämpft man so Ratten. Als Student wurde ich einmal zufällig Zeuge einer Vergiftungsaktion, ich habe Dutzende Hunde und Katzen leiden und langsam verenden sehen. Ich konnte nicht anders, ich ging zur nächsten Polizeiwache und beschwerte mich. Der Beamte hat mich ausgelacht und gefragt, ob ich etwa jemanden aus meiner Familie verloren habe. Nein, sagte ich, ich hätte bloß Angst, meine Menschlichkeit zu verlieren.
Keiner würde sich in Syrien einen Hund zu Hause halten. Niemand würde auf die Idee kommen, auf Boden zu beten, über den ein Hund gelaufen sein könnte. Allein wegen des Urins. Mit Katzen ist das anders. Es heißt, dass die sich selbst reinigen können, nachdem sie ihr Geschäft verrichtet haben. In Syrien dürfen Katzen sogar in die Moschee, genau wie Vögel.
Weil Hunde nur als Streuner vorkommen und daher grundsätzlich nicht geimpft oder sonst wie medizinisch betreut werden, übertragen sie tatsächlich Krankheiten. Ein Biss kann böse Folgen haben. In den vergangenen Jahren sind mehrere Menschen gestorben, weil sie sich mit Tollwut infiziert hatten. So gesehen ist es kein Wunder, dass Syrer Angst vor Hunden haben – selbst wenn sie inzwischen als Flüchtling in Berlin gelandet sind und in der BVG neben einem sitzen. Wahrscheinlich haben die Armen zu selten „Belle and Sebastian“ geguckt.

Wie Hunde bei der Militärausbildung gequält werden

Bekanntschaft. Abdolrahman Omaren trifft im Tiergarten in Berlin Mischlingshündin Luba.
Abdolrahman Omaren trifft im Tiergarten in Berlin Mischlingshündin Luba. Seine Hundesozialisation begann mit einer Fernsehserie.

© Doris Spiekermann-Klaas

Ich kenne schreckliche Geschichten, und sie haben sich alle vor Beginn der Revolution zugetragen. Zum Beispiel die Nacht, die Bhagat, ein Freund von mir, vor zehn Jahren während seines Militärdiensts erlebte. Seine Kameraden und er mussten sich in der Dunkelheit auf dem Kasernenhof versammeln, ein Offizier zerrte einen angeleinten Hund herbei und schüttete etwas Benzin auf dessen Rücken und Schwanz. Dann zündete er den Hund an. Das Tier rannte außer sich übers ganze Gelände, und je mehr er rannte, desto stärker brannte sein Fell wegen des Sauerstoffs. Die Aufgabe der Soldaten bestand nun darin, die lebendige Fackel wieder einzufangen. Der Vorgesetzte amüsierte sich darüber, wie Dutzende Soldaten einem brennenden Hund hinterherrannten. Am Ende gelang es einem, eine Decke über den Hund zu werfen.

Das Tier lebte noch. Der Offizier sagte, die Soldaten hätten ihre erste Lektion gelernt. Aber jetzt käme die zweite. Er nahm ein Gewehr und schoss dem Hund in den Kopf. Diese Lektion, sagte der Offizier, heiße „Gnade“. Das alles war nicht die einmalige Tat eines verrückten Befehlshabers. Es wird systematisch praktiziert. Das Quälen von Hunden ist ein guter Weg, den Soldaten Hemmungen zu nehmen.

Mit dem Islam hat das nichts zu tun

Im Westen denken viele, die Brutalität der Araber gegenüber Hunden liege irgendwie im Islam begründet. Aber das ist falsch. In Wirklichkeit gilt das Quälen von Tieren als Sünde. So steht es im Koran und auch in den Hadithen. Es ist explizit verboten, Tiere schlecht zu behandeln, und zwar körperlich wie seelisch. Im Gegenteil kann ein Moslem darauf hoffen, dass ihm Sünden aus anderen Lebensbereichen vergeben werden, wenn er sich einem Tier gegenüber barmherzig zeigt. Mohammed soll einmal Soldaten an einer Straße entlanggeführt haben, an deren Rand eine Hündin mit ihren Welpen kauerte. Der Prophet stellte extra einen Posten ab, der darauf achtete, dass niemand die Hundefamilie stört. Im Koran steht auch nirgends, Menschen dürften keine Hunde als Begleiter haben. Sure 18 etwa handelt von einer Gruppe Gläubiger, die gemeinsam mit Hunden in einer Höhle lebten. Da steht, die Tiere hätten ausgestreckt in ihrer Mitte gelegen. Es sprach nichts dagegen. Trotzdem lässt sich die Abneigung des typischen Syrers gegenüber Hunden nicht leugnen. Auch das Gesetz schützt sie nicht. Im Straßenverkehr kann man einfach Gas geben und absichtlich ein Tier totfahren. Jedes Jahr sterben so auf syrischen Landstraßen mehr als 10 000 Hunde und Katzen.

Der eigentliche Grund ist politisch

Es betrifft auch andere Länder. Man findet das Phänomen in großen Teilen der arabischen Welt. Von ein paar Ausnahmen abgesehen: In Dubai gibt es Luxushotels speziell für Hunde. Die werden dort abgegeben und massiert. Woher also die Feindseligkeit? Ich glaube, dass es sich hier um ein grundsätzliches Problem autoritärer Staaten handelt. Wer in einer Gesellschaft lebt, in der er Repression fürchten muss, nur weil er eine eigene Meinung hat, ja vielleicht sogar um sein Leben fürchten muss, der wird dadurch nicht automatisch zum bessereren Menschen. Im Zweifel wird er sich an jemandem abreagieren wollen, der noch schwächer ist als er selbst. Seinen Ärger loswerden, ohne dafür eine Strafe zu riskieren. Nach oben ducken, nach unten treten.

Der Journalist Abdolrahman Omaren, 37, lebt seit einem Jahr in Berlin. Er schreibt Kurzgeschichten für Kinder und Erwachsene.
Der Journalist Abdolrahman Omaren, 37, lebt seit einem Jahr in Berlin. Er schreibt Kurzgeschichten für Kinder und Erwachsene.

© Mike Wolff

Ich stelle mir vor, wie es wäre, wenn ein syrischer Hund eines Morgens in Berlin aufwachte. Wenn ich es richtig gehört habe, gibt es hier allein 40 Auslaufgebiete für ihn. Aus Neugier war ich in dem in der Hasenheide, ich denke: Dieses Land ist ein Hundeparadies. Eine deutsche Bekannte, sie ist 77, hat mir neulich erzählt, ihr Hund helfe ihr dabei, nicht zu altern. Schon wegen der täglichen Spaziergänge. Ihre gleichaltrigen Freunde, sagt sie, bräuchten alle Gehhilfen. Kurioserweise scheint es in Syrien ausgerechnet jetzt einen kleinen Wandel zu geben. Ein Freund, der noch dort ist, berichtete es mir. Er lebt in einer Gegend, die das Regime nicht mehr kontrolliert, die aber ständigen Angriffen ausgesetzt ist. Der Freund schreibt, er habe beobachtet, dass die Menschen plötzlich mehr Mitgefühl gegenüber Hunden zeigen.

„Warum das denn“, habe ich ihn gefragt. Seine Antwort: „Durch die Bomben sind wir alle obdachlos geworden, und wir leiden unter derselben Belagerung. Das verbindet.“ Es gebe allerdings einen Unterschied. Die Hunde könnten sich nicht gegenseitig warnen, wenn irgendwo Scharfschützen lauern. Sie laufen einfach weiter und werden erschossen.

Abdolrahman Omaren ist Journalist und kommt aus Syrien. Sein Text erscheint im Rahmen der Tagesspiegel-Ausgabe vom 15. Oktober 2015, die von geflüchteten Journalisten gestaltet worden ist.  

Abdolrahman Omaren

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