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Zweckfremd. Ferienwohnungen verdrängen dauerhafte Mieter. Der Senat wollte das verbieten, doch darüber gibt es Streit vor Gericht.

© Jens Kalaene/dpa

Zweckentfremdungsverbot in Berlin: Gute Ferienwohnungen, schlechte Ferienwohnungen

Sie vermietet an Touristen, auch illegal. Doch Eleonore Mantey ist nicht auf Profit aus. Für sie und andere Vermieter geht es um die Existenz.

Eleonore Mantey sieht noch etwas mitgenommen aus. Sie öffnet ihre Wohnungstür im dritten Stock, das Haar etwas zerzaust. Sie hat einen gesteppten lila Morgenmantel mit roten Punkten übergeworfen, die ausgetretenen Hausschuhe schlurfen über den Dielenboden. Ihre Augen dagegen sind hellwach, die Stimme ist kräftig, obwohl sie schlecht geschlafen hat.

Gerade ist eine ukrainische Familie abgereist. Die Berlin-Touristen waren ihre Übernachtungsgäste: Großmutter, Eltern, zwei Enkel. Lange haben die 73-Jährige und ihre Gäste am Abend zuvor über den Krieg, die Russen und die Krim gesprochen, über die Angst der Familie vor einer Eskalation und davor, der Sohn könne zum Militärdienst verpflichtet werden. „Das macht mir immer noch zu schaffen“, sagt Mantey. Wer hier bucht, wohnt mit ihr, nicht bloß bei ihr.

72 Stufen steigt Eleonore Mantey zu ihrer Wohnung. Sie ist ein Luxus, den sie sich unter normalen Umständen niemals leisten könnte. Mit ihren 500 Euro Rente im Monat. Allein die Miete für die fünf Zimmer ist fast dreimal so hoch, rechnet man die Nebenkosten mit.

Mantey vermietet einen Teil ihrer Wohnung über die Plattform Airbnb. Ihren richtigen Namen will sie deshalb nicht in der Zeitung lesen. Denn bei Airbnb, sagen die Kritiker, würden vor allem Investoren dutzendfach Wohnungen anbieten, um ein Vermögen damit zu machen, Partytouristen in die Hauptstadt zu locken und dabei in Kauf zu nehmen, dass dringend benötigter Wohnraum immer knapper wird.

Geheizt wird immer noch mit Kachelöfen

Eleonore Mantey ist anders. Und sie ist nicht die Einzige. Auf 132 Quadratmetern lebt sie in einem Haus, das noch aus dem vorletzten Jahrhundert stammt. Vier Zimmer, zwei Bäder, eine geräumige Wohnküche. Vor vielen Jahren waren das mal zwei Wohnungen, später wurden sie zusammengelegt. Geheizt wird zum Teil immer noch in gekachelten Kohleöfen. Der Alexanderplatz ist nicht weit entfernt, vor der Haustür kann man die S-Bahnen vorbeirattern hören.

Besonders Familien kämen gern, weil die zwei Gästezimmer miteinander verbunden sind, so haben Eltern und Kinder jeweils einen eigenen Rückzugsraum. Die Küche teilt sie mit ihren Gästen, am Tisch ist genug Platz für sechs Personen. Im Moment steht darauf nur ein Laptop, mit dem Mantey die eingehenden Anfragen bearbeitet. Ein Porzellanhase blickt vom Durchlauferhitzer auf die Szene herab. An der Wand steht auf einem Blechschild geschrieben: „You can do it!“ Sie ist jemand, der Dinge angeht.

Etwa als sie Ende der 80er nach Cornwall zog, um dort Fliesen kunstvoll zu bemalen und zu verkaufen. Oder als sie entschied, für ihre Wohnung zu kämpfen. Damals, als ihre Tochter auszog und sich deren WG auflöste, zog Eleonore Mantey ein. Sie war ohnehin schon als Bürgin im Mietvertrag eingeschrieben. Alleine zu leben kam für sie nicht infrage, also machte sie selbst eine WG auf. Das ging zehn Jahre gut, erst mit einem Barkeeper, dem später seine eigenen Drinks ein bisschen zu gut schmeckten, später mit einem Studenten. Der wurde ihr irgendwann zu überheblich, fortan hatte sie keine Lust mehr aufs WG-Leben.

Für Eva Schulz geht es in dem Urteil um ihre Existenz

Jetzt hat sie Mitbewohner auf Zeit. Der Wohnraum in der Innenstadt ist knapp, die Mieten steigen. Während für eine 30-Quadratmeter-Wohnung 2011 noch 6,17 Euro pro Quadratmeter an Miete anfielen, lag der Durchschnitt 2016 bereits bei 10,69 Euro bei Neuvermietung. 2013 beschloss der Senat deshalb das sogenannte Zweckentfremdungsverbotsgesetz, eine Kampfansage an die Vermieter privater Ferienapartments. 2014 trat es in Kraft. Die Senatsverwaltung für Stadtentwicklung und Wohnen verbucht das Gesetz als Erfolg. Bis zum Ende vergangenen Jahres wurden bereits 2576 Ferienwohnungen zwangsweise umgewandelt. Dort können also wieder dauerhaft Mieter einziehen.

Mehrere kommerzielle Anbieter, darunter das Online-Portal Wimdu, haben gegen das Gesetz vor dem Verwaltungsgericht geklagt. Sie fordern Bestandsschutz für alle, die schon seit Längerem Ferienwohnungen vermieten. In erster Instanz scheiterten sie, legten jedoch Berufung ein. Am 6. April befasst sich nun das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg mit dem Fall. Für die registrierten Vermieter von 6300 Ferienwohnungenwird sich am Tag des Urteils die Zukunft entscheiden. Für Eva Schulz geht es um ihre Existenz.

Schulz ist 50 Jahre alt, mag grelle Farben, der pinkfarbene Schal um ihren Hals und der strahlend hellblonde Kurzhaarschnitt zeugen davon, das türkisgrüne Bad, der knallrote Toaster in der Küche ebenso. Sie ist entsetzt. Über den Senat, über das Gesetz, darüber, dass andere ihr praktisch Berufsverbot erteilen wollen, wie sie mit heiserer Stimme sagt. Deshalb will sie kämpfen, vor Gericht – und gegen das öffentliche Bild vom raffgierigen Vermieter. In einer gelben Klarsichtfolie hat sie einen ganzen Stapel mit Informationen und Argumenten zusammengestellt.

Gute Ferienwohnungen, schlechte Ferienwohnungen

Zweckfremd. Ferienwohnungen verdrängen dauerhafte Mieter. Der Senat wollte das verbieten, doch darüber gibt es Streit vor Gericht.
Zweckfremd. Ferienwohnungen verdrängen dauerhafte Mieter. Der Senat wollte das verbieten, doch darüber gibt es Streit vor Gericht.

© Jens Kalaene/dpa

Schulz ist Mieterin von drei Wohnungen, die sie seit mehr als 15 Jahren tageoderwochenweise untervermietet. Einen Plan B hat sie nicht. Genau wie Mantey hat auch Eva Schulz Angst, sie könne damit ihre Existenzgrundlage verlieren. Auch sie möchte ihren richtigen Namen lieber nicht öffentlich machen. Zu groß ist die Angst vor Beschimpfungen. Als sie mit dem Vermieten anfängt, ist sie gerademit dem Studium fertig, wollte sich eigentlich eine Karriere als selbstständige Kommunikationsdesignerin aufbauen. Berlin ist damals zwar schon „im Kommen“, aber Wohnraum gibt es noch im Überfluss. Ihr Vermieter fragt sie deshalb, ob sie die Wohnungen nicht als Untermieterin nutzen und als Ferienwohnungen anbieten wolle. Er selbst bekomme sie nicht los, niemand wolle im dunklen Erdgeschoss wohnen. Aber Touristen, die abends nur noch die Füße hochlegen wollen, stört das nicht.

Für Schulz, die damals noch junge Mutter, ist das ein Glück. „Wenn meine Tochter in der Kita war, konnte ich mich um die Wohnungen kümmern.“ Das Geschäft mit den Touristen ist zu ihrem Beruf geworden. Schulz wischt Böden, bezieht Betten, wäscht Laken und Handtücher, wenn etwas kaputtgeht, repariert sie es meist selbst. „Ich kann mittlerweile Fliesen legen, Silikon ziehen, verputzen“, sagt sie. Für ihre Gäste ist sie 24 Stunden erreichbar. Das Smartphone stellt sie nie aus. Am Ende bleiben ihr von dem Vollzeitjob knapp 1200 Euro im Monat, wovon sie ihre eigene Miete und den Lebensunterhalt bezahlt.

Und dann kam der Tag, an dem sich die Berliner Politik gegen die alleinerziehende Mutter wendete. Wo sie sich doch extra registrieren ließ und eine Genehmigung beantragt hatte. Sie könnte die Wohnungen zwar langfristig untervermieten, das würde aber weniger Geld einbringen, sagt sie. Und das sei schon knapp. Ein Schock war deshalb auch das Schreiben des Bezirksamtes, das sie im vergangenen Jahr im Briefkasten hatte: „Das Wohnungsamt benötigt Ihre Hilfe! Zweckentfremdung betrifft auch Sie!“ Darin werden die Anwohner aufgefordert, Ferienwohnungen zu melden. Postanschrift, Mail, vier Telefonnummern, Fax und Internetseite sind darin aufgelistet, auf der Rückseite noch mal in englischer Sprache. Ein Appell zur Denunziation.

Sie vermieten nicht aus Geldgier, sondern für ihren Lebensunterhalt

Bisher hat jedoch niemand Eva Schulz verpfiffen. Vielleicht auch, weil ihre Gäste mit dem Klischee von grölenden Partytouristen wenig gemein haben. Einige der Nachbarn buchen sogar bei ihr, wenn Familie oder Freunde zu Besuch kommen. Katastrophen sind Schulz in den letzten 15 Jahren erspart geblieben, mal abgesehen davon, dass ihre türkisfarbenen Handtücher ständig geklaut werden. Berlinwill sie loswerden: die internationalen Investoren, die dutzendfach Wohnungen in Berlin via Airbnb,Wimdu und Co. vermieten. Menschen wie Eleonore Mantey und Eva Schulz sind bei der Jagd auf die großen Fische nur Beifang.

Man habe ihnen genug Zeit gegeben, sich umzuorientieren, heißt es in der Senatsverwaltung: „Die zweijährige Übergangszeit sollte den Betreibern der Ferienwohnungen die Gelegenheit geben, sich auf die veränderte rechtliche Situation einzustellen und sich beispielsweise Räumlichkeiten suchen, die nicht unter das Verbot fallen.“ Im Klartext: Warum sucht ihr euch keinen anderen Job? In der ursprünglichen Version des-Zweckentfremdungsverbotsgesetzes war es sogar verboten, einzelne Zimmer zu vermieten.

Der Senat musste allerdings nachbessern. Jetzt ist es erlaubt, maximal die Hälfte der eigenen Wohnung zu vermieten, wenn man die andere Hälfte tatsächlich selbst bewohnt. Im Zweifelsfall statten die Bezirksämter einen Besuch ab. Den zweiten Etappensieg erzielten die Vermieter im vergangenen August. Da entschied das Verwaltungsgericht, dass Zweitwohnungen zeitweise untervermietet werden dürfen. Das betrifft beispielsweise Flugbegleiter oder Geschäftsleute, die nur phasenweise in der Stadt sind, die Wohnung aber den Rest der Zeit nicht ungenutzt lassen wollen.

Die Vermietungen sind keine Geldmacherei, sondern der Lebensunterhalt von Eva Schulz und Eleonore Mantey. Sind sie also Verdrängerinnen, weil sie Wohnraum an Touristen vermieten, der dringend gebraucht würde? Oder sind sie Opfer genau dieser Verdrängung, weil sie ohne die Vermietungen an den Stadtrand ziehen oder Sozialhilfe beantragen müssten? Mantey selbst sagt, sie sei Teil des Problems und Leidtragende gleichermaßen. Manchmal, wenn sie besonders knapp bei Kasse ist, weil die Waschmaschine kaputtgeht oder die Küche gestrichen werden muss, vermietet Mantey heimlich einen weiteren Raum. Illegal. Weil sie dann die 50-Prozent-Hürde überschreitet.

Was beide eint, ist die Abhängigkeit von Airbnb

Was die beiden mit den meisten anderen Vermietern eint: die Abhängigkeit von Airbnb. Das Portal versteht sich zwar vorwiegend als Plattform für solche Vermieter, die einzelne Zimmer oder ihre eigene Wohnung dort anbieten, wenn man selbst gerade verreist ist. Es finden sich dort aber auch kommerzielle Ferienwohnungsbetreiber. Sowohl Schulz als auch Mantey berichten nicht nur von guten Erfahrungen. Der Deal ist eigentlich für beide Seiten ganz einfach. Wer seine Wohnung oder ein Zimmer via Airbnb anbietet, bekommt die Reichweite. Das Unternehmen streicht dafür drei Prozent Provision ein. So lang alles nach dem üblichen Schema abläuft – kein Problem.

Schulz aber wollte vor einer Weile, wie jeden Morgen, ihre Anfragen prüfen, als sie feststellen musste, dass ihr Profil gelöscht worden war. Sie fragte bei mehreren anderen Nutzern nach, denen ging es genauso. Sie bat Airbnb um Hilfe. „Ich habe mich mehrfach an die Hotline gewandt. Ich bekam einfach keine Antwort“, sagt Schulz. Geholfen hat ihr niemand. Bei Airbnb heißt es dazu nur: „Airbnb führt weltweit regelmäßig automatisierte Qualitätsinitiativen im Sinne unserer Unternehmensvision, Gästen authentische und lokale Erfahrungen bei Gastgebern auf der ganzen Welt zu ermöglichen, durch.“

Neulich haben sich potenzielle Käufer das Haus angesehen

„Die tun immer so, als könne man gut mit denen reden. Aber es entsteht bloß riesiger Druck“, sagt Eleonore Mantey. Im vergangenen Herbst wurde sie zu einem Treffen mit anderen Vermietern eingeladen. Airbnb wollte eine Allianz bilden gegen das Gesetz. Es sollte der Eindruck einer Graswurzelbewegung entstehen, als hätten die Vermieter sich aus eigenem Antrieb zusammengetan. „Homesharer-Club“ heißt der Zusammenschluss.

In Wirklichkeit organisierte sich Airbnb damit seine Lobby einfach selbst. Eleonore Mantey sollte den Mitgliedsantrag unterzeichnen. Außerdem hätte sie dann in einem Imagefilm mitspielen und eine komplett erfundene Lebensgeschichte erzählen sollen, sagt sie.

Sie weigerte sich. Kurz darauf verlor sie für eine Weile ihren Status als „Superhost“. Den bekommen ausgewählte Vermieter, die besonders guten Service anbieten. Er ist eine Art Premium-Visitenkarte des Portals. Liebesentzug also, weil jemand nicht auf Linie ist. Eleonore hebt den Daumen in die Luft, streckt ihn dann nach unten. Im Handumdrehen kann sich das ändern. Airbnb bestreitet das. Der Status als „Superhost“ werde voll automatisiert vergeben nach bestimmten Kriterien wie zum Beispiel Kundenbewertungen. Da habe niemand händisch Einfluss drauf.

Wenn es schlecht für sie läuft, hat Mantey aber noch ganz andere Sorgen als den Status in ihrem Vermieterprofil. Wenige Tage, nachdem die ukrainische Familie abgereist ist, bekommt sie erneut Besuch. Aber keinen, der bei ihr gebucht hat. Es ist eine Delegation, die sich das Haus ansehen will. Es soll verkauft werden. Mantey befürchtet, dass mit einem neuen Besitzer die Miete steigen würde und sie dann raus müsste. „Eigentlich hat so ein armer alter Zwerg wie ich gar nicht das Recht, hier zu wohnen“, schreibt sie per SMS. Dass in ihrem Haus dann endlich günstiger Wohnraum geschaffen wird, ist unwahrscheinlich.

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