zum Hauptinhalt
Berliner Kluft. In Klaus Kandts bisheriger Amtszeit wuchs die Stadt, die Aufklärungsquote sank.

© Zinken/dpa

Skandal um Berliner Polizeiakademie: Polizeipräsident Klaus Kandt - Schutzschild für den Senat

Untergebene halten Klaus Kandt für kompetent - nur nicht als Chef der Hauptstadtpolizei. Eigentlich soll er den Schutz der Bürger garantieren. Sicher fühlen sich mit ihm aber vor allem Politiker.

Ein Polizeipräsident wie aus dem Katalog, groß und schlank, aber auch kräftig und sportlich, der Blick geradeaus, darin diese Sicherheit, die bei Polizisten einfach dazugehört. So geht Klaus Kandt in Sitzungen des Abgeordnetenhauses, so repräsentiert er seine Behörde, die Hauptstadtpolizei, gibt ihr ein Gesicht, das wohl Vertrauen verdient.

Klaus Kandt betritt Höfe, Gärten oder Restaurants, nickt dort den anderen Gästen zu, schüttelt Abgeordneten, Behördenleitern, Senatoren die Hände. Kandt lässt sich ein Sektglas geben, parliert freundlich, unaufgeregt über die Stadt, das Essen, die Politik, lächelt sanft, das Kreuz immer gerade. Wenn die anderen Gäste solcher Empfänge dann drei, vier, fünf Gläser getrunken haben, der Abend also in die gesellige Phase mündet, ist Kandt schon zu Hause. So laufen seine Auftritte oft ab, bei Fraktionsfesten, bei Gewerkschaftsbällen, bei Stadtempfängen. Klaus Kandt, der Musterknabe.

Leider Fassade.

Denn die Berliner Polizei ist ein Problemfall, und die Probleme häufen sich. Der Ärger um die Polizeiakademie in Spandau und der Verdacht, junge Männer aus als kriminell bekannten arabischen Clans hätten die Truppe unterwandert, sind da nur die neuesten Aufreger. Am Mittwoch weist Klaus Kandt die Vorwürfe in einer Sondersitzung des Innenausschusses als „definitiv falsch“ zurück. Den Eindruck, er habe seine Truppe im Griff, haben viele Abgeordnete nicht.

"Dienstbereiche nur eingeschränkt funktionsfähig"

Davor ging es um untaugliche Schießstände, in deren vergifteter Luft trainierende Polizisten krank wurden. Und davor um den problematischen Einsatz der Berliner Polizei nach dem Mordanschlag des Tunesiers Anis Amri auf den Weihnachtsmarkt am Breitscheidplatz. Der vom Berliner Senat eingesetzte Sonderermittler Bruno Jost attestierte vor allem den mit Amri befassten Kräften im Landeskriminalamt eine Reihe falscher Einschätzungen und Entscheidungen, sagte aber auch, die Ermittler hätten unter „katastrophalen“ Bedingungen arbeiten müssen. In einem internen Bericht findet sich der Satz: „Somit sind drei wesentliche Dienstbereiche zur Bewältigung von Sofortlagen nur eingeschränkt funktionsfähig.“ Und das, so geht es weiter, sei dem Polizeipräsidenten schon 2013 mitgeteilt worden.

Als Kandt – er gilt als CDU-Mann, der Innensenator hieß damals Frank Henkel – 2012 der Öffentlichkeit vorgestellt wurde, hatte er eine beträchtliche Karriere hinter sich, war beim Bundesgrenzschutz, bei der Eliteeinheit GSG 9, war Teamführer im Berliner SEK, danach Chef zweier Polizeipräsidien in Brandenburg und bei der Berliner Bundespolizeidirektion.

Das las sich nach einem harten Typen. Doch womöglich war ihm die Härte schon 1990 abhanden gekommen – mit der Ausbildung zum „höheren Polizeivollzugsdienst“. Man könnte auch sagen: zum Polizei-Bürokraten, womöglich überfordert von einem schwierigen, politisch sensiblem Amt.

Klaus Kandt – überfordert von der komplexen Berliner Polizeiproblematik und von ständig neuen Diskussionen in der Stadt, wo seine Beamten überall mehr Präsenz zu zeigen hätten, mal auf dem Alexanderplatz, mal in der Rigaer Straße, mal bei der Kontrolle rasender Irrer, mal im Görlitzer Park?

1500 der 16.400 Vollzugsbeamten in der Stadt haben Nebenjobs

Für die Politiker ist er jedenfalls praktisch, dieser Präsident. Er fügt sich ihren Vorgaben. Das war mal anders gedacht. Bis in die 90er Jahre wurden Polizeipräsidenten in Berlin vom Abgeordnetenhaus gewählt. Das gab ihnen politisches Gewicht und die Macht, mit Rücktritt zu drohen, wenn sie politische Vorgaben, etwa das Sparen an der Truppe, für falsch hielten.

Vorgaben der jeweiligen Landesregierung haben vor allem unter Kandts Vorgängern dazu geführt, dass die Berliner Polizei in einem oft beklagten, ausgemergelten Zustand ist. Überstunden, Personalprobleme, begrenzte Dienstfähigkeit – zum Beispiel die ärztlich attestierte Unfähigkeit zum Nachtdienst –, Nachwuchsprobleme, auch wegen der Bezahlung. Und weil Berlin, inzwischen Kriminalitätshauptstadt, in größeren Teilen kein angenehmer Arbeitsplatz ist.

Mehr als 1500 der 16 400 Vollzugsbeamten, also letztlich der Männer und Frauen auf der Straße, haben einen Nebenjob. Und apropos Arbeitsplatz: Am Mittwoch, dem Tag der Sondersitzung des Innenausschusses, bei der unter anderem die Polizeiakademievorwürfe geklärt werden sollten, stellte die Gewerkschaft der Polizei eine Trinkwasseruntersuchung vor. Beamte hatten sich über die rostrote Färbung des Leitungswassers in einer Direktion in der Kreuzberger Friesenstraße gewundert. Das Ergebnis der Untersuchung: Schwermetall im Wasser, die Grenzwerte für Blei (46-fach), Eisen (195-fach) und Mangan (6,8-fach) wurden überschritten.

Wenn die größte Polizeigewerkschaft diplomatisch erklärt, die Beamten hätten einen Präsidenten verdient, der sich auch gegenüber dem Senat und der Öffentlichkeit für sie einsetzt, kann man das kaum als Kompliment für den Amtsinhaber missverstehen. Und wenn sich in diesen Tagen weder die Opposition noch die Koalition auf Kandt fokussiert, dann hat das wenig mit Fachlichkeit, sondern viel mit Politik zu tun: Klaus Kandt müsse schon deshalb bleiben, sagen selbst Parteifreunde von Andreas Geisel, SPD, weil der Senat ihn als Schutzschild brauche.

Kandt ist ein cooler Typ, als Hundertschaftsführer top - aber als Polizeipräsident?

Entließe der Innensenator den Präsidenten wegen der Zustände in der Akademie, bliebe vorerst niemand mehr für – politisch gesehen – wirkliche Katastrophen. Nach der nächsten Fahndungspanne etwa; nach einem skandalösen Korruptionsfall; nach einer verratenen Razzia. Was nichts anderes heißt als: Man rechnet mit so einer Katastrophe. Wenn es Kandt nicht gäbe, müsste Senator Geisel abtreten.

Immerhin darüber scheinen sich die Sicherheitsfachleute unter den Berliner Politikern auf erstaunliche Weise einig: Gäbe es keinen Klaus Kandt, man müsste ihn erfinden. Fraktionsübergreifend halten sie auch nun an ihm fest. Der CDU-Innenexperte Burkard Dregger sagt, man könne Kandt allenfalls vorwerfen, dass er der Polizeivizepräsidentin Margarete Koppers zu viele Kompetenzen eingeräumt habe, schließlich sei Koppers für die Polizeiakademie zuständig. Und was den Fall Amri anbelange, Dregger leitet den entsprechenden Untersuchungsausschuss des Abgeordnetenhauses: Da könne er keine Fehlentscheidung Kandts erkennen.

Polizeipräsident Klaus Kandt neben seiner Stellvertreterin Margarete Koppers im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.
Polizeipräsident Klaus Kandt neben seiner Stellvertreterin Margarete Koppers im Innenausschuss des Abgeordnetenhauses.

© Paul Zinken/dpa

Dreggers Fachkollege bei der SPD, der Innenpolitiker Tom Schreiber, urteilt härter, spricht von einer „Führung, die nicht führt“ und die längst nicht mehr mitbekommt, wie es an der polizeilichen Basis zugehe. Schreiber frischt seine Kenntnisse durch regelmäßige Einsatzbegleitung auf. Auch der Grünen-Innenpolitiker Benedikt Lux will von einem Rücktritt des Polizeichefs nichts wissen. Und der FDP-Innenpolitiker Marcel Luthe sagt, er finde Kandt menschlich sympathisch und halte ihn für einen fähigen Polizisten – doch sei er auf dem falschen Posten.

Dass Kandts Untergebene traurig über seinen Rückzug wären, darf bezweifelt werden. Respekt haben sie vor dem, was Kandt gemacht hat, bevor er zum Büromenschen wurde.

Kompetent, auch als Hundertschaftsführer sicher top, schätzt ein Abschnittsleiter seinen Vorgesetzten ein, aber als Chef der Hauptstadtpolizei? Eine Hundertschaft besteht aus 80 Beamten, die sich meist gut kennen. In der Berliner Polizei arbeiten insgesamt 23 000 Bedienstete, die sich meist nicht kennen, vor allem aber verschiedene Interessen haben. Die einen brauchen Abhörtechnik, die anderen neue Funkwagen, die nächsten kommen ohne Dolmetscher im Revier kaum noch klar. Wen immer man fragt, leitende Fahnderinnen, Streifenpolizisten, Techniker, die Sicht in der Truppe scheint erstaunlich klar zu sein: Kandt ist der zögerliche, aber kumpelhafte Kollege. Koppers die zielstrebige, aber distanzierte Aufsteigerin.

Und tatsächlich hat Koppers die Behörde stärker geformt als Kandt: Sie ist seit Jahren für den Haushalt, das Justiziariat, vor allem aber das Personal, also auch die Akademie in Spandau, zuständig.

Intern wissen sie alle, dass Kandt die Personalpolitik in der Behörde freiwillig und gern Koppers überlassen hat. Hauptkommissare, Abschnittsleiter, Personalräte wissen auch, dass Kandt intern schon mal murmelt, er habe nicht damit gerechnet, dass es in der Stadt so heftig zur Sache geht: die Politiker, die Ruhe wollen, die Medien, die Unruhe stiften, die drei Polizeigewerkschaften, die höhere Bezüge, bessere Technik, mehr Kollegen fordern.

Kandt: Bin überrascht, wie schnell Beamte angegangen werden

Die Aufklärungsquote sinkt, die Stadt wächst, am Alexanderplatz und an der Warschauer Straße haben sich die Milieus in nur zwei, drei Jahren verändert, Drogenhandel, Messerstechereien, Taschendiebstahl sind dort Alltagsphänomene geworden. Mit Blick auf diesen Alltag in der Stadt sagte Kandt einmal, er sei „überrascht, wie schnell meine Beamten angegangen werden und wie viel Misstrauen ihnen gegenübergebracht wird“. Das war 2013.

Ein Misstrauen, das angesichts der Nonchalance, mit der in Berlin oft über Kriminalität und deren Opfer hinweggegangen wird, gewissermaßen wohlverdient ist.

Im Mai feuerten Tschetschenen mit einer automatischen Waffe auf eine Weddinger Bar – deren arabische Gäste zurückschossen. Zu deren Milieu zählen Ermittler jene Leute, die sich im September in einer Reinickendorfer Bar trafen: In trauter Runde saß dort auch ein Schüler der Polizeiakademie. Entlassen wurde er noch nicht, die Polizeispitze befürchtet, den Verwaltungsgerichten reichten derlei Verfehlungen nicht. Dann drangen, das bestätigt Kandts Stab, kürzlich Unbekannte auf einen Kreuzberger und einen Schöneberger Polizeihof ein. Was sie dort wollten? Zivile Polizeiwagen abfilmen und Spuren an beschlagnahmten Wagen beseitigen. Ermittler vermuten, die Täter gehören einem arabischen Clan an.

Da funktionieren Funkgeräte nicht in jeder Straße, schon gar nicht in den Tunneln der Stadt. Da kaufen sich Beamte vom eigenen Geld Schutzwesten, die von der Behörde gestellten passen einfach schlecht. Da sind sich Beamte nicht sicher, ob die nächste Razzia gegen Rocker nicht wieder verraten wird.

Und da wird eben auch, wie im September, in die Polizeihistorische Sammlung am Platz der Luftbrücke eingebrochen, um Devotionalien zu stehlen. Ein paar Flure und Treppen weiter hat Klaus Kandt sein Büro.

Zur Startseite