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Auf Christian Weißgerbers Knie war früher eine Hakenkreuztätowierung zu sehen. Heute klärt er Schulklassen über Neonazis auf.

© Mike Wolff

Rechtsextreme Soldaten: Was ein Nazi in der Bundeswehr erlebte

Christian Weißgerber war früher rechtsradikal - und gleichzeitig Rekrut bei der Bundeswehr. Er sagt: "Ich wurde dort sofort akzeptiert."

Dass er ein Nazi war, hätten die Kameraden in der Friedensteinkaserne in Gotha schon beim gemeinsamen Duschen erkennen können. Seine Tätowierungen waren recht aussagekräftig, sagt Christian Weißgerber.

Welche denn so?

„Na, zum Beispiel die Hakenkreuze.“

Eines hatte er sich auf die Kniescheibe stechen lassen, ein anderes auf die Schulter, eines auf die Innenseite des Arms. Dazu der Thorshammer und die Rune eines SS-Freikorps. „Es hat sich keiner dran gestört“, sagt er. Im Gegenteil halfen die Tätowierungen, ins Gespräch zu kommen. Etwa über die Gefahren der multikulturellen Gesellschaft.

Wer dem 28-Jährigen heute gegenübersteht, zum Beispiel vor einem Café am Berliner Hausvogteiplatz, kann sich Weißgerbers früheres Leben schwer vorstellen. Zaghafter Händedruck, sanfte Stimme, „ich glaube, ich hätte gern einen Milchkaffee.“ Aber mit 19 war er sogenannter „Autonomer Nationalist“, eine feste Größe in der Naziszene Südthüringens - und gleichzeitig Rekrut bei der Bundeswehr. Weißgerber wollte Reserveoffizier-Anwärter werden, begann die Grundausbildung bei der Panzergrenadierbrigade 37. Seine Gesinnung habe er vor Kameraden nie verheimlicht. Er sagt: „Ich wurde sofort akzeptiert.“

Die Geschichte, die Christian Weißgerber erzählt, ist verstörend. Und besonders interessant vor dem Hintergrund der Debatte, die seit drei Monaten in und außerhalb der Bundeswehr geführt wird. Die Festnahme des rechtsextremen Oberleutnants Franco A., der sich als Flüchtling ausgab und mutmaßlich Terroranschläge plante, warf Fragen auf: Hat die Bundeswehr ein Problem mit Neonazis? Und falls ja: Wie kann das bekämpft werden?

In Kasernen wurden Wehrmachtsbilder abgehängt

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen kündigte Reformen an. Unter anderem soll der sogenannte Traditionserlass zum Umgang der Bundeswehr mit der Vergangenheit überprüft werden. In Kasernen wurden daraufhin Wehrmachtsbilder abgehängt, auch eines vom späteren Bundeskanzler Helmut Schmidt. Das Vorpreschen brachte der Ministerin massive Kritik ein: Das sei Aktionismus! Sie wolle sich im Wahlkampf auf Kosten der Armee profilieren!

Christian Weißgerber findet Reformen überfällig. Er fürchtet aber, dass die Ministerin ihr Reinemachen bloß ankündigt, sich letztlich darauf beschränkt, ob man einzelne Kasernen umbenennen sollte und welche Bilder wo hängen dürfen. Weißgerber sagt: „Das reicht nicht.“

Seine Stube in Gotha teilte er sich mit sieben Männern. Einer von ihnen bezeichnete sich selbst als Nationalsozialist, einer gehörte einem rechtskonservativen Sängerchor an. Ein Dritter riss rassistische Witze, ein Vierter war Antisemit. Die restlichen drei seien „eher neutral eingestellt“ gewesen, sagt Weißgerber. Das heißt, sie blieben stumm, als die anderen auf der Stube die Hände übereinander legten und scherzhaft einen Pakt schlossen. „Wir schworen uns gegenseitig, dass wir das Weltjudentum vernichten werden.“

Dass Weißgerber so offen über die Zeit spricht, liegt daran, dass er aus der Szene ausgestiegen ist und die Seiten gewechselt hat. Heute klärt er Schulklassen über Strategien der Nazis auf, spricht über den langen Prozess seiner Loslösung vom rechten Gedankengut. 2012 wurde er Bildungsreferent der Aussteigerinitiative „Exit Deutschland“, engagiert sich bei der Friedrich-Ebert-Stiftung.

Hans-Peter Bartels, der Wehrbeauftragte des Bundestages, kennt den Fall. Weißgerber hat ihn nach seinem Abschied aus der Szene getroffen und davon erzählt. Am Telefon sagt Bartels, Weißgerbers Erfahrungen seien wohl eher die Ausnahme - jedoch eine sehr alarmierende.

Wenn Soldaten Flüchtlinge "Ungeziefer" nennen

Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat tiefgreifende Reformen angekündigt.
Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen hat tiefgreifende Reformen angekündigt.

© dpa/Friso Gentsch

Die Zahlen aus dem aktuellen Bundeswehrbericht sind niedrig. Innerhalb eines Jahres wurden 63 Fälle sogenannter „meldepflichtiger Ereignisse“ bekannt, unter anderem wurde der Hitlergruß gezeigt, „Sieg Heil“ gerufen, es wurden rechtsextreme Lieder gehört. In einer Whatsapp-Gruppe schrieb ein Soldat über „faule Nigger“, ein anderer beschimpfte auf Facebook Migranten: „Irgendwann wird auch das kriminelle Regierungspack merken, dass die Integration für dieses Gesocks voll in die Hose gegangen ist und dieses Ungeziefer nur unser Geld will.“ Ein Rekrut, der Kameraden ein Werbeplakat aus der NS-Zeit mit der Botschaft „Deutsche Jugend meldet sich freiwillig zur Waffen-SS“ schickte, wurde fristlos entlassen. Gegen andere laufen noch Disziplinarverfahren.

Hochgerechnet auf die fast 180 000 aktiven Soldaten der Bundeswehr sind das verschwindend wenige Fälle. Die Frage ist nur: Wie viele Verfehlungen werden tatsächlich gemeldet?

Ex-Nazi Christian Weißgerber sagt, er sei in der Einheit beliebt gewesen. Er war körperlich fit, strengte sich an. Den 30-Kilometer-Marsch absolvierte er in etwas mehr als drei Stunden. In seiner Gruppe war er der MG-Schütze, das heißt, er trug bei allen Märschen das 15 Kilo schwere Maschinengewehr, die Kameraden blieben davon verschont.

Zunächst habe keiner versucht, ihm zu widersprechen oder ihn auszugrenzen. „Das lag vielleicht einerseits daran, dass ich nicht plump von ,Rassen, sondern von ,Völkern und ,Traditionen gesprochen habe.“ Andererseits hätten viele sicher verinnerlicht gehabt, dass man den Dialog mit Rechtsextremen nicht abreißen lassen dürfe.

Mit Vorgesetzten sprach er nicht über Politik, außer mit zwei Fähnrichen. Die hatten ein Faible für Verschwörungstheorien, da konnte man sich gut im Biwak austauschen.

Ein positiveres Verhältnis zur Gewalt

Natürlich sind Soldaten ein spezielles Klientel, sagt Florian Kling. Er ist Hauptmann und Sprecher vom „Arbeitskreis Darmstädter Signal“, einem kritischen Zusammenschluss aktiver und ehemaliger Soldaten. Zur Bundeswehr ziehe es tendenziell Menschen, die ein positiveres Verhältnis zu Hierarchie, zu Waffen und Gewalt hätten als der Durchschnittsbürger. „Deshalb muss man umso mehr darauf achten, dass es nicht zu rechtsradikalen Vorfällen kommt.“

Florian Kling glaubt nicht, dass die Bundeswehr grundsätzlich auf dem rechten Auge blind sei. Das Problem sei ein anderes: ein Wegducken vor Problemen, eine Absicherungsmentalität in den Offiziersrängen. Der Fall Franco A. sei das beste Beispiel. „Da gab es Vorgesetzte, die gesehen haben, dass der Mann rechtsextrem und völkisch denkt, und was haben sie getan?“ Statt selbst aktiv zu werden und Konsequenzen zu ziehen, hätten sie den Fall nach oben gemeldet und das Problem damit von ihrem eigenen Schreibtisch weggeschoben. „Und irgendwo versickert das Problem, sodass am Ende gar nichts passiert.“

Diese „strukturelle Verantwortungslosigkeit“ sei nicht zufällig entstanden, sondern gezielt vorgelebt worden: „Bei der Bundeswehr wird von oben durchregiert. Die Spitze trifft Entscheidungen bis in die untersten Ebenen hinein.“ Da dürfe man sich nicht wundern, wenn einfache Offiziere keine Courage zeigten.

Das Hakenkreuz in der Raucherecke

Er selbst hat allerdings das Gegenteil erlebt. Während seiner Grundausbildung vor zehn Jahren, als Rekrut im rheinland-pfälzischen Idar-Oberstein, habe jemand unbemerkt ein pizzagroßes Hakenkreuz in eine Wand der Raucherecke geritzt. Die ganze Kompanie musste antreten, jeder einzelne wurde belehrt, dass es Pflicht sei, den Täter zu melden, falls man ihn kenne. Für falsch verstandenen Korpsgeist sei hier kein Platz! Gemeldet hat niemand etwas.

Als Kling dann nach Berchtesgaden ging, für die Ausbildung zum Gebirgsjäger, lernte er zwei rechtsradikale Ausbilder kennen. Während einer Übung erzählten sie vor etwa 15 Rekruten Judenwitze. „Keiner hat etwas entgegnet. Wie denn auch? Als Neuling fehlt einem das Rückgrat.“ Hinterher besprachen die Rekruten, ob sie einen Vorgesetzten informieren sollten. Aber was, wenn der das für „Petzen“ hält? Man möchte ja auch nicht die eigene Karriere gefährden, sagt Kling. Die meisten plädierten dafür, den Vorfall zu verschweigen. Aber Florian Kling fragte einen älteren Soldaten, der schon drei Jahre dabei war. „Der sprach uns Mut zu, zum Chef zu gehen.“

Sie haben dann tatsächlich beim Kompaniechef vorgesprochen. Und dessen Reaktion überraschte: Er habe sich herzlich bedankt und erklärt, genau diese zwei hätte er schon länger im Visier gehabt. Es gab ein Disziplinarverfahren, beide Ausbilder wurden entlassen.

Hat sich die Zahl der Radikalen gesteigert?

Christian Weißgerber hatte eine Laufbahn als Reserveoffizier-Anwärter geplant.
Christian Weißgerber hatte eine Laufbahn als Reserveoffizier-Anwärter geplant.

© Mike Wolff

Kling sagt, die meisten Bundeswehrsoldaten hätten noble Beweggründe. Seien angetreten, die Verfassung zu schützen. Daneben gebe es aber auch solche, die vor allem an Ehre und das Ideal des archaischen Kämpfers glauben. Die Zivilisten grundsätzlich für verweichlicht halten. Auch solche, die sich nach einem Auslandseinsatz über fehlende Anerkennung in der deutschen Gesellschaft ärgern und sich dann fragen: „Wofür brauchen wir eine Demokratie, die uns eh nicht unterstützt?“ Es könne gut sein, sagt Kling, dass sich die Zahl dieser Radikalen gesteigert hat, seit vor sechs Jahren die Wehrpflicht ausgesetzt wurde.

Nötig sei daher politische Bildung. Die Erziehung zum Staatsbürger. „Dazu gehört zu wissen, wann man gegenüber Demokratiefeinden einschreiten muss. Wann die Kameradschaft oder die Loyalität gegenüber dem Vorgesetzten aufhören.“ Auch Ursula von der Leyen will die politische Bildung stärken. Allerdings macht Kling gerade das Verteidigungsministerium dafür verantwortlich, dass diese Bildung lange vernachlässigt wurde. „Die Prioritäten im Ministerium sind immer: Personal, Auslandseinsatz und dessen Ausrüstung.“

Er sagt, die politische Bildung sei besonders wichtig bei den jungen Soldaten, die frisch aus der Schule kommen. Die noch keinen gefestigten Charakter hätten und keinen inneren moralischen Kompass. Während der Grundausbildung gebe es nur einzelne Unterrichtsstunden, die abgearbeitet werden müssen: „Langweilige Vorträge, die am Ende eines Tages draußen im Feld heruntergeleiert werden, während manche Soldaten schon schlafen.“

Warum die Vorträge nichts brachten

Christian Weißgerber, der Ex-Nazi und Ex-Rekrut, kann sich an die Vorträge erinnern. Er nahm sie nicht ernst. Er glaubte, um ihn herum seien sowieso nur hirngewaschene Menschen, bloß er selbst kenne die Wahrheit. Aber auch die Unpolitischen unter seinen Kameraden hätten solche Vorträge nicht erreicht. Der Ausbilder, sagt Weißgerber, sei rhetorisch unterirdisch gewesen. Der Mann habe beim Reden die meiste Zeit die Augen geschlossen gehabt.

Wo Weißgerber stattdessen aufpasste, waren die Schießstunden. Deshalb war er hier. „Natürlich hätte ich mich auch innerhalb von Nazi-Strukturen an der Waffe ausbilden lassen können, diese Möglichkeit gibt es.“ Aber dafür hätte er keinen Sold bekommen, „und es wäre nicht so professionell gewesen“.

Weißgerber, der angehende Reserveoffizier-Anwärter, hätte anschließend studieren können, „nebenbei bisschen Politik machen“, in den Semesterferien an Manövern teilnehmen und so sein Studium mitfinanzieren.

Sein Plan ging nicht auf. Nach anderthalb Monaten wurde er gemeldet. Allerdings nicht von einem Kameraden, der sich an Weißgerbers politischer Einstellung gestört hätte. Sondern wegen eines Streits auf der Stube über Ordnung in den Schränken. Ein Mitbewohner sei zu undiszipliniert gewesen, sagt Weißgerber, da sei er laut geworden. „Er packte aus, und plötzlich lief ein Disziplinarverfahren gegen mich als Nazi.“ Weißgerber wurde zwangsversetzt. Sein neuer Hauptmann sagte ihm, die ganze Aufregung sei unfair, gleiche einer Hexenjagd.

Als Folge des Disziplinarverfahrens musste er zwei Wochen in die Arrestzelle, anschließend sollte er zwei weitere Wochen beschränkte Ausgangssperre absitzen. Bedeutet: Abends durfte er die Stube nicht verlassen, tagsüber wurde er, kein Witz, weiterhin an der Waffe ausgebildet.

Am Ende ist Weißgerber dann doch entlassen worden. Angeblich auf direkte Anweisung des Verteidigungsministeriums. Genauer weiß er es nicht. Es gibt keine Akten mehr über ihn. „Aber bevor ich gehen musste, konnte ich noch mein Gelöbnis auf das Grundgesetz ablegen.“ Neben ihm auf dem Appellplatz stand ein weiterer Neonazi, der damals für die NPD gearbeitet hat.

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