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Rechts im Bild. Gegner einer Flüchtlingsunterkunft in Freital.

© Oliver Killig/dpa

Rechtsextreme "Gruppe Freital": Sie fühlen sich als Vollstrecker der Volkswut

Brandanschläge auf Flüchtlingsheime, Böller, Mordversuch: In Dresden beginnt der Prozess gegen die "Gruppe Freital". Die Bundesanwaltschaft hält die Angeklagten für Terroristen – ein Paradigmenwechsel.

Von
  • Matthias Meisner
  • Frank Jansen

Sie schweigen fast alle, nur einer redet. Justin S., mit 19 Jahren der jüngste unter den acht Angeklagten, stellt sich dem Gericht vor. Die restlichen sieben folgen dem Rat ihrer Anwälte und weigern sich aus Protest, Angaben zu ihrer Person zu machen. Wie am Pranger fühlten sie sich. Dabei war nur die Anklageschrift verlesen worden.

Die Taten, die ihnen vorgeworfen werden, waren aber vor allem eines – im wörtlichen wie im übertragenen Sinne: Sie waren laut. Denn hier, in einer Außenstelle des Dresdner Oberlandesgerichts, wird über die „Gruppe Freital“ verhandelt. Über acht Menschen, die Sprengstoffanschläge unter anderem auf Asylbewerberheime verübt haben sollen. Einer der Anklagepunkte: Bildung einer terroristischen Vereinigung. Eine der weiteren Besonderheiten dieses Prozesses: Hier klagt die Bundesanwaltschaft, die der sächsischen Justiz zuvor eine handfeste Blamage beibrachte. Beides steht dafür, dass sich in der deutschen Justiz etwas zu ändern scheint.

Fast sieht es am Dienstagmorgen am Hammerweg im Dresdner Norden danach aus, als könne der Prozess gegen die Gruppe nur verspätet beginnen. Ein Sprengstoffspürhund hatte am Sitzungssaal angeschlagen. Blinder Alarm, wie sich herausstellt. Die Einlasskontrolle verzögert sich, die Nervosität ist spürbar.

Schließlich werden die acht Angeklagten doch wie geplant kurz nach zehn Uhr an Handschellen in den Verhandlungssaal geführt. Timo S., einer der beiden Hauptangeklagten, im weinroten Hemd und schwarzem Sakko, andere im Kapuzenpulli. Maria K., die einzige Frau unter den Angeklagten, trägt ein kariertes Flanellhemd. Die Kantine einer noch nicht erbauten Flüchtlingsunterkunft ist für den Prozess umgebaut worden, 5,5 Millionen Euro hat das gekostet.

Angehörige der Angeklagten sind gekommen, nach Informationen der Nebenklage auch drei Frauen aus der Freitaler Neonazi-Szene. Als Beobachter neben Journalisten auch einige, die sich in der Kleinstadt bei Dresden für Flüchtlinge engagiert haben. Abgetrennt von Angeklagten, Anwälten und Gericht sitzen die Besucher hinter einer dicken Scheibe Sicherheitsglas.

Das Gericht hat spitze Gegenstände wie zum Beispiel Scheren, Zirkel, Nagelfeilen oder auch Glasflaschen und Dosen verboten. Haarspray ist ebenfalls nicht erlaubt, und wer in einer Sitzungspause rauchen möchte, muss sich im Hof von einem Polizisten Feuer geben lassen – auch Streichhölzer sind untersagt.

Von der Anti-Asyl-Bewegung zum Terror nach Feierabend

Der Vorsitzende Richter Thomas Fresemann setzt gleich zu Beginn durch, dass die Anklageschrift wie geplant verlesen werden kann. Die Verteidigung wollte das verhindern, behauptete, das Gericht sei befangen, doch der Antrag wird abgelehnt. 42 Minuten wird der Vertreter der Bundesanwaltschaft brauchen, um die ersten 24 Seiten der Anklageschrift vorzutragen.

Die „Gruppe Freital“: sieben Männer im Alter zwischen 19 und 39 Jahren sowie eine 28-jährige Frau. Rädelsführer sollen der in Hamburg geborene Timo S. sein, 28 Jahre alt, und der gebürtige Dresdner Patrick F., 25 Jahre alt. Timo S. arbeitete zuletzt als Busfahrer. Patrick F. ist Fachkraft für Lagerlogistik. Die anderen: ein weiterer Busfahrer, ein Gleisbauer, ein Altenpfleger, ein Mechaniker, ein Caterer, die Frau ist arbeitslos. Gebürtige Freitaler oder Dresdner, andere aus Prenzlau, Berlin-Lichtenberg und Erkelenz in Nordrhein-Westfalen.

Vor Gericht verbargen die Angeklagten am Freitag ihre Gesichter vor den Fotografen.
Vor Gericht verbargen die Angeklagten am Freitag ihre Gesichter vor den Fotografen.

© Sebastian Kahnert/Reuters

Aber alle daheim in Freital oder Dresden – und damit in einer Gegend, in der sich die Stimmung gegen Flüchtlinge früh hochschaukelte. Und in der die späteren, mutmaßlichen Feierabend-Terroristen zunächst mitmischten in der Anti-Asyl-Bewegung, die in Freital Namen trug wie „Frigida“, „Nein zum Hotelheim“ oder „Widerstand Freital“. 62 Prozesstage bis September sind bereits terminiert.

Bürger organisierten zunächst "Kontrollfahrten"

Timo S., früher in der norddeutschen Nazi-Szene unterwegs, demonstrierte als einer der ersten in der 40.000-Einwohner-Stadt Gewaltbereitschaft gegen Flüchtlinge und deren Unterstützerinnen und Unterstützer. Die von ihm mitgegründete „Bürgerwehr FTL/360“ organisierte „Kontrollfahrten“. Heizte die Stimmung an mit Facebook-Einträgen. Anhänger verstanden das als Aufruf zur Selbstjustiz – und die in der Bürgerwehr organisierten Fahrer ließen sie umsonst im Bus mitfahren. „FTL/360“ gilt als Keimzelle der mutmaßlich rechtsterroristischen „Gruppe Freital“.

Die Liste der Vorwürfe gegen die Gruppe wurde im Laufe der Ermittlungen immer länger: ein Sprengstoffanschlag auf das Auto des Freitaler Linken-Fraktionschefs Michael Richter in der Nacht des 27. Juli 2015. Zwei Brandanschläge auf Flüchtlingsunterkünfte in Freital im September und November 2015. Ein Sprengstoffanschlag auf das örtliche Büro der Linkspartei am späten Abend des 20. September 2015. Angriff auf das alternative Wohnprojekt „Mangelwirtschaft“ in Dresden im Oktober 2015.

In der Anklageschrift heißt es, die Angeschuldigten hätten „ein Klima der Angst und Repression erzeugen“ wollen. „Politisch Andersdenkende sollten eingeschüchtert und in Deutschland lebende Asylbewerber letztlich zur Ausreise veranlasst werden.“ Mindestens in einem Fall – dem Anschlag in der Novembernacht – sei auch die Tötung von Menschen billigend in Kauf genommen worden.

"Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende"

Die Gruppe holte sich Sprengkörper aus Tschechien, die in Deutschland verboten sind, etwa vom Typ „Super Cobra 12“, dessen Hauptladung laut Ermittlerkreisen etwa das 130-fache eines in Deutschland zu Silvester zugelassenen Feuerwerkskörpers hat. Die Angeklagten sollen sich daneben mit dem Bau von Rohrbomben beschäftigt haben. Sie trafen sich an einer Tankstelle, um die Anschläge zu besprechen. Oder tauschten sich, so die Anklage, über den südkoreanischen Messaging-Dienst Kakao-Talk aus. Dort bedienten sie sich einer codierten Sprache, Sprengkörper beispielsweise wurden „Obst“ genannt. Die Angeklagten gaben sich in diesem Chat Decknamen. „Kegelkarl“ etwa hieß einer, „Phili“ ein anderer. „Wir sind Nazis bis zum bitteren Ende“, schrieb einer.

Der Dresdner Rechtsanwalt Endrik Wilhelm, Verteidiger der Angeklagten Maria K., macht sich zum Wortführer derjenigen, die im Prozess gegen die mutmaßlich rechtsterroristische Gruppe „ein politisch aufgeladenes Verfahren“ sehen. Seine Mandantin schildert er als „reuig“, die Verhaftung habe auf sie „gewirkt wie ein heilsamer Schock“. Wilhelm spricht von „Willkür einer offensichtlich zu allem entschlossenen Justiz“, der Prozess werde zum Tribunal, sei lediglich „ein Schauprozess“.

Vor allem ist der Prozess ein Signal gegen rechten Terror insgesamt. Justiz und Sicherheitsbehörden schauen zumindest auf Bundesebene bei rassistischer Militanz genauer hin als vor dem NSU-Schock im November 2011. Seit dem Ende der Untergrundzelle mit Uwe Mundlos, Uwe Böhnhardt und Beate Zschäpe hat die Bundesanwaltschaft mehrmals Ermittlungen gegen Rechtsextremisten an sich gezogen und die Delikte als Terror deklariert. Nicht immer zur Freude der regionalen Behörden.

Im Fall Freital strebte die Generalstaatsanwaltschaft Dresden einen Prozess am örtlichen Amtsgericht an. Das war der Bundesanwaltschaft angesichts der terroristischen und potenziell mörderischen Dimension der Geschichte mehrere Nummern zu klein. Die Behörde in Karlsruhe zog das Verfahren im April 2016 an sich und verhinderte, dass die Freitaler Neonazis bei einem Dresdner Amtsrichter mit geringen Strafen wegen bedrohlicher Böllerei davongekommen wären. Wie es in einem solchen Verfahren vor dem NSU-Schock zu erwarten gewesen wäre.

Vom NSU bis zur "Oldschool Society"

Die Intervention der Bundesanwaltschaft zeugt vom Paradigmenwechsel. Rechter Terror wird als solcher erkannt. Freital ist nicht das einzige Beispiel.

Am Oberlandesgericht München müssen sich seit April 2016 vier Mitglieder der „Oldschool Society“ wegen Terrorverdachts verantworten. Die Gruppe soll sich wie die Freitaler Neonazis Böller in Tschechien beschafft haben. Angriffsziele waren Flüchtlingsunterkünfte und Moscheen. Im Mai 2015 zog die Polizei den Trupp gerade noch rechtzeitig vor dem Überfall auf eine Unterkunft von Asylbewerbern im sächsischen Borna aus dem Verkehr.

Rechte Terroristen sind offenbar auch die „Reichsbürger“ und weitere Fanatiker, deren Treiben im Januar die Bundesanwaltschaft beendete. Die Polizei nahm sechs Mitglieder einer Gruppe, Anführer war ein selbsternannter „Druide“, Ende Januar in mehreren Bundesländern fest. Bei der gleichzeitigen Razzia stießen die Beamten auf Waffen, Munition und Sprengstoff. Die Rechtsextremen sollen Angriffe auf Flüchtlinge, Juden und Polizisten geplant haben.

Und dann ist da noch der Prozess gegen die Terrorverdächtige Beate Zschäpe und vier Mitangeklagte.

Mehr als 1000 Attacken auf Asylunterkünfte

Die „Gruppe Freital“, die „Oldschool Society“, der rassistische Druide und seine Bande – sie fühlen sich als Vollstrecker von Volkswut. Die „Flüchtlingskrise“ vier Jahre nach dem Ende des NSU hat eine Welle von Angriffen auf Asylunterkünfte ausgelöst. Mehr als 1000 Attacken registrierte das Bundeskriminalamt im Jahr 2015. Im vergangenen Jahr waren es kaum weniger. In dieser Welle schwimmen die „Gruppe Freital“ und die anderen Terrorfiguren wie Fische.

Drei der Angeklagten der „Gruppe Freital“ sitzen seit November 2015 im Gefängnis, die anderen fünf seit April 2016. Die Stadtgesellschaft selbst aber sieht Freital mehrheitlich zu Unrecht in ein schlechtes Licht gerückt. Norbert Mayer, Fraktionschef der AfD im Freitaler Stadtrat, warnte nach der Razzia im Frühjahr 2016 gegen die „Gruppe Freital“ auf Facebook: „Passt bloß auf, dass bei euch niemand Polenböller kauft, sonst kommt die GSG 9 auch zu euch!“ Straftaten müssten aufgeklärt werden, aber die Ereignisse in Freital würden „hochgespielt, als würde hier eine neue ,rechte‘ RAF entstehen“. Auch der Oberbürgermeister, Uwe Rumberg von der CDU, relativiert den Rechtsterrorismus. „Eine Neonazi-Szene, wie man sie klischeehaft aus den 1990ern kennt, gibt es in Freital nicht“, sagt er.

Draußen haben Linke im Matsch einen kleinen Pavillon aufgebaut. Vielleicht ein Dutzend Leute sind gekommen, sie schützen mit Schirmen ihre Protestschilder gegen den Regen. Die Mehrheit in Freital, sie schweigt.

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