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Marcel Polte beim Versuch, ein Stück Alufolie in Bewegung zu versetzen.

© Sebastian Leber

Psi-Test an der Universität Würzburg: Gibt es Beweise für übersinnliche Kräfte?

Einmal im Jahr können Wünschelrutengänger und Telekineten an der Uni Würzburg ihre Kräfte testen lassen. Die Ergebnisse sind dramatisch.

Wie genau seine Superkraft funktioniert, weiß Marcel Polte auch nicht. Der Prozess laufe hauptsächlich unterbewusst ab, sagt er. Eine Theorie hat er aber doch: Offenbar sei er in der Lage, die Schwingungsmuster seines Gehirns zu verändern und so in Gleichklang zu bringen mit dem Schwingungsmuster des jeweiligen Gegenstandes, den er bewegen will.

An diesem Dienstagvormittag will Marcel Polte ein kleines Stück Folie bewegen. Ohne es anzufassen, nur mit der Kraft der Gedanken. Telekinese heißt die Technik. Sie wurde vielfach beobachtet: bei Jedi-Rittern, bei den X-Men, bei Bibi Blocksberg. Marcel Polte glaubt, Telekinese funktioniere auch im richtigen Leben. Im Hörsaal A 106 des Biozentrums an der Universität Würzburg ist er der Einzige, der so denkt.

Das Stück Folie, das er mit Gedankenkraft rotieren lassen will, liegt auf der Spitze einer Nadel, die wiederum senkrecht in einem Korken steckt. Ein Windhauch würde ausreichen, um die Folie zum Drehen zu bringen. Deshalb hat sich Polte bereit erklärt, eine Glasvase über den Versuchsaufbau zu stülpen. Damit wirklich klar ist, dass nur Gedanken die Bewegung verursachen.

Sollte Polte seine übersinnlichen Kräfte beweisen, erhält er 10 000 Euro. Angeboten von der „Gesellschaft zur wissenschaftlichen Untersuchung von Parawissenschaften“, kurz GWUP. In ihr versammeln sich Physiker, Biologen und Psychologen, die davon überzeugt sind, dass man Menschen wie Polte nicht einfach als Spinner abtun, sondern unter Laborbedingungen testen sollte. Vordergründig geht es um die Frage, ob Marcel Polte per Telekinese ein Stück Folie bewegen kann. Tatsächlich geht es um viel mehr. In dieser pluralistischen Welt, in der jeder fast alles behaupten kann, in der Verschwörungstheorien sprießen und Lügen als „alternative Fakten“ verkauft werden, zählen da überhaupt noch objektiv ermittelbare Wahrheiten? Oder sind sie nicht mehr wert als jede andere Meinungsbekundung im Stimmengewirr?

Winkt ein neues Forschungsfeld?

Die Tests in Würzburg leitet der Wahrnehmungsforscher Rainer Wolf. Er ist 75 und Dozent an der Universität. Er sagt, im Grunde würde er sich freuen, wenn einmal jemand das Preisgeld abräume. Was dann für ein spannendes Forschungsfeld entstehe!

In den vergangenen Jahren ließen sich fast 60 Kandidaten testen. Wünschelrutengänger, Gedankenübertrager, Wahrsager. Eine Bewerberin wollte anhand von Porträtbildern erspüren, ob die gezeigte Person an einer Herzkrankheit leidet. Eine andere Frau behauptete, sie könne schweben. Ein Kandidat brachte eine Landkarte mit und wollte durch bloßes Pendeln einen Goldbarren aufspüren, den Rainer Wolf zuvor in der Umgebung versteckt hatte.

Die Frau, die schweben konnte, sagte kurzfristig ab. Der Goldbarren-Pendler lag 20 Kilometer daneben. Auch alle übrigen Kandidaten scheiterten. Rainer Wolf sagt, er sei trotzdem jedes Mal neugierig. Er wolle niemanden vorführen.

Außer Wolf haben sich heute zehn weitere GWUP-Mitglieder und Studenten im Hörsaal eingefunden. Die Details des Versuchs wurden vorab am Telefon besprochen. Es gibt Kaffee und Kuchen, für jeden Test ist mindestens ein halber Tag eingeplant.

Experte für Hypnose und Ufo-Entführungen

Kandidat Polte betreibt in Bad Homburg eine Praxis als Hypnosecoach. Zudem ist er Heilpraktiker für Psychotherapie und sogenannter Abduktionsforscher. Das ist jemand, der Menschen untersucht, die mutmaßlich von Außerirdischen entführt wurden. Seine besondere Leidenschaft ist jedoch das Hellsehen. An diesem Tag wird Polte häufig von Akten des Geheimdienstes CIA sprechen, die bewiesen, dass Hellsehen tatsächlich existiere.

Wenn Marcel Polte über seine Forschungsfelder spricht, formuliert er präzise, ist offen für Fragen. Er hat viel gelesen. Man möchte ihm glauben.

Mit dem Bewegen von Objekten per Gedankenkraft beschäftigt sich Polte erst seit Januar, er hat Youtube-Videos gesehen, die ihn überzeugten. Wobei der Kandidat einschränkt: Man müsse bei solchen Videos vorsichtig sein. Deren Macher könnten, jetzt theoretisch, eine Täuschungsabsicht gehabt haben.

Wenn der Kandidat die Regeln bricht, funktioniert es

Alexander Mörsdorf bereitet sich auf seinen Test vor.
Alexander Mörsdorf bereitet sich auf seinen Test vor.

© Sebastian Leber

Bevor sich Polte an die Folie wagt, will er sein Können an einem kleinen Kunststoffrädchen demonstrieren. Das habe er bei Amazon gekauft, ein Ungar habe es konstruiert. Einer der Wissenschaftler schaut bei Google nach, das Kunststoffrädchen ist als „Scharlatanerieprodukt“ bekannt, eignet sich als elektrostatischer Motor für Täuschungsmanöver. Polte sagt, dies sei ihm beim Kauf nicht bewusst gewesen. Das Rädchen scheidet aus.

Polte sagt auch, es gehe ihm nicht um die 10 000 Euro, sondern darum, die Wissenschaft voranzubringen. Der Öffentlichkeit bewusst zu machen, dass es Kräfte gibt, die bislang nicht erforscht wurden. Dass es CIA-Akten gibt, die dringend ausgewertet werden müssen.

Er sagt, mit viel Übung könne man vermutlich noch deutlich schwerere Gegenstände als eine Folie zum Drehen bringen.

„Zum Beispiel eine Roulettekugel?“

„Das wäre zu prüfen.“

Marcel Polte zieht sich in eine Ecke des Hörsaals zurück, macht Tai-Chi-Übungen. Dann setzt er sich an den Tisch mit dem Korken und der Nadel, breitet die Arme aus. Stille. Polte lockert sich noch mal, setzt neu an. Minuten vergehen. Polte sagt, er werde doch einmal kurz die Glasabdeckung entfernen, nur zur Einstimmung, um einen besseren energetischen Kontakt herzustellen, und siehe da: Die Folie dreht sich.

Später wird Polte auch beweisen, dass er die Folie in Bewegung versetzen kann, wenn er die Vase mit seinen Händen festhält. Die Wissenschaftler wenden ein, das zähle natürlich nicht, da Körperwärme durch das Glas übertragen werde und so im Behälter kleinste Luftbewegungen hervorrufen könne. Polte sagt, ja klar, das verstehe er. Das Anfassen sei nur zur Einstimmung, gleich werde er es ohne machen.

Das versucht er dann auch, es passiert nichts, Polte entscheidet sich dafür, doch noch einmal die Glasabdeckung beiseite zu legen. Der Testleiter seufzt.

Der Kandidat hat eine Erklärung

Nach drei Stunden gibt Polte auf. Er sagt, es habe daran gelegen, dass er zu Hause nicht mit Anfassen geübt habe. Außerdem wünscht er sich, den Test irgendwann zu wiederholen, dann aber bitte „unter kontrollierteren Bedingungen“. Mit „kontrollierteren Bedingungen“ meint Polte allen Ernstes: ohne die Abdeckvase.

Rainer Wolf sagt, so laufe das eigentlich immer. Erst nach Ende des Tests kommen die wahren Superkräfte der Kandidaten zum Vorschein: Mit Verve und Überzeugung zählen sie dann Gründe auf, warum der Test ausnahmsweise fehlgeschlagen ist. Mal standen die Sterne ungünstig, mal wollten geheime Mächte den Sieg verhindern, mal war Schlafmangel schuld oder der Stress, der durch die Wettbewerbssituation entstehe.

Ein Kandidat, der geglaubt hatte, er könnte Gift in Äpfeln erpendeln, wirkte nach dem Test einsichtig und bedankte sich, dass die Wissenschaftler ihm seinen Irrtum aufgezeigt hatten. Ein paar Tage später meldete er sich erneut und sagte, er habe es sich anders überlegt. Eine höhere spirituelle Kraft habe ihm erlaubt, seine übersinnlichen Talente weiter zu nutzen.

Bevor Marcel Polte zurück nach Bad Homburg fährt, sagt er noch, er sei nicht wirklich gescheitert. Es sei „eher so 50:50“ ausgegangen.

Ist das nicht wahnsinnig frustrierend, so wenig Einsicht?

Rainer Wolf sagt, die Kandidaten, die zu ihm kämen, seien keine Betrüger, sondern von ihren Fähigkeiten überzeugt. Gefangen in Glaubenssystemen, die sie sich über Jahre aufgebaut hätten und die ihnen viel bedeuteten. Situationen, in denen die vermeintliche Kraft wirkte, werden erinnert. Fehlschläge verdrängt.

Außerdem ist die Superkraft für den, der sie zu besitzen glaubt, kein Hobby, sondern Bestandteil der Identität. Psychologen sagen, häufig gehe der Entdeckung einer vermeintlichen Kraft eine schwere persönliche Krise voraus, eine Krankheit etwa oder der Verlust eines geliebten Menschen. Wer in solchen Momenten eine übersinnliche Fähigkeit bei sich feststelle, schöpfe neue Hoffnung. Weil sie ihn besonders macht, von anderen unterscheidet. Wer dann im Test gezeigt bekommt, dass diese Fähigkeit überhaupt nicht existiert, muss die eigene Durchschnittlichkeit anerkennen. Oder leugnen.

Linksdrehendes Wasser zieht angeblich Katzen an

Alexander Mörsdorf will prüfen, ob sich Störfelder im Raum befinden.
Alexander Mörsdorf will prüfen, ob sich Störfelder im Raum befinden.

© Sebastian Leber

Für Alexander Mörsdorf hängt auch die berufliche Zukunft vom Ergebnis des Tests ab. Der 46-Jährige war früher Bauarbeiter, kann nach zwei Bandscheibenvorfällen nicht mehr zupacken. Seit März versucht er sich deshalb als „selbstständiger Geo-Pathologe“. Dabei profitiere er von einer Fähigkeit, die ihm vor Jahrzehnten auf dem Bau ein portugiesischer Kollege gezeigt habe: Er könne Wasseradern und Strom im Boden orten. Einfach dadurch, dass er sein Werkzeug, einen Kreuzpickel, in Händen halte. Schlage der aus, sei etwas in der Erde. Mörsdorf sagt, er könne auf diese Weise sogar vergrabene Holzkisten finden.

Als „Geo-Pathologe“ möchte er auf Grundstücken Wasseradern für den Brunnenbau finden. Oder durch Gebäude gehen und sagen, an welcher Stelle die Bewohner keinesfalls ihr Bett aufstellen sollen, weil dort Energien wirken, die Krebs erregen. Für einen Tag Einsatz nimmt Mörsdorf 350 Euro.

Heute soll er nur sagen, ob Stromkabel im Hörsaal unter Spannung stehen, also an die Steckdose angeschlossen sind. 50 Versuche hat er, jedes Mal muss er sich zwischen „Ja“ und „Nein“ entscheiden. Welches Kabel unter Spannung steht, wurde vorher gelost. Bei 50 Versuchen müsste er also allein durchs Raten rund 25 Zufallstreffer haben. Dies festzuhalten, ist den Testleitern wichtig, denn es gab schon Kandidaten, die anschließend beglückt nach Hause fuhren, weil sie dachten: Die Hälfte richtig ist doch schon ziemlich gut.

Der Test heute wird nicht leicht, sagt Mörsdorf. Strom sei nämlich schwieriger zu orten als Wasser. Es gebe übrigens linksdrehendes und rechtsdrehendes Wasser. Ersteres sei für alle Lebewesen gefährlich. Außer für Katzen. Deshalb sollten Menschen Orte, an denen sich Katzen niederlassen, besser meiden.

"Ich bin es leid, nicht ernst genommen zu werden"

Alexander Mörsdorf trägt einen Cowboyhut. Das sei kein modisches Accessoire, sondern ein Hilfsmittel, um die Gedanken beieinander zu halten. Er sagt, er kämpfe hier nicht nur für sich selbst. Er möchte den Berufsstand des Wünschelrutengängers rehabilitieren. „Ich bin es leid, nicht ernst genommen zu werden.“

Rainer Wolf sagt, Wünschelruten bewegten sich tatsächlich. Sie schlügen aus, sobald der Benutzer sich dies unterbewusst wünsche, weil er einen Treffer erwarte. Das sei alles.

Mörsdorf darf sich vorbereiten. Die Testleiter und Beobachter warten im Nebenraum und sehen durch die offene Tür, wie der Kandidat einige Rituale durchführt. Er schreitet durch die Reihen des Hörsaals, schwingt die Arme, macht die Merkel-Raute. Er beugt sich in der Hocke nach vorn, wie es Skispringer auf der Schanze tun. Das geht ewig so. Rainer Wolf rätselt, was los ist: „So lange hat noch kein Kandidat für die Vorbereitung gebraucht.“ Aber man müsse Geduld haben, er wolle den Kandidaten keinesfalls drängen. Der solle optimale Bedingungen haben.

Nach einer Stunde wird Alexander Mörsdorf dann doch gefragt, wie lange er voraussichtlich noch für die Vorbereitung benötige. Der antwortet, er warte nur auf ein Startsignal. Seinetwegen hätte es längst losgehen können.

Der eigentliche Test geht dann schnell. Der Kreuzpickel gibt klare Signale. Mörsdorf sagt, möglicherweise habe er viermal daneben gelegen.

Wolf wertet die Ergebnisse aus. 26 Treffer. Ein blinder Affe hätte raten können und vermutlich ähnlich abgeschnitten.

Alexander Mörsdorf argumentiert, Strom sei eben schwerer zu orten als Wasser, das habe er ja von Anfang an gesagt. Dann berichtet er von einem frisch angelegten Campingplatz, auf dem er eines Abends mit seinem Pickel sämtliche Wasserleitungen geortet habe. Er sagt: „Ich weiß, was ich kann.“

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