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Polnisches Staatsoberhaupt Andrzej Duda in Warschau

© REUTERS

Neues Staatsoberhaupt in Polen: Andrzej Duda: Präsident aus der Platte

Er lebt im Marzahn Krakaus, fährt Golf. Heute wird Andrzej Duda Staatsoberhaupt Polens. Was er will, was Deutschland jetzt erwartet, darüber rätseln auch seine Landsleute.

So bescheiden wohnt also der Mann, der die steilste politische Karriere der jüngsten Dekade in Polen hingelegt hat? Zu Jahresbeginn galt Andrzej Duda noch als „Namenloser“ aus der „zweiten Reihe der Politik“, schreibt das polnische Magazin „Newsweek“, obwohl er mit 34 Jahren bereits Vizejustizminister war und mit 36 Staatssekretär in der Präsidialkanzlei. An diesem Donnerstag wird er als Präsident vereidigt. Wer sucht, woher der 43-Jährige kommt, landet inmitten aufgehübschter Plattenbauten im Viertel Pradnik Bialy am nördlichen Stadtrand von Krakau. Man könnte es das Marzahn der alten Königsstadt nennen. Dudas genaue Adresse ist im Internet nicht zu finden. Aber die des Wahllokals, wo er seine Stimme abgegeben hat. Von dort kann es nicht weit sein.

„Die Nachbarn kennen und schätzen ihn“, haben Lokaljournalisten, die seiner nationalkonservativen Partei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS) zugetan sind, nach seinem überraschenden Wahlsieg im Mai auf dem Internetportal „Unsere Stadt“ geschwärmt. „Immer freundlich und hilfsbereit, nie nachlässig gekleidet, selbst wenn er nur den Müll rausbringt.“ Die guten Bekannten aus der Nachbarschaft sind Anfang August offenbar in den Ferien. Passanten reagieren reserviert auf die Frage nach dem Zuhause des neuen Staatsoberhaupts: „Wie soll ich den kennen? Der war im Europaparlament in Brüssel und davor in der Regierung in Warschau, also fast nie hier.“

In Pradnik Bialy stehen auch moderne, ansehnliche Wohnblocks auf eingezäunten Grundstücken mit gepflegten Gärten, in denen man Doppelverdiener wie die Dudas vermuten könnte. Der Mann von der Autowerkstatt gegenüber weist jedoch in die andere Richtung, auf ältere fünfstöckige Gebäude um die Ecke, in der ul. Bursztynowa (Bernsteinstraße). Enge Treppenhäuser, kein Aufzug. Fichten und Fliederbüsche rahmen die Aufgänge ein. Und richtig, auf den Stellplätzen vor Hausnummer 1 stehen Autos des Typs, die Duda in der Vermögenserklärung angegeben hat, die Polen seinen Volksvertretern abverlangt: ein acht Jahre alter Suzuki-Jeep und ein 13 Jahre alter Golf.

Also kein Einfamilienhaus, das beliebteste Statussymbol für Polen, die es zu etwas gebracht haben? Ein Präsident aus der Platte? Es wirkt wie ein Widerspruch zu dem Bild, das Andrzej Duda im Wahlkampf von sich entworfen hat. Doch Widersprüche ergeben sich fast überall, wo man versucht, diesen Andrzej Duda zu fassen zu bekommen.

Wie Duda Krakau präsentiert

Als er ausgewählten Journalisten sein Krakau zeigte, hat er das eigene Wohnviertel ausgespart. Er führte sie dorthin, wo die Stadt am schönsten ist, wo jedes zweite Gebäude Geschichte atmet, die Geschichte der historischen Hauptstadt Polens, ehe sie diese Funktion 1596 an das zentraler gelegene Warschau abgeben musste. Und wo der Anspruch lebendig ist, die geistige Hauptstadt Polens zu sein.

Er führte sie zur traditionsreichen Bergbauakademie, wo beide Eltern als Professoren lehrten. An die Jagiellonen-Universität, die zweitälteste Hochschule nördlich der Alpen, wo er Jura studierte und über Verwaltungsrecht promovierte. An das Jan-Sobieski-Gymnasium mit seinen neogotischen Kreuzbogengängen in der Altstadt, auf das die Krakauer Intelligenz ihre Kinder schickt, benannt nach dem polnischen König, der Europa 1683 in der Schlacht vor Wien vor dem Ansturm der Osmanen rettete; dort hat Duda 1991 sein Abitur gemacht.

Der Riss zwischen Polens politischen Lagern

Polnisches Staatsoberhaupt Andrzej Duda in Warschau
Polnisches Staatsoberhaupt Andrzej Duda in Warschau

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Also ein Akademiker? Er bekam 2001 eine Assistentenstelle an der Juristischen Fakultät, hat aber in den folgenden zehn Jahren fachlich kaum publiziert und sich stattdessen auf die Politik verlegt. Die Aura der Intellektuellen schreiben Freunde der Familie eher seiner Frau Agata Kornhauser-Duda zu, die am Sobieski-Gymnasium Deutsch unterrichtet.

Der Riss zwischen Polens politischen Lagern geht mitten durch die Ehe der Dudas. Agatas Vater ist der Schriftsteller Julian Kornhauser, ihr Bruder Jakub Romanist an der Uni. Jakub unterstützt die liberale „Bürgerplattform“ und lässt durchblicken, dass er die politischen Ansichten Andrzej Dudas nicht teile, Agata fortschrittlicher denke als ihr Mann. Sein Schwager habe ein großes Herz und würde, „falls ich ihn mitten in der Nacht anrufe, aufstehen, um einen Schrank tragen zu helfen“. Politisch und vom Temperament her „sind wir aber wie Feuer und Wasser: Die Dudas sind emotional und laut“, stammen von Bergbewohnern in den Beskiden ab. „Wir Kornhausers sind introvertiert.“

Die Journalistin, die ihn verstehen will

Auch Anna Kajtoch hat das Sobieski-Gymnasium dort absolviert, in einer Klasse mit Andrzej Dudas jüngerer Schwester. Heute ist sie Politikchefin der „Gazeta Krakowska“ und versucht sich einen Reim darauf zu machen, was Polen, was Deutschland, was Europa von diesem Präsidenten zu erwarten hat. Die Jahre 2005 bis 2010, in denen die PiS das letzte Mal den Präsidenten stellte – in Person von Lech Kaczynski, der bei einem Flugzeugabsturz im Nebel bei Smolensk ums Leben kam –, waren reich an Kulturkämpfen in der Innen- und Querelen in der Außenpolitik.

Im Wahlkampf ist Duda diesen Kontroversen ausgewichen, hat nicht gegen Abtreibung, In-vitro-Befruchtung und Homosexuelle gewettert, nicht gegen Deutschland und Europa. Aber kann er, der als Parteisoldat der Kaczynskis aufstieg, die PiS in eine neue Richtung führen? Oder, fragt Kajtoch, war die Aufweichung der alten Linie „nur Maske“, um die Wahlen zu gewinnen? Man würde Duda gern danach fragen. Aber er gibt keine Interviews. Und an der Wohnungstür klingeln hilft auch nicht. Er ist ja längst in Warschau, um die Inauguration vorzubereiten. Vor der Vereidigung werden die Abgeordneten die Nationalhymne singen: „Noch ist Polen nicht verloren.“ Vielen wird es nicht leicht fallen einzustimmen, nach einem Wahlkampf, in dem die beiden großen Lager sich mit an Hass grenzendem Eifer vorwarfen, das Land zu ruinieren.

Manche trauen ihm schmutzige Tricks zu

Auch Polens Medien liefern wenig Aufklärung, wer dieser Duda ist und wie er tickt. Je nach politischer Sympathie betätigen sie sich als Lobhudler oder trauen Duda alle möglichen schmutzigen Tricks zu. Das der PiS zugetane Magazin „Do Rzeczy“ (Zur Sache) schildert den 43-Jährigen als politisches Naturtalent. Mit ehrlichem Auftreten habe er einen Wahlkampf, der mit zehn Prozentpunkten Rückstand auf den amtierenden Präsidenten Komorowski aussichtslos schien, gedreht. Nur solle Duda sich jetzt bitte bis zur Parlamentswahl im Herbst bedeckt halten. Erst wenn die PiS auch im Parlament die Macht habe, komme die Zeit, das Wahlprogramm umzusetzen.

„Mann aus Nebel“ überschrieb die auflagenstärkste Zeitung „Gazeta Wyborcza“ihre boshafte Analyse. Sie skizziert Duda als einen loyalen Zögling der Kaczynski- Zwillinge an der Spitze der Partei. Für sie habe er zwielichtige Aufgaben erledigt und wurde mit Aufstieg belohnt. Als Staatssekretär im Präsidialamt habe er die zweifelhafte Begnadigung eines wegen Betrugs verurteilten Freundes der Kaczynskis vorbereitet – und wohl auch unterschrieben. Nur seien leider die Akten verloren gegangen, weshalb niemand den Vorgang überprüfen könne.

Ist er der auserwählte Nachfolger Kaczynskis?

Polnisches Staatsoberhaupt Andrzej Duda in Warschau
Polnisches Staatsoberhaupt Andrzej Duda in Warschau

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Zudem mache Duda sich die offenen Fragen rund um den Absturz von Lech Kaczynskis Präsidentenmaschine beim Anflug auf Smolensk zunutze. Andeutungen, dass die Russen etwas mit dieser Tragödie zu tun haben könnten, sind im nationalen Lager populär. Er inszeniere sich auch als auserwählten Nachfolger. Laut Duda habe Kaczynski wenige Tage zuvor eine Todesahnung gehabt und gesagt: Meine Generation wird bald abtreten; ihr Jüngeren müsst die Aufgabe fortsetzen. Wird er diese Version in seiner Antrittsrede heute im Sejm, einer der beiden Parlamentskammern, wiederholen?

Nach der Amtseinführung ziehen die Dudas in den „Statthalterpalast“ in der Prachtstraße „Krakauer Vorstadt“ ein. Dessen Name rührt daher, dass in der Zeit, als Preußen, Russland und Österreich Polen unter sich aufgeteilt hatten, der russische Statthalter dort residierte. Die Adresse bekommt mit dem Einzug der Dudas einen hübschen Nebensinn: Zum ersten Mal seit der Wende 1989 steht ein Krakauer an der Spitze des Staates.

Die ersten Präsidenten kamen aus der Küstenregion, wo die Werftarbeiter der Gewerkschaft Solidarnosc den Sturz des Kommunismus erkämpft hatten: Lech Walesa aus Danzig, Aleksander Kwasniewski aus Bialogard. Dann folgten die Warschauer: Lech Kaczynski und Bronislaw Komorowski. Wenn die PiS im Herbst die Parlamentswahl gewinnt und Beata Szydlo Ministerpräsidentin wird, liegt die ganze Macht in den Händen von Südpolen.

Ein Professor kennt ihn genau

Nur: Was bedeutet das politisch? Gibt es eine spezielle „Krakauer Denkschule“? Nationalkonservative verweisen auf Andrzej Nowak, Geschichtsprofessor und Spezialist für europäische Ideengeschichte. 18 Jahre lang hat er die Kulturzeitschrift „Arkana“ als Chefredakteur geführt mit dem Ziel, „die Vielfalt des Denkens zu erhalten“.

In kommunistischen Zeiten war die Ideologie vorgegeben; nach der Wende habe ein neuer Druck zur Konformität eingesetzt – nun prowestlich mit Betonung des Wirtschaftsliberalismus und der Individualität unter Führung des liberalen Lagers, unterstützt von der „Gazeta Wyborcza“, erläutert Nowak auf einer Bank im „Professorengarten“ hinter dem Historischen Seminar, wo ausladende Laubbäume vor der Sommerhitze schützen. „Was dazu nicht passte, wurde als Bedrohung der Demokratie dargestellt, selbst die katholische Kirche. Polens Geschichte wurde auf Nationalismus, Xenophobie und Antisemitismus reduziert. Diese Verengung des Denkens hielt ich für ungerecht und antidemokratisch.“ Die Kirche habe im Kommunismus geholfen, die Werteordnung zu verteidigen. Heute schütze ihre Soziallehre vor Ausbeutung. Man dürfe Freiheit nicht nur als maximalen Nutzen für das Individuum verstehen, müsse auch die Solidarität und das Gemeinschaftsinteresse im Auge behalten.

Die Spannungen zwischen der PiS und Deutschland führt Nowak darauf zurück, dass politische Schlüsselworte im jeweiligen nationalen Kontext unterschiedlich verstanden werden. In Polen habe die Verbindung aus nationalem und sozialem Denken lange Tradition. Viele Deutsche verstünden die wahre Bedeutung dieser Begriffe nicht wegen ihrer Verdrehung durch die Nationalsozialisten. Es beleidige wiederum die Polen, wenn sie sich in diese Ecke gestellt fühlen.

Deutschland müsse sich keine Sorgen machen, wenn nun die 40-Jährigen der PiS an die Macht kommen wie Duda, sein außenpolitischer Berater Krzysztof Szczerski und Beata Szydlo. Sie gehörten einer anderen Generation an als die Kaczynskis, seien weniger komplexbeladen und selbstbewusster. „Sie kennen die EU, haben in Brüssel gearbeitet, sprechen Fremdsprachen. Sie wissen, dass sie keinen besseren Partner als Angela Merkel bekommen. An Konflikten mit Deutschland haben sie kein Interesse.“ Duda wird offene Türen vorfinden, wenn er mit dieser Botschaft zum Antrittsbesuch nach Berlin kommt.

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