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Rot-Grün muss sich nicht zwangsläufig vertragen. Beatrix von Storch (links) verbündet sich derzeit mit den politischen Feinden von AfD-Chefin Frauke Petry, die hart in der Kritik von Parteimitgliedern steht.

© AFP

Machtkampf in der AfD: Beatrix von Storch, die Dagegenspielerin

Schon als Schülerin las sie den „Bayernkurier“. Beatrix von Storch fand das rebellisch. Heute kämpft sie in der AfD gegen Islam, Euro – und Parteichefin Frauke Petry. Ein Porträt.

Von Ronja Ringelstein

Beatrix von Storch ist entsetzt. In ihrem kleinen Brüsseler Büro sitzt sie über ihr Handy gebeugt und sagt: „Ich bin tatsächlich Nummer zwei. Oh Gott!“ Sie will es gar nicht glauben. Hat ihr doch wirklich ein anderer deutscher Europaabgeordneter den Rang abgelaufen. Ausgerechnet einer von den Linken, Helmut Scholz, hat sie auf der Liste der aktivsten deutschen Parlamentsmitglieder nach hinten verdrängt. „Gestern war ich noch auf Platz eins.“ Diese Statistik checkt sie häufiger. Sie sagt es ein bisschen spöttisch, aber die Nummer zwei ist sie einfach nicht gern.

Beatrix von Storch ist im Bundesvorstand der „Alternative für Deutschland“ und steht dort für den rechtskonservativen Flügel. Seit 2014 ist sie Vertreterin im EU-Parlament. Vor allem aber ist sie die Kampagnenführerin der AfD. All die Themen, für die die AfD umstritten, aber bekannt ist, hat sie in die Presse gebracht: Anti-Islam, Anti-Euro, Anti-Abtreibung, Anti-Gleichberechtigung. Die AfD will die Opposition. Dafür muss sie nicht konstruktiv sein, sondern nur gegen etwas. Und keiner in der Partei ist wie Beatrix von Storch mit solcher Begeisterung gegen etwas.

Der Bundesvorstand in Deutschland beobachtet deshalb sehr genau, was sie in Brüssel macht. Besonders eine: Parteichefin Frauke Petry, für die es langsam eng wird. Ein Machtkampf folgt dem nächsten. Beatrix von Storch verbündet sich währenddessen mit den richtigen Leuten, dem Ko-Vorsitzenden Jörg Meuthen zum Beispiel. Als es um den Ausschluss des Abgeordneten Wolfgang Gedeon wegen dessen antisemitischen Äußerungen ging, stellte sich der Bundesvorstand nahezu geschlossen hinter Meuthen – und gegen Petry, die den Ausschluss nicht wollte. Sie habe keine Linie, hört man ihre Kollegen lästern. Und so ist von Storch für sie inzwischen eine ernst zu nehmende Konkurrentin um den Führungsposten. Wie gesagt: Von Storch ist nicht gerne die Nummer zwei.

Sie ist nicht gewinnend, sondern ausdauernd

Noch vor einiger Zeit hätte kaum jemand dieses Szenario für möglich gehalten. Ausgerechnet von Storch, eine Politikerin, die nicht einmal in der eigenen Partei populär ist – wohlgemerkt in einer, zu deren Konzept es gehört, populistisch zu sein. Von Storch ist der Gegenentwurf zum typischen Politiker. Sie ist nicht gewinnend, sondern ausdauernd, nicht überzeugend, sondern nervig. Ihre Taktik heißt Dauerschleife. Aktivstes Mitglied wird man durch Wortmeldungen, Reden, Anträge. Von Storch nutzt all das, um immer wieder aufzufallen.

Als ihr noch kaum jemand zugehört hat, steht Beatrix von Storch schon auf der Wiese vor dem Reichstag und stellt Forderungen. 2012, ein grauer Tag im Oktober: Von Storch, roter Pullover, randlose Brille, reißt die Augen auf, wie sie das immer macht, wenn sie jemanden überzeugen will. Mit ernster Stimme sagt sie in die Kamera: „Verklagen Sie Herrn Draghi!“ Mario Draghi, Chef der Europäischen Zentralbank, hat zu diesem Zeitpunkt noch nie von Beatrix von Storch gehört. Nach ihrem Aufruf klagen mehr als 5000 Menschen gegen die EZB. AfD-Mitglieder sprechen von Storch daraufhin an, ob sie nicht mitmachen wolle. Sie will. Was ihr damals nur als Kulisse dient, ist heute ein realistisches Ziel: der Bundestag.

Beatrix von Storch wurde 1971 in Lübeck geboren. Gäbe es den Adel noch, wäre sie Herzogin von Oldenburg. Politisch interessiert war sie seit ihrer Kindheit, sagt sie. Weil der Bus zum Gymnasium in Kaltenkirchen immer eine Dreiviertelstunde zu früh abfuhr, gab es für die Kinder in der Schule einen Leseraum. „Ich sehe mich in der siebten Klasse, wie ich den ,Bayern-Kurier lese. Das CSU-Hausblatt“, erzählt von Storch. „Wer das las, wurde schnell zum politischen Außenseiter.“ Konservativ von Kindesbeinen an, von Storch findet das rebellisch.

Ins Abgeordnetenhaus? Will sie nicht.

Im September steht die Wahl fürs Berliner Abgeordnetenhaus an. Umfragen sehen die AfD bei 13 Prozent. Von Storch ist zwar Vorsitzende des Landesverbandes, aber Landespolitik interessiert sie nicht besonders. Auf den Posten als Spitzenkandidatin hat sie verzichtet. Ihre Themen sind Bundesthemen.

Deshalb liest sich das Wahlprogramm der Berliner AfD wie ein Manifest ihrer persönlichen Ambitionen. Es ist durchdrungen von Europapolitik und Kritik am Islam - nicht gerade Themen für einen Landeswahlkampf. Das gefällt nicht allen in der AfD. Mit ihr einen Kompromiss zu finden? „Schwierig“, sagt einer, der häufig mit ihr zu tun hat.

Ihr Büro in Brüssel ist unpersönlich und unscheinbar eingerichtet. Es ist für sie nur eine Zwischenstation. An der Wand hängt die Nationalflagge Chiles, wo ihr Mann Sven von Storch aufwuchs. Als Jurastudentin lernte sie ihn kennen. Er habe sie dazu gebracht, politisch aktiv zu werden, sei eine „treibende Kraft“ gewesen.

Immer wieder kam der Verdacht, man habe Spendengelder abgezweigt

Das Paar hat zusammen etliche Vereine und Initiativen gegründet. Wer ihr Netzwerk verstehen will, besucht von Storch deshalb am besten in ihrem Kampagnenhauptquartier in der Zionskirchstraße in Berlin-Mitte. Die Adresse der „Zivilen Koalition“, mit der sie damals gegen Draghi mobilisierte, ist dieselbe wie die ihres Abgeordnetenbüros; erster Stock, lichtdurchflutete Räume, Holzböden, Stuck. Vor einiger Zeit ist sie aus dem Erdgeschoss ausgezogen, immer wieder wurden die Scheiben eingeschlagen, eines Nachts wurde sogar ihr BMW angezündet und brannte aus. „Es gibt eine gute Kaffeemaschine“, sagt sie zur Begrüßung. Es bleibt die einzige freundliche Geste im Gespräch.

Den ersten Verein gründete das Paar 1996. Alle sollen für ein „konservatives, patriotisches, libertäres“ Weltbild stehen. Sie tragen Namen wie „Zivile Koalition“, „Allianz für den Rechtsstaat“, „Bürgerrechte Direkte Demokratie“ oder „Initiative Familienschutz“. Auch Online-Plattformen wie „Abgeordnetencheck“ und „Civil Petition“ betreiben die beiden. Auf Initiative der von Storchs fordern im Netz derzeit 27 703 Unterzeichner den Rücktritt von Angela Merkel.

Immer wieder sind von Storch und ihr Mann in den Verdacht geraten, Spendengelder der Organisationen abzuzweigen. 2012 schrieb die „Welt am Sonntag“ über eine Barabhebung von 100 000 Euro vom Vereinskonto. Jüngst berichtete der „Spiegel“, die von Storchs hätten mit diesen Spendengeldern Goldbarren gekauft. Auch die Staatsanwaltschaft ermittelt gegen Sven von Storch, wegen des Veruntreuens von Arbeitsentgelt. Beatrix von Storch weist die Vorwürfe zurück. Das Finanzamt habe das alles geprüft, erklärt sie. Wenn sie sauer ist, malt sie große Bögen mit ihren Armen in die Luft. Den „Spiegel“-Artikel habe sie gar nicht gelesen, sagt sie. Da würde sie nur noch wütender.

Bernd Lucke war fasziniert, wie viele Leute sie erreichte

In der AfD bewundert man sie als Netzwerkerin. Auch Parteigründer Bernd Lucke war fasziniert davon, wie viele Bürger diese kleine, wütende Frau erreichte. „Viele Menschen haben gedacht, ich hätte die AfD gegründet, weil ich vorher schon diese großen Kampagnen gestartet hatte.“ Von Storch sagt das nicht ohne Stolz, hat aber sonst nicht gerade die besten Erinnerungen an ihre Anfangszeit in der Partei. Ihre Mundwinkel ziehen sich noch weiter nach unten als üblich, als sie davon berichtet. Lucke traute ihr nicht. Zwar wollte er von ihrem Netzwerk profitieren. Doch schon bald musste er befürchten, dass sie zu mächtig werden könnte. Als Fanatikerin soll er sie bezeichnet haben. Als er schließlich versuchte, sie wieder loszuwerden, war es zu spät. Bernd Luckes Zeit in der AfD ist längst vorbei. Beatrix von Storchs fängt gerade erst an.

Die AfD war die erste Partei, in der sie sich zu Hause fühlte. Die Entwicklungen der etablierten Parteien seien „nicht in die richtige Richtung“ gegangen, sagt sie. „Die sind zu satt.“ Mit der AfD hat sie eine Partei gefunden, die sie selbst nach ihren Vorstellungen formen kann.

In einem Punkt ähnelt sie Angela Merkel

Rot-Grün muss sich nicht zwangsläufig vertragen. Beatrix von Storch (links) verbündet sich derzeit mit den politischen Feinden von AfD-Chefin Frauke Petry, die hart in der Kritik von Parteimitgliedern steht.
Rot-Grün muss sich nicht zwangsläufig vertragen. Beatrix von Storch (links) verbündet sich derzeit mit den politischen Feinden von AfD-Chefin Frauke Petry, die hart in der Kritik von Parteimitgliedern steht.

© AFP

Viele Stellen des Berliner Parteiprogramms entsprechen deshalb den Forderungen ihrer „Initiative Familienschutz“. Dafür, dass diese Forderungen Einzug ins Programm halten, hat die Politikerin höchstpersönlich gesorgt. Ein Parteitag im März: Beatrix von Storch steht im knallgrünen Jackett vor etwa hundert Mitgliedern der Berliner AfD. Sie wollen das Wahlprogramm für die Abgeordnetenhauswahl beschließen. Gerade eben hat von Storch für Ruhe gesorgt. Jetzt ergreift sie das Mikrofon und sagt: „Wenn sich die AfD in irgendeiner Form für eine Kita-Pflicht einsetzt, muss ich darüber nachdenken, ob das noch meine Partei ist.“ Es klingt das Merkelsche „dann ist dies nicht mein Land“ durch. Angela Merkel, deren Flüchtlingspolitik von Storch verachtet. In ihrer Sturheit jedoch ist sie der Kanzlerin ähnlich.

Sollte ihr die AfD einmal nicht mehr nützen, würde sich von Storch ihre Anhänger wohl woanders suchen. 2011 trat sie drei Tage vor einem Mitgliederentscheid der FDP bei, nur, um gegen den Euro-Rettungsfonds ESM zu stimmen. Als der Vorstoß scheiterte, trat sie etwas später einfach wieder aus. Heute sagt sie, die AfD wäre damals nicht gegründet worden, wenn dieser Entscheid anders ausgefallen wäre.

Ihre Anti-Abtreibungshaltung spaltet die AfD - das ist für sie heikel

Dass sie selbstbezogen und kompromisslos ist, nehmen ihr manche in der AfD übel. Von Storch sagt es lieber mit ihren Worten: „Ich vertrete nichts, wofür ich nicht inhaltlich stehe.“ Einigen enttäuschten Wählern gefällt genau das. „Manche werden variabel, bei dem wofür sie eintreten, das ist bei mir nicht so“, sagt sie und tippt kurz und energisch in die Luft. Es ist ein großes Versprechen für eine Politikerin. Sollte sie es brechen, werden ihre Anhänger ihr das wohl nicht verzeihen.

Ihr Thema Anti-Abtreibung ist deshalb ein heikles. Es spaltet die AfD. Von Storch ist entschieden dagegen, läuft beim „Marsch für das Leben“ regelmäßig ganz vorne mit. Aus dem Bundesvorstand heißt es aber, man wünsche sich das nicht als Wahlkampfthema. Die AfD könne damit viele Wählerinnen verprellen. Und tatsächlich nimmt sich von Storch in dieser Sache nun etwas zurück. Anders als beim Anti-Islam-Kurs.

Kollegen finden, manchmal gehe sie mit ihren Aussagen zu weit. Aber diese Aussagen machen sie wählbar für die „besorgten Bürger“, die sich mit Sätzen wie „das wird man ja wohl noch sagen dürfen“ gegen die Politik der etablierten Parteien auflehnen. Es gibt Abgeordnete, die das destruktiv nennen. Von Storch sei die „Blockade-Königin“, berichten Kollegen anderer Parteien im Europaparlament. Meist wolle sie ganze Berichte streichen, nicht nur Absätze.

„Sie will im Frauenausschuss Frauenrechte zerstören“, sagt ein Mitglied. Die Arbeit des Ausschusses zöge von Storch bei jeder Gelegenheit ins Lächerliche, erzählt ein anderes. Im EU-Parlament hat sie sich mit dieser Art keine Freunde gemacht. Bei den Anhängern in Deutschland kommt ihr Kreuzzug gegen den Islam, Europapolitik und Gendermainstreaming allerdings bestens an. Es ist ein kleiner Vorgeschmack auf das, was sie später einmal im Bundestag durchsetzen will: „Die Verbindung von Mann und Frau ist die einzige, die als Keimzelle der Gesellschaft bezeichnet werden kann“, sagt sie. Dass sie und ihr Mann ein kinderloses Paar sind, und dass auch heterosexuelle Paare manchmal keine Kinder bekommen können, ändert für sie nichts. „Das macht aus der Natur der Sache nichts anderes.“ Fast entschuldigend betont sie immer wieder, dass das ja nur die Positionen seien, die die CDU vor Jahren mal vertrat.

Für einen Machtkampf braucht sie Unterstützer

In den EU-Ausschuss für die Rechte der Frauen, der sich für Gleichstellung und Gleichberechtigung einsetzt, sei sie nur gegangen, „damit die Stimme der Vernunft dort einzieht“. Sie nickt kurz. Vernünftig, das seien schon mal nicht: „Umerziehungsprogramme gegen geschlechtsstereotypes Verhalten“, Quoten und eine „Sprachpolizei“ gegen Sexismus.

Im März gerieten Petry und von Storch offen aneinander, als die Parteichefin in einem Interview forderte, als Ultima Ratio müssten zur Grenzsicherung auch Schusswaffen eingesetzt werden dürfen. Von Storch war ihr nach der Äußerung zur Seite gesprungen und hatte die Forderung noch zugespitzt: Auch auf Frauen und Kinder müssten Grenzsoldaten notfalls schießen dürfen. Sie habe Petry damit „doch nur helfen wollen“, sagte sie später.

Petry bezeichnete von Storchs Aussage als „Kardinalfehler“, und es gibt kaum jemanden im Bundesvorstand, der das anders sieht, auch wenn der ein oder andere dort die Beziehung zu ihr „freundschaftlich“ nennt. Vor allem aber braucht von Storch die Unterstützung der Basis. Auf AfD-Versammlungen, bei denen jedes Mitglied abstimmen kann, ist sie deshalb häufiger in der Hotellobby zu finden als auf der Bühne.

Auch beim Parteitag des Berliner Landesverbandes bleibt ihr Stuhl auf dem Podium leer. Von Storch sitzt in der letzten Reihe, am Ende des Saals. Der Kopf mit den voluminös geföhnten Haaren ist dem Mann neben ihr leicht zugeneigt. Sie tuscheln. Was auch immer er ihr erzählt, es ist für sie offenbar interessanter als das, was auf der Bühne passiert. Dort stellen sich gerade die Landeskandidaten für die Plätze zwei bis zehn vor - jene also, die nach derzeitigen Umfragen mit Sicherheit ins Berliner Abgeordnetenhaus einziehen. Viele Anwesende mögen so viel demonstratives Desinteresse unsympathisch finden. Beatrix von Storch wird es egal sein. Sympathie hat sie nicht dorthin gebracht, wo sie heute ist.

Hinweis: Dieser Text erschien online zunächst im digitalen Kiosk Blendle.

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