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Am Freitag spielt Dylan in Kalifornien – mit den Rolling Stones, Paul McCartney, Neil Young, Roger Waters und The Who.

© dpa

Literaturnobelpreis an Bob Dylan: Seit es Dichter gibt

Bob Dylan hat die besten Balladen geschrieben - vom Untergang der Titanic, rassistischer Gewalt, fatalen Liebesdramen. Sein später Triumph könnte auch etwas mit der Politik in den USA zu tun haben.

Es gibt eine kleine Geschichte, die viel über Bob Dylans Wirkungsmacht erzählt. Es geht dabei um den Germanisten Heinrich Detering, einer der bedeutendsten seines Fachs. Er schreibt über Thomas Mann und Theodor Storm. In seiner Studienzeit in Göttingen kam Detering mit der Kunst eines Mannes in Berührung, der aus einem anderen Kulturkreis kommt und auf andere, vielleicht größere Art berühmt ist. Ein Kommilitone lieh ihm Ende der 70er Jahre Platten von Bob Dylan aus. Heute gilt Detering als großer Dylan-Kenner, hat Bücher über den Sänger publiziert, zuletzt in diesem Jahr „Die Stimmen aus der Unterwelt. Bob Dylans Mysterienspiele“.

Bob Dylan ist ein Rockstar, er spricht Intellektuelle an, er ist seit Jahrzehnten eine mehr oder minder verlässliche Größe, an der viele Menschen ihre Lebensphasen messen. Und seit geraumer Zeit haben ihn die Literaturwissenschaftler, die Deuter und Komparatisten am Wickel. Bücher über Bob Dylan gibt es in sämtlichen Erscheinungsformen, vom Essay zur Biografie, vom Bildband zum Roman – und natürlich die dicke Sammlung der Songtexte.

Geboren 1941 als Robert Allen Zimmerman

Er selbst trägt tüchtig dazu bei, dass die Abteilung „Dylan“ im Regal überläuft. 2004 veröffentlichte er „Chronicles“, den bisher ersten Band seiner künstlerischen Autobiografie – sein Privatleben jedoch hat er stets erfolgreich abgeschirmt, da weiß man wenig. Dazu kommen die Bände mit seinen Zeichnungen und Malereien und jede Menge historisches Material aus seiner mehr als 50-jährigen Karriere, die Anfang der 60er in New York City begann.

Ein Sänger als Literaturnobelpreisträger? Sie haben es also endlich getan in Stockholm. Bob Dylan stand immer wieder weit oben auf Liste der Buchmacher. Nur dieses Jahr hat keiner so richtig mit ihm gerechnet. Aber wer kann vorhersehen, was die Sphinx des Nobelpreiskomitees umtreibt? Doch wenn die Entscheidung einmal gefallen ist, findet sich meist ein guter Grund.

Es könnte also sein, dass die Wahl Bob Dylans – er wurde als Robert Allen Zimmerman am 24. Mai 1941 in Duluth, Minnesota, geboren – etwas mit den USA zu tun hat. Dort wird im November ein neuer Präsident gewählt, eine Richtungsentscheidung. Ein ruchloser Populist, ein rassistisches Großmaul greift nach der Macht in Washington. Da setzt der Nobelpreis für Bob Dylan ein Zeichen.

Er wird für seine poetischen Neuschaffungen in der großen amerikanischen Gesangstradition geehrt, so heißt es in der Begründung. In seinen Texten behandele er soziale Fragen, Religion, Politik und Liebe. Natürlich wissen die Weisen von Stockholm, was die Welt über Bob Dylan denkt: Er ist ein politischer Künstler, ein Sänger des Protests, eine Stimme der Befreiungsgeneration der 68er und davor. Und danach. Er gehört zu einem freien Amerika.

Der näselnde Prophet. Bob Dylans Karriere begann Anfang der 60er in New York City.
Der näselnde Prophet. Bob Dylans Karriere begann Anfang der 60er in New York City.

© imago/ZUMA Press

The Times They Are A-Changin’. Na, sicher. Dylan war beim March on Washington dabei, als Martin Luther King vor einer Viertelmillion Menschen die Rede seines Lebens hielt: „I have a dream …“ Dylan sang an jenem Tag neben Joan Baez, Odetta und Pete Seeger; der Hochadel der Folkmusik, des gesellschaftlichen Engagements. Seine Lieder aus der Zeit greifen Militärs und Politiker an („Masters of War“, „With God on Our Side“), sie lassen sich als Anti-Vietnamkrieg-Manifeste verstehen.

Und so sind sie verstanden worden, von Millionen, nachgesungen am Lagerfeuer und auf Demos. Blowin’ in the Wind. Dann war er plötzlich verschwunden. Wollte nicht mehr politisch vereinnahmt sein. Begann seine mysteriösen Spielchen und Trips, die so viele irritiert haben, bis hin zur allerdings kurzen christlichen Erweckungsphase. Er trat die Flucht aus der Öffentlichkeit an, die er als gefräßig und gnadenlos empfand, und zog in ein Reich, als dessen König er jetzt die Nobelpreiskrone aufgesetzt bekommt. Es ist das Reich des „Great American Songbook“, der oralen Tradition des Riesenlandes, den herausragendsten Liedern. Der Pop-Philosoph Greil Marcus hat es als die „unsichtbare Republik“ bezeichnet, den amerikanischen Urgrund der Outlaws, der Tramps, des Wilden Westens und Denkens. Über „Like a Rolling Stone“ hat Marcus ein ganzes Buch geschrieben. Er ist nicht der Einzige, der diesen Song für Dylans besten hält.

Ohne schwarze Musik ist der Sänger undenkbar

Dylan ist der Barde unserer Zeit. Er hat hunderte Songs geschrieben. Oder kopiert aus dem so reichen Fundus des Blues. Ohne die schwarze Musik ist der Sänger Dylan undenkbar. Er schöpft aus der Tradition, verändert sie, trägt sie weiter, hält sie am Leben. Es ist das, was Dichter tun, seit es sie gibt. Sänger, so hat man sie früher genannt. Man könnte zurückgehen zu Orpheus, der mythologischen Figur. Wenn er sang, wenn er seine Lieder vortrug, lauschten die wilden Tiere, und die Bäume neigten ihm seine Spitzen zu. Als seine Geliebte Eurydike starb, verschaffte er sich mit seinem Gesang bei den Göttern Zutritt zur Unterwelt. Dass die Rückholung schiefging, lag jedenfalls nicht an seiner Kunst. Homer, wer immer er war, sammelte alte Weisen vom Krieg, seinen Helden, seinen Opfern… und immer so weiter.

Eines Tages ist man dann bei Arthur Rimbaud, T. S. Eliot, Bertolt Brecht angekommen, bei den Dichtern, die den Sänger Bob Dylan beeinflusst haben. Bei denen er sich bediente, wie bei Shakespeare und der Bibel. Bob Dylan gehört zu den größten Balladendichtern überhaupt. Die Balladen drehen sich um den unschuldig verurteilten Boxer Hurricane Carter, den Untergang der Titanic, um Opfer rassistischer Gewalt, um fatale Liebeshändel. Wo soll man da anfangen, wo aufhören!? „Mr Tambourine Man“ geht ins Ohr wie die apokalyptische Vision eines Himmelstürmers, dabei so zart:

Then take me disappearin’ through the smoke rings of my mind

Down the foggy ruins of time, far past the frozen leaves

The haunted, frightened trees, out to the windy beach

Far from the twisted reach of crazy sorrow

Yes, to dance beneath the diamond sky with one hand waving free

Silhouetted by the sea, circled by the circus sands

With all memory and fate driven deep beneath the waves

Let me forget about today until tomorrow.

Es ist, wenn man sich unbedingt entscheiden muss, sein schönstes Gedicht. Man spürt die Melancholie, seine Selbstzweifel, das Lied kreist um die zerbrechliche Figur des einsamen Poeten, den die hohe Gabe der Poesie aus der Bahn wirft. Man muss sich die Zeilen laut vorsprechen, um ihre Schönheit und Souveränität, ihre Eleganz zu spüren. „Mr Tambourine Man“ stammt aus dem Jahr 1965. Sein schönstes Album kommt zehn Jahre später heraus, „Blood on the Tracks“, mit einem Kranz von Balladen und Liebesliedern eines Mannes, der Bilanz zieht und von vorn beginnt.

Wird er bei der Nobelpreis-Zeremonie singen, zur Gitarre? Oder setzt er sich, wie in den letzten Jahren bei seinen Konzerten, ans Klavier? Der Mann ist scheu, versteckt sich lieber. Bei der „MusiCares“-Zeremonie im vergangenen Jahr sprach er dann doch einmal offen über die harte Arbeit des Songwriters und über die Menschen, die ihm geholfen haben. In diese Richtung könnte es bei der Nobelpreisrede gehen.

Es ist unmöglich, bei Bob Dylan Text und Musik auseinanderzureißen, da er nun die höchste literarische Ehre erfährt. Es ist auch gar nicht nötig. Sein Gesang ist Poesie. Mit der Entscheidung für Bob Dylan hat die Nobelpreisjury endlich anerkannt, dass sich der Dichter ab der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts der Rock- und Bluesmusik bedient. Und darin liegt mehr als eine Ausdrucksform oder vielleicht ein kommerzieller Gedanke. Es hat etwas Archaisches. In der Antike gab es keinen Dichter ohne Lyra, keinen Poeten, der seine Verse nicht gesungen hätte. Lyrik ist die musikalische literarische Form schlechthin, neben dem Theater. Beide brauchen die Bühne, um Menschen zu erreichen. Auch das gibt Anlass zu Freude. Mit Dylan wird eine Literatur, eine Dichtung geehrt, die breit ausstrahlt.

Er wolle größer sein als Elvis - hat geklappt

Endlich! Einen Dichter wie Bob Dylan, der sich nach dem walisischen Poeten Dylan Thomas benannt haben soll, auf alle Zeit beim Nobelpreis zu übergehen, das wäre vergleichbar damit, die Fotografie und den Film nicht als Kunst anzuerkennen. Mit Dylan ist der radikale individuelle Ausdruck in die Pop- und Rockmusik gekommen. Mit ihm, sagt man, sei diese Musik erwachsen geworden. Deshalb müsste dieser Preis auch einen Dichter und Sänger wie Leonard Cohen erfassen. Für den Sprachkünstler John Lennon kommt er viel zu spät. Der Nobelpreis bedeutet die literarische Anerkennung der Rockkultur. Ihre größten Dichter sind die Sänger. Dylan hat einmal gesagt, er wolle nur eines im Leben erreichen: größer sein als Elvis Presley. Vielleicht war das bloß eine seiner zynischen Reden, aber das ist nun geschafft. Neuerdings singt er alte Standards von Frank Sinatra.

Viele mögen seine Stimme nicht. Sie sei näselnd, nölig, und das stimmt auch. Aber Dylans Organ hatte lange unglaubliche Schärfe, provokative Kraft und vor allem eine absolute Unverwechselbarkeit. Auf unzähligen Konzerten hat er mit ihr jongliert. Er arbeitet mit seinem Material, dreht und wendet die Worte, bis zum Autodafé, zur Selbstzerstörung.

Bob Dylans Auftritte bergen immer hohes Risiko. Seine Berliner Fans können ein Lied davon singen. Er hat die Folkmusik dem harten Rock geopfert, um bei Country-Songs zu landen und immer wieder zum Blues zu finden. Der Beat-Generation, den Dichtern und Allen Ginsberg, hat er die Show gestohlen, weil seine Verse einprägsamer sind, geradezu klassisch. Seit Jahren veröffentlicht er in loser Reihenfolge unbekanntes Material, alternative Aufnahmen, Live-Mitschnitte. Ganze Werkgruppen sind dabei aufs Neue entstanden. Die Historisierung ist in vollem Gang, von ihm selbst gesteuert. Nach der Verleihung des Nobelpreises darf ein neuer Schub von Dylan-Literatur erwartet werden. Die Dylanologen werden nochmal richtig loslegen.

An diesem Freitag spielt er in Kalifornien, auf dem „Desert Trip“. Mit den Rolling Stones, Paul McCartney, Neil Young, Roger Waters von Pink Floyd und The Who. Größer geht es nicht, auch nicht älter. Bob Dylan hat Grammy Awards, die Presidential Medal of Freedom (aus der Hand von Barack Obama), den Polar Music Price, den Pulitzer–Preis und (für den Song „Things Have Changed“) den Oscar gewonnen. Er hat vor dem Papst gesungen. Bei seinen Konzerten wird er als „Columbia recording artist“ angesagt. Nun kann es heißen: „Ladies and gentlemen, please welcome Nobel Laureate Bob Dylan!“

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