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Er kommt von draußen rein. 11.815 Mal schlugen Einbrecher im vergangenen Jahr in Berlin zu. Die Aufklärungsquote liegt bei rund 8,5 Prozent.

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Kriminalität in Berlin: Die Einbruchzahlen bleiben hoch, die Verunsicherung auch

Die Polizei weiß fast alles über sie. Wo Einbrecher zuschlagen. Und wann. Was sie suchen. Und wie lange. Es hilft nur nichts – die meisten Fälle bleiben unaufgeklärt. Deshalb rüsten Hausbesitzer auf.

Von Andreas Austilat

Vielleicht hätte er ein Schild anbringen sollen. Ein Schild, auf dem steht: Hier ist nichts zu holen. „Denn so war es ja“, sagt Adrian Iliesco. Sein Haus, ein sandfarbener Würfel aus den frühen 60er Jahren, sieht nicht nach Reichtum aus. Deshalb fühlte sich der 62-Jährige so sicher. Selbst dann noch, als nebenan eingebrochen wurde, hinter ihm und zwei Häuser weiter zur Rechten. Drei Häuser weiter sollen die Täter sogar den Tresor in den Pool geworfen haben, wohl, weil sie ihn nicht öffnen konnten.

Einen Tresor hat Iliesco nicht und einen Pool auch nicht, nur einen stetig plätschernden Brunnen. Das Haus liegt am Rand jener Zone, für die der im Juli erschienene Kriminalitätsatlas Berlin die Farbe Aubergine vorsieht. Die steht für erhöhtes Einbruchsrisiko und markiert den Zehlendorfer Norden. Sie ist aber kein Exklusivmerkmal des als wohlhabend geltenden Bezirks. Aubergine sind auch die Ränder Köpenicks, weite Teile Charlottenburg-Wilmersdorfs, Frohnaus und der Westen von Marzahn-Hellersdorf. Während der Westen Tegels, wenigstens was Einbrüche angeht, ein vergleichsweise sicheres Pflaster zu sein scheint. 27 Einbrüche wurden dort gemeldet. In Nord-Zehlendorf 830, in Grunewald gar 955.

11.815 sogenannte Tathandlungen registrierte die Berliner Polizei im vergangenen Jahr. Die erste gute Nachricht ist, dass das genau 344 weniger waren als im Jahr davor. Die zweite: 42 Prozent dieser Handlungen endeten damit, dass der Täter sein Vorhaben abbrach. Im Jahr davor waren es knapp 39 Prozent, das war schon gut. Und die Aufklärungsquote ist sogar gestiegen: Die Polizei nennt 999 geklärte Fälle, fast 200 mehr als im Vorjahr. Damit enden die guten Nachrichten.

Das Niveau ist anhaltend hoch, immer noch werden fast doppelt so viele Einbrüche begangen wie vor zehn Jahren. Nach allen bekannten Untersuchungen wünschen sich die allermeisten Betroffenen dann vor allem eines: Zu wissen, wer war das? Und da sind knapp 1000 aufgeklärte von rund 12.000 Taten ebenfalls keine wirklich gute Nachricht. Zumal die anhaltend hohen Einbruchszahlen, wie BKA-Chef Holger Münch einräumt, einen spürbaren Einfluss auf die Verunsicherung der Bevölkerung haben.

Es war einer von 12.000 Fällen in Berlin

Einer von knapp 12.000 Fällen in Berlin war also der von Adrian Iliesco, der in Wirklichkeit anders heißt, aber seinen Namen nicht in der Zeitung lesen will und seine vollständige Adresse auch nicht. Nicht nach dem, was letzten Sommer geschah. Dabei gilt diese Zeit – trotz Ferien – bei der Polizei nicht als besonders typisch. Das sind eher die Wochen vor Weihnachten, wenn es draußen früh dunkel wird und drinnen schon mal die Geschenke bereitliegen.

Es war ein Mittwoch, sagt Isabel Iliesco, die 23-jährige Tochter. Der Vater war nicht zu Hause, sondern in Westdeutschland auf einer Baustelle. Iliesco, der als Musiker Ende der 70er Jahre im Rahmen des Kulturaustauschs aus Rumänien in die DDR kam, ist heute Prokurist in einer Baufirma, die sich auf Brücken und Tunnel spezialisiert hat. Und so waren es seine Frau Eva und die Tochter, die den Einbruch entdeckten. Allerdings erst, als sie das Haus betreten hatten.

Zunächst hat der Eindringling wohl versucht, die Terrassentür aufzuhebeln. Bei einem einfachen Modell geht das in 15 bis 30 Sekunden. Und es reicht im Grunde ein Schraubenzieher, 30 Zentimeter lang, zwei Zentimeter Blattbreite. Erstaunlich, was man damit für eine Hebelwirkung erzielt. In diesem Fall war die Terrassentür neuerer Bauart, der Rahmen hielt stand. Da schlug der Mann - nach einer Studie aus Bremen sind nahezu alle Täter männlich und zwei Drittel unter 21 - die Terrassentür ein und entriegelte den Hebel.

Eva Iliesco bemerkte bei ihrer Rückkehr sofort die Unordnung. Weil die zierliche Frau befürchtete, der Täter könnte noch im Haus sein, in 20 Prozent aller Fälle ist er das auch, schickte sie ihre Tochter hinaus. Warum sie selbst nicht lieber draußen auf das Eintreffen der Polizei gewartet hat? Weiß sie nicht, der Schock vielleicht. Es war ja alles durchwühlt, jede Schublade rausgerissen. Und das Entsetzen steigerte sich von Zimmer zu Zimmer. Sogar die Matratzen hatte der Einbrecher umgedreht und die Tiefkühltruhe durchsucht.

Wahrscheinlich hat er dort ein Geldversteck vermutet. Geld und Schmuck stehen auf der Skala des Diebesguts ganz oben, der Fernseher wird dagegen so gut wie nie mitgenommen. Aber da war nichts, auch nicht in der Tiefkühltruhe.

Der durchschnittliche Schaden bei einem Einbruch: 4911 Euro

Alles in allem fehlten 200 Euro, die offen rumlagen, ein Handy, etwas Schmuck. Am meisten bedauerte Adrian Iliesco den Verlust eines Ringes, den er von seiner Frau bekommen hatte. Am teuersten kam ihn die kaputte Terrassentür. Alles im Rahmen also, der durchschnittliche Schaden bei einem Einbruch beläuft sich auf 4911 Euro. Jedenfalls der Schaden, den man mit Geld ersetzen kann. Erinnerungen sind nicht versichert.

Die Kripo kam, zuständig ist in Berlin eines von sechs Einbruchskommissariaten, nahm Spuren auf, verteilte Fingerabdruckpulver und bestellte die Eheleute Iliesco ins Kommissariat, um auch ihre Abdrücke zu sichern. Denn natürlich waren die im Haus am häufigsten zu finden. Im Rückblick wundern sie sich ein wenig, dass die Tochter ihre Abdrücke nicht abgeben musste. Womöglich rangieren die nun in irgendeiner Datei als ungeklärt. Denn das blieb der Fall bis heute.

Ein paar Tage später stand Adrian Iliesco zu Hause auf der Leiter. Rund um sein Haus hat er Kameras angebracht, eine Alarmanlage und natürlich ist inzwischen auch die Terrassentür gesichert. Das ist vollkommen normal, sagt Robert Herde. Der 50-Jährige ist seit 1989 „in der Schlüsselbranche“, seit 1998 ist er Sachverständiger für Sicherheitstechnik. Für vier Berliner Firmen berät er Kunden, wie sie ihre Wohnung sichern können. Und in den allermeisten Fällen wird er erst dann gerufen, wenn beim Kunden selbst oder bei dessen Nachbarn eingebrochen wurde. Der Verlust des Geborgenheitsgefühls, den die Betroffenen empfinden, sei so stark, dass manche sogar beschließen umzuziehen, weil sie in der eigenen Wohnung nicht mehr glücklich werden.

Hat ein Einbrecher genug Zeit, kommt er überall rein

Er kommt von draußen rein. 11.815 Mal schlugen Einbrecher im vergangenen Jahr in Berlin zu. Die Aufklärungsquote liegt bei rund 8,5 Prozent.
Er kommt von draußen rein. 11.815 Mal schlugen Einbrecher im vergangenen Jahr in Berlin zu. Die Aufklärungsquote liegt bei rund 8,5 Prozent.

© dpa

Herde holt sein Smartphone raus und zeigt, was er zu sehen bekommt. Wohnungstüren, die eingetreten wurden, obwohl in der Mitte ein Querriegel montiert war („bringt bei Neubautüren gar nichts, investieren Sie da lieber in ein Stangenschloss und Sicherungen für die Scharniere“). Ein zweites Bild zeigt ein Loch in einer Rigipsdecke, die Täter hatten die Dachziegel abgehoben und waren so ins Schlafzimmer eingedrungen. Andere rissen Fenstergitter mit dem Wagenheber heraus, und im letzten Winter war es die Masche einer Bande, sich mit der Lötlampe durch den Kunststoffrahmen der Fenster zu schmelzen. Das funktioniere auch nachts, weil es kein Geräusch mache.

Was aber lernt der Kunde daraus? Dass der Einbrecher, wenn er nur Zeit genug hat, überall reinkommt. Und wie im Fall einer Wohnung in Friedenau gleich alles mitnimmt, sogar die Möbel. Meistens hat er aber keine Zeit. Nach fünf Minuten gibt er auf, heißt eine Branchenregel. Und für diese fünf Minuten ist Herde zuständig. Er erstellt ein Sicherheitskonzept, wie er das nennt. Das heißt, weil seine Kunden oft noch unter dem Eindruck eines Einbruchs stehen, muss er sie erst einmal beruhigen. „Die würden doch am liebsten, dass ich ihnen die Balkonbrüstung unter Strom setze.“

Kameras sind beliebt, aber bringen nicht viel

Hätte Herde Familie Iliesco beraten, hätte er ihr vielleicht auch die Sache mit der Kamera ausgeredet. Von Kameras, womöglich mit dem Smartphone gesteuert, hält er nicht viel. „Was sehen Sie da? Vielleicht, wie ein Mann durchs Bild huscht. Und dann ist er schon aus dem Blickwinkel der Kamera verschwunden.“ Vielleicht steht man aber auch irgendwann selbst im Internet, weil sich jemand ins hauseigene W-Lan gehackt hat und nun an seinem Computer Anteil am Familienleben nimmt.

Was Prävention bewirken kann, lässt sich gut an einer Ladentür am Platz der Luftbrücke 5 studieren. In Höhe des Schlosses ist der Rahmen eingedellt. „Weiß ich“, sagt Georg von Strünck, der hinter dieser Tür arbeitet. Ein wenig überrascht ist er aber schon, als er mit dem Finger prüfend über das Metall fährt. Denn zu den alten, bereits bekannten Spuren sind neue hinzugekommen. Schon wieder ein Einbruchsversuch. Hätte der Täter nicht aufgegeben, wäre das nicht unbemerkt geblieben. Das Büro ist mit einer EMA, einer Einbruchmeldeanlage verbunden, die ihr Signal direkt auf die andere Straßenseite leitet, zur Einsatzleitzentrale der Berliner Polizei

Strünck ist Kriminalhauptkommissar und leitet die polizeiliche Beratungsstelle zum Schutz vor Einbruchsdiebstahl, die sich hinter der lädierten Tür befindet. Drinnen erfährt der Besucher alles über Sicherungen für Fenster, Schlösser, Riegel und einbruchhemmendes Glas. Strünck und Kollegen machen auch Hausbesuche, um auf Schwachstellen hinzuweisen, allerdings nur bei Einfamilienhäusern und Wohnungen, die sich in Erd- oder Dachgeschoss befinden. Der Andrang ist groß, acht Wochen beträgt die Wartezeit für den kostenlosen Service.

Eine Hecke ist schön - aber schützt auch den Einbrecher

Bei Familie Iliesco hätte Georg von Strünck wahrscheinlich darauf hingewiesen, dass die Hecke ja sehr schön sei, aber auch den Einbrecher vor den Blicken der Nachbarn abschirmt. Und er hätte bestimmt gesagt, dass Einbrecher in Einfamilienhäusern vergleichsweise selten durch die Haustür kommen, sondern in 52 Prozent aller Fälle durch die Terrassentür.

Strünck und seine Abteilung sind ganz offensichtlich erfolgreich. Denn dass 42 Prozent aller registrierten Einbrüche Versuche bleiben, hat auch damit zu tun, dass Türen und Fenster immer besser gesichert werden. Und das wird Konsequenzen haben.

„Nur mal angenommen, Sie sind verzweifelt und brauchen Geld. Ganz schnell. Was würden Sie tun?“ Thomas Feltes wartet nicht lange auf die Antwort, sondern gibt sie gleich selbst. „Einbrechen“, sagt er, „das erscheint in einer solchen Situation als ganz gute Möglichkeit.“ Das Risiko ist überschaubar, denn die Aufklärungsquoten sind mit zum Beispiel rund 8,5 Prozent in Berlin extrem niedrig. Wird der Täter doch erwischt, darf er, zumindest wenn es das erste Mal ist, mit einer geringen Strafe rechnen.

Feltes ist Professor für Kriminologie und Polizeiwissenschaft an der Ruhr-Universität in Bochum. Für die seit Jahren anhaltend hohen Einbruchszahlen hat er eine einfache Erklärung: Wenn andere kriminelle Erwerbsquellen riskanter oder komplizierter würden, bleibe eben der Einbruch.

Aufwendige Sicherheitstechnik würde eigentlich nur eines bewirken: Der Einbrecher wendet sich von Objekten ab, die es ihm schwer machen. Stattdessen versucht er es beim Nachbarn, der weniger Geld investiert hat. Oder wählt leichtere Ziele. Die Zahl der Einbrüche in eher schlechter gesicherten Kellern und Dachböden ist um ein Drittel gestiegen. Feltes warnt auch davor, Landkarten wie den Kriminalitätsatlas überzubewerten. Denn erstens sei die Dunkelziffer hoch, wer etwa nicht versichert ist, meldet einen Einbruch gar nicht erst. Und zweitens würde leicht der Eindruck entstehen, betroffen seien vor allem Einfamilienhäuser. Tatsächlich finden knapp drei Viertel aller Einbrüche in einer Wohnung statt.

Die Spurenlage gebe in den meisten Fällen wenig her

Was das Profil der Täter angeht, verspreche die Statistik mehr als sie halten kann. Die Spurenlage gebe in den meisten Fällen wenig her. Für eine Studie wurden in Nordrhein-Westfalen 1900 Einbruchsakten ausgewertet. Lediglich in 0,7 Prozent aller Fälle wurden verwertbare Fingerabdrücke und in 1,4 Prozent DNA-Spuren des mutmaßlichen Täters sichergestellt. Und weil 70 Prozent aller Fälle auf „Hebeln“ oder „Eintreten/Einwerfen“ zurückgehen, gab es auch extrem selten Werkzeugspuren, die zum Täter führten.

Vor diesem Hintergrund relativiert Feltes die häufige Ansicht, reisende Banden südosteuropäischer Herkunft seien für die meisten Einbrüche verantwortlich. Zwar stellen Nichtdeutsche nahezu die Hälfte aller Verdächtigen. Wenn man aber in mehr als 90 Prozent der Fälle keinen Täter ermittelt habe, sei die Datenbasis für solche Rückschlüsse viel zu klein. Feltes geht stattdessen davon aus, dass ein ganz erheblicher Anteil auf das Segment Beschaffungskriminalität zurückgeht. Und zwar entweder von Drogenabhängigen oder von sozial abgehängten Jugendlichen.

Dem sei mit polizeilichen Mitteln allein kaum beizukommen. Dazu bedürfe es eher eines Quartiermanagements in ärmeren Kiezen. Einen ergänzenden Ansatz zur Polizeiarbeit sieht Feltes allerdings doch. Alle Einbrecher seien auf den Absatz ihrer Beute angewiesen. Deshalb müsse bei jeder Verurteilung auch ein Verfahren gegen den Hehler angestrengt werden. Was viel zu selten passiere. Anzustreben sei es auch, den Goldhandel besser zu kontrollieren. Allein das Berliner Branchenbuch nennt mehr als 100 Goldankauf-Stellen. Und schon beim ersten Anruf in einem dieser Geschäfte versicherte der Händler, es sei möglich, Gold ohne Angabe der Personalien zu verkaufen.

Der Ring von Adrian Iliesco ist wahrscheinlich längst eingeschmolzen. An den Einbruch denke er übrigens kaum noch. Trotzdem stand er neulich wieder auf der Leiter. Er hat jetzt auch im Obergeschoss Gitter vor den Fenstern angebracht.

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