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Nun entscheidet sich, ob ihre Genossen Johanna Uekermann in die Bundespolitik lassen.

© picture alliance / dpa

Juso-Chefin Johanna Uekermann: Rebellion auf bayerisch

Kruzifix! Wenn sie sich ärgert, wird’s laut. Johanna Uekermann ist die Stimme der Unzufriedenen in der SPD. Die Juso-Vorsitzende weiß um ihren Einfluss – der nächste Machtkampf wird zur Probe.

Beschissen. Das ist ein Wort, das Johanna Uekermann gern gebraucht. Zumindest, wenn sie eine authentische Rede halten, klare Kante zeigen will. Also los: Beschissenes Jahr, dieses Zwosechszehn. AfD, Brexit, Trump. Liebe Genossinnen und Genossen, ein beschissenes Jahr. Alle da draußen müssen verdammt nochmal endlich ihren Arsch hochkriegen.

Uekermann steht vor 300 Delegierten der Jusos, der Jugendorganisation der SPD. Uekermann, die Chefin, trägt Rot. Ihre rechte Hand zur Faust geballt, schnellt im Takt ihrer Worte auf und ab, die andere hält sich am Rednerpult fest. Wer Uekermann kennenlernen will, muss sie hier erleben. Auf dem Bundeskongress der Jusos. Hier sitzt bei ihr jeder Satz. Hier stehen die Genossen auf, um sie zu beklatschen. Das ist woanders anders.

Für Uekermann persönlich kann es nämlich auch ein richtig beschissenes Jahr werden. Die 29-Jährige ist zwar die gewählte Vertreterin der 70 000 Jungsozialisten und auf diese Truppen kommt es im Wahlkampf besonders an. Sie sitzt in Talkshows, gibt Interviews, ist um kurz vor acht schon im Radio, hat zu fast jedem Thema eine Meinung und ist derzeit vor allem die Stimme derer, die in der SPD den Kurs von Parteichef Sigmar Gabriel kritisch sehen. Weil das immer mehr werden, will auch Uekermann immer mehr, einen Platz im Bundestag zum Beispiel. Nur könnte es sein, dass sie sich zu weit vorgewagt hat.

Ein Jahr ist es her, dass die Bayerin öffentlich mit Parteichef Sigmar Gabriel abrechnete und wochenlang in den Schlagzeilen war. Das Verhältnis der beiden ist belastet. Beim jüngsten Konflikt steht allerdings nicht der SPD-Chef im Mittelpunkt. Es geht um die Landesliste der Bayern-SPD für die Bundestagswahl. Es geht um Uekermann persönlich. Und letztlich auch um die Zukunft ihrer Partei.

Einige Wochen vor dem Juso-Bundeskongress sitzt Johanna Uekermann – blassblaue Augen, braunes Haar – in einem Café in Mitte, der Bundestag ist um die Ecke. Sie wirkt etwas müde, war in den letzten Wochen viel unterwegs. Manche in Bayern, erzählt sie, hätten ihr geraten: „Johanna, überspann den Bogen nicht, warte doch noch vier Jahre.“ Ausharren bis zur nächsten Bundestagswahl? Bis 2021? Uekermann sagt: „Warum sollte ich? Ich bin jetzt bekannt und jetzt gut vernetzt. Heute bietet sich die Chance, wer weiß, was in vier Jahren ist.“ Da kennt sie dann niemand mehr.

Heute, wenn in Bayern die Listenreihung festgelegt wird, zeigt sich, ob ihr Kampf erfolgreich war. Die Jusos fordern für sie auf der Liste einen Platz unter den ersten fünf. Die Politikwissenschaftlerin Uekermann könnte ein Signal sein auch an junge Wähler, glauben einige. Und die SPD, in Umfragen derzeit bei 22 Prozent, könnte die gut gebrauchen.

Nur wird Uekermann zwar im linken Flügel für ihren Mut bewundert, von anderen Teilen der SPD aber verachtet. Johannes Kahrs zum Beispiel, Sprecher des konservativen Seeheimer Kreises, twitterte im vergangenen Jahr: „Unsere bescheuerte Uekermann stiftet nur Unheil. Die spaltet und kann es nicht.“ Als „dumme Pute“ soll ein Vertrauter Gabriels sie bezeichnet haben.

Da muss sie geahnt haben, dass es nicht einfach wird. Aber auch, dass sie einen Nerv getroffen hatte.

Sie gab Gabriel eine "vier minus"

Warum stellt man sich so in den Sturm? Beim Bundeskongress sind einige Delegierte mit einem Banner angereist. Rot ist es, in schwarzer Schrift ist „Uekermann Ultras“ draufgedruckt, außerdem in Weiß das Konterfei Uekermanns. Die Politikerin schaut lächelnd auf das Banner. Ihre Bayern halt.

Uekermann stammt aus Mitterfels in Niederbayern. Ein bisschen hört man das. Das „R“ rollt sie leicht und wenn sie sauer ist, erzählen Freunde, verfällt sie ganz dem Dialekt, „Kruzifix“.

Ihre Eltern, beide Lehrer, sind in der SPD, mit 14 tritt Uekermann den Jusos bei. Im Sozialkundeunterricht widerspricht sie den CSU-nahen Lehrern. „Politischen Bullshit“ hätten die erzählt, Witze auf Kosten von Frauen gemacht. Sie hat früh den Widerstand geprobt, sich früh politisiert. Schuld war auch Edmund Stoiber und die Bildungspolitik. Ihre Klassenkameraden haben das gleich gemerkt. Sie werde einmal die erste deutsche Kanzlerin sein, sagten sie ihr voraus. Das hat schon mal nicht geklappt.

Im tiefschwarzen Bayern war sie die rote Socke, fanden die Mitschüler. 2013, dem Jahr, als sie zur Juso-Chefin gewählt wurde, trat sie zum ersten Mal im Wahlkreis Straubing-Regen als Direktkandidatin für den Bundestag an und kam auf 17,6 Prozent, die CSU auf 61,2.

So läuft das in Bayern fast immer, man muss schon ein bisschen masochistisch sein, um sich das anzutun. Und so ist die SPD im Freistaat immer noch ein bisschen linker als anderswo, die Jusos noch etwas bissiger. Johanna Uekermann sagt: „Die Leute haben keinen Bock auf ein Sowohl-als-Auch. Die wollen deine Meinung hören. Deine Überzeugung spüren.“ Laut wird Uekermann manchmal auch, das gehört zur Rolle der Jusos als radikales, linkes Gewissen der Sozialdemokratie. Mit ihren Attacken auf Parteichef Sigmar Gabriel hat sie sich viele Freunde gemacht und ebenso viele Feinde.

Höhepunkt der Auseinandersetzung: Ende vergangenen Jahres gibt Uekermann Gabriel für seine Arbeit die Note „vier minus“. Und als Gabriel, der sauer ist, dem Juso-Bundeskongress fernbleibt und lieber zu einem Fußballspiel geht, bescheinigt Uekermann Kanzlerin Angela Merkel in der Flüchtlingspolitik „sowas wie Rückgrat“.

Schließlich stellt sie den SPD-Chef auf dem Parteitag ganz direkt, lobt seine Rede, kritisiert ihn aber dafür „was danach immer passiere“. Die Partei habe ein Glaubwürdigkeitsproblem. Gabriel ist so außer sich, dass er ans Mikrofon stürmt und sich Uekermann vorknöpft. Mit nur 74,3 Prozent wird er anschließend erneut zum Parteivorsitzenden gewählt. Manche geben Uekermann die Schuld daran.

„Man braucht schon Steherqualitäten, um sich gegen Sigmar Gabriel zu behaupten“, sagt Vorstandsmitglied Jan Stöß, der zu den Parteilinken zählt und von den Konservativen der Berliner SPD gerade rabiat abgeräumt wurde. Uekermann hält er für wichtig. Ohne sie wäre mancher Parteilinke oder Juso längst ausgetreten, glaubt er. „Viele in der SPD geben Kritik in homöopathischen Dosen. Johanna artikuliert, was aus ihrer Sicht falsch läuft.“

Man könnte meinen, dass die SPD so jemanden jetzt braucht. Nach vier Jahren Großer Koalition, vier Jahren neben einer übermächtigen Kanzlerin Merkel, Jahren der Kompromisse, wirkt die sozialdemokratische Politik auf viele austauschbar. Mit weichgespülten Positionen werden sich 2017 kaum Wähler gewinnen lassen. Mit unangepassten Leuten womöglich schon.

Die Frage ist nur: Lässt die SPD sie zu?

"Jeder guckt nur auf seinen eigenen Arsch"

Die Lage in Bayern ist verfahren. Uekermann hat als Direktkandidatin gegen die CSU in ihrem Wahlkreis keine Chance. Wer in Bayern in der SPD ist und in den Bundestag will, braucht einen guten Platz auf der Liste. Und die basiert auf den Regeln des sogenannten Regionalproporz. Heißt: Die sicheren Listenplätze – es sind die ersten 16 – werden unter den sieben Bezirken aufgeteilt. Alle Bezirke, auch Uekermanns Niederbayern, erhalten zwei Listenplätze, Oberbayern vier.

Von den beiden niederbayerischen Listenplätzen wird Uekermann allerdings keinen bekommen. Sie wäre also auf die Gnade eines anderen Bezirks angewiesen, aber auch danach sieht es nicht aus. „Alle wünschen ihr den Erfolg. Nur eben nicht auf eigene Kosten“, sagt ein bayerischer Genosse.

Gut möglich, dass sie die Gratwanderung unterschätzt hat. Sie will noch etwas werden in der SPD, darf als Juso-Chefin aber auch nicht zu zahm sein. Nach dem Konflikt mit Gabriel fürchtete sie, ihre Bundestagspläne begraben zu müssen. Nun sagt sie beim Gespräch im Café staatstragende Sätze wie: „Rebellion darf kein Selbstzweck sein.“ Da klingt dieses Spannungsfeld ein wenig durch.

Die Jusos haben sich ja auch verändert. Den diesjährigen Bundeskongress hielten sie in einer modernen Halle der Dresdner Messe ab, auf Bildschirmen waren die Anträge eingeblendet, über die gerade verhandelt wurde. Wo es früher oft verkochte Nudeln gab, fährt das Catering heute Thymian-Pasta, Knödel mit Gulasch und ayurvedische Reispfanne auf. In der Eingangshalle haben die Sponsoren ihre Stände aufgestellt. Deutsche Bahn, der Verband der Deutschen Automatenindustrie, Telekom. In dem Jutebeutel, den jeder zur Begrüßung geschenkt bekam, war ein Flyer von Union Investment. Vielleicht sind die Unterschiede gar nicht mehr so groß zur SPD.

Gabriel ist dem Kongress trotzdem wieder ferngeblieben. Seine Biografen schreiben, der SPD-Chef halte die Jusos „für theorieverliebte Akademikerzöglinge, die gern verquast daherreden und vom wahren, wirklichen Leben keine Ahnung haben – eben für Juniorfunktionäre.“

Die „Akademikerzöglinge“ jubeln Uekermann zu. Als sie auf dem Kongress über ihre Pläne für den Bundestag spricht, hört der Applaus gar nicht mehr auf. Die Leute stehen. Uekermann lacht, tritt von einem Fuß auf den anderen. Als das rhythmische Klatschen abgeebbt ist, setzt sie an: „Ich wollte jetzt gerade sagen, dass ich hoffe, eure Unterstützung dafür zu haben. Aber ich glaube, die hab’ ich.“

Anders ginge es kaum. Wenn ihre Freunde grillen, sitzt sie in Gremien. Die Wochenenden sind für Anträge und Lokalpolitik vorbehalten, sie ist stellvertretende Fraktionschefin im Kreistag von Straubing-Bogen. Über ihren Freund sagt sie nur halb im Scherz: „Wir führen keine Beziehung, wir suchen Zeitfenster.“

Das soll sich nun auszahlen. Es läuft darauf hinaus, dass es Uekermann heute auf eine Kampfkandidatur ankommen lassen wird – also antritt gegen eine Frau, die für einen der aussichtsreichen Listenplätze vorgeschlagen ist.

Das wird hässlich: „Es entstünde der Eindruck, dass sie SPD junge Leute vor den Kopf stößt, weil dort jeder nur auf seinen eigenen Arsch guckt“, sagt Uekermann. Am Ende werden die 141 Delegierten entscheiden – Ausgang ungewiss.

Es ist 22 Uhr, die Beratungen sind vorbei. Sie muss den nächsten Tag vorbereiten, ein Radiointerview steht auch an. Also später schnell ins Bett? „Nee. Wir gehen noch weg. Du kannst nicht Juso-Bundesvorsitzende sein, wenn du nicht saufen und trotzdem früh aufstehen kannst.“

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