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Cem Özdemir und Christian Lindner

© picture alliance / ZB

Jamaika im Bund: Herr Özdemir, vertrauen Sie Christian Lindner?

Sie duzen sich, treffen einander regelmäßig – und stehen beide Parteien vor, die womöglich bald koalieren könnten. Doch kurz vor der Wahl gehen Christian Lindner und Cem Özdemir auf Distanz. Unser Blendle-Tipp.

Christian Lindner kann sich nicht wehren, er ist gefangen auf seinem Platz im großen Saal des Aachener Karnevalsvereins, um ihn herum Närrinnen und Narren, die fröhlich schunkelnd darauf warten, dass ein ganz spezieller Redner die Bühne betritt, um den FDP-Chef rhetorisch zu verprügeln.

Özdemir witzelte über Lindners Haarimplantation

Am 15. Februar 2014 bekommt der Liberale, dessen Partei ein paar Monate zuvor aus dem Bundestag geflogen ist, den Orden wider den tierischen Ernst verliehen. Am Pult steht mit Narrenkappe bekleidet Cem Özdemir von den Grünen, um die Laudatio auf den künftigen „Ritter Christian“ zu halten. Der Grünen-Chef piesackt seinen politischen Gegner ein bisschen, er spielt auf Lindners Haarimplantation an. Doch vor allem lobt er Lindners „scharfen Verstand“ und seinen „mutigen Optimismus“. Schließlich sagt Özdemir, er sei sich ganz sicher, dass Lindner die Liberalen „früher oder später“ zurück in den Bundestag führen werde. Tusch. Applaus. Umarmung.

Dreieinhalb Jahre später wird Özdemirs Prophezeiung voraussichtlich wahr werden, und vielleicht sitzen beide Politiker demnächst nicht nur gemeinsam im Bundestag, sondern sogar nebeneinander auf der Regierungsbank.

Kürzlich, nach dem TV-Fünfkampf der kleineren Parteien, wurde vor allem in den sozialen Medien darüber spekuliert, was es zu bedeuten habe, dass Lindner Özdemir geduzt hatte. Auf den ersten Blick nicht viel. Beide duzen sich genau seit jenem närrisch anmutenden Tag im Februar 2014. Immer mal wieder haben sich der Grüne und der Liberale danach getroffen, um auszuloten, was politisch möglich ist, um herauszufinden, wie der andere tickt. Erst vor ein paar Wochen saßen sie das letzte Mal beieinander. Nicht im Berliner Café Einstein Unter den Linden, wo Politiker sich verabreden, wenn sie gemeinsam gesehen werden wollen, sondern im Bio-Restaurant „Lina“, das zum Naturschutzbund gehört und auf halbem Fußweg zwischen der FDP- und der Grünen-Zentrale liegt.

Laut Umfragen reicht es für Jamaika

Wenige Tage vor der Bundestagswahl wissen Lindner, 38 Jahre alt, und Özdemir, 51 Jahre alt, dass ihre Parteien darüber entscheiden könnten, wie die kommende Regierung aussehen wird. Das Rennen vorne, zwischen Kanzlerin Merkel und Herausforderer Schulz, scheint entschieden, aber das um den nicht nur symbolisch wichtigen dritten Platz ist völlig offen. Neben der großen Koalition reicht es laut Umfragen derzeit auch für Jamaika, ein Bündnis aus Union, FDP und Grünen. Wenn Grüne oder FDP noch zulegen, wären auch Schwarz-Gelb oder Schwarz-Grün denkbar.

Am Sonntag werden Grüne und Liberale auf Sonderparteitagen in Berlin noch einmal ihre Anhänger mobilisieren, dann wird es vor allem um deutliche Abgrenzung voneinander gehen. Aber könnten Özdemir und Lindner aus ihrer persönlichen Sympathie auch eine politische Allianz schmieden? Und könnten sie ihre Mitglieder von Jamaika überzeugen, sollte es zu Koalitionsgesprächen kommen?

Im Wahlkampf reden Spitzenkandidaten weniger offen als üblich, sie reden vor allem taktischer. Aber fragen kann man ja mal. Der Grünen-Chef ist gerade auf Wahlkampftour in seiner Heimat Baden-Württemberg, zwölf Tage sind es da noch bis zur Wahl. Zwischenstopp in Karlsruhe, Zeit für ein kurzes Telefonat.

Herr Özdemir, vertrauen Sie Christian Lindner?

„Mit Christian persönlich habe ich kein Problem“, sagt er. Aber darum gehe es auch nicht. „Je näher die Wahl rückt, desto mehr radikalisiert sich die FDP.“

Anruf bei Lindner, auch er rollt von einem Wahlkampftermin zum anderen, gerade ist er zwischen Bielefeld und Kassel unterwegs, noch elf Tage bis zur Wahl. Er ist entspannt und hörbar gut gelaunt. Über Özdemir sagt er: „Ich schätze und respektiere ihn.“ Und auf Özdemirs Radikalisierungsthese angesprochen: „Der Cem hat ein schauspielerisches Talent, er beteiligt sich an der Negativkampagne der Grünen gegen die FDP, obwohl er es besser wissen könnte.“

Schauspielern – das müssen alle Politiker

Schauspielern – das müssen alle Politiker. Auch Lindner. Aber ohne eine gewisse Grundehrlichkeit funktioniert selbst das nicht. Beide sprechen nicht von Freundschaft, beide sagen, es gebe „kein enges persönliches Verhältnis“. Und doch ein gutes. Es wäre zumindest eine Grundlage für Gespräche.

Das ist schon etwas wert zwischen Grün und Gelb. Der verstorbene FDP-Chef Guido Westerwelle hatte mit dem Grünen-Ex-Außenminister Joschka Fischer nicht nur inhaltlich große Probleme, sondern empfand eine tiefe persönliche Antipathie. Das lag aus Westerwelles Sicht, wie er ab und zu erzählte, an Fischers fehlenden Manieren. Immer wieder sei es passiert...

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