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Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.

© picture-alliance/ dpa

Hiroshi Ishiguro baut Menschmaschinen: Mein Zwilling, der Roboter

Ist der Mensch ersetzbar? Für Hiroshi Ishiguro, Superstar der Robotik, ist das keine Frage. In Japans Kultur gehören Roboter dazu. Je menschlicher sie werden, desto mehr wird die Forschung zur Selbstfindung.

Wer bist du?, ruft das Mädchen auf der Bank. Ihre Freunde lachen, ihre Eltern grinsen sich an. „Mein Name ist Yuri“, tönt es, „jetzt tut doch nicht so.“ Yuri hat langes schwarzes Haar, trägt ein weißes Oberteil und sitzt auf der Bank gegenüber. Sie dreht ihren Kopf nach links und rechts, zieht die Augenbrauen hoch, rutscht mit ihren Händen scheinbar nervös auf dem Schoß herum. „Könnt ihr mich gut hören?“, fragt sie und ihre Lippen bewegen sich perfekt. Fast eingeschüchtert nicken alle.

Hinter den beiden Sitzbänken steht eine Kabine, darin sitzt die wahre Yuri. Die junge Angestellte eines Reiseunternehmens, Yuri Tsujimoto, ist Besucherin einer Ausstellung in Tokios Technikmuseum Miraikan, wo die neuesten humanoiden Roboter vorgestellt werden. Yuri Tsujimoto sieht nicht so aus wie die Maschine, die sie steuert, sie hat kräftigeres Haar und ein runderes Gesicht. Aber die Emotionen des Roboters kann sie per Tastendruck kontrollieren, durch Knöpfe mit Beschriftungen wie „wütend“, „glücklich“, „traurig“. Kabel und Mikrofone an ihrem Kopf übertragen Bewegungen und Stimme. Draußen im Museumssaal sieht es so aus, als würde sich eine echte Person mit den Kindern unterhalten.

„Fühlt sich irgendwie komisch an“, sagt Yuri Tsujimoto, als sie aus der Kabine steigt. „Du siehst auf einem Bildschirm, wie die Kinder dich anblicken, und du siehst die Figur, die du steuerst, aber das bist eben nicht du.“ Sie überlegt einen Moment, schaut hinter sich zur menschengleichen Kreatur. „Wenn ich mir vorstelle, dass der Roboter meinem Aussehen nachempfunden wäre, käme es mir bestimmt so vor, als würde ich mich selbst steuern.“ Mit einem ferngesteuerten Double, sagt Tsujimoto mit einem zufriedenen Blick, könnte man auf neue Weise kommunizieren. „Zu Terminen müsste ich ja nicht mehr persönlich erscheinen.“

Die Ausstellung im Tokioter Museum ist eine der landesweit am meisten beachteten der vergangenen Jahre. Seit Ende Juni berichten Medien schon über die technischen Sensationen. Um die Ecke, vorbei an der Kabine, in der eben noch Yuri Tsujimoto saß, sitzt an einem Pult hinter einer Glasscheibe ein Kind. Mit hoher Mädchenstimme verliest es einen Lauftext. Die Nachrichten des Tages, präsentiert von einem anderen Roboter, genannt „Kodomoroid“, was so viel heißt wie „kindlicher Androide“. Kodomoroid liest flüssig, freundlich, tadellos.

Sieht so die Zukunft aus? Roboter, die uns nicht nur Aufgaben abnehmen, sondern uns ersetzen können? Die unsere Assistenten sind, aber, wenn nötig, auch unsere Stellvertreter, teilweise sogar besser als ihre Originale?

Vor dem verblüffend menschlichen Roboter, den Yuri Tsujimoto eben sprechen ließ, erklärt in einem Filmchen dessen Erfinder sein Konzept. „Wir arbeiten daran, dass keine Unterschiede mehr erkennbar sind“, sagt Hiroshi Ishiguro. Die Kategorie solcher Maschinen nennt er nicht Android oder Humanoid, wie menschenähnliche Maschinen gemeinhin bekannt sind, sondern Geminoid. Das lateinische „Geminus“ bedeutet Zwilling. Nach Ishiguros Vision soll der Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden.

Sein Roboter fährt für ihn zu Konferenzen

Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.
Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.

© picture-alliance/ dpa

In Japan ist Hiroshi Ishiguro, dieser dünne Mann mit dem Pilzhaarschnitt und der immer dunklen Kleidung, ein Superstar. Vor acht Jahren schuf der 51-Jährige den ersten dieser Geminoiden. Es war eine Kopie seiner selbst. Mittlerweile hat er ein Dutzend menschlicher Zwillinge gebaut. Der Traum, von dem Yuri Tsujimoto lächelnd im Museum sprach, ist in Ishiguros Leben bereits Realität.

Vergangenes Jahr, als der Ingenieursprofessor aus Osaka zu einer Vorlesung nach Zürich eingeladen war, um über seinen Zwilling zu referieren, stellte er die Schweizer Kollegen vor die Wahl: Entweder komme der Echte oder die Kopie. In Zürich entschied man sich für den Geminoiden. Also programmierte Ishiguro ihm seinen Vortrag ein und setzte ihn samt einem Assistenten ins Flugzeug, während der echte Ishiguro daheim anderen Dingen nachgehen konnte.

Hiroshi Ishiguro tritt ruckartig aufs Gas und schaut mit starrem Blick auf die Schnellstraße zwischen Osaka und Kyoto, 450 Kilometer westlich von Tokio. Die Frage, ob der Mensch denn wirklich ersetzbar, nachbaubar sei, wird ihm immer wieder gestellt. Er genießt sie. „Wäre es nicht toll“, fragt er, „wenn wir schon so weit wären? Meine Vision ist, dass Roboter und Menschen eines Tages richtige Partner sein können. Freunde oder Liebende. Warum denn nicht?“ Für seine eigene Kopie habe er schon Gefühle, behandle sie mit großer Sorgfalt.

Ishiguro ist Japans bekanntester Fürsprecher der Robotisierung diverser gesellschaftlicher Bereiche. Neben der schon weithin automatisierten Industrieproduktion spricht er von Altenpflege, Hausarbeit, weiteren Dienstleistungen und eben Emotionen. Eine Grenze sieht Ishiguro nur in der Vorstellungskraft. „Wir sollten uns Menschen nicht für so besonders halten, dass wir nicht nachgebaut werden können“, sagt er trocken.

Sein schwarzer Mazda erinnert an K.I.T.T., das sprechende Auto in der futuristischen TV-Serie „Knight Rider“ mit David Hasselhoff aus den 1980er Jahren. Über dem Schalthebel, wo in „Knight Rider“ durch einen roten Balken die Stimmfrequenz angezeigt wird, wenn K.I.T.T. mit seinem Fahrer spricht, hat Hiroshi Ishiguro einen Blitzdetektor eingebaut. „Manchmal hilft mir mein Auto auch schon sehr“, sagt er. Ohnehin sei der Wagen sowieso nicht weniger als ein Roboter. Die Autopilotfunktion, die Parkhilfe, diverse individualisierte Warnsysteme.

Viele dieser Entwicklungen kommen aus Japan. Seit gut zwei Jahrzehnten allerdings verlieren die Unternehmen und Forschungseinrichtungen des Landes Weltmarktanteile, vor einigen Jahren löste China das Land als zweitgrößte Volkswirtschaft ab. Fernseher, Kameras, Spielekonsolen, Telefone. Das alles wird heute vor allem in China, Südkorea, Taiwan, USA und Europa hergestellt und seltener in Japan.

Die Robotik aber ist eine Ausnahme. Sie ist in Japans Kultur tief verwurzelt, in Anime und Manga – Zeichentrick und Comics – haben Androide einen festen Platz, in Tokio gibt es ein Roboterrestaurant, kaufhaushohe Roboterstatuen, Kinder lernen mit Lernrobotern. Im Handel kursieren selbstständige Staubsauger, bald soll es einen Mülleimerroboter geben, der Kindern Abfall aus der Hand nimmt. „Roboter sind heute bezahlbar“, sagt Ishiguro zufrieden. „Du kannst dir verschiedene Helfer für den Haushalt für 200 000 Yen kaufen.“ Das sind rund 145 Euro. Sein eigener Haushalt sei voll mit Maschinen, die ihm den Alltag erleichterten.

Zur Probe arbeiten Roboter schon im Altenheim

Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.
Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.

© picture-alliance/ dpa

Das japanische Wirtschaftsministerium schätzt, dass das Marktvolumen allein von Assistenzrobotern im Gesundheitsbereich binnen der nächsten 20 Jahre einen Wert von 400 Milliarden Yen pro Jahr erreichen wird, rund 2,91 Milliarden Euro. Das entspräche beinahe dem heutigen Wert aller jährlich in Japan hergestellten Industrieroboter – und da verzeichnet das Land den weltweit höchsten Robotereinsatz. Schon heute ist jeder vierte der derzeit 127 Millionen Menschen in Japan älter als 65 Jahre. Wegen der niedrigen Geburtenrate und immer höherer Lebenserwartung wird dieser Anteil bis 2050 auf 40 Prozent steigen, während jener der jungen Menschen sinkt. Deutschland und andere Länder erleben dasselbe Phänomen – nur deutlich langsamer.

Weil sich aber in Japan kaum jemand für Einwanderung starkmacht, um die Personalengpässe in diversen Branchen aufzufangen, wird mit Hochdruck an Dienstleistungsrobotern gearbeitet. Zur Probe arbeiten sie schon heute in Krankenhäusern und Pflegeheimen, verabreichen Pillen oder heben mühelos bettlägerige Patienten.

Konzerne wie Toyota, Panasonic und Mitsubishi, die in der Robotik aktiv sind, vermuten im Gesundheitssektor künftig ihr Kerngeschäft. Der Autohersteller Honda präsentierte vergangenes Jahr elektronische Gürtel, die sich je nach Beinstellung und Muskelstärke an den Körper anpassen und das Laufen durch einen eingebauten Motor einfacher machen. Eine Wachstumsstrategie der japanischen Regierung von 2010 sieht vor, Forschung und kommerzielle Anwendung von Robotern zu unterstützen.

„Die Robotik ist die einzige Branche, in der wir noch führend sind“, sagt Hiroshi Ishiguro. Er schlägt die Tür seines Sportwagens zu und stapft die Treppen hoch in sein Forschungslabor in einem Vorort von Kyoto. Oben steht einer der Geminoiden als Testobjekt. Eine Mitarbeiterin tüftelt daran, um die Bewegungen des Roboters allein durch das menschliche Gehirn steuerbar zu machen. Bisher funktioniert das nur mit sehr einfachen Bewegungen des Arms, aber immerhin. In einem anderen Raum voller Kabel und Plastikboxen arbeiten Forscher an einer feineren Haut, weiteren Bewegungsdimensionen und einem effizienteren Programm, das die Steuerung vereinfacht.

„Auf bestimmte Weise sind wir meinem Traum schon sehr nah“, sagt Ishiguro in einem der Laborräume. Der Traum des Menschenroboters. Oder des Robotermenschen? „Wenn wir so weit sind, ist beides das Gleiche“, sagt er und lächelt spöttisch. Ishiguro stellt sich an ein Whiteboard und malt einen U-förmigen Graphen auf. Er zeigt das unter Roboterforschern bekannte Phänomen des „uncanny valley“, das Tal des Unheimlichen. Dahinter steht die Frage: Wann wird ein menschenähnliches Geschöpf als menschlich wahrgenommen und wann als unheimlich?

„Jede Komponente muss bis ins Detail menschlich sein“, sagt Ishiguro und klopft mit seinem Stift an die Tafel. Das betreffe Haut, Haare, Verhaltensweisen. Gelingt die maximale Imitation nicht, passiere das, was der Wiener Psychoanalytiker Sigmund Freud als „das Unheimliche“ bezeichnete. Ein Gegenüber wirkt zugleich vertraut und fremd. Für die Robotertechniker ist die Überwindung des Unheimlichen eine der großen ungelösten Aufgaben.

Liebe zu Robotern hält er für möglich

Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.
Nach Hiroshi Ishiguros Vision soll ein Roboter dem Menschen nicht bloß ähneln. Er soll sein Gleichnis werden. Hier posiert der Ingenieur mit seinem „Geminoid“. Unterscheidbar sind die zwei noch.

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Auf der in Rot aufs Whiteboard gezeichneten U-Form setzt der Professor ein Kreuzchen weit rechts oben, deutlich jenseits des Tiefpunkts. Damit will er sagen: Die große Herausforderung habe er mit dem neuesten Geminoiden, von dem auch eine Version im Museum in Tokio steht, gemeistert. Je menschenähnlicher er ab jetzt noch werde, desto eher werde er von Menschen auch so wahrgenommen.

„Irgendwann sind wir so weit“, hatte Ishiguro schon im Auto auf der Schnellstraße so lässig gesagt, als wäre das etwas Beiläufiges. „Wir werden uns lieben, Roboter und Menschen.“ Ishiguro selbst ist verheiratet, hat eine Tochter, die er auch schon als Geminoid nachgebaut hat. Der Gedanke an Roboterliebe, die die meisten Menschen bisher nur aus Science Fiction kennen, schreckt Hiroshi Ishiguro nicht ab. „Der Geminoid im Museum in Tokio ist doch schön, oder? Wenn er irgendwann auch laufen, schmecken, riechen kann, wird sein Charakter viel stärker wirken.“

In keinem Land ist man im Kopieren des Menschlichen so fortgeschritten wie in Japan. Aber der Weg zu Ishiguros Ziel ist auch hier noch weit. Um möglichst menschengleiche Roboter bauen zu können, beschäftigt sich die Forschung derzeit vor allem damit, was einen Menschen überhaupt ausmacht. Die menschenähnliche Robotik ist auch ein Stück menschliche Selbstfindung. Hiroshi Ishiguro, den manche in Japan für einen wahnsinnigen Frankenstein halten, will seine Geminoiden bald in japanischen Pflegeheimen sehen.

„Studien zeigen uns, dass das menschliche Auge während der Kindheit und im hohen Alter nicht genau zwischen humanoiden Robotern und echten Menschen unterscheiden kann“, sagt er. Freundschaften zwischen Mensch und Maschine können also einfacher in Altenheimen und Kinderkrippen entstehen. Die damit verbundenen ethischen Fragen sieht er gelassen. „Ist es nicht besser, wenn man jemanden hat? Menschen, die alleine sind, freuen sich über Besuch. Und es wird in Zukunft mehr einsame Menschen geben.“

Dass sein Geminoid noch nicht laufen kann und auch Unterhaltungen das Geschöpf bald als Maschine enttarnen, liege eher an Wissensmangel in der Psychologie, der Medizin, der Anthropologie. Die eigentliche Konstruktion sei das kleinste Problem. „Ich bin überzeugt, dass wir technisch alles nachbauen können, solange wir die genauen Eigenschaften des Originals kennen“, sagt Ishiguro.

Im Tokioter Museum Miraikan denken die meisten Besucher nicht so weit. Yuri Tsujimoto, die im Sommer 29 Jahre alt wird, will als alte Frau nicht unbedingt von einem Roboter getragen und unterhalten werden. „Ich weiß nicht“, sagt sie und schüttelt den Kopf. „Für mich wäre das nur okay, wenn ich dadurch nicht den Kontakt zu Menschen verlieren würde.“ Interessieren würde sie sich für etwas anderes. „Mein eigenes Double“, sagt sie nach ihrer ersten Erfahrung als Robotersteuerfrau. „Das hätte ich schon gern.“

An den dänischen Computerwissenschaftler Henrik Schärfe hat Ishiguro vor einigen Jahren eine Maßanfertigung geliefert. Aber wann Geminoiden im Handel erhältlich sein können, traut sich ihr Erfinder noch nicht zu sagen. Immerhin: Ein Unternehmen hat er dafür schon gegründet.

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