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Seine Partei holte aus dem Stand 14,2 Prozent in Berlin - doch Georg Pazderski reizt auch der Bundestag.

© AFP

Georg Pazderski: Der Furchtlotse

Er selbst hatte nie Angst. Aber die Bürger fühlen eine Bedrohung, sagt der Berliner AfD-Chef Georg Pazderski. Das nimmt der frühere Bundeswehr-Oberst ernst - mit Erfolg.

Die eine Hand steckt in der Hosentasche seiner Jeans, mit der anderen gestikuliert er. „Sehen Sie, da drüben, der FKK-Bereich?“, fragt Georg Pazderski und deutet auf ein leeres Stück Sandstrand am Müggelsee. „Da hatten sie im Sommer natürlich Angst, dass es Probleme gibt mit den Flüchtlingen aus dem Heim hier in der Nähe.“

Der Chef der Berliner AfD spaziert am leeren Ufer entlang, die Sonne glitzert auf dem Wasser, die Bäume tragen schon gelbe Blätter. Pazderski wohnt um die Ecke. Für den Spaziergang hat er Anzug, Hemd und goldene Manschettenknöpfe gegen Jeans, Rollkragenpullover und Fleecejacke getauscht. Beim Gehen bleibt Pazderski, wenn ihm etwas besonders wichtig ist, immer wieder stehen. Jetzt sagt er: „Die Menschen fürchten sich vor Diebstählen, wenn da Flüchtlinge in der Nähe wohnen. Vor Wohnungseinbrüchen – und eben vor Übergriffen.“

Auch wenn Georg Pazderski, Oberst a. D., erst seit vier Jahren in der Stadt lebt, hat er eine sehr genaue Vorstellung von den Ängsten der Berliner. Das muss er auch, wenn stimmt, dass es die Furcht ist, die seiner rechtspopulistischen Partei die Wähler zutreibt. Furcht vor dem sozialen Abstieg. Vor dem Fremden. Davor, dass die Dinge in Deutschland sich verändern könnten. Pazderski, der die Berliner AfD als Spitzenkandidat in den Wahlkampf führte und deren Fraktionsvorsitzender er nun ist, spricht gern darüber, wovor man sich in Berlin fürchten sollte. Es gebe da eine ganze Menge.

Für den Erfolg braucht er die Angst der anderen

Bei der Wahl zum Abgeordnetenhaus hat seine Partei vor einer Woche aus dem Stand 14,2 Prozent geholt. Ausgerechnet in Berlin, einer traditionell linken Stadt, die demnächst von einer rot-rot-grünen Koalition regiert werden soll. Die AfD-Fraktion wird 24 Abgeordnete stark sein. Muss man jetzt Angst haben vor dem Mann, der sie führt?

Wer Georg Pazderski reden hört, im Fernsehen oder anderswo, kann auf die Idee kommen, dass man sich in Berlin eigentlich nicht mehr auf die Straße trauen sollte. Auch in die Idylle des herbstlichen Müggelsees hinein erzählt Pazderski von arabischen Großfamilien, die Schutzgeld erpressen und Frauen zur Prostitution zwingen. Von zu vielen Drogentoten. Von afrikanischen Dealern. Von gefährlichen Orten, wie dem Görlitzer Park, dem Alexanderplatz und dem Kottbusser Tor. „Das sind Bereiche, wo der Berliner nicht mehr hingeht“, sagt Pazderski.

Es gibt wenig, wovor Pazderski sich fürchtet

Er selbst war auch schon einmal dort, hat sich umgeschaut. Angst? Am Kottbusser Tor? „Nein“, sagt Pazderski. „Man geht sehr aufmerksam da entlang, man rechnet damit, dass etwas passieren könnte. Aber Angst habe ich da nicht.“ So wie es im Grunde nichts gibt, wovor Georg Pazderski sich fürchtet. Das sagt er zumindest.

Für den Erfolg braucht er nur die Angst der anderen.

Pazderski hat schon früh gelernt, nicht zu zaudern. 1951 geboren, ist er als Sohn eines von den Deutschen verschleppten Polen im pfälzerischen Pirmasens aufgewachsen. Als „Polack“ sei er damals beschimpft worden. Gelegentlich gab es Handgreiflichkeiten, der kleine Georg bekam auf die Nase, es wurde gerungen und gekämpft. Beim Fußball habe er sich Respekt erworben. Man müsse eben immer ein wenig besser sein als andere: „Das hat mich geprägt. Wer tatsächlich Erfolg haben will, der kann es auch schaffen.“

Als Kind sprang Pazderski von Dächern

Wenn Pazderski von seiner Kindheit erzählt, dann spricht er ein bisschen lauter und auch ein bisschen schneller. Das Erinnern scheint ihm Spaß zu machen. Abenteuer habe er damals erlebt. Von Garagendächern seien sie gesprungen, durch Kanäle gekrochen. „Und das ist auch wichtig. Jungs müssen sich beweisen“, sagt Pazderski. Eine Mutprobe gefiel ihm besonders gut: Da trafen sie sich in einem der Neubauten, die nach dem Krieg überall hochgezogen wurden. Vor dem Haus lag ein Sandhaufen. Die weniger Mutigen, erzählt Pazderski, sprangen aus dem ersten Stock hinein. Die Mutigeren aus dem zweiten. Der junge Pazderski sprang aus dem dritten Stock.

Wenn es heute um Gefahr geht, dann benutzt Pazderski gern den Spruch „Perception is reality“. Er hat ihn im Wahlkampf so oft wiederholt, dass er so etwas wie sein Markenzeichen geworden ist. „Das, was man fühlt, ist für einen Realität“, erklärt er jetzt noch einmal und bleibt kurz stehen. Wenn sich die Bürger am Kottbusser Tor unsicher fühlten, dann sei es da eben auch unsicher - in ihrer ganz persönlichen Wirklichkeit.

Spielen Fakten da noch eine Rolle? Seit einigen Wochen gibt es einen weiteren schlauen Spruch, den vom „postfaktischen Zeitalter“, in dem sich Menschen nur noch an ihren Stimmungen und Gefühlswelten orientieren. In dem es egal ist, wie viele Flüchtlinge wirklich im Ort wohnen. Die Angst ist trotzdem da. Auch Angela Merkel hat den Begriff „postfaktisch“ mittlerweile in ihren Wortschatz aufgenommen. Sie mag ihn. Kann sie ihn doch gut verwenden, um den Erfolg der AfD zu erklären. Doch ganz so einfach ist es wohl nicht.

Das Militär hat Pazderski Beherrschung gelehrt

Im Berliner Abgeordnetenhaus steht Georg Pazderski nun der 24-köpfigen AfD-Fraktion vor.
Im Berliner Abgeordnetenhaus steht Georg Pazderski nun der 24-köpfigen AfD-Fraktion vor.

© AFP/Steffi Loos

Pazderski interessieren Fakten. Vor allem dann, wenn sie die gefühlte Realität untermauern. Er habe sich zu Beginn des Wahlkampfs eine Tabelle gemacht: In die eine Spalte hat er die Forderungen seiner Partei eingetragen, in die andere die Fakten dazu. Er hat sie sich aus Zeitungsartikeln zusammengesucht, weiß sie alle auswendig. Wenn ein Fakt mal nicht stimmt - was durchaus vorkommt - dann will er das nicht wahrhaben. Leben tatsächlich 98,9 Prozent „Migranten“ im Berliner Ortsteil Gesundbrunnen? Nein. Pazderski aber besteht darauf.

Während Parteikollegin Frauke Petry schnippisch und gereizt auf unliebsame Fragen reagiert - etwa danach, ob die Partei Ängste schüre -, wiegelt Pazderski ab. Er tut das dann meist in freundlich, geduldigem Ton. Schürzt die Lippen leicht und sagt mit weichem, pfälzerischem Akzent so etwas wie: „Neeein. Wir schüren keine Ängste. Die Ängste sind da. Wir sprechen Probleme an. Sollen wir denn Probleme nicht mehr ansprechen?“

"Angst empfindet man im Gefecht nicht"

Man müsse doch, sagt Pazderski, dieses oder jenes Problem erst analysieren, dann Lösungen erarbeiten und sie umsetzen. Zack, Zack, Zack. Das hat er vom Militär mitgenommen. 41 Jahre war er da, zuletzt als Oberst im Generalstabsdienst. Er diente zum Beispiel in Florida unter General David Petraeus, dem damaligen US-Oberbefehlshaber im Irak und in Afghanistan, und bei der NATO. Auf diese Karriere ist Pazderski stolz.

Mitte der 90er war Pazderski in Sarajevo stationiert, der heutigen Hauptstadt von Bosnien und Herzegowina. Auch diese Geschichte erzählt er gern. Die Bosniaken hatten einige Jahre zuvor ihre Unabhängigkeit von Jugoslawien erklärt, Sarajevo wurde danach von serbischen Paramilitärs belagert. In die Stadt hinein gab es eine Einfallsstraße. Auch Pazderski musste sie mit seinem Trupp mehrmals passieren. An ihrem Rand hatten sich serbische Heckenschützen positioniert, die Fahrzeuge unter Beschuss nahmen. „Sniper Alley“ wurde die Straße deshalb genannt. „Da ist auf mich geschossen worden“, sagt Pazderski. Hat er auch da keine Angst gehabt? „Nein. Im Gefecht ist man im höchsten Maße angespannt. Der Adrenalinspiegel ist hoch. Angst empfindet man nicht.“

Pazderski soll zu Wutausbrüchen neigen

Die Zeit beim Militär hat Pazderski offenbar auch Beherrschung gelehrt. In der Öffentlichkeit ist er stets freundlich. Ein kaum merkliches Lächeln umspielt oft seine Lippen, die Augen sind leicht zusammengekniffen. Was er denkt, verrät sein Gesicht selten. Doch in der Partei soll er deutlicher geworden sein. Dort heißt es, Pazderski sei ein Choleriker. Er neige zu Wutausbrüchen - und das besonders gegenüber Frauen.

Pazderski hat seinen Spaziergang am Müggelsee beendet, er steigt auf dem Parkplatz in seinen silbern schimmernden Kombi, geländetauglich. Seine Frau und er haben ihn während der Zeit in den USA gekauft und nach Deutschland verschiffen lassen. Vor allem wegen der Kinder und Enkel sind sie nach Berlin gezogen. Aber Pazderski hat sich gegen die Innenstadt entschieden. Er hat sein Domizil am Rand gewählt. Ist dahin gezogen, wo Berlin fast ein Dorf ist. Pazderski und seine Frau haben ein Haus direkt am Wald gemietet, zwei Stockwerke, weiß, mit braunen Fensterrahmen.

Früher hat Pazderski die SPD gewählt

Hier in Rahnsdorf gibt es auch ein Café mit einer ordentlichen Auswahl an Torten. Das steuert er jetzt an. „Man wundert sich, dass es so ein schönes Café in Rahnsdorf gibt, oder?“, fragt Pazderski. Er bestellt einen gedeckten Apfelkuchen ohne Sahne, den Kaffee mit Milch. Wenn man ihn so sitzen sieht, könnte man ihn für einen normalen Pensionär halten.

Doch er ist keiner. Pazderski hat sein Leben lang Verantwortung übernommen, für sich, die Familie und im Militär. In der Partei kann er nun wieder führen. Anders als in der Armee, wo es Befehl und Gehorsam gab, muss er jetzt allerdings überzeugen. Seit seinem Ruhestand hat er eine rasante politische Karriere hingelegt. Er, der einst SPD gewählt und Willy Brandt für einen Helden gehalten habe, stimmte 2013 das erste Mal für die AfD. Ihn ärgerte die Euro-Politik, die Verschuldung Deutschlands, die Griechenland-Rettung. „Es läuft in Deutschland grundsätzlich etwas falsch“, sagt er. Als ein ehemaliger Kamerad in die Partei eintrat, war auch Pazderski dabei. Schnell wurde er Landesgeschäftsführer, schließlich Bundesgeschäftsführer.

Im Januar lösten Pazderski und Beatrix von Storch den als moderat geltenden Günter Brinker im Landesvorstand ab, Pazderski wurde Spitzenkandidat. Und nun, seit vergangenem Mittwoch, ist er Fraktionsvorsitzender.

Wie geht es mit Pazderski und der AfD weiter?

Ein leichtes Lächeln, die Augen etwas zusammen gekniffen: das Pokerface des Georg Pazderski.
Ein leichtes Lächeln, die Augen etwas zusammen gekniffen: das Pokerface des Georg Pazderski.

© REUTERS

Einen Tag danach hatte sich der Landesvorstand der AfD mit den Bezirksvorsitzenden in der Geschäftsstelle der Partei in Charlottenburg getroffen. Es sollte darum gehen, wie es nun weitergeht - vor allem in den Bezirken, wo die AfD bald sieben Stadträte stellt und damit auch Regierungsverantwortung hat. Pazderski saß entspannt am oberen Ende einer U-förmigen Tischformation. Vor ihm ein Laptop mit allerlei offiziellen Statistiken. Ein Parteifreund referierte. „Die AfD-Wähler glauben, dass die AfD dafür sorgt, dass man in Berlin sicher leben kann“, sagte der Mann. Und: „Berlin ist unsicherer geworden, das ist keine Erfindung der AfD.“ Beifälliges Nicken in der Runde.

Eine andere Folie der Präsentation zeigte jedoch auch, dass 84 Prozent aller Befragten glauben, die AfD distanziere sich nicht genug von rechtsextremen Positionen - und sogar 51 Prozent der AfD-Wähler sagen das. „Das ist ein Thema“ sagte der Mann. Und Pazderski nickte nachdenklich: „Ja, ist ein Thema.“

Pazderski hofft, dass sich extreme Tendenzen auswachsen

Tatsächlich gab es direkt nach der Abgeordnetenhauswahl große Aufregung wegen des Lichtenberger Direktkandidaten Kay Nerstheimer, der früher Mitglied in einer rechtsextremen Organisation war, die vom Verfassungsschutz beobachtet wurde. Er hat nun offenbar freiwillig auf die Mitgliedschaft in der Fraktion verzichtet. „Wenn ein Apfel in der Kiste faul ist, dann können auch alle anderen faul werden“, sagt Pazderski im Idyll des Rahnsdorfer Cafés. Aber es sei in Deutschland eben furchtbar schwierig, jemanden aus einer Partei auszuschließen. Er hoffe, dass sich die extremen Tendenzen in der AfD irgendwann auswachsen.

Wie weit rechts Pazderski selbst steht, ist schwer zu sagen. Er wird dem nationalkonservativen Flügel seiner Partei zugerechnet. Ein höherrangiges Parteimitglied, das Pazderski nicht gerade wohlgesonnen ist, behauptet sogar, er sei „ultrarechts“.

Georg Pazderski tut alles, um diesen Eindruck zu vermeiden. Mit seinem staatsmännischen Auftreten, seiner gemäßigten Sprache. Das Wort „völkisch“ zum Beispiel, das seine Parteichefin Frauke Petry so gern verwendet, meidet er: „Der Begriff ist negativ belegt und wird mit Rassismus gleichgesetzt.“

Die AfD als bundesweite CSU?

Am liebsten, sagt der 64-Jährige, hätte er es, wenn die AfD eine „konservative, liberale Partei wird, die rechts der CDU steht.“ Das was die CSU in Bayern sei, das könne er sich mit noch klareren Aussagen, mit einer noch klareren Vertretung konservativer Werte auch für die AfD vorstellen - allerdings als bundesweit präsente Partei.

Im Abgeordnetenhaus, das zeichnet sich ab, wird die AfD zu einer ernstzunehmenden Konkurrenz für die CDU, die nach fünf Jahren an der Macht nun auch in die Opposition muss. Beide Parteien haben im Wahlkampf mit dem Thema innerer Sicherheit Stimmung gemacht. Pazderski will 2000 zusätzliche Polizisten, er will Kontaktbereichsbeamte, die für einen bestimmten Abschnitt zuständig und ansprechbar sind. Er fordert eine bessere Ausstattung der Polizei und mehr Personal in der Fläche. Im Wahlkampf hatte CDU-Spitzenkandidat Frank Henkel ähnliches gefordert. Sogar ein Burka-Verbot wollte er einführen. Nur so richtig authentisch wirkte das nicht. Das Geschäft mit der Angst beherrscht die AfD besser, Pazderski sowieso.

Der Bundestag reizt ihn

Gut möglich, dass dies erst der Anfang seiner politischen Karriere ist. Auch der Bundestag reizt ihn, das ist bekannt. Letztlich müssten aber die Mitglieder entscheiden, wie es mit ihm weiter gehe.

Pazderski, jetzt ganz Parteisoldat, denkt gerne zurück an seine Zeit als Oberst der Bundeswehr. „Als Offizier“, sagt er, als der Apfelkuchen alle ist, „mussten Sie Menschen dazu bringen, mit Ihnen in den Tod zu gehen.“ Diese Fähigkeit findet Georg Pazderski erstrebenswert.

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